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dieser Krampferscheinungen sind die hysterischen Dämmerzustände, Anfälle von Starrsucht und Schlafsucht.

Namentlich interessant sind für den Lehrer die leichten Dämmerzustände, da dieselben leicht verkannt und als Faulheit und absichtliche Unaufmerksamkeit gedeutet werden können. Ich habe gerade bei Mädchen diese Zustände in den Pubertätsjahren beobachtet. Sie erschienen während dieser Zeit ganz auffallend zerstreut, wie abwesend. Ihr Wesen erschien ganz verändert. Eines dieser Mädchen lief in diesem Dämmerzustand aus dem Haus und wurde in einer Vorstadt von der Polizei aufgegriffen und nach Hause gebracht.

Sehr wichtig ist die Unterscheidung der hysterischen Krampfanfälle und der hysterischen Dämmerzustände von den epileptischen. Ich muß darüber noch einige Worte hinzufügen, da gerade in Pubertätsjahren sich oft zu allererst echte epileptische Anfälle zeigen. Dieselben unterscheiden sich von den hysterischen vor allen Dingen dadurch, daß der Kranke während des Anfalls völlig bewußtlos ist, und daß er sich hinterher an gar nichts erinnern kann. Es gibt dann noch, weitere Unterschiede, auf die ich jedoch hier nicht eingehen will.

Sehr nützlich ist für den Lehrer die Kenntnis von den anfallsweise auftretenden epileptischen Bewußtseinsstörungen, von den sog. Absenzen oder Petit-mal-Anfällen und den epileptischen Schwindelattacken. Bei den Petitmal-Anfällen tritt die Bewußtlosigkeit schnell ein, ohne Krämpfe und geht ebenso schnell wieder vorüber; in wenigen Sekunden bis zur 1/2 Minute. Der betreffende Patient fällt nicht hin, sondern nimmt die plötzlich unterbrochene Beschäftigung wieder auf, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Bei diesen Absenzen ist das Gesicht meist blaß und der Blick hat einen auffallend starren Ausdruck. Die Prognose der Epilepsie ist im ganzen recht ungünstig; immerhin gibt es Fälle, die außerordentlich gut verlaufen. Jeder erfahrene Neurologe kennt derartige Patienten, die nur selten schwere Anfälle haben, und bei denen die Intelligenz in keiner Weise gelitten hat.

Eine spezielle Form von epileptischen Krämpfen stellen die sog. psychasthenischen Krampfanfälle dar, die ganz besonders häufig im Pubertätsalter unter dem Einfluß von psychischen Erregungen auftreten. Es handelt sich hier meist um hereditär nervös belastete Individuen. Die Prognose dieser psychasthenischen Krämpfe ist eine gute.

Ich komme nunmehr zu den Geisteskrankheiten im Pubertätsalter. Meist bildet hereditäre Belastung den Boden, auf welchem in den Entwicklungsjahren Psychosen entstehen können.

Die häufigste Form ist die Dementia praecox, wie sie zuerst von Kräpelin

aufgestellt worden ist. Allerdings hatte Kräpelin seine Vorläufer in Kahlbaum und Hecker. Ersterer schilderte die sog. katatonische, letzterer die hebephrenische Form. Dazu kommt die sog. paranoide Form.

Bei der hebephrenischen Form zeigt sich eine auffallende Veränderung des Wesens. Die jungen Leute, die bis dahin fleißig und strebsam in der Schule waren, werden faul, interesselos und tun schließlich gar nichts mehr. Manchmal tun sie so, als ob sie großen Eifer hätten; sie bringen aber nichts fertig und sitzen stundenlang bei ihren Arbeiten, ohne dieselben zu fördern. Erst kürzlich hatte ich einen derartigen jungen Menschen zu untersuchen, der bis zur Prima einer höheren Schule ein ganz vorzüglicher Schüler war. Derselbe bekam keinen vernünftigen Satz mehr im Aufsatz zusammen. Er sagte selbst, er habe im Kopf ein seltsames Gefühl. Er war völlig indifferent gegen alles. Ich schickte ihn zur Beobachtung in ein Sanatorium; denn es ist nach meiner Erfahrung sehr schwierig, im Anfang auf Grund einer kurzen Beobachtung die richtige Diagnose zu stellen. Ich habe Fälle von nervöser Erschöpfung im Pubertätsalter beobachtet, die den Gedanken einer beginnenden Dementia praecox nahelegten. Der günstige Verlauf ohne jegliche Einbuße an Intelligenz zeigte jedoch, daß es keine Dementia praecox, d. h. frühzeitige Verblödung war.

Im weiteren Verlauf werden diese Hebephrenen ganz stumpf, starren blöde vor sich hin und zeigen keine Spur einer geistigen Regsamkeit. Trotzdem sind diese Patienten noch über ihre Person, Zeit und Ort orientiert. Ihr Benehmen ist oft ganz albern und gänzlich affektlos.

Bei der katatonischen Form kommen eigentümliche Haltungsanomalien vor; ferner zeichnen sich die Kranken durch Stereotypien in Bewegungen und im Reden aus. Sie zeigen einen passiven Widerstand gegen alles, was von ihnen verlangt wird (Negativismus), haben oft ein eigentümliches manieriertes Wesen und verfallen manchmal in plötzlich ausbrechende triebartige Handlungen. Es kommt auch hie und da zu Selbstmordversuchen. Der plötzliche Ausbruch katatonischer Erregung kann, wie Kräpelin hervorhob, an epileptische Dämmerzustände erinnern; während bei letzteren neben Desorientiertheit und Verwirrung die ängstliche, manchmal ekstatische Stimmung im Vordergrunde steht, fallen die erregten Katatoniker durch gute Auffassung und Orientierung, Affektlosigkeit und die Unsinnigkeit sowie Ziellosigkeit ihrer Antriebe auf. Wahnvorstellungen bilden in der Dementia praecox meist nur eine vorübergehende Erscheinung.

Gemeinsam ist all den äußerlich so verschiedenartigen Krankheitsbildern der Dementia praecox der Ausgang in einen eigenartigen Schwachsinn. Besonnenheit und Orientierung bleiben lange erhalten. Das Gedächtnis ist wenig,

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A. SAENGER DIE PHYSIOLOGIE UND PATHOLOGIE DES PUBERTÄTSALTERS das Urteil weit stärker gestört. Auf gemütlichem Gebiet entwickelt sich Stumpfheit; gelegentlich tritt wohl Reizbarkeit auf. Am schwersten verändert ist das Benehmen und Handeln. Die geistige Selbständigkeit ist verloren; der eigene Antrieb zur Tätigkeit erlahmt.

Von 300 Fällen endeten 59 Proz. in schwerem, 27 Proz. in leichtem Blödsinn; während bei 13 Proz. Genesung eintrat. Außer diesem Jugendirresein kommen hie und da andere Psychosen vereinzelt vor.

Ferner auch die sog. Hirnerweichung, progressive Paralyse, die meistens rasch zur Verblödung führt.

Es ist somit ersichtlich, daß in den Pubertätsjahren die verschiedenartigsten krankhaften Prozesse vorkommen. Es ist daher die Aufgabe der Ärzte, der Eltern und der Pädagogen, mit bewußter Vorsicht die Jugend in dieser schon physiologisch so kritischen Zeit zu leiten und zu behandeln. Vor allem ist eine zweckmäßige Hygiene zu empfehlen.

Die Jugend bedarf in den Pubertätsjahren wegen des raschen Wachstums einer reichlichen Nahrungszufuhr:

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Gewürze, starker Kaffee und Tee, Alkohol, Senf, Essig sind zu vermeiden, ebenso der Tabak. Die Kleidung darf in keiner Weise die Atmung und Zirkulation hemmen, Korsetts, enge Kragen, Leibriemen sind zu vermeiden.

Rationelle Einteilung der Zeit für Arbeit, Erholung und Schlaf ist sehr wichtig. Speziell ist für sehr schnell wachsende junge Menschen eine Schlafzeit von 9-10 Stunden erforderlich. Sportliche Betätigungen sind zu empfehlen, dürfen jedoch nicht im Übermaß getrieben werden, weil das Herz in diesen Jahren leicht überanstrengt wird.

Treten Zeichen von Neurasthenie usw. auf, so ist Befreiung vom Schulbesuch für längere Zeit indiziert. Sehr wichtig ist die Überwachung der Lektüre und des Umgangs.

Kurz, die Hauptsache ist und bleibt das richtige Verständnis für die komplexen Verhältnisse der Pubertätsjahre. Dieses Verständnis kann nur gewonnen werden durch die genauere Kenntnis der Entwicklung und Erziehung der Jugend in diesem Zeitabschnitt.

Ich schließe mit dem Wunsche, daß es dieser ganzen Vortragsserie beschieden sein möge, mit Erfolg an der Erreichung dieses Ziels zum Nutz und Frommen der gefährdeten Jugend mitgewirkt zu haben.

SEXUALPROBLEM UND ALKOHOLFRAGE IN DEN

JUGENDJAHREN

VON PROFESSOR DR. PHIL. et med. W. WEYGANDT, HAMBURG

Im Rahmen der Vortragsreihe über die Entwicklungsjahre betrifft der heutige Vortrag eine ganz besonders wichtige und tiefernste Frage, die Sexualität und den Alkoholgenuß in der Jugend. Die Entwicklungsjahre bedeuten für den jugendlichen Organismus einen Fortschritt in der ganzen Linie, ganz besonders aber und geradezu sprungweise bildet sich bei ihm eine Sphäre aus, die vordem nur leise angedeutet war und deren Anfänge in ihm schlummerten, das Gebiet des Geschlechtlichen im engeren Sinne. So sehr auch heutzutage noch in weitesten Kreisen diesem Problem eine gewisse Scheu entgegengebracht wird, so daß im gesellschaftlichen Verkehr auch die leiseste Andeutung nach jener Richtung hin verpönt ist und daß selbst gesetzgebende Körperschaften meinen, nur in geheimen Sitzungen über Fragen jener Art verhandeln zu sollen, so handelt es sich doch um Fragen von der allereinschneidendsten Bedeutung für das ganze künftige Leben, ja auch für eine gesunde, gedeihliche Fortentwicklung der Nation, es handelt sich um menschliche Züge, die zu dem Allergrundlegendsten gehören, was die Natur uns auf den Lebensweg mitgegeben hat. Mit Recht ist daher nicht nur von einem frivol modernistischen Standpunkte, sondern auch von ernsten Männern, von Vertretern der Wissenschaft, von Sozialpolitikern, von einsichtigen Frauen betont worden, daß man jenen Fragen dadurch nicht gerecht wird, daß man ihnen aus dem Wege geht und sozusagen das törichte Verhalten des Vogels Strauß nachahmt. Die Prüderie ist in vielfacher Hinsicht durch Konvention und geradezu durch die Mode bedingt. Während auch heute noch zahlreiche Naturvölker keinerlei Bekleidung außer einigen Schmuckbinden kennen, ist es nach unseren Sitten angemessen, lediglich die Hände, das Gesicht und allenfalls den Hals unbekleidet zu tragen, wenn auch in der offiziellen weiblichen Festtracht auf Bällen usw. der Begriff Hals sehr weit ausgedehnt erscheint. Nach oberbayrischer Volkssitte hingegen ist es unbedenklich, daß der erwachsene Mann Knie und Fußgelenke entblößt trägt. In manchen Ländern des Islams ist es auf das strengste verpönt, daß Frauen sich mit unbedecktem Gesicht vor irgendeinem anderen Manne als ihrem Gatten zeigen.

In der englischen Gesellschaft gilt es für shocking, von Hosen oder gar Beinen zu sprechen. Kunstwerken gegenüber hat man jedoch bei uns eine freiere Betrachtungsweise gelernt, so daß z. B. in dem Repräsentationsraum einer höheren Schule Hamburgs die Nachbildung einer berühmten griechischen Jünglingsstatue in vollständig unbekleideter Darstellung ihren Platz finden konnte. Es war in dieser Richtung auch anzuerkennen, daß hinsichtlich wichtiger Belehrungen über Geschlechtskrankheiten das Drama „Die Schiffbrüchigen" öffentlich aufgeführt werden konnte und die zahlreichen Besucher den ernsten Darbietungen volles Verständnis entgegengebracht haben. So darf es wohl auch unternommen werden, heute ein Thema aus einem Gebiet zu behandeln, das von größter Bedeutung für die menschliche Entwicklung und dessen Verkennung vielfach von den schlimmsten Folgen begleitet ist.

Ich gedenke zunächst kurz darauf einzugehen, wie sich unter normalen Verhältnissen die sexuellen seelischen Regungen und die Fähigkeit ihrer Betätigung entwickeln. Darauf ist die Möglichkeit einer auf abnormer Grundlage beruhenden vorzeitigen Entwicklung zu erwähnen.

Praktisch besonders wichtig ist das Kapitel der sexuellen Verirrungen in den Entwicklungsjahren, besonders die Masturbation. Leider kommt auch für diese Jahre bereits die düstere Erscheinung der sexuellen Perversität in Betracht.

Sodann sei die Frage einer vorzeitigen Betätigung der sexuellen Fähigkeit und deren Gefahren besprochen.

Schließlich soll erörtert werden, was vom ärztlichen Standpunkte als das zweckmäßigste Verhalten zu bezeichnen ist, insbesondere auch hinsichtlich der Frage der geschlechtlichen Aufklärung.

Betreffs der Alkoholfrage kommt es darauf an, wie dieses Mittel gerade auf die Entwicklungsjahre besonders einwirkt, und weiterhin, wie sich die Jugend in diesem bedeutsamen Alter dem Alkoholgenuß gegenüberstellen soll.

Unter normalen Verhältnissen richtet sich die Zeit der Entwicklungsjahre gerade im wesentlichen nach dem Eintritt der Geschlechtsreife. Letztere macht sich in zwiefacher Richtung geltend: 1. zunächst rein psychisch, das Erwachen der Empfindung für geschlechtliche Reize, der Trieb zu andersgeschlechtigen Wesen, der Drang nach Fühlung, bzw. Umarmung, ohne daß dabei die Geschlechtsorgane direkt beteiligt sind, der sogenannte Kontrektationstrieb; 2. der Drang nach Betätigung der Geschlechtsorgane, der sogenannte Detumeszenztrieb.

Der erstere, mehr psychische Drang kann wohl schon geraume Zeit vor der eigentlichen Geschlechtsreife eintreten und sich in unklarer Weise be

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