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außer ihm und England dort noch andere Staaten bestanden; endlich war es aber ganz allgemein für das gesamte Deutschtum von Wert, daß zukunftsreiche, selbständige Gemeinwesen niederdeutschen Gepräges fich weiter entwickelten und damit die gesamte Macht des Deutschtums vermehrten. So war die Haltung des Staatssekretärs von Marschall durchaus zu begreifen und zu billigen aber die Leitung der deutschen Reichspolitik besaß weder genügendes Selbstbewußtsein, noch ruhige Stetigkeit; als sie die Erregung in England sah, wo der Kaiser in empörender Weise in Presse und Reden angegriffen wurde, verlor fie die Kaltblütigkeit und schwenkte ein. Marschall wurde entlassen und an seiner Stelle Bernhard von Bülow, damals Botschafter in Rom, zum Staatssekretär ernannt: sein Auftrag ging dahin, England zu versöhnen.

Zu diesem Behuse schloß er im September 1898 den sog. „Delagoa Vertrag", deffen Wortlaut bisher zwar noch nicht bekannt geworden ist, dessen Inhalt aber nach englischen Preß-Mitteilungen dahin ging, daß das Reich zugebe, daß die wichtige Delagoa-Bucht an der Ostküste SüdAfrikas, die Portugal gehörte, aber für die Buren den Weg zum Meere öffnete und Endpunkt der Eisenbahn von Pretoria nach Lourenço Marques war, von Portugal an England abgetreten werde; außerdem habe es England freie Hand gelassen zur Regelung der Verhältnifse in Südafrika. Als Gegenleistung sollte bedungen sein, daß das Deutsche Reich, falls Portugal in seinen Geldnöten seine afrikanischen Befizungen Angola und Mozambique veräußern müsse, sie erwerben möge, ohne Englands Widerstand zu finden.

Ob wirklich Abmachungen solcher Art getroffen wurden, stehe dahin, jedenfalls tat die Regierung troß der Zuspißung der burisch-englischen Beziehungen nichts mehr, um die Buren-Freistaaten zu stüßen.

Englische Machenschaften brachten es dahin, daß im Herbst 1899 der Krieg ausbrach: tapfer und selbstbewußt nahmen die kleinen Staaten, obwohl sie wußten, daß sie auf fremde Hilfe, besonders auf deutsche nicht rechnen konnten, den aufgezwungenen Kampf auf, in Oranje unter der Führung des charaktervollen Präsidenten Steyn, in Transvaal unter dem alten Paul Krüger. Glänzende Siege ließen zuerst hoffen, daß die Buren sich halten könnten, aber schwere Fehler ihrer Führer vom alten Schlage, die nach den Vorschriften der Bibel einen neuzeitlichen Krieg glaubten führen zu können, und die erdrückende Übermacht des englischen Weltreichs wendeten ihr Schicksal zu schweren Niederlagen. Aber die Not erzeugte neue Führer: der kaum 30 jährige Louis Botha wurde zum Oberfeldherrn gewählt; unter ihm standen Christian Dewet und J. H. Delarey, sowie eine Reihe bedeutender und entschlossener Führer.

Heldenhaft führte die kleine Schar den Krieg weiter; Botha bewährte

fich als weitblickender, kaltblütiger Feldherr; Dewet und Delarey gewannen als kühne Reiterführer unsterblichen Ruhm.

Über zwei Jahre hielten sie noch Stand; alle Grausamkeit der Engländer, die ihren Grimm an den Frauen und Kindern, sowie am Eigentum der Kriegführenden ausließen, vermochte den Widerstand nicht zu brechen.

Die völlige Erschöpfung zwang sie endlich, die Waffen niederzulegen, nachdem sie wahrhaft heldenmütig bis zum bittern Ende gerungen: am 31. März 1902 wurde Frieden geschlossen, der die Unterwerfung von Dranje und Transvaal unter England aussprach.

Damit haben die selbständigen Buren-Freistaaten zu bestehen aufgehört.

Während die deutsche Regierung der Entwicklung der Dinge in Südafrika untätig zuschaute, entstand im deutschen Volke eine begeisterte Bewegung: man bewunderte nicht nur das Heldentum des kleinen Burenvoltes, man empfand das Gefühl der Blutsverwandtschaft und der Zusammengehörigkeit, und gab ihm Ausdruck durch Kundgebungen, durch Geldspenden, durch Ausrüstung von Krankenpflege-Abteilungen, ja zahlreiche Deutsche traten bei den Buren als Kämpfer ein.

Die deutsche Regierung sah mit kalter Ablehnung auf diese gesunde, schöne Volksbewegung ihr kam nicht der Gedanke, daß damit vielleicht ihre eigenen Fehler wieder gut gemacht werden könnten; als ob nicht auch das besiegte Burentum noch eine Macht bleiben würde, deren Dank gegen das deutsche Volk noch einmal von Wert werden könnte: als ob nicht das erwachte Gefühl der Rassengemeinschaft in Holland, seine Stärkung unter den Vlamen Belgiens ein politischer Gewinn sei. —

So bewundernswert die Haltung der Buren im Kriege war, so staatsflug und zielbewußt war sie nach dem Frieden. Nachdem nur die erste schwere Not überwunden war, beteiligten sie sich unter Bothas weiser Führung am politischen Leben und erstritten fünf Jahre später im politischen Kampfe den Sieg, der ihnen im Felde versagt geblieben war.

England hatte die Gebiete der beiden Freistaaten zu Kolonien unter Kron-Statthaltern mit eigenen Verwaltungen gemacht, die ihren Sit in Bloemfontein und Pretoria hatten: die besonnene Haltung der Buren bewirkte, daß ihnen die Londoner Reichs-Regierung bald politische Rechte verlich - und damit den Übergang der Regierung der Kolonien an die Buren vorbereitete.

Die Wahlen des Frühjahres 1907 brachten in den beiden ehemaligen Freistaaten burische Parlaments mehrheiten; in Bloemfontein wurde Fischer, ein bewährter Mitarbeiter Steyns, in Pretoria Louis Botha selbst Ministerpräsident.

So hat das für niedergerungen und verloren geglaubte Burentum das Heft der Kolonial-Regierung und der Selbstverwaltung in der Hand. Aber noch mehr: fast zur selben Zeit gewann in der Kaptolonie die Afrikander-Partei", die Partei der Buren, bei den Wahlen die Mehrheit und übernahm die Regierung, so daß jezt drei südafrikanische Kolonien burische Ministerien haben.

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So schlimm der Krieg die wirtschaftliche Entwicklung Südafrikas gestört, ja auf Jahrzehnte zurückgeworfen hat eine gute Folge hat er gehabt: in der Kapkolonie wurde unter den Buren das Volksgefühl geweckt, sie bewunderten die Taten ihrer freistaatlichen Stammesgenossen und bedauerten ihr Schicksal; die Bande des Blutes tamen zur Geltung, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit wurde wieder lebendig.

Das Burentum Südafrikas, nun unter Englands Herrschaft vereinigt, betrachtet sich als völkische Einheit, die sich politisch in dem „Afrikandertum" betätigen will: wohl erkennt man die durch die Macht der Tatsachen geschaffene, englische Herrschaft an, aber man will die weitere Entwicklung Südafrikas selbst gestalten nach den Bedürfnissen der Mehrheit der Weißen also nach denen der Buren - und unter Ablehnung der politischen Vormundschaft Englands.

Drei Umstände sind diesem Streben günstig: der Grund und Boden ist weitaus überwiegend im Besize von Buren; ihre Sprache hat sich in der Kapkolonie trog der fast 100 jährigen Herrschaft Englands noch erhalten; sie bilden den Engländern gegenüber in allen drei Kolonien mehr als die doppelte Mehrheit.

Die nächste Zukunft wird es lehren, ob die Entwicklung sich in der Richtung des Afrikandertums vollziehen wird, oder ob die Buren, unter dem Schwergewichte des englischen Einflusses doch erliegend, verengländern. Der Anfang des Jahres 1909 hat den ersten Schritt zum Vorteil der Buren gebracht: den Entwurf zu einer Verfassung des südafrikanischen Gesamtstaates, der aus der Kapkolonie, Natal, Transvaal und Oranje bestehen soll.

Der Sommer 1910 bereits sah diese „Südafrikanische Union" entstanden und als ersten Ministerpräsidenten an ihrer Spize: Louis Botha ein Zeugnis der Staatskunst der burischen Führer! Nicht minder aber der Klugheit der englischen Reichsleitung!

In dem troßdem wohl nicht ausbleibenden Kampfe der Rassen ist es die Pflicht der Bevölkerung hochdeutscher Abstammung sich bedingungsLos auf die Seite der niederdeutschen Buren, der Afrilander, zu stellen denn ihr Vorteil deckt sich durchaus mit dem der Buren, und soweit eine deutsche Einwanderung noch stattfindet, muß fie das gleiche tun.

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Noch ist die Zukunft ungewiß sicher aber ist es, daß das gesamte Deutschtum allen Anlaß hat, mit Stolz auf jene selbstbewußten, troßigen Volksgenossen zu blicken, die im fernen Süd-Afrika im Kampfe mit tausend Fährlichkeiten und Nöten zäh ihre Sprache und ihr Volkstum bewahrt haben und jezt nach ruhmvoller Niederlage daran gehen das Dasein ihres Volkes durch die friedlichen Mittel der politischen Rechte zu sichern. Für die Reichsdeutschen aber ist es ein bitteres Gefühl, daß ihre Staatsmänner nicht unschuldig daran sind, daß dies unter englischer Oberhoheit geschehen muß, statt daß noch zwei selbständige Staatswesen niederdeutschen Gepräges sich erhalten und ausbauen fonnten.

Innere Entwicklung im
19. Jahrhundert.

Die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts haben einen wunderbaren Aufschwung im geistigen Leben unseres Volkes gesehen, während im schroffsten Gegensatz dazu der politische Verfall fortschritt und in den Tagen von Jena zum furchtbaren Zusammenbruch führte.

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Nach Napoleons Besiegung war zwar die kriegerische Ehre der Deutschen wiederhergestellt und das Dasein der deutschen Staaten gesichert

aber die Schaffung von befriedigenden Zuständen innerhalb dieser Staaten, und gar ihr Zusammenschluß zu einem mächtigen Reiche wollte nicht von statten gehen: erst nach schweren Erschütterungen und Kämpfen brachte das fortschreitende 19. Jahrhundert dem deutschen Volke die brauchbare politische Form.

Unabhängig von dieser politischen Zerfahrenheit entwickelte sich geistig unser Volk weiter; es war und blieb und fühlte sich als geistige und fulturelle Einheit, deren Leben und Wirken durch die politische Zerrissenheit nicht beeinträchtigt werden konnte.

In unübersehbarer Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit, in solchem Reichtum an Erscheinungen bewies die geistige Kraft unseres Volkes ihren Schaffensdrang, daß es weder den Absichten, noch der Anlage dieses Buches entsprechen kann, in die Einzelheiten hineinzusteigen: wir dürfen nur Männer und Werke von dauerndem Werte nennen und müssen den nach mehr verlangenden Leser auf das Schrifttum der einzelnen Gebiete verweisen; dies gilt nicht nur für die Entwicklung der Künste, sondern in gleicher Weise für diejenige des gesamten tulturellen und wirtschaftlichen Lebens im 19. Jahrhundert.

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So bescheiden wir von Dem denken, was wir mit diesem Buche Leisten für die folgenden Blätter halten wir uns berechtigt, noch besonders auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die eine so gedrängte Übersicht bietet; wir sind uns der Mängel unserer Darstellung durchaus

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