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die Einladung an; streich dagegen machte seine Zusage davon abhängig, daß „von den Beratungen jede Kombination ausgeschlossen bleiben werde, die darauf abzielen würde, einem der jest zur Zusammentretung eingeladenen Staaten eine territoriale Vergrößerung oder einen Machtzuwachs zu verschaffen," und stellte außerdem die Forderung, daß zu den Verhandlungen über die italienische Differenz" auch die päpstliche Regierung zugezogen werden solle. Der Vorbehalt Östreichs machte den Friedenskongreß unmöglich, was den vier eingeladenen Mächten am 4. Juni von Frankreich mitgeteilt wurde. Der französische Gesandte Graf Benedetti schrieb am 4. Juni: „Ich war bei Herrn v. Bismarck im Augenblicke, wo man ihm die Depesche des Grafen v. Golz (über das Scheitern der Konferenz) brachte. Nachdem er sie ge= lesen hatte, rief er: Vive le roi!"

Alle Verhandlungen und alle Vermittlungsversuche erreichten ihren Zweck, den Frieden aufrechtzuhalten, nicht. Bismarc galt in ganz Deutschland als derjenige Mann, welcher, um seine Reformund Eroberungspläne durchzusehen, bereit sei, namenloses Unglück über Deutschland heraufzubeschwören. In der Presse, in den Versammlungen, selbst in den Landtagen zeigte sich ein wilder Haß gegen den Mann, welcher Deutschlands Freiheit bedrohe. Demokraten und Klerikale leisteten das Äußerste in Anklagen und Schmähungen. Kein Wunder, daß ein erhistes Gehirn sich zu dem Gedanken eines Verbrechens verstieg und sich einbildete, es müsse der Vollstrecker eines Volksurteils sein, um den Frieden zu erhalten und die Freiheit Deutschlands zu retten. Die Anregung zu jenem Verbrechen, welches am 7. Mai 1866 in Berlin begangen wurde, gaben Personen, welche jahrelang die schändlichsten Beschuldigungen auf Bismarck häuften und ihn als das Unglück und das Verderben Preußens und Deutschlands bezeichneten. Als Bismarck nach einem Vortrag, den er dem König gehalten hatte, abends nach Hause zurückkehrte, hörte er hinter sich zwei Schüsse fallen. Er wandte sich um und erblickte hart hinter sich einen

jungen Mann, welcher mit seinem Revolver eben einen dritten Schuß auf ihn abfeuern wollte. Während Bismark ihn am rechten Handgelenk faßte, ging der dritte Schuß los, wodurch jener an der rechten Schulter leicht verwundet wurde. Dem Attentäter gelang es, den Revolver mit der linken Hand zu fassen und noch zwei Schüsse loszudrücken; der eine durchbohrte Bismarcks Überzieher, bei dem anderen schlug die Kugel auf einer Rippe auf, ohne zu verwunden. Bismarck hielt den Verbrecher fest und übergab ihn einigen Offizieren und Mannschaften der Garde, welche eben vorbeimarschierten. Diese führten den Verbrecher auf die Polizei. Es war wie ein Wunder anzusehen, daß von fünf Kugeln, die aus nächster Nähe auf den Grafen Bismarck abgeschossen wurden, feine eine bedeutende Verwundung veranlaßte. Mit Recht sagte der Hausarzt, der ihn untersuchte: Hier giebt es nur eine Erklärung: Gott hat seine Hand dazwischen gehabt." Der König, von Bismarck sofort von dem Vorgang benachrichtigt, die Prinzen, Generale, Minister und viele andere Personen fanden sich bei Bismarck ein, um ihm ihre Glückwünsche zu seiner glücklichen Rettung darzubringen. In der Wilhelmsstraße wogten Tausende hin und her; konservative Vereine brachten ein Ständchen, worauf Bismarck Worte des Dankes an die erregte Menge richtete.

Aus dem mit dem Attentäter vorgenommenen Verhör ergab sich, daß derselbe Karl Cohen hieß und ein Stiefsohn des in London lebenden politischen Flüchtlings Karl Blind aus Baden war. Er hatte in den letten Monaten in Hohenheim (Württemberg) Landwirtschaft studiert und, als die Kriegsaussichten immer drohender wurden, nach Berlin sich begeben, um, wie er seinem Stiefvater nach London schrieb, den Grafen Bismarck zu erschießen, den er für den größten Feind der Freiheit Deutschlands hielt, und dadurch den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Um sich der weiteren Untersuchung und den Folgen seines Verbrechens zu entziehen, schnitt er sich mit einem in dem Taschentuch verborgenen Federmesser die Adern auf, infolgedessen er in der Frühe des 8. Mai an Verblutung starb.

Das Attentat erregte das größte Aufsehen in Deutschland. Viele sprachen offen ihr Bedauern darüber aus, daß der Mordversuch mißlungen sei; andere erkannten in diesem Mißlingen das Eingreifen einer höheren Macht. Bismarck selbst hatte die nämliche Auffassung; seine Überzeugung von der Richtigkeit seiner Politik und sein Glaube an einen glücklichen Ausgang des bevorstehenden Kampfes wurden durch die Thatsache seiner Errettung gestärkt. Auch der König sah sich von ähnlichen Gedanken bewegt.

Über das damalige Verhalten der Fortschrittspartei sprach sich Bismarck in der Reichstagssitung vom 9. Mai 1884, als über die Verlängerung des Sozialistengeseßes verhandelt wurde, aus. Er machte eine Vergleichung zwischen dem Verhalten eines Teiles des Berliner Publikums bei dem Attentat und dem Tode des Karl Cohen und dem Verhalten eines Teiles der Petersburger Beamten bei dem am 5. Februar 1878 erfolgten Attentat der Wjera Sassulitsch auf den Petersburger Stadthauptmann, General Trepow, und bei ihrer Freisprechung durch das Geschwornengericht. „In dem Studenten Blind (Karl Cohen) habe sich die Kritik der Fortschrittspartei über einen so überaus elenden Minister, der damals Deutschland in einen Krieg stürzen wollte, dahin kristallisiert, daß er zum Attentat schritt, und alle Blätter der Fortschrittspartei hätten für Blind Partei genommen und ihrer Entrüstung darüber Ausdruck gegeben, daß er (Bismarck) sich nicht habe totschießen lassen. Fortschrittliche Blätter und Karrikaturenblätter seien unbehelligt an den Fenstern ausgestellt geblieben, und in ihm sei die Ansicht wach geworden, daß die Polizeibehörden sich mehr auf Seiten Blinds als auf die seinige gestellt hätten. Der Kultus, der mit der Leiche Blinds im Gebäude des Polizeipräsidiums getrieben wurde, das Bekränzen der Leiche, welches von Frauen und Männern vorgenommen wurde und welches natürlich, da es im Polizeipräsidium vor sich ging, die Polizei zuließ, das sei das nämliche Beispiel, das man bei der Wjera Saulitsch sah,

wo auch höhere Beamte bei der Freisprechung einer positiven Mörderin Beifall klatschten.“

Nicht weniger thätig als Bismarck war Kaiser Napoleon. Der Offenheit des preußischen Ministerpräsidenten gegenüber spielte der französische Kaiser ein Intriguenspiel ohnegleichen. Zunächst war sein innigster Wunsch, daß der Krieg zwischen Östreich und Preußen bald ausbrechen möge. Der Ausgang des Krieges mochte sein, wie er wollte, unter allen Umständen versprach sich Napoleon Vorteile für Frankreich. Siegte Östreich, so wollte er Preußen seinen Beistand anbieten und dasselbe vor Benachteiligung schüßen, unter der Bedingung, daß dieses ihm linksrheinisches Gebiet überlasse; gewann aber Preußen die Oberhand über Östreich, so war für ihn gar kein Zweifel, daß Preußen, falls es deutsche Provinzen sich aneigne, zur Herstellung des Gleichgewichts ihm gestatten werde, Kompensationen am Rhein sich auszuwählen. Der erstere Fall erschien ihm wahrscheinlicher, weil er die preußische Kriegsmacht unterschäßte und bei seinen Berechnungen mehr die Zahlen als die geistigen Fähigkeiten und die moralischen Kräfte berücksichtigte; auch war er ihm willkommener, weil er von dem besiegten Preußen mehr Nachgiebigkeit und Entgegenkommen erwartete als von dem siegreichen. Die Einladung zur Berufung eines Friedenskongresses war, was ihn betraf, eitles Geflunker; er fühlte sich glücklich, daß dieser nicht zustande kam; unterhandelte er ja damals gleichzeitig sowohl mit Preußen als auch mit Östreich, um diese beiden Staaten gegeneinander aufzureizen.

Graf Bismarck sprach sich in seinem Rundschreiben vom 29. Juli 1870, welches einen Teil jener berühmten, die Napoleonische Politik so sehr bloßstellenden Enthüllungen bildete, in folgender Weise aus: „Die Bestrebungen der französischen Regierung, ihre begehrlichen Absichten auf Belgien und die Rheingrenze mit preußischem Beistande durchzuführen, sind schon vor 1862, also vor meiner Übernahme des auswärtigen Amtes, an mich herangetreten. Diese Tendenzen machten sich zunächst in der Hal

tung erkennbar, welche Frankreich in dem deutsch-dänischen Streite zu unseren Gunsten beobachtet hat. Die darauf folgende Verstimmung Frankreichs gegen uns über den Vertrag von Gastein hing mit der Besorgnis zusammen, daß eine dauernde Befestigung des preußisch-östreichischen Bündnisses das Pariser Kabinett um die Früchte dieser seiner Haltung bringen könnte. Frankreich hatte schon 1865 auf den Ausbruch des Krieges zwischen uns und Östreich gerechnet und näherte sich uns bereitwillig wieder, sobald unsere Beziehungen zu Wien sich zu trüben begannen. Vor Ausbruch des Krieges von 1866 sind mir teils durch Verwandte des Kaisers der Franzosen (durch den Prinzen Napoleon), teils durch vertrauliche Agenten Vorschläge gemacht worden, welche jederzeit dahin gingen, kleinere oder größere Übereinkünfte zum Behufe beiderseitiger Vergrößerung zustande zu bringen. Es handelte sich bald um Luremburg oder um die Grenze von 1814 mit Landau und Saarlouis, bald um größere Objekte, von denen die französische Schweiz und die Frage, wo die Sprachgrenze in Piemont zu ziehen sei, nicht ausgeschlossen blieben. Im Mai 1866 nahmen diese Zumutungen die Gestalt des Vorschlags eines Offensiv- und Defensivbündnisses an, dessen Grundzüge dahin gingen, daß im Fall eines Kongresses die beiden Alliierten die Abtretung Venetiens an Italien und die Einverleibung der Herzogtümer in Preußen erstreben sollten, und daß, falls der Kongreß nicht zustande komme, Preußen dreißig Tage nach der Unterzeichnung des Allianzvertrags angreifen werde, während Frankreich dreißig Tage nach dem Beginn der Feindseligkeiten zwischen Preußen und Östreich an legteres den Krieg erklären und mit 300000 Mann ins Feld rücken sollte. Keiner von beiden Teilen sollte einen Separatfrieden mit Östreich abschließen. Der Abschluß des Friedens sollte unter folgenden Bedingungen stattfinden: Venetien wird an Italien abgetreten; Preußen erhält deutsche Gebiete mit 7 bis 8 Millionen Einwohnern nach Auswahl und das Recht, die Bundesreform in feinem Sinne durchzuführen; Frankreich nimmt das Gebiet zwischen

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