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Österreich nach dem Ausgleich.

Nachdem Beust infolge des Ausgleichs Reichsminister für das Auswärtige geworden war, wurde in Österreich in den letzten Tagen des Jahres 1867 unter dem Vorsiße des Fürsten Carlos Auers. perg ein Ministerium gebildet, das zum größten Teil aus Bürgerlichen liberaler Gesinnung bestand (sog. Bürgerministerium); führenden Einfluß gewann der Justizminister Herbst, bisher Profeffor an der Prager Hochschule. Dieses Ministerium, das bald Änderungen in der Personen Busammensetzung durchzumachen hatte, kämpfte erfolgreich gegen die unbotmäßige katholische Geistlichkeit, bemühte sich der Geldnot zu steuern und brachte dem Lande neben der Preß-, Vereins- und Ver. sammlungsfreiheit endlich das Recht der freien Glaubens - Ausübung. Vieles Nüzliche und Gute geschah aber eines tat dies fast ganz aus Deutschen bestehende Ministerium nicht: den geschichtlich begründeten Anspruch der Deutschen auf Sicherung ihrer Rechte auch in den Kronländern, wo sie in der Minderheit waren, sezte es nicht durch; ja nicht einmal die deutsche Staatssprache wurde geseßlich festgelegt. Schon im Herbst 1868 trat Fürst Carlos Auersperg zurück; ihm folgten rasch mehrere Ministerien, deren politische Haltung von der bisher eingenommenen nicht wesentlich abwich. Grundstürzendes sollte eingeleitet werden mit der Anfangs 1871 erfolgten Ernennung des Grafen Hohenwart zum Ministerpräsidenten. Dieser verhängnisvolle Mann erwirkte nicht nur die Zusage, daß der Kaiser sich in Prag zum König von Böhmen frönen laffen wolle, wobei die besonderen Rechte des Landes in dem Krönungseide beschworen werden sollten er legte auch dem Prager Landtage die sog. „Fundamental-Artikel“ vor, die er mit den Führern der Tschechen vereinbart hatte. Sie besagten nicht mehr und nicht weniger, als daß Böhmen die gleiche Stellung innerhalb des Gesamtreichs erhalten sollte, wie sie Ungarn zugestanden war; eine Fülle ver wickelster Bestimmungen und Einrichtungen sollte die Beziehungen zu dem übrigen Österreich und zu dem Gesamtstaate regeln. Österreich wäre zerschlagen, eine wirkliche Staatsverwaltung wäre unmöglich geworden, hätten diese Vorschläge Gesezeskraft erlangt.

Als sie bekannt wurden, bäumten sich nicht nur die Deutschen, deren Unwillen Hohenwart schon vorher durch seine rückschrittliche Politik erregt hatte, in gerechter Empörung auf - auch Beust sah sich zum Einschreiten veranlaßt und reichte dem Kaiser am 13. Oktober 1871 eine Denkschrift ein, in der er wiederum vom Standpunkte der auswärtigen Politik und der Machtstellung des Reiches gegen diesen neuen Versuch, ein „föderalistisches“ Österreich zu schaffen, entschieden Stellung nahm. Er stand dabei wohl nicht nur unter dem Eindruck der deutschen Kundgebungen im ganzen

Lande, sondern auch noch unter dem Einflusse der Unterredung, die er zwei Monate vorher mit Kaiser Wilhelm L. in Gastein gehabt hatte; damals hatte der Sieger von Königgräß geäußert: Er habe Kaiser Franz Josef in Ischl die Versicherung gegeben, niemand denke daran, die österreichisch-deutschen Provinzen zu gewinnen. Freilich habe er hinzugefügt, was er auch dem Kaiser Alexander gesagt habe, daß er nichts sehnlicher wünsche und wünschen müsse, „als daß die Deutschen in Rußland sowohl als in Österreich sich zufrieden fühlen und nicht in die Lage gebracht werden, die Köpfe nach uns zu wenden und uns dadurch Verlegenheit zu bereiten." Graf Andrassy, der erste ungarische Ministerpräsident nach dem Ausgleich, vertrat - wie Beuft nach anfänglichem Schwanken dieselbe Meinung wie jener; dieser staatsmännische Kopf hatte klar erkannt, daß die madjarische Vorherrschaft in Ungarn auf die Dauer nur mit einer deutschen diesseits der Leitha möglich sei. Der Kaiser gab den Warnungen beider Gehör: Hohenwart wurde am 27. Oktober entlassen; vier Tage später erging eine neue Zuschrift des Herrschers an den böhmischen Landtag, in der die sechs Wochen vorher gemachten Zusagen mehr oder weniger verschleiert zurückgenommen wurden. Beust selbst wurde ein Opfer seines Sieges und mußte zurücktreten.

So kurz die Wirksamkeit Hohenwarts gewesen ist, sie hat den Grund zur Berrüttung Österreichs gelegt, indem sie nicht nur das Vertrauen der Deutschen zur Krone und zum Staate erschütterte, sondern auch die Tschechen aufs tiefste enttäuschte und verbitterte, nachdem sie ihnen die Sonderstellung Böhmens als fast erreichtes, für die Zukunft also wohl erreichbares Ziel vor Augen gestellt hatte.

Nach einem kurzlebigen Übergangs - Ministerium wurde Ende des ereignisreichen Jahres 1871 Fürst Adolf Auersperg zur Regierung berufen, der gleich seinem Bruder Carlos zuverlässig deutsch und freiheitlich gesinnt war. Er bildete das überwiegend aus Deutschen bestehende sog. „Doktoren-Ministerium", das politisch dem Bürger-Ministerium seines Bruders gleichartig war und auch manchen Wandel in seiner Zusammenseßung erlebte. Leider dachte es so wenig wie jenes daran, die Stellung der Deutschen im Staate endgültig zu sichern; ebensowenig sorgten die Deutsch-Liberalen dafür, deren anerkannter Führer Herbst wurde, da er dem Ministerium nicht angehörte.

Ein folgenschwerer Fehler der Liberalen war es auch, daß sie dem nach dem Ausgleiche sich zeigenden Streben der Polen nach der Sonderstellung Galiziens sich kurzsichtig widerseßten und so dem Deutschtum diesseits der Leitha im selben Staatsverbande mit Tschechen und Slowenen die polnischen Gegner erhielten, damit die slawische Bevölkerungs-Mehrheit verewigend.

So konnte es kommen, daß Polen, Tschechen, Slowenen und Italiener unter Ausnußung der neuen Verfassungsrechte nur um so schärfer gegen das Deutschtum anfämpften und es zum Schaden der Krone und des Staates aus seiner führenden Stellung verdrängten; in Österreich war also der Gang umgekehrt wie in Ungarn: hier verloren die Deutschen ihre geschichtlich und sittlich begründete Stellung, dort wurde die Macht den Madjaren ausgeliefert, ohne daß sie begründeten Anspruch darauf erheben fonnten. Was hier in möglichster Kürze geschildert ist, find Vorgänge von weittragender Bedeutung.

Die Liberalen der deutschen Verfassungspartei in Österreich erwiesen sich in schicksalschwerer Zeit unfähig, die Sache ihres Volkes zu vertreten - dies hieß, daß sie auch dem Staate gegenüber in dem Wichtigsten versagten, da der Staat und seine Ordnung unlöslich mit dem Deutschtum verknüpft war. Bismard hat für sie, anspielend auf ihren Führer Herbst, das scharfe Wort von den Herbstzeitlosen geprägt, „die nie etwas zur rechten Zeit getan haben“.

Bis zum Herbste 1878 waren die Liberalen im Besize der politischen Führung des Staates, also volle sieben Jahre aber obwohl die tschechischen Ansprüche damals schon für das Deutschtum bedrohlich waren, obwohl sie durch Belcredis Pläne und Hohenwarts Vorgehen gewarnt sein mußten, wurde kein ernster Versuch gemacht, die Staatsgewalt zur Sicherung des Deutschtums auszunuzen.

Eine unerquickliche Zeitspanne aber doch nur die Einleitung zu schlimmeren Zeiten.

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Schon waren die deutschen Liberalen der Krone mehrfach unbequem geworden durch kleinliche Behandlung von Heeresfragen — auch hier unbelehrt durch die Ereignisse im preußischen Verfassungskampf der Jahre 1861-1866; Kaiser Franz Josef fühlte sich dadurch verleßt, während die Slawen und Kleritalen durch ihr Entgegenkommen in diesen Fragen sein Vertrauen gewannen.

So war der Umschwung vorbereitet, als ein Ereignis der auswärtigen Politik die Liberalen in offenen Gegensatz zur Krone brachte.

Infolge des russisch-türkischen Krieges war die Donau-Monarchie aus guten Gründen veranlaßt gewesen, die durch den Berliner Kongreß der Türkei belassenen Gebiete von Bosnien, der Herzegowina und das Sandschat von Nowibazar im Sommer 1878 zu besetzen. Graf Andrassy, seit Beusts Entlassung Reichsminister des Auswärtigen, hatte damit nicht nur etwas getan, was zur Sicherung der Grenzen nötig erschien, sondern auch die ruhmvolle Balkanpolitik Habsburgs bis zu Karl VI. wieder aufgenommen. Die Beseßung war in einem Abkommen mit der Türkei als vorläufige bezeichnet war aber als eine dauernde gemeint und wurde es in der Tat dadurch, daß die stets in Geldnot befindliche Türkei voraussichtlich niemals in der Lage sein würde, Österreich die Kosten der Besetzung und Beruhigung des Landes zu erstatten.

Freilich war Andrassy in einem schweren Irrtum, wenn er meinte, die Besizergreifung werde ohne Schwierigkeit vor sich gehen; denn die Bevölkerung der Provinz erhob sich unter der Führung eines Abenteurers Hadschi Loja und bereitete den einrüdenden Truppen üblen Empfang; es tam zu blutigen Kämpfen, ja zu mehreren Niederlagen der kaiserlichen Heeresteile, und es waren schließlich drei Armeekorps nötig, um den Aufstand zu unterdrüden. Durch diese Verwicklungen entstanden sehr bedeutende Kosten, die bei der schlechten Geldlage des Gesamtstaates schwer ins Gewicht fielen.

Gegen diese Politik Andrafsys nun, die die Billigung des Kaisers hatte, weil sie ihm nach den Landverlusten seiner Regierung einen erwünschten Zuwachs brachte, wendete sich die liberale Verfassungspartei unter der Führung Herbsts, und sie verbiß sich in einen ebenso fruchtlosen, wie törichten Widerstand, der an der vollendeten Tatsache der Besizergreifung natürlich nichts änderte, aber den Kaiser tief verstimmte. Die Slawen und Klerifalen dagegen traten aufs wärmste für die Besetzung ein und befestigten das Vertrauen des Kaisers zu ihnen.

Die parlamentarischen Kämpfe im Wiener Reichsrate brachten das Ministerium Auersperg im Oktober 1878 zu Fall und nach einem zehnmonatlichen Übergangszustand wurde Graf Eduard Taaffe, der Jugendgenosse und persönliche Vertrauensmann des Kaisers zum Minister. präsidenten ernannt.

Damit hatte die Schicksalsstunde des Deutschtums geschlagen.

Taaffe nahm zwar zunächst noch einige Liberale ins Ministerium auf, bald aber machte er ihnen das weitere Verbleiben unmöglich und bekannte fich offen zu einem Bund mit den Klerikalen und Slawen, dessen deutschfeindliches Wirken aus seiner Bezeichnung „eiserner Ring“ fich entnehmen läßt. Er sprach das bedeutsame Wort, daß Österreich kein deutsches, sondern ein habsburgisches Reich sei, und erklärte es für die Pflicht der Regierung, die Nationalitäten zu versöhnen.

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Das tat er denn in eigenartiger Weise: er leistete den Polen, Tschechen und Slowenen in jeder Weise Vorschub und hatte die deutsche Geistlichkeit und den Feudaladel dabei zu Bundesgenossen; seine Art zu versöhnen, bestand darin, daß er auf Kosten des Deutschtums jenen Völkern ein Stück staatlichen Einflusses nach dem andern preisgab.

Die Verfassungspartei war über den Kämpfen um Bosnien und die Herzegowina gesprengt worden, so daß das liberale und nationalgesinnte Deutschtum dem neuen Ministerpräsidenten gegenüber ohne das parlamentarische Machtmittel einer geschlossenen Mehrheit dastand und von ihm mit offenem Hohn behandelt wurde. Jezt, nachdem das Unglück da war, besannen sich Herbst und seine Freunde auf ihre nationale Pflicht und erkannten die Gefahr, in die das deutsche Volk und mit ihm der Staat geraten war. Aber es war zu spät.

Und so find alle die parlamentarischen Reden, mit denen sie gegen Taaffe und seine slawisch-klerikalen Bundesgenossen stritten, ohne Erfolg geblieben; ehrenhafte Gesinnung, tapferes Bekenntnis zum Deutschtum, aufrichtige Hingebung an den Staat alles nüßte nichts: das liberale Deutschtum war beiseite geschoben.

Und nun geschah das Widerspruchsvolle: zur selben Zeit, wo Andrassy mit Bismarc das deutsch-österreichische Bündnis schloß, um die äußere Machtstellung der Monarchie zu heben, begann in beiden Reichshälften eine entschieden deutschfeindliche innere Politik. In Ungarn unter Koloman Tisza wurde die mit allen Mitteln des Drudes arbeitende Madjarisierung eingeleitet, von der wir nachher sprechen müssen, in Österreich durch Taaffe die bewußte Schwächung des Deutschtums.

Aber noch hatte es nach dem geltenden Wahlrechte die Mehrheit im Reichsrates bestanden die sog. Kurien der Großgrundbesizer, der Städte, der Landgemeinden und der Handelskammern und es wurden seit 1873 die Abgeordneten unmittelbar gewählt — also war der Kampf für Taaffe nur möglich, weil er aus dem deutschen Lager in den deutschen Klerikalen und Feudalen Bundesgenossen fand, die schnöden Verrat an der Sache ihres Volkes übten. Schlimm die Verblendung der Liberalen, die es soweit gebracht, schlimm die volksverräterische Haltung der Klerikalen und Feudalen aber unbegreiflich die selbstmörderische Politik der Krone und ihrer Regierung. Hier ist der Drt, die Persönlichkeit des Kaisers Franz Josef und seines Ministerpräsidenten Taaffe ins Auge zu fassen.

Wenn wir ein Bild von dem Kaiser entwerfen wollen, so stoßen wir sofort auf eine Schwierigkeit: dieser Herrscher redet nichts oder nur das Notwendigste und was von ihm, abgesehen von amtlichen Kundgebungen in die Öffentlichkeit kommt, erhebt sich nicht über das Maß alltäglicher Redensarten ja macht den Eindruck der gewollten Alltäglichkeit. Anders als Wilhelm II. bietet Franz Josef zur Erkenntnis seiner Persönlichkeit nicht das Hilfsmittel der mündlichen oder schriftlichen Mitteilung seiner Ansichten, Auffassungen, Urteile; wir find also darauf beschränkt, den Menschen und Herrscher nach seiner politischen Wirksamkeit zu werten: die aber ist heute im Ergebnis schon so völlig zu übersehen, daß ein Urteil erlaubt ist.

Dieser Habsburger hatte eine schwere Aufgabe übernommen, als er im Jahre 1848 mit achtzehn Jahren das zerrüttete, im Aufruhr befindliche Reich überfam wohl ist es ihm in den 60 Jahren seiner Regierung gelungen, die äußere Machtstellung der Krone in Österreich wieder herzustellen, aber die Gesamtmonarchie ist heute innerlich zerrüttet von den Kämpfen der Völkerschaften, wie sie es damals war von der Empörung der nach Freiheit verlangenden Völker.

Der laiserliche Jüngling wird als hochbegabt geschildert, und sol sich mit Eifer und Fleiß in allen Zweigen der Wissenschaften für seinen

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