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Zweifeln und Gewissensqualen' gefoltert ist, aber vor der Oeffentlichkeit eine fast beispiellose Festigkeit und Zuversicht erheuchelt!

Doch, sehen wir uns Janssens Belege für diese furchtbare Anklage näher an! In der That, alle von ihm citierten Aussprüche Luthers, welche dessen Verzagtheit beweisen sollen, sind aus den Tischreden oder der de Wette'schen Sammlung von Briefen des Reformators genommen. Aber damit ist doch noch nicht bewiesen, daß er in solcher Weise einzig in vertraulichen Aeußerungen, nicht aber auch in seinen Schriften' ähnlich geredet hat. Sollen wir uns den Scherz erlauben, mit Janssenscher Kunst zu beweisen, daß Luther in seinen vertraulichen Unterredungen und Briefen' eine unglaublich zuversichtliche Sprache geführt habe, in seinen Schriften' aber ganz anders', kleinlaut und verzagt seine Gewissensbisse' kund gethan habe? Es würde sehr leicht sein. Wir halten es jedoch für Pflicht, einen andern Weg einzuschlagen.

Die erste Stelle, welche Janssen zur Darstellung der nur vertraulich offenbarten Gewissensängste Luthers anführt,159) ist jenem an die Augustiner zu Wittenberg gerichteten Briefe vom 25. November 1521 160) entnommen. Darum giebt Janssen diese Worte als ein vertrauliches Selbstbekenntnis' wieder, welches in schreiendem Widerspruch zu allen für die Oeffentlichkeit bestimmten Aeußerungen Luthers stehen soll. Er weiß also einfach nicht, daß dieser vermeintliche Brief nichts anderes ist als der Anfang einer für die Oeffentlichkeit geschriebenen, von Luther selbst als gedrucktes Büchlein ausgegebenen Schrift 161). Da aber diese Vorrede zufällig in die Form eines Briefes gekleidet war, so nahm de Wette dieselbe auch in die Sammlung seiner Lutherbriefe auf. Indem aber hierdurch Janssen die Möglichkeit gewann, auf diese Briefsammlung als Quelle zu verweisen, war dem Leser die Möglichkeit genommen, den Betrug zu erkennen, falls er nicht schon genau über die Herausgabe jener Schrift Luthers orientiert war und durch Nachschlagen des Citats ersah, daß es sich eben um diese Schrift handele.

Einen anderen Beweis für seine entsegliche Anklage entnimmt Janssen 162) einem Briefe Luthers an Caspar Güttel vom Januar 1539. Denn auch hier konnte er de Wettes Briefsammlung 163) citieren. So weiß er denn abermals nicht, daß dieses Schrift=

stück 164) nicht eine vertrauliche' Mitteilung ist, sondern von Luther dem Drucke übergeben wurde, weil ihm eben daran lag, daß das darin Gesagte möglichst weit und breit bekannt werde.

Doch fügen wir hinzu, daß nach unserer Meinung Janssen um den argen Betrug, den er seinen Lesern spielt, selbst nicht gewußt hat, wenn wir auch keine Verpflichtung dazu fühlen, die Möglichkeit solchen Verfahrens bei einem jesuitisch denkenden Manne nachzuweisen. Um ihn möglichst zu entschuldigen, teilen wir noch mit, daß er auch jene Anklage Luthers nicht sich ersonnen, sondern ungeprüft abgeschrieben hat. Bei Döllinger165) hatte er gefunden: Die Zuversicht, mit der er sich aussprach, blieb zwar bis zu seinem Tode in allen seinen polemischen Schriften der herrschende Ton, aber ganz anders lauteten die Herzensergießungen im Kreise seiner Familie und seiner vertrauten Freunde'. Ueber unser Fassungsvermögen aber geht es hinaus, daß Janssen einfach von Döllinger abschreiben mag, in all' seinen Schriften' habe Luther solch zuversichtliche Sprache bezüglich der Wahrheit seiner Predigt geführt', in seinen vertraulichen Selbstbekenntnissen aber laute seine Sprache ganz anders', 166) nachdem er selbst eben vorher167) aus Predigten, die Luther öffentlich gehalten, mehrere Aeußerungen citiert hatte, welche aufs offenste davon reden, wie „weidlich es ihn vor den Kopf gestoßen habe, daß er gegen die Väter gelehrt und geglaubt habe", in welchen Janssen liest: Er habe, warf ihm sein Gewissen vor, unrecht gelehrt'. Bei Abfassung eines so großen Geschichtswerkes hätte doch die Möglichkeit, daß dasselbe auch in die Hände nachdenkender Leser fallen könne, an keiner Stelle aus den Augen gelassen werden dürfen.

Würde man freilich alle Aeßerungen Luthers über seine Anfechtungen, welche in seinen öffentlichen Schriften sich finden, neben diejenigen, welche er nur vertraulich gethan, stellen können, so dürfte auch nach unserer Ansicht die Zahl der lezteren Reihe größer sein als die der ersteren. Denn das, was hier unter Anfechtungen gemeint ist, kommt nur auf höheren Stufen des religiösen Lebens vor. Von der großen Menge wird derartiges nicht verstanden, daher mißdeutet und mißbraucht - die Art, wie unsere römischen Gegner mit den betreffenden Aeußerungen Luthers umgehen, beweist dies aufs schlagendste. Darum war

es Luthers Pflicht, vor der Oeffentlichkeit nur dann davon zu reden, wenn andere davon Gewinn haben konnten. Dann aber redete er auch mit vollster Offenheit davon, ohne sich daran zu kehren, ob es in den Augen der Unverständigen ihn herabseßen würde. Denn - und dies mögen sich die merken, welche ihn so gern als einen Großprahler hinstellen er wollte nie etwas

anderes scheinen, als er war. Es lag ihm auch nichts daran, ob die Papisten ihn nicht verstanden und für schlechter ansahen, als er war. Ja, wer auch nur diesen einzigen Zug in dem Charakter Luthers, diesen absoluten Mangel an Selbstverschönerungssucht, bis auf seine Wurzeln verfolgt, der kann nicht mehr römisch über ihn urteilen. Wenn unsere Gegner sich klar machten, daß sie alles, was sie von Schwächen und Unvollkommenheiten ihm nachsagen, einzig und allein von ihm selbst erfahren haben, so müßte das bloße Anstandsgefühl ihnen unmöglich machen, der= gleichen unermüdlich auszuposaunen. Was würde man zu solch einem Mißbrauch der „Bekenntnisse" des heiligen Augustin sagen? Doch wir verlangen nicht mehr eine anständige Behandlung Luthers. Wir verlangen nur Wahrhaftigkeit. Was aber macht man aus den Anfechtungen Luthers?

Es waren', so sagt Janssen,168) die Vorwürfe seines Gewissens'; er aber gab diese innere Stimme für die Stimme des Teufels aus'. Frohlockend stimmen die Abschreiber ein: Um das Gewissen zum Schweigen zu bringen, bemüht sich der von wahrer Höllenangst Gefolterte die Stimme dieses inneren Gebieters für Lug und Trug des Satans auszugeben; der Stimme des Gewissens bindet er die Teufelsfraße vor'.169) Darum konnte er nicht zur Erkenntnis kommen, daß er falsche Wege gehe, weil er die Vorwürfe, die ihm Vernunft und Gewissen machten, auf teuflische Versuchungen und Einflüsterungen zurückführte'.170) So tief also konnte der, welcher nach römischer Behauptung sich für den Mund Gottes, seinen Geist für den Geist Gottes hielt, sinken, daß er die Stimme seines Ge= wissens d. h. die Stimme Gottes'171) für des Satans Stimme hielt! Eine solche Anschauung von ihm muß freilich jeder echte Katholik haben. Verdankt Luther seine Lehre den Einflüsterungen des Satans, so müssen alle seine Zweifel an der

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Wahrheit seiner Lehre' von seinem Gewissen herstammen. Aber daß man solch eine Anschauung als gewisse Wahrheit uns vortragen mag, daß ein Historiker wie Janssen, welcher sich rühmt, nur die Thatsachen dargestellt zu haben, Seiten hindurch mit dieser Verdrehung operieren mag, als wäre es eine unzweifelhafte Thatsache, wissen wir nicht zu begreifen. Es ist in der That weit gekommen, daß man uns so etwas zu bieten wagt. Wir rächen Luther nicht dadurch, daß wir Janssens Geschichte des deutschen Volkes' auf Einflüsterungen des Satans zurückführen. Wir fragen nur nach den Beweisen dafür, daß Luthers „Anfechtungen" nichts anderes als die Stimme seines Gewissens gewesen seien. Vergebens suchen wir darnach. Vielmehr ergiebt sich, daß unsere Gegner jene Behauptung völlig unüberlegt in den Tag hinein ausgesprochen haben. Denn indem Janssen uns einige Anfechtungen Luthers namhaft macht, welche die Stimme seines Gewissens gewesen sein sollen, dem er leider nicht gefolgt sei, erwähnt er172) auch die, Luther habe bisweilen Selbstmordgedanken gehegt, ja sei zur Gotteslästerung versucht worden. Also sein Gewissen, Gottes Stimme', soll ihm Selbstmord und Gotteslästerung geraten haben! Oder ein anderer dieser Lutherdarsteller173) meint, indem Luther in der Stimme seines Gewissens anstatt die Stimme Gottes die Stimme des Teufels zu erkennen glaubte, unterdrückte er die besseren Regungen seines Gewissens, und teilt uns dann ganz sorglos jene Anfechtung Luthers mit: „Der Teufel hat mir oft solche Argumente gebracht, daß ich nicht wußte, ob ein Gott war oder nicht." Also sein Gewissen hat ihn zum Zweifeln am Dasein Gottes verleiten wollen! Wir sagen nicht, daß, die so schreiben, ihr Gewissen unterdrückt' haben; wir meinen aber, daß sie ihre Vernunft nicht gefragt haben.

Doch, bringen sie nicht einen Beweis für jene Behauptung ? Nun freilich, sie sagen uns: Er selbst schrieb einmal in einem lichten Augenblick: „Der traurige Geist ist das Gewissen selbst.“174) Wir aber fragen, wie kann er dann daneben immer wieder behaupten, seine Anfechtungen fämen vom Teufel? Ist das vorstellbar, daß er nur einmal' in seinem ganzen Leben einen lichten Augenblick' gehabt habe? Nein, das Räthsel löst sich sehr einfach. Als den

Verursacher aller seiner Anfechtungen sah Luther den Teufel an. Bei einigen derselben aber hielt ihm der Teufel seine Sünde vor, sodaß Luthers Gewissen ihm soweit Recht geben mußte. Die Lüge des Teufels, die Anfechtung, bestand dann darin, daß er Luther zur Verzweiflung bringen wollte, während die Verzweiflung nur eine neue Sünde gewesen sein würde. Diese Art von Anfechtung nannte Luther bisweilen den „traurigen Geist."

Und das ist die Kunst der Römischen, mit deren Hülfe sie ihren Lesern völlig unmöglich machen, den wirklichen Thatbestand nach den bei ihnen zu findenden Angaben richtig zu erkennen, daß sie alles, was Luther mit dem Worte „Anfechtung“ bezeichnet hat, wild durcheinander wirren, daß sie die von den allerverschiedensten Dingen handelnden Aussprüche Luthers in buntester Zusammenordnung zu einem Ganzen, mitunter sogar zu einem Sage verflechten, sodaß nun jeder Leser das, was Luther von der einen Art von Anfechtung, und nur von dieser, geäußert hat, als auch von den anderen gesagt ansehen muß.

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Der Begriff Anfechtung" faßt so Verschiedenartiges zusammen, wie das Wort Krankheit. Was würde daraus werden, wenn wir das, was ein Arzt über die Natur, die Ursachen, die Heilung verschiedener Krankheiten geschrieben hat, so durcheinander wirren wollten, daß jedermann glauben muß, er hätte das, was er über die Entstehungsursache des Typhus geschrieben, über die Entstehung des Scharlach gelehrt; er hätte gegen einen Beinbruch diejenigen Mittel angeraten, welche er in Wirklichkeit gegen Wechselfieber angewandt wissen wollte!

Man kann die Anfechtungen Luthers in vier Klassen einteilen, welche nach Art, Ursache und Heilmittel völlig verschieden sind: Diejenige, da er sich fragte, ob sein Auftreten auch wirklich gerechtfertigt gewesen sei; die andere, da er an der Wahrheit seiner Glaubensüberzeugung hätte irre werden können; die dritte, da er im Bewußtsein seiner Sünde sich fragte, ob er denn wirklich bei Gott in Gnaden stehe; die vierte, da sein Gemüt durch verschiedene Einflüsse sich bedrückt fühlte. Wie schwer man sich vergeht, wenn man diese ganz heterogenen Arten nicht klar auseinanderhält, zeigen wir jezt nur an einem Beispiel. Die lehterwähnte Anfechtung, die zur Melancholie, rät Luther auch

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