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nicht auch, welchen schweren Stand er mit diesem Princip den „Schwärmern und Rottengeistern" gegenüber hatte, und wie unentwegt er ihnen gegenüber seinen Grundsaß aufrecht erhalten hat!

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Aber freilich, wenn auch Luther den äußerlichen Zusammen= hang mit der Kirche, in welcher er geboren war, zu bewahren wünschte, so kann er denselben doch innerlich zerrissen haben. So meinen natürlich unsre Gegner. Es handelt sich um die außerordentliche Predigt von Wahrheiten, die, als bisher nicht gekannt oder gar als allgemein bestritten, eine neue Offenbarung voraussetzen."34) Er warf sich als neuer Religionsstifter in die Brust. Etwas Neues sollte hervorgebracht werden'.35) Es hat Luther beliebt, das Evangelium im totalen Widerspruch mit der ganzen alten Kirche des Mittelalters auszulegen'.36) Seine neue Lehre', sein neues Evangelium' auch Janssen operiert unermüdet mit diesen Wendungen.37) Ob unsere Gegner mit Recht ihm diesen Vorwurf machen, das ist eine der großen Fragen, über die zu streiten sich wirklich der Mühe verlohnt. Die Aussicht auf Erfolg ist dabei freilich nur gering, zumal da bei den Römischen gar wunderliche Vorstellungen hinsichtlich des Begriffs Neues" zu existieren scheinen. Wir fassen es in der That nicht mehr, wenn man etwa uns zuruft: Aber hat denn Christus Neues gelehrt?38) Jedenfalls können wir an diesem Orte uns nicht auf dogmatische Untersuchungen einlassen. Soviel aber ist gewiß, daß es nicht Luthers Absicht war, etwas in der christlichen Kirche noch nicht Geglaubtes zu lehren. Sollte er dieses doch gethan haben, so würde es ihm gegen seinen Willen widerfahren sein. Dagegen also protestieren wir hier, daß uns Janssen eine Reihe von Aeußerungen Luthers zusammenstellt, in denen dieser von seiner Lehre als von etwas Neuem" redet, und dadurch den Eindruck hervorbringt, als sei der Reformator darauf ausgegangen, Neues zu lehren.39) Weiß Janssen es doch besser. Nennt er doch selbst es Luthers vorgefaßte Meinung, daß er von Gott berufen sei, die verdunkelte und verunstaltete wahre Haupt= lehre des Christentums von neuem zu verkünden'.4") Lieben Brüder", schreibt Luther einmal, „denkt janicht, daß ich etwas Neues lehren werde. Ich bemühe mich nur dahin, daß ich euch in der anfangs zuvorgegebenen Lehre erhalten möge. Ich will

"

Ja,

euch in der Einförmigkeit wider die neuen Lehrer erhalten.“ in dem Sinne hat er eine Neuerung' vorgenommen, in welchem jener Künstler etwas Neues aufbrachte, als er den alten Kalk entfernte, mit welchem man das herrliche Freskogemälde an der Wand der Kirche übertüncht hatte. In Wirklichkeit war der „alte“ Kalk das Neue, das neue Bild das Alte. So haben Luthers Thun nicht wenige seiner Zeitgenossen beurteilt. Wir verweisen nur auf jenes, an 1. Mose 26, 14 19 anknüpfende schöne Lied:

Ihr Edlen, Grafen und Fürsten,

König und Kaiser Herr!

Das Christenvolk that dürften
Nach evangelischer Lehr,

Lebendig Wasser wolln sie haben.

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Gut Brunnen hatt Isaak gegraben;
Philister verworfen haben,
Die Brunnen zugefüllt mit Koth;
Also es jezt auch geht:
Philister haben sehr verworfen
Die Brunnen göttlicher Lehr,
In Städten und in Dorfen
Kein lautre Predigt mehr. . .
D, was ist neues vorhanden, |
Das ich mit Freuden hör?
Viel Isaak sind auferstanden
Uns zu gut und Gott zu Ehr,
Wollen lebendige Quellen haben,
Nach lautrem Wasser graben,
Damit sie uns erlaben

Heimlich und offenbar.

Gott geb' ihnen viel gute Jahr! 11)

Das Papsttum hatte viel Neuerungen angerichtet und das sowenig geleugnet, daß es seine Berechtigung dazu mit dem Bibelwort bewies: „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jezt noch nicht tragen“. Luther hat die alte Lehre wieder hervorgebracht. Natürlich kam das Vielen seiner Zeitgenossen wie eine Neuerung vor. Er aber ruft ihnen zu: „Sie antworten, das [was ich lehre] sei wider den alten, herge= brachten Glauben. Was ist das für ein Glaube? Was der Papst mit seinen Pfaffen und Mönchen glauben. Wie alt ist

der Glaube? Zwei oder dreihundert Jahr. Wie denn viel neuer päpstlicher Artikel aufgekommen und eingerissen sind bei meinem Gedenken. Denn ich gedenke noch, daß in diesen Kirchen und Landen [die Verehrung der] St. Anna nicht bekannt war. . . Welches alles man bei ihnen heißt: Der alte hergebrachte Glaube. Fürwahr, ein schöner Glaube, der nicht so alt ist als ein Mann von sechzig Jahren! Aber ist es nicht verdrießlich, daß des Herrn Wort, ja der heiligen Väter und Propheten von Anfang der Welt, bei denen, die sich Christen heißen, soll heißen ein neuer Glaube? Denn wir nichts anders predigen noch predigen wollen, denn was du selbst in der Schrift der Propheten und Apostel liest." 42) Wenn er so immer wieder behauptet, so muß doch der blödeste Verstand verstehen können, warum er auch einige mal seine Lehre „etwas Neues" nennt. Hochmut und Streitsucht hatte man ihm vorgeworfen, weil er flüger sein wolle, als seine Zeitgenossen. „Wer weiß nicht, antwortet er, daß ohne Hochmut oder doch ohne den Anschein von Hochmut und Streitjucht nie etwas Neues vor= gebracht werden kann?" 43) Hier handelt es sich nicht um die Frage, ob seine Lehre etwas absolut Neues oder schon in der heiligen Schrift gelehrt und nur wieder vergessen ist. Sondern von dem Eindruck redet er, den seine Lehre auf seine Zeitgenossen machen mußte. Für diese war sie etwas Neues, und wer sie verfocht, schien sich über die Zeitgenossen zu erheben und streitsüchtig zu sein. Es war nicht anders möglich. Daher grämte sich Luther nicht über solchen Vorwurf. „Wenn auch die leibhaftige Demut Neues unternehmen würde, so würde ihr auf der Stelle das Laster des Hochmuts von denen, welche anders denken, nachgesagt werden“.

Doch, behauptet nicht Luther selbst manchmal, er lehre, wie keiner seit langen Zeiten gelehrt habe? Lesen wir nicht bei ihm, Deutschland habe seit den Tagen seiner Christianisierung bis auf ihn noch gar kein Christentum besessen; erst jezt sei das Evangelium in seiner ersten Reinheit kommen'?44) Wie man doch einem Luther alles zu verdrehen weiß! Er redet in der angegeführten Stelle mit keiner Silbe von sich selbst; er rühmt nur das, was andere vor ihm gethan haben. Er schreibt „an die Ratsherrn aller Städte in Deutschen Landen, daß sie christliche Schulen

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aufrichten und halten sollen", in welchen die Jugend auch in den fremden Sprachen unterrichtet werde. Als vor seiner Zeit das Studium der Sprachen wieder aufgelebt sei, „habe niemand gewußt, wozu das dienen würde, daß es nämlich um des Evangeliums willen geschehe, welches Gott hernach habe offenbaren wollen". Weil jezt die Sprachen hervorkommen sind, [weil man wieder die Bibel in den Urtexten studieren kann,] bringen sie ein solches Licht mit sich und thun solche große Dinge, daß sich alle Welt verwundert und bekennen muß, daß wir das Evangelium so lauter und rein haben, fast als die Apostel gehabt haben, und ganz in seine Reinigkeit kommen, gar viel reiner, denn es zur Zeit St. Hieronymi oder Augustini gewesen ist“.45) Also nur davon redet er, daß die größere Sprachkenntnis zur reineren Erkenntnis des göttlichen Wortes gedient hat. Und natürlich sagt er nicht, die Sprachen" seien von ihm wieder ans Licht gebracht. Welch ein heißes Verlangen, ihn zu verleumden, muß nun seine Feinde beseelen, wenn etwa einer der= selben 46) zu jenen Worten schreibt: Um Luthers Lüge zu brandmarken, genügt es, hinzuweisen, daß die „Sprachen“ nicht erst durch Luther kamen'!

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Neben der rein reformierenden Thätigkeit aber, neben der Abstellung von „Mißbräuchen“, kann Luther noch einen anderen Ruhm für sich in Anspruch nehmen. Er schreibt einmal: „Diese zwei Predigten oder Worte [Gesez und Evangelium] mußt du wohl unterscheiden und erkennen. Denn ich sage dir, daß außer der Schrift bisher kein Buch geschrieben ist, fauch von keinen Heiligen, das vorhanden sei, darinnen diese zwei Predigten recht unterschieden wären gehandelt; da doch große Macht an liegt zu wissen".47) Ja, auf welchem Wege der Mensch dazu kommt, Gott für sich zu haben, das finden wir außer in der Heiligen Schrift in keinem der vorhandenen Bücher so klar gelehrt wie bei Luther. Der Weg, den dieser als zum Ziele führend darstellt, ist der eine und selbe, auf welchem zu allen Zeiten auch unter dem Papstthum die Seligkeit gefunden ist. Aber als Lehre faßbar formuliert und vorgetragen hat diesen Weg feiner seit der Apostel Tagen so klar, so dem Verständnis erschlossen wie er.

Walther, Luthers Beruf.

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Daß Glaube an Jesum Christum notwendig sei, um vor Gott gerecht und also selig zu werden, wurde auch im Mittelalter gelehrt. Aber wie war es näher zu bestimmen? Nur Glaube? Wie ist es zu erklären, daß die Heilige Schrift bald Glauben, bald Werke fordert? Ist vielleicht beides nötig? Welches denn zuerst? Oder wie sonst verhalten sich die beiden zu einander? Was ist eigentlich „Glaube“? Was sind „gute Werke"? Wie viel können wir thun zur Erlangung der Seligfeit? Wie viel muß Gott allein thun? Jeder, der selig wurde, hatte das Richtige; aber nur als Besiz des Herzens, noch nicht als Besig des Verstandes, als begriffliche Formulierung. Auf all jene Fragen klare Antworten gefunden und gelehrt zu haben, das eben ist Luthers Werk. Er fand sie durch den Gegensatz gegen die verkehrten Antworten, welche er zu seiner Zeit zu hören bekam, welche eben dem widersprachen, was er in Uebereinstimmung mit der Heiligen Schrift erfahren hatte und nun als Herzensglauben besaß. Indem er jene falschen Antworten zurückwies, wurde er mehr und mehr sich selbst klar über das, was er nach der Lehre des Herrn und der Apostel im Herzen hatte, wurde er mehr und mehr befähigt, diese Wahrheiten so zu lehren, wie seit langen Zeiten Keiner sie gelehrt hatte. Und um dieses Punktes willen ist er mehr als ein bloßer Reformator, mehr als Einer, der nur Mißbräuche abgestellt hat. Um dieses Punktes willen hat er in der That eine „weltumfassende Mission“ gehabt. Um dieses Punktes willen wurde Rom durch Luther zu einer unendlich folgenschweren Entscheidung gezwungen: es mußte nun endgültig wählen zwischen den verschiedenen Antworten auf jene wichtigste aller Fragen. Während das Papsttum bis dahin die Einzelheiten dieses Lehrpunktes noch in einer gewissen Unbestimmtheit gelassen hatte, mußte es nun entweder der Lehre Luthers zustimmen oder die entgegengesetzten Ansichten mit ausdrücklichen Worten zur allein gültigen Kirchenlehre erheben. Um dieses Punktes willen hat Luther eine für alle Zeiten bleibende Bedeutung: es kann nun Keiner, ohne empfindlichen Schaden zu leiden, Luthers Lehre unbeachtet lassen, wenn er klare Antwort auf die Frage sucht: „Was muß ich thun, daß ich selig werde?"

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