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dem König von Preußen freie Verfügung hinsichtlich der in Norddeutschland vorzunehmenden Territorialveränderungen (mit Ausnahme Sachsens) gelassen, Hannover, Kurhessen, Nassau und die Freie Stadt Frankfurt, welche Preußens Gegner waren, ihm preisgegeben, das meerumschlungene Schleswig-Holstein an Preußen abgetreten. Die Trennung Süddeutschlands von Norddeutschland, die Aufstellung der Mainlinie, die Gegensäße eines Südbundes und eines Nordbundes und die den nördlichen Distrikten Schleswigs in Aussicht gestellte Wiedervereinigung mit Dänemark waren offenbar die dunkelsten Punkte in diesem Vertrag, welche mit dem Streben nach nationaler Einigung nicht im Einklang standen. Wenn troßdem Bismarck die Annahme dieser Bestimmungen dem König empfahl, so that er es, weil er bei der Uneinigkeit und der gegenseitigen Eifersucht der vier Südstaaten an das Zustandekommen eines Südbundes gar nicht glaubte und auf die Gewalt der nationalen Strömung vertraute, und weil er vom nationalen Standpunkte aus berechtigt, ja verpflichtet war, die von Napoleon gewünschte Vereinigung der nördlichen Distrikte Schleswigs mit Dänemark an Bedingungen zu knüpfen, welche weder Dänemark noch jene Distrikte zu erfüllen in der Lage waren.

Immerhin war es eine ernste und wichtige Entscheidung, welche bei Vorlegung des Vertragsentwurfes an König Wilhelm herantrat. Das Generalstabswerk beleuchtet die militärischpolitische Lage mit folgenden trefflichen Worten: „Sollte der Krieg fortgesetzt werden in der Hoffnung auf noch größere Resultate? Die Armee stand vor Wien. Preßburg war schon nahezu in der Hand der preußischen Streitkräfte gewesen. Auf den Ausfall einer zweiten Schlacht, wenn sie erforderlich werden sollte, blickte man ohne Besorgnis, und möglich war der Einzug in Wien. ohne allzugroße Opfer. Die militärischen Bedingungen also waren für den Augenblick günstig und von diesem Standpunkte aus die Wünsche natürlich, den Sieg bis an die äußerste Grenze zu verfolgen und der bewährten Kraft des preußischen Heeres volle Ent

faltung zu gestatten. Ein Ziel, welches der erste Napoleon sich nie versagt hatte, die Hauptstadt des Gegners, lag in verlockender Nähe, ihre Türme waren den Blicken der Vorposten sichtbar. Andererseits aber blieb wohl zu erwägen, daß Östreich, selbst nach dem Verlust von Wien, nicht genötigt war, Frieden zu schließen. Sein Heer konnte auf Ungarn ausweichen und die Verwicklungen europäischer Politik abwarten. Kam auf der vom Kaiser Napoleon vorgeschlagenen und dem Wesen nach öffentlich bekannten Basis ein Friede nicht zustande, so verlegte dies die Interessen nicht minder wie die Würde Frankreichs. Ein großes Ziel war erreicht; sollte man, um ein größeres zu gewinnen, neue Opfer und äußerste Anstrengungen dem preußischen Volke auferlegen, das Errungene nochmals in Frage stellen? Eine weise Politik bemißt ihre Ziele nicht nach dem Begehrenswerten, sondern nach dem Notwendigen. Deutschlands nationale Entwicklung unter Preußens Führung war durch den dargebotenen Frieden gesichert, weitergehende Projekte der Eroberung, wie man sie Preußen zuzuschreiben gern geneigt ist, lagen nicht in dem Willen seiner Regierung. Monarch und Volk durften sich sagen, daß sie der Pflicht Genüge gethan, welche ein hoher Beruf dem Staate wie dem Einzelnen auferlegt; sie mußten anerkennen, daß ein weiteres zwingendes Bedürfnis für die Sicherheit und die Entfaltung des nationalen Lebens Preußens und Deutschlands nicht vorlag. Was Preußen jezt zu gewinnen im Begriff stand an territorialem und an Machtzuwachs, das durfte es hoffen, bald und vollständig zu einem gemeinsamen Organismus mit dem bisherigen Bestande des Staates verwachsen zu sehen. Die von Östreich dargebotenen Bedingungen schlossen ferner die Möglichkeit künftiger Wiederherstellung eines freundschaftlichen Verhältnisses zu dem früheren Bundesgenossen nicht aus. Weder der Ehre noch der Macht Östreichs war eine Wunde geschlagen, welche eine unheilbare Feindschaft zwischen beiden Staaten notwendig im Gefolge hatte. Wenn man mehr forderte, wenn eine glückliche Fortsetzung des Krieges mehr zu

erzwingen erlaubte, so mußte ein Stachel zurückbleiben, den keine Zeit entfernt hätte. Den Bruch zwischen Preußen und Östreich zu verewigen, konnte nicht im Interesse Deutschlands und Preußens liegen."

Solchen Erwägungen Raum gebend, genehmigte König Wilhelm den Vertragsentwurf. Auf seinen Befehl unterzeichnete am 26. Juli Bismarck die Friedenspräliminarien, Moltke die Militärkonvention. Bis zum Abschluß des definitiven Friedensvertrags hielten der Militärkonvention gemäß die preußischen Truppen fast ganz Böhmen und Mähren beseßt. Am 23. August erfolgte in Prag der endgültige Abschluß des Friedens, wodurch die Nikolsburger Bestimmungen bestätigt und auf Napoleons Wunsch dem Artikel IV, der von den süddeutschen Staaten handelte, die Worte hinzugefügt wurden: „und der eine internationale unabhängige Existenz haben wird." Dadurch sollte dieser süddeutsche Bund dem Einfluß Preußens entzogen und ein Napoleonisches Protektorat möglich gemacht werden.

Napoleon hatte noch weitere Pläne. Sein Botschafter, Graf Benedetti, erschien am 26. Juli bei Bismarck. Dieser hatte ihn während der Verhandlungen mit den östreichischen Bevollmächtigten fern von sich gehalten und machte ihm nun die überraschende Mitteilung, daß der Präliminarvertrag abgeschlossen sei. Darauf fragte Benedetti, ob Frankreich nicht eine Verbesserung seiner Rheingrenze zu hoffen habe. Bismarck antwortete, es werde schwer sein, den König nach einem so glänzenden Feldzug zur Abtretung rheinischen Gebietes zu vermögen; doch wolle er den König auf die Forderungen Frankreichs vorbereiten. Benedetti schickte über diese Unterredung einen Bericht nach Paris.

Die Zeit der Heimkehr folgte. Am 1. August brach König Wilhelm mit seinem Gefolge von Nikolsburg auf und kam in Brünn an; von da reiste er am 3. nach Prag, und abends 11 Uhr am 4. Juli traf er in Berlin ein. Nach Abschluß des Prager Friedens kehrten auch die Truppen in die Heimat zurück. Sie

wurden in jeder Stadt, in jedem Dorf aufs freudigste empfangen. Am 20. und 21. September folgte der Einzug des Königs an der Spite seiner siegreichen Truppen. Bismarck, Moltke und Roon ritten nebst den Generalstabschefs der Ersten und Zweiten Armee, Voigts-Rhez und Blumenthal, unmittelbar vor dem König, der Kronprinz und Prinz Friedrich Karl unmittelbar hinter dem König. Die Straßen, durch welche der Zug sich bewegte, waren von einer ungeheuren Menschenmenge beseßt. Ein ununterbrochener Jubelruf empfing und begleitete die Sieger von Königgräß.

Inzwischen hatte Benedetti am 5. August auf seinen leßten Bericht Antwort aus Paris erhalten. Der Minister Drouin de Lhuys beauftragte ihn, dem Grafen Bismarck einen Vertragsentwurf vorzulegen, in welchem Frankreich von Preußen diejenigen preußischen Gebietsteile, die 1814 noch zu Frankreich gehört hatten, forderte und Preußen zumutete, es solle den König von Bayern und den Großherzog von Hessen zur Abtretung Rheinbayerns und Rheinhessens (mit Mainz) an Frankreich bewegen, vorbehaltlich einer diesen Fürsten zu gewährenden Entschädigung; die Verbindung Luremburgs mit dem Deutschen Bund und das preußische Bejagungsrecht in der Festung Luremburg sollten aufgehoben werden. Mit Rücksicht auf den Charakter des Grafen Bismarck" glaubte Benedetti es vermeiden zu müssen, „dem ersten Eindruck beizuwohnen, welchen die Nachricht auf ihn hervorrufen wird, daß wir das Rheinufer und die Festung Mainz wiederverlangen." schickte daher Bismarck am 5. August eine Abschrift des Entwurfs nebst folgendem Privatschreiben: In Beantwortung der Mitteilungen, die ich infolge unserer Unterhaltung vom 26. vorigen Monats von Nikolsburg nach Paris gerichtet habe, empfange ich aus Vichy (wo Kaiser Napoleon vom 28. Juli bis 7. August verweilte) den Entwurf zu einer geheimen Konvention, von dem Sie anliegend Abschrift finden. Ich beeile mich, denselben zu Ihrer Kenntnis zu bringen, damit Sie ihn mit Muße prüfen können. Ich stehe übrigens zur Besprechung desselben zu Ihrer Verfügung,

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wenn Sie den Moment dazu für gekommen erachten." Bismarck war, wie er selbst in seiner Rede vom 2. Mai 1871 sagte, „natürlich nicht eine Sekunde zweifelhaft über die Antwort“. Er lud Benedetti ein, am 6. August ihm einen Besuch zu machen. Bei dieser Unterredung empfahl Benedetti, wie der „Preußische Staatsanzeiger" schreibt, mit Entschiedenheit und Wärme die französische Forderung. Auf die Bemerkung des Ministerpräsidenten, daß diese Forderung der Krieg sei und daß Graf Benedetti gut daran thun würde, sich selbst nach Paris zu begeben, um diesen Krieg zu verhüten, erwiderte Benedetti, daß er allerdings nach Paris gehen werde, daß er aber nicht umhin könne, dem Kaiser aus eigener Überzeugung die Aufrechthaltung seiner Forderung zu empfehlen, weil er selbst glaube, daß die Existenz der Dynastie in Gefahr sei, wenn die öffentliche Meinung in Frankreich nicht durch ein derartiges Zugeständnis Deutschlands beruhigt werde." Die Antwort Bismarcks lautete: „Machen Sie den Kaiser darauf aufmerksam, daß ein solcher Krieg unter gewissen Eventualitäten ein Krieg mit revolutionären Mitteln werden könnte und daß angesichts revolutionärer Gefahren die deutsche Dynastie doch wohl eine größere Festigkeit bewähren würde als die des Kaisers Napoleon.“ „In Paris besann man sich," sagte Bismarck in jener Rede vom 2. Mai 1871, „einige Tage nachher anders, und man gab mir zu verstehen, die erste Instruktion sei dem Kaiser Napoleon während einer Krankheit entrissen worden." In einem Schreiben vom 12. August schob Napoleon alle Schuld an dieser verfehlten Kompensationspolitik dem Minister Drouin de Lhuys zu und nahm am 2. September dessen Entlassungsgesuch an. Der stellvertretende Minister Lavalette stellte in seinem Rundschreiben vom 16. September die neue politische Lage so dar, als ob Frankreich volle Genugthuung darüber empfinden könnte: die Verträge von 1815 seien vernichtet, der Deutsche Bund, welcher mit Östreich und Preußen 80 Millionen Einwohner umfaßte, sei aufgelöst, die Koalition der drei nordischen Höfe sei zerbrochen; doch

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