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Für Preußen lag die Sache so, nachdem es Schlesien erworben hatte, daß eine Verbindung zwischen Schlesien und Ostpreußen, zwischen Königsberg und Breslau fehlte und daß die Landeshauptstadt Berlin zu nahe und ungeschüßt vor der polnischen Grenze lag: die preußische Grenze war nach Osten zu überhaupt nicht zu verteidigen. Es mußte eine Verbindung zwischen Königsberg und Breslau geschaffen werden; das zu diesem Zwecke zu nehmende Land legte sich gleichzeitig als Schuzwehr gegen Often vor die Hauptstadt Berlin; Ostpreußen mußte auch eine Verbindung mit Pommern und Brandenburg erhalten, die durch Westpreußen zu gewinnen war.

Durch diese unbestreitbaren Notwendigkeiten, zusammen mit dem inneren Verfall Polens ist die preußische Polenpolitik gerechtfertigt jedoch nur in dem Maße und Umfang als der Erwerb polnischen Landes jenen Zwecken diente.

Daneben muß betont werden, daß Preußen mit diesem Erwerb bei den beiden ersten Teilungen zum überwiegenden Teile verlorenes deutsches Drdensland für das deutsche Volk wieder gemann: die Polen haben hier ja nicht als eingeborene Bevölkerung geseffen, sondern die Preußen, die im Kampfe mit dem Orden aufgerieben worden waren. Dann war das Land fast rein deutsch gewesen und erst die Siege der Polen über den Orden leiteten eine starke polnische Besiedlung ein; aber davon, daß das Land ganz polnisch geworden sei, fonnte nicht gesprochen werden; nicht nur waren die Städte deutsch geblieben, sondern auch das platte Land zum großen Teile.

Also soweit Westpreußen in Betracht tam, handelt es sich um Wiedergewinnung einft unter deutscher Herrschaft gewesenen Landes, das zur Zeit dieses Vorganges zum guten Teil von Deutschen bewohnt war. Die russische Polen-Politit erklärt sich aus dem russischen Streben nach dem Balkan; sie ist ein Bestandteil der Balkan-Politik des nordischen Kaiserstaates.

Österreich, für das eine Notwendigkeit des Erwerbs polnischer Gebietsteile nicht vorlag, ist nur zögernd und widerwillig vorgegangen und hat sich nur beteiligt, um das Machtverhältnis im Osten nicht zu sehr zu seinen Ungunsten verschieben zu lassen.

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Viel Freude haben alle drei Großmächte an dem polnischen Zuwachs nicht gehabt aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Preußen zu seiner Selbsterhaltung an der durch Polens Schuld unvermeidbaren Auseinanderseßung teilnehmen mußte.

Inneres Leben seit 1648; Wirtschaft; Kultur; Künßte.

Nun bleibt nur noch ein Blick auf das innere Leben, die innere Entwicklung, das Wachsen und Werden unseres Volkes übrig, ehe wir in die neueste Beit eintreten.

Wir wissen, wie jammervoll die Zustände in Deutschland waren, die der dreißigjährige Krieg hinterlassen hatte: bettelarm, verroht, geknechtet die Bevölkerung; jedes geistige Leben erstorben; alle edlere Kultur erstickt. Wir wissen auch, daß dies Volk unverdrossen an die Arbeit gegangen ist, und wollen nun sehen, ob es auch geistig sich wieder emporgerungen hat.

Zunächst und auf lange Zeit erlag Deutschland, das auf politischem Gebiete den Kampfplatz für die fremden glücklicheren Staaten hergeben mußte, vollständig fremden Einflüssen. Frankreich, dessen Gebiet vom großen Kriege ganz verschont geblieben war, trat in den Frieden ein als bas reichste der Völker; der königliche Hof zu Paris und Versailles entfaltete unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. unerhörten Glanz; der Adel sammelte sich am Hof und buhlte um die Gunst des Fürsten; alle Künste wetteiferten, sich in den Dienst seines Ruhmes zu stellen und nahmen hösischen Charakter an.

Wir wissen, die deutschen Landesfürsten ahmten das Beispiel Ludwigs nach, indem sie das „absolute Regiment" einführten; bald wollte ein jeder ein kleiner Ludwig sein, so daß überall in deutschen Landen Fürstenfiße nach dem Muster des Versailler Schlosses entstanden; die Hofhaltung wurde ganz nach französischem Vorbild zugeschnitten. Die Kleidung richtete sich nach der Pariser Mode, die Sprache war die französische.

Der höchste Stolz des deutschen Adeligen war es, ganz „à la mode“ zu sein, d. h. möglichst nach französischer Art daherzugehen.

Es ist klar, daß diese Nachäffung fremder Sitten und Gebräuche in den obersten Schichten wiederum ihre Nachahmung unten fand, so daß auch das Bürgertum der welschen Art verfiel.

Die stolze Sprache Luthers und Huttens, sie war zur Magd geworden; kein Besserer nahm sie in den Mund, nur den Bauern und dem kleinen Bürger schien sie angemessen; wer etwas auf sich hielt, schrieb und sprach französisch, während in den gelehrten Berufen lateinisch die Herrschaft behielt.

Doch der deutsche Geist ließ sich nicht unterdrücken und die deutsche Sprache schöpfte nur neue Kraft aus der zeitweisen Knechtung.

Philander von Sittewald (Johannes Moscherosch) warf sich zu ihrem Verteidiger auf und schlug mit den Keulen seiner empörten Worte auf die Welschsüchtigen drein; der wackere Grimmelshausen

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schrieb seine prächtigen Abenteuer des Simplizius Simpli. zissimus“, ein Buch von unvergänglichem Werte für die Kenntnis der Bustände während und nach dem 30 jährigen Kriege, verfaßt in einem lebendigen vollblütigen Deutsch.

Das geistige Leben der katholischen Landesteile stand ganz unter dem Einfluß der Jesuiten, die sich der gelehrten Schulen und Uni. versitäten bemächtigten und dafür sorgten, daß kein selbständiger Gedanke auffam.

Der äußere Prunk des Gottesdienstes und die Pracht der Gotteshäuser beschäftigte die Einbildungskraft der Gläubigen hinreichend, sodaß eine Sehnsucht nach Besserem nicht auftam; wir erleben es, daß gerade unter dem Einfluß der äußeren Schönheit des katholischen Gottesdienstes bedeutende Männer vom evangelischen Glauben abfielen, abgestoßen von der Nüchternheit des kirchlichen Lebens dort.

In der lutherischen und reformierten Kirche war eine Erstarrung eingetreten; beide standen sich in schroffer Feindschaft gegenüber; die Predigten ihrer Geistlichen wurden nicht müde, die Irrlehren des anderen Bekenntnisses und den Fehlglauben der Päpstlichen zu bekämpfen. Aber hier war doch das Kirchenlied die Kraft, die ein neues Leben hervorbrachte. Das Kirchenlied in deutscher Sprache spiegelte die Nöte des Lebens, die Angst der Gewissen, das Hilfsbedürfnis der suchenden Seele und das Vertrauen auf Gottes und des Erlösers Hilfe wieder: es hat in toter Zeit Wunder an unserem Volke gewirkt. Dazu lam, daß die schwere Beit des 30jährigen Krieges die Gemeinden mit ihren Geistlichen enge zusammenführte, und wir haben viele Beispiele, wo die Pfarrer die tapferen Verteidiger ihrer von den Obrigkeiten verlassenen Gläubigen

waren.

Ein Vorbild solches glaubensstarken, unbeugsamen Mutes ist Paul Gerhard, der Verfaffer zahlreicher Kirchenlieder, die nicht nur hohen fittlichen Wert, sondern auch künstlerische Bedeutung besißen.

Aber im evangelischen Volke erwachte das Bedürfnis nach einer Verinnerlichung, einer Verjüngung des Glaubens: Ph. J. Spener und A. H. Frande verliehen ihm Ausdruck, indem sie der starren Glaubensformel das Gefühl, die Sehnsucht, das innerliche Einigsein mit Gott gegen. über stellten. Es entstand die „pietistische" (frömmelnde) Bewegung, in ihrem Streben nach einer seelischen Lebendig-Machung des Glaubens gewiß berechtigt, aber bald ausartend in weichliche, süßliche Frömmelei.

Während nun auf der einen Seite mit größter Inbrunst ein Streben zu Gott sich betätigte, seßte auf der anderen die „Aufklärung" mit ihrer Arbeit ein. In England aus der Beschäftigung bedeutender Köpfe mit den Naturwissenschaften entstanden, kam sie auf dem Wege über Frant

reich nach Deutschland. Sie ging nur aus von dem durch die Erfahrung Festgestellten, von dem durch den wissenschaftlichen Versuch Beweisbaren, und machte auch nicht Halt vor dem durch die Kirchen Gelehrten. Nicht der Glaube ist maßgebend, sondern die Vernunft; nicht die Überlieferung, sondern das Bewiesene, das Nüßliche.

Die Aufklärung legte ihre Sonde an alles Bestehende: an den herr schenden Gottesglauben, an das Kirchentum, an den Staat, an das Fürstenrecht, an die Gegensäße der Völker und sie lam - das geschichtlich Gewordene übersehend — in vielem zu einer völligen Berneinung des Bestehenden: dadurch ist sie die Vorkämpferin der französischen Revolution geworden.

Bei wirklich bedeutenden Geistern mochte sie zur Selbstprüfung führen, wie wir dies bei ihrem größten Jünger Friedrich II gesehen haben, also günstig wirken, im allgemeinen barg sie die Gefahr in sich, eine geistige Dde, eine Gefühlsleere herbeizuführen.

Das wirtschaftliche Leben erholte sich langsam; zuerst waren die Niederländer und die Franzosen unumstritten die Herren der deutschen Märkte; das geldarme Deutschland, besonders der Nordwesten war ganz abhängig von dem reichen Holland, französische Erzeugnisse drangen über. all hin.

Wir wissen, daß die Landesherren, besonders in Preußen, Sachsen, Österreich sich bemühten, vom Auslande unabhängig zu werden und den heimischen Gewerbefleiß förderten, ja von Staats wegen Fabriken anlegten; die fremde Ware wurde nach und nach durch hohe Zölle fern gehalten; Straßen, Posten, Kanäle schufen bessere Verbindungen und erleichterten den Handel.

Die Torheit Ludwigs XIV., der den Protestanten die freie Religionsübung nahm, führte viele hugenottische Familien nach Deutschland, wo fie von evangelischen Fürsten mit offenen Armen aufgenommen wurden; wir wissen, daß vor allem der große Kurfürst an 40 000 in sein Branden. burg 30g: fie gaben die Lehrmeister in allen Künsten und Gewerben ab, in denen Frankreich damals unübertroffen war.

So tam es, daß sich um die Wende des siebzehnten Jahrhunderts wieder ein bodenständiges Wirtschaftsleben gebildet hatte; wir sehen Mittelpunkte des Gewerbefleißes in Sachsen, in Mark und Kleve, in Berlin, in Wien, im deutschen Böhmen. In Meißen wird 1709 das Porzellan erfunden, in Krefeld wird vorzügliche Seide hergestellt, Bielefeld und sich. fische Drte bewähren sich in der Tuchweberei, turz der deutsche Boden hat wieder eigene Gewerbe.

Auch die Landwirtschaft erholte sich allmählich, von den Behörden begünstigt, und vermochte wieder bescheidenen Gewinn abzuwerfen; das war

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