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Augsburger Konfession den anderen Teilnehmern der Konferenz gegenüber sich auf seinen Kurfürsten berufen könne, damit er ein Recht habe zu der Erklärung, nur unter jener Bedingung werde der Kurfürst der Vereinbarung beitreten, stellt der Kurfürst ihm dieses Schreiben zu. Daß aber diese Bemerkung über Luthers „Beständigkeit" keine Redensart - etwa zur Milderung des Befehles' sei, daß vielmehr der Kurfürst seine Sorge, es könnten bei den Verhandlungen Konzessionen gemacht werden, durch den Blick auf Luther vollständig zurückdrängt, beweist das gleichzeitige Schreiben des Kurfürsten an den Kanzler Brück.141) Da heißt es: „Nachdem Dr. Martinus selbst zur Stelle [bei den Verhandlungen gegenwärtig ist], wollen wir uns versehen, es werde den oberländischen Prädikanten nichts gewichen noch eingeräumt werden."

Freilich fanden Bußer und seine Freunde einen anderen Luther, als sie erwartet hatten'. Aber wie leicht hätte Janssen sich davon überzeugen können, daß Luthers Stimmung nicht durch des Kurfürsten Brief eine Aenderung erfahren hatte! Denn auch in diesem von ihm citierten Schreiben konnte er finden, daß Luther schon vorher, ehe der Kurfürst schrieb, keine Hoffnung mehr auf das Zustandekommen der gewünschten Einigung hegte, daß vielmehr der Kurfürst ihm noch Mut machen mußte, den Versuch nicht ganz aufzugeben. Derselbe schreibt: „Nachdem ihr es aber dafür achtet, daß der Concordie halber wenig Trost und Hoffnung sein soll: das hören wir wahrlich nicht gern. Wir sind aber ungezweifelter Hoffnung und Zuversicht, der allmächtige Gott werde es damit . . wohl gnädiglich zu schicken wissen.“ Ebenso konnte Janssen aus dem vorhin erwähnten Briefe des Kurfürsten an den Kanzler Brück142) ersehen, was denn Luther und seine Freunde in Wittenberg so umgestimmt hatte. In der Zeit, welche zwischen Luthers günstiger Stimmung und seiner Umstimmung lag, hatten „die oberländischen Prediger solche Bücher ausgehen lassen“, aus welchen hervorzugehen schien, daß sie die Vertreter der von Luther verabscheuten Abendmahlslehre, „Zwingli und Decolampad, für heilig achteten." Die Vorrede dazu trug Bußers Namen. Wenn aber dieser und seine Freunde zuerst erklärt hatten, sie wollten der Augsburger Konfession gemäß lehren, und dann

Walther, Luthers Beruf.

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doch Zwingli anzuhangen schienen, so kam Luther auf die Befürchtung, sie wollten ihn und seine Freunde durch Zweideutigkeiten täuschen. Er sprach dieses ihnen gegenüber sofort bei der ersten Zusammenkunft aufs schärfste aus und nannte die eben erwähnten Gründe für den Umschwung in seiner Stimmung gegen sie.143) Es konnte also nicht mehr auf grund ihrer früheren durch die neuesten Vorgänge gleichsam wieder annullierten Erklärung eine Einigkeit konstatiert werden. Er mußte verlangen, daß sie eine von ihm vorgelegte (von Melanchthon entworfene) Lehrformel unterzeichneten.

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Was er nicht zu hoffen gewagt hatte, das erreichte er in jenen Tagen. Bußer und Genossen unterschrieben die von ihm vorgeschlagene Einigungsformel. So war der Argwohn überwunden. Als darauf auch die Schweizer der „Concordie“ beitreten wollten, kam Luther ihnen aufs freundlichste entgegen. Janssen aber schreibt: Auch jezt entschied die weltliche Obrigkeit, aber in anderm Sinne als [nach Janssens eben widerlegter Darstellung) ein Jahr vorher bei der Concordienverhandlung zu Wittenberg. Der Kurfürst von Sachsen erachtete unter den obwaltenden Verhältnissen zu Papst und Kaiser eine Sinnesänderung den Schweizern gegenüber für dringend geboten. . . Luther machte anfangs ernste Schwierigkeiten. . . Aber nachdem der Kurfürst seine Stellung geändert, änderte auch Luther seine Sprache'.144) Also wieder der Reformator die Marionette in des Kurfürsten Hand! Wenn nur nicht alles in dieser Janssenschen Darlegung unrichtig wäre!

Durch die obwaltenden Verhältnisse' soll der Kurfürst bewogen worden sein, eine Einigung mit den reformiert Gesinnten, welche er ein Jahr früher nicht für nötig gehalten, herbeizuwünschen? Aber absolut nichts hatte sich während dieser Zeit in den Verhältnissen geändert. Geändert' sollen der Kurfürst und ihm nach Luther ihre Stellung haben? In anderem Sinne als im Jahre vorher' soll der Kurfürst entschieden haben? Aber genau derselbe Sinn wie damals beseelte ihn auch jezt. Gerade wie Luther, so sehnte damals wie jest eine Einigung auf das herzlichste herbei. Und beide hatten vor einem Jahre dieselbe Bedingung gestellt, auf der sie auch jezt bestanden, daß nämlich die wittenberger

er

Concordie unterschrieben werden müsse. Janssen freilich sucht auch zu beweisen, daß Luther jezt anfangs ernste Schwierigfeiten gemacht habe. Er weist darauf hin, daß Luther jezt zu Buzer gesagt: „Das Beste zur Sache wäre, wenn eure Leute recht lehrten und frei und rund heraus bekenneten: Lieben Freunde, Gott hat uns fallen lassen, wir haben geirrt und falsche Lehre geführt, lasset uns nunmehr klüger werden, vorsehen und recht lehren." Gewiß, so hat Luther jezt gesagt.145) Aber ein Jahr vorher'? Genau dasselbe, ja eigentlich noch mehr hatte er damals gesagt. Zu Anfang der Verhandlungen hatte er erklärt, „es würde von nöten sein, daß sie ihre fremde Meinung, die nicht des Herrn Christi, der Apostel und der Kirche ist und die sie doch bisher zu lehren und anderen einzubilden und einzureden. sich unterstanden, widerrufen und öffentlich unrecht sprechen sollten."146) Und gewiß wäre solch ein „Widerruf“ „das Beste“ gewesen. Aber weil er nicht zu erreichen war und die Möglichkeit vorliegt, daß man einen alten Irrtum erkannt hat, wenn man gleich nicht ihn öffentlich mit ausdrücklichen Worten widerruft, so hat Luther diesen Wunsch das erste wie das zweite Mal wieder fallen lassen. Auch diese Anklage Janssens auf Unselbständigkeit bei Luther zerfließt also bei näherer Prüfung in nichts.

Ganz anders verhält es sich mit der anderen Beschuldigung, Luther habe die Einführung der deutschen Liturgie und Gesänge im Gottesdienst nicht aus eigenem Antrieb' vorgenommen, 147) und später sei die Aufhebung der Hostie und des Kelchs beim Abendmahl durch die weltliche Obrigkeit beseitigt'.'48) Diese Angaben sind in der That richtig. Nur beweisen sie nicht Mangel an Selbständigkeit bei Luther. Die äußere Ordnung des Gottesdienstes zu ändern, sah er nur soweit für seine Berufspflicht an, als darin sündhaftes vorkam. So ließ er zwar aus eigenem Ermessen dasjenige aus der Gottesdienstordnung fort, was sich auf das römische Meßopfer bezog; denn diese Lehre stand nach seiner Ueberzeugung in direktem Widerspruch zur Bibel. Ob man aber noch lateinische Gesänge beibehielt und beim Abendmahl Brod und Wein in die Höhe hielt, mag nach römischer Anschauung sehr wichtig sein. Luther aber legte bekanntlich sehr geringen Wert auf bloße Ceremonien; wie auch

Janssen einmal 149) berichtet, Luther habe selbst an der Beibehaltung von Processionen, der hergebrachten Priesterkleidung, des Herumtragens von goldenen und silbernen Kreuzen keinen Anstoß genommen, wenn nur „das Evangelium lauter, rein und klar ohne menschliche Zusäße gepredigt werde“.150) Wohl wünschte Luther selbst jene beiden Aenderungen im Gottesdienst. Aber sie einzuführen, war nicht seines Amtes. Das hatte, weil die Bischöfe sich der Reformation widerseßten, der Kurfürst anzuordnen. Mit Freuden folgte Luther in beiden Fällen, da die Anordnung mit seinem Wunsche übereinstimmte, und weil das allgemeiner ausgesprochene Verlangen nach diesen Neuerungen ihm zeigte, daß durch dieselben nicht mehr schwache Gemüter geärgert werden würden. So ist es wieder nur die klare Erkenntnis davon, wozu er einen Beruf hatte und wozu nicht, wenn er hier nicht eigenmächtig vorging.

Hätte er durch das vage Verlangen, gutes zu stiften, sich verleiten lassen, nicht mehr zu fragen, ob auch sein Beruf ihn dazu autorisiere, so hätte er nicht feste, sichere Schritte thun können. Nur, wenn er nichts unternahm, als wozu er durch Christenpflicht und Berufspflicht genötigt wurde, konnte er die Folgen getrost dem überlassen, der ihm solchen Beruf auferlegt hatte. Die Gewissensnöte, da unerwartete und unerwünschte Folgen uns an der Zweckmäßigkeit und Berechtigung unsers Thuns irre machen, blieben ihm erspart.

Die römischen Schriftsteller freilich wissen uns das Gegenteil zu berichten. Damit kommen wir zu einer der düstersten Partien in der römischen Lutherlegende.

Luthers Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Auftretens.

In ruhigen Momenten', so belehrt man uns, wurde Luther sehr oft von großen Zweifeln an seiner göttlichen Sendung und der Wahrheit seiner Lehre und von großen Gewissensbissen über sein ganzes Thun und Treiben ergriffen'.151) Das Seelenleben des Geächteten war düster. Zweifel und Gewissensbisse waren. seine Trabanten'.152) Wahrlich, ein in sich zerrissener, unglücklicher Mensch !'153) Janssen weiß sogar von unaufhörlichen

Beängstigungen, Zweifeln und Gewissensqualen bezüglich der Rechtmäßigkeit seines Auftretens' zu berichten.154) Kein Wunder, daß alle römischen Gegner unsers Reformators diesen Punkt mit so großer Vorliebe behandeln. Denn wie berechtigt sind sie, an seinem Beruf zu zweifeln, wenn er selbst ihnen mit gutem Beispiel vorangegangen ist! Und so fest sind sie von der Richtigkeit ihrer Behauptungen überzeugt, daß sie daraufhin ihm die denkbar größte Schmach anthun mögen, daß sie erklären, sie bemitleideten ihn! Seine Verzagtheit und tiefste Entmutigung', schreibt Janssen, 155) treten oft in wahrhaft ergreifenden und Mitleid erregenden Worten hervor'. Wir bedürfen der größten. Selbstbeherrschung, um nicht dieses Benehmen, da ein Janssen einen Luther öffentlich bemitleidet, verdientermaßen zu charakterisieren. Und sollte er wirklich Mitleid empfinden? Dann müßte er selbst nicht glauben, was er weiter über Luthers Gewissensqualen' berichtet. Ist dieses wahr, so ist es fündhaft, Luther zu bemitleiden. So darf man auf diesen nur mit Efel und Grauen blicken; mit Ekel vor dieser teuflischen Verlogenheit, mit Grauen darüber, daß ein Mensch so bodenlos tief sinken konnte.

Denn so berichtet Janssen weiter: Luthers Urteile über sich selbst und sein Werk lernt man des genaueren kennen aus seinen vertraulichen Unterredungen und Briefen'.156) Nachdem er dann einige dieser Gewissensbeängstigungen' uns geschildert, fügt er eine Reihe von entgegengesezt lautenden Aussprüchen Luthers ein, deren Sinn sein soll, seine Lehre müsse gepredigt werden, wenn auch alles in der Welt darüber zu grunde gehe', da Christus ihm zu lehren geheißen habe. Dann fährt er fort157): Eine solch zuversichtliche Sprache bezüglich der Wahrheit seiner Predigt führte er in all' seinen Schriften. In seinen vertraulichen Selbstbekenntnissen aber und in den Unterredungen mit seinen Freunden lauteten seine Worte ganz anders'. Ein anderer römischer Lutherbiograph drückt sich so aus: Während er in seinen Predigten und Schriften mit der kecksten Gewißheit auftrat, ja Unfehlbarkeit beanspruchend, jeden Einwurf tobend niederdonnerte, jammerte er im Stillen, daß er seine eigene Lehre nicht einmal glauben könne'.158) Nun, wer müßte nicht tiefsten Ekel vor solch einem Menschen empfinden, der von unaufhörlichen

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