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§. 623.

In Fällen dringender Noth kann nach dem positiven deutschen Staatsrecht das Gesetzgebungsrecht zeitweilig dem Fürsten allein eignen und dieser berechtigt sein, das von dem Staatswohl dringend erforderte Gesetz ohne ständische Mitwirkung, als ein provisorisches Nothgesetz zu verkünden.') Die Nothgesetze charakterisiren sich nicht durch eine Besonderheit des Gegenstandes, sondern nur durch die politischen Conjuncturen, unter denen dieselben entstehen. Die Ausnahmsstellung derselben liegt in den einseitigen Erlassen solcher Gesetze durch das Staatsoberhaupt, welches im Falle der Dringlichkeit der gesetzlichen Regelung irgend einer Angelegenheit und der Unmöglichkeit der rechtzeitigen Behandlung der Sache von dem gesetzgebenden Körper durch die Verfassung selbst zu solchem einseitigen Vorgehen ermächtigt ist. Die Erlassung von Nothgesetzen ist also ein bestimmtes Recht und eine unabweisliche Pflicht des Souverains. Dieselbe setzt aber die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen Betheiligung des gesetzgebenden Körpers voraus; sobald dieser in Function. tritt, d. h. sobald der Landtag zusammentritt, hat derselbe auch die Nothgesetze seiner Competenz zu unterziehen und hängt deren rechtlicher Fortbestand von der Genehmigung des Landtages ab. Die besondere Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums hinsichtlich der Voraussetzungen und des Inhalts der Nothgesetze pflegt in den Verfassungsgesetzen vorgeschrieben zu sein.") Der Gegenstand der Gesetzgebung

Landschaftsordnung §. 18: „Wir wollen Uns des Beirathes Unseres Gesammt-Landtages zu allen das gemeine Wohl und das Beste des Landes angehenden Gesetzen und zu sonstigen Angelegenheiten, welche Wir für dazu geeignet halten, bedienen;" §. 19: „Die Zustimmung der Landstände werden Wir zum Erlass solcher Gesetze einholen, welche eine Abänderung der Landesverfassung und der Landschaftsordnung enthalten. Unsere Unterthanen mit neuen Abgaben belasten oder wohlerworbene Rechte, insbesondere das Eigenthum einzelner Uuterthanen oder ganzer Klassen derselben aufheben oder beschränken;" Schaumburg-Lippesche Verordnung vom 15. Januar 1816 §. 2: „Die Landstände sollen folgende Rechte auszuüben haben: 2) das Recht, über die zu erlassenden allgemeinen Landesgesetze ihr Gutachten zu geben und, wenn sie auf die Landesverfassung einen wesentlichen Einfluss haben, ihre Einwilligung zu denselben zu ertheilen. Die Lippe-Detmoldsche Verordnung vom 6. Juli 1836 §. 5 garantirt den Landständen schlechthin die bis zum Jahre 1805 besessenen Rechte, „insoweit solche nicht durch das gegenwärtige „Gesetz“ ausdrückliche Modificationen erleiden.“ 1) Man vergl. das Nothrecht der Staatsgewalt oben §. 228, 229.

2) Preussisches Verfassungsgesetz Art. 63: „Nur in dem Falle, wenn die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staats-Ministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen;" Sächsisches §. 88 („der König erlässt auch solche ihrer Natur nach der ständischen Zustimmung

begründet einen formellen Unterschied der s. g. Nothgesetze nicht und haben in dieser Beziehung namentlich auch die Finanznothgesetze keine besondere Bedeutung.') Dass solche Nothgesetze nur provisorisch sind, ist selbstverständlich, sogut wie dass die demnächstige Nichtgenehmigung derselben im Landtage keine rückwirkende Kraft hat.2)

bedürfende, aber durch das Staatswohl dringend gebotene Verordnungen, deren vorübergehender Zweck durch Verzögerung vereitelt werden würde, mit Ausnahme aller und jeder Abänderungen in der Verfassung und dem Wahlgesetze;" sonst dem Sinne nach wie das Preussische 1. c.); Badensches §. 66 (definirt den Begriff der Nothgesetze wie das Sächsische, schweigt aber von dem Erforderniss einer nachträglichen Genehmigung durch den Landtag); Hessen-Darmstädtsches §. 73: „Der Grossherzog ist befugt, ohne ständische Mitwirkung in dringenden Fällen das Nöthige zur Sicherheit des Staates vorzukehren", dazu dann aber das Gesetz vom 15. Juli 1862 Art. 1: „Wenn eine Verordnung, welche ihrer Natur nach in das Gebiet der Gesetzgebung eingreift, erlassen wird, so soll dieselbe, falls sie nach Ablauf eines Jahres noch für längere Zeit oder bleibend in Wirksamkeit erhalten werden soll, der alsdann grade vereinigten Stände-Versammlung oder, wenn eine solche nicht anwesend ist, der nächsten Ständeversammlung zur Ertheilung ihrer Zustimmung vorgelegt werden. Wird eine solche Vorlage von beiden Kammern der Stände oder auch nur von einer derselben abgelehnt, so soll die Verordnung sofort ausser Wirksamkeit gesetzt werden;" Weimarsches Grundgesetz §. 61 gestattet dem Landesfürsten einseitig Gesetze zu erlassen, wenn ein durch das Staatsrecht dringend gebotener Zweck einer schleunigen Erfüllung bedarf, bestimmt aber, dass solche unter Verantwortlichkeit aller Departements-Chefs erlassenen Gesetze sich ausdrücklich als provisorische ankündigen mit dem Hinzufügen, dass, wenn sie von dem nächsten Landtage nicht ausdrücklich angenommen werden sollen, sie mit dem Ende des letztern von selbst und ohne Weiteres ausser Kraft treten;" Coburg-Gothasches Staatsgrundgesetz §. 130 (dem Sinne nach gleich); Oldenburgsches Revidirtes Staatsgrundgesetz Art. 137 (desgleichen); Schwarzburg-Sondershausensches Landesgrundgesetz §. 39 (desgleichen); Schwarzburg-Rudolstädtsches Grundgesetz §. 25 (desgleichen); Reuss-Schleizisches Revidirtes Staatsgrundgesetz §. 66 und 67 (desgleichen); Waldecksches Verfassungsgesetz §. 7 (desgleichen, jedoch mit der Bestimmung, dass, wenn demnächst eine Vereinigung zwischen dem Landtage und der Staatsregirung nicht erfolge, die erlassenen Verordnungen entweder sofort aufgehoben oder einem innerhalb dreier Monate zu versammelnden neuen Landtage vorgelegt werden müssen; erst die Verwerfung der Verordnung auch von diesem macht die Aufhebung nothwendig). Das Liechtensteinsche Verfassungsgesetz §. 24 ersetzt die Bestimmungen über die Ausübung des Noth-Gesetzgebungsrechtes des Souverains durch die Clausel:,,Auch wird der Fürst in dringenden Fällen das Nöthige zur Sicherheit und Wohlfahrt des Staates vorkehren“, allerdings für das politische Interesse dieses Staates wohl genügend.

1) S. oben S. 631 Note 3.

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2) Ausdrücklich bezeugt dies das Reuss-Schleizische Revidirte Staatsgrundgesetz §. 67 Abs. 2.

II. Formelle Voraussetzungen.

§. 624.

Der Wille des gesetzgebenden Körpers, welcher aus der Uebereinstimmung des Fürsten und des Landtages als des Organes der Unterthanen hervorgegangen, wird durch die Verkündigung des Souverains als des Staatsoberhauptes Gesetz.) Unverkündigt kann jener Wille des Staates existiren, aber nur durch diese Verkündigung (Publication) wird demselben die Macht und das Recht des Gesetzes geliehen. Denn in dem persönlichen Souverain erfüllt sich die Persönlichkeit des Staates und nur das Staatsoberhaupt spricht den Willen des Staates aus. Wirkten auch bei der Entstehung dieses Willens die beiden geistigen Elemente des Staatsorganismus eben um dieses ihres Wesens willen nothwendig mit, so ist es doch nur der Mund des Souverains, welcher den also geschaffenen Willen verkündet, und nur kraft dieser Verkündigung hat der Wille des Staates das Recht, über das Wollen und Handeln der Menschen im Staate zu herrschen, und sind diese verpflichtet, solcher Herrschaft sich unweigerlich zu fügen. Kein Beschluss des Landtages hat als solcher den Unterthanen gegenüber Macht und Recht; nicht einmal die Zustimmung des Souverains vermag dem Inhalt des Beschlusses diese Macht zu leihen. Nur der vom Souverain verkündete Beschluss des gesetzgebenden Körpers ist das Gesetz.) Aber die Verkündung des Gesetzes ist nicht ein Act der vollziehenden Gewalt, sondern ein Essentiale der Gesetzgebung.")

§. 625.

Das Prinzip der persönlichen Freiheit und Unverantwortlichkeit des Souverains überlässt auch dem Entschlusse desselben, ob und wann das Gesetz auch formell existent werden soll. Wenn indess die Aufgabe des

1) Dass der Souverain nur den Willen des gesetzgebenden Körpers, nur das von diesem Beschlossene verkünden kann, ist selbstverständlich. Dass der Inhalt des Gesetzes mit dem Beschlusse des Landtages übereinstimme, ist ein Erforderniss der materiellen Gültigkeit jenes. Vergl. Coburg-Gothasches Staatsgrundgesetz §. 106 Abs. 1. Von den Voraussetzungen der formellen Gültigkeit ist unten §. 626 die Rede.

2) Preussisches Verfassungsgesetz Art. 45; Sächsisches §. 87; Würtembergsches §. 172 Abs. 2; Badensches §. 66; Luxemburgsches Art. 34; Altenburgsches Grundgesetz §. 5; Oldenburgsches Revidirtes Staatsgrundgesetz Art. 5 und 140; Schwarzburg-Sondershausensensches Landesgrundgesetz §. 41; Waldecksches Verfassungsgesetz §. 8.

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was die Verfassungsgesetze

3) Das Waldecksche Verfassungsgesetz §. 8 nennt von 1848 gern thaten die Verkündigung der Gesetze einen Ausfluss der vollziehenden Gewalt. Es gründet sich die Auffassung auf die Theorie der Theilung der Staatsgewalt, wonach der Landtag die Gesetzgebung, der Souverain aber die Regirung oder die vollziehende Gewalt besitzen soll: eine mit dem monarchischen Prinzipe und dem Wesen des Staates völlig unvereinbare und jedenfalls höchst überflüssige Theorie.

gesetzgebenden Körpers nicht von den Launen der Willkür bestimmt und dessen Bethätigung aus thatsächlichen Anlässen als eine um des Staates willen nothwendige hervorgegangen, so ist es selbstverständlich, dass jenes Prinzip sich selbst dahin erläutert, dass auch die Freiheit der Verkündigung eines materiell existenten Gesetzes nicht zum Deckel einer launenhaften Willkür benutzt werden mag, und dass der Monarch durch sein politisches Wesen politisch und so auch moralisch verpflichtet ist, das Werk des gesetzgebenden Körpers nicht durch ein unmotivirtes Zurückhalten der Verkündigung zu vereiteln und gleichsam die Würde desselben zu kränken. Die Praxis der deutschen Staaten beweist auch, dass dem Existentwerden des Gesetzes auch die Verkündigung alsbald folgt. Einige Verfassungsgesetze haben indess die moralische Pflicht des Monarchen auch in eine positivrechtliche verwandelt und eine bestimmte Frist, innerhalb welcher die Verkündigung zu geschehen habe, festgestellt,') oder auch die Nichtverkündigung innerhalb einer bestimmten Frist als die Verweigerung der Bestätigung betrachtet.2)

§. 626.

Die Verkündigung der Gesetze ist als ein staatsrechtlicher Act an bestimmte Formen gebunden, so dass dieselbe nur in diesen geschehen kann, wenn sie die gesetzgebende Wirkung haben soll. Nur die in der verfassungsgesetzlichen Weise als Gesetze verkündeten Erlasse des Souverains sind Gesetze. Allgemein ist es ein verfassungsgesetzlicher Grundsatz, dass abgesehen von der Erfüllung des allgemeinen Erfordernisses der politischen Verbindlichkeit der landesherrlichen Erlasse, der eigenen Unterschrift und der Contrasignatur eines verantwortlichen Ministers,) der erfolgten Zustimmung des Landtages in dem Gesetze selbst Erwähnung geschehen müsse.) Hat dann das positive Recht auch ein bestimmtes Organ der

1) Oldenburgsches Revidirtes Staatsgrundgesetz Art. 5: „Der Grossherzog befiehlt die Verkündigung der Gesetze, ohne jemals dieselbe aussetzen zu können.“

2) Coburg-Gothasches Staatsgrundgesetz §. 109: „Die Bestätigung der von den Landtagen beschlossenen Gesetze durch den Herzog gilt als verweigert, wenn die Verkündigung derselben binnen acht Wochen von der Zeit an gerechnet, wo sie der Staatsregirung mitgetheilt worden, nicht erfolgt ist.“

3) S. unten §. 632.

4) Baiersches Verfassungsgesetz Tit. VII §. 30: „Der König allein sanctionirt die Gesetze und erlässt dieselben mit seiner Unterschrift und Anführung der Vernehmung des Staatsrathes (singulär) und des erfolgten Beirathes und der Zustimmung der Lieben und Getreuen, der Stände des Reichs;" Sächsisches §. 87; Würtembergsches §. 172 Abs. 2; Weimarsches Grundgesetz §. 62; Coburg-Gothasches Staatsgrundgesetz §. 108 („Zur wesentlichen Form eines Gesetzes gehört die Erwähnung der Zustimmung des Landtages zu demselben in den Verkündigungsworten"); Oldenburgsches Revidirtes Staatsgrundgesetz Art. 140; Reuss-Schleizisches §. 65; Waldecksches Verfassungsgesetz §. 8 und 94.

Publication der Gesetze (Gesetzsammlung, Amtsblatt, öffentlicher Anschlag u. dergl.) sanctionirt, so ist die Rechtsverbindlichkeit der fürstlichen Gesetzesverkündigung auch durch die Benutzung dieses Organes bedingt.') Den Unterthanen gegenüber hat aber ein jeder landesherrliche Erlass kraft dieser seiner Form die Macht und Bedeutung des Gesetzes und steht Niemanden ein Recht zu, das formell gültige Gesetz anzufechten. Materielle Gründe der (gänzlichen oder theilweisen) Nichtverbindlichkeit des Gesetzes geltend zu machen, ist nur die Befugniss des Landtages, dessen Beschluss in dem Gesetze nicht enthalten ist.")

Zweiter Titel.

Die Organe der Regirungsgewalt.

Erster Abschnitt.

Die Regirungsgewalt des Monarchen.

1. Begriff und Wesen.

§. 627.

Das Organ der Regirungsgewalt des Staates ist der Monarch. Die gesammte Fülle der Staatsregirung in allen ihren einzelnen Richtungen, die verordnende und die ausführende, die anordnende und die vollstreckende Gewalt eignet dem Souverain. Es bestimmt sich aus dessen persönlichem Entschlusse die thatsächliche Handhabung dieser Gewalt und die Erfüllung ihrer concreten Aufgaben. Grade dieses war der eigentliche Sinn des verfassungsgesetzlichen Prinzipes, dass die gesammte Regirungsgewalt in der Person des Monarchen vereinigt sei und bleiben müsse,) und selbst die von der Theorie einer Theilung der Staatsgewalt redigirten Verfassungsgesetze waren über dieses Prinzip nicht zweifelhaft. Der Monarch ist eben

1) So werden auch die Landtagsabschiede (s. oben § 621 Note 1) nur durch deren Veröffentlichung in dem Gesetzblatt zu Gesetzen.

2) Preussisches Verfassungsgesetz Art. 106: „Gesetze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind.

Die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter Königlicher Verordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den beiden Häusern des Landtags zu; Oldenburgsches Revidirtes Staatsgrundgesetz Art 141 § 1 und 2 (dem Sinne nach ebenso); Schwarzburg-Rudolstädtsches Grundgesetz §. 26 (desgleichen); Waldecksches Verfassungsgesetz §. 94 (desgleichen).

1) S. oben §. 335.

Grotefend, Staatsrecht.

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