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Dass in ausserordentlichen Fällen auch die gesetzlichen Befreiungen von der persönlichen Militairpflicht nicht zur Geltung kommen, ist wohl auch ein allgemein anerkannter Grundsatz.')

c. Hülfsdienstpflicht.

§. 493.

Die Hülfsdienstpflicht der Unterthanen ist eine ganz allgemeine Verpflichtung, welche unmittelbar aus dem Unterthanennexus entspringt. Dem Landfolgerechte der Staatsgewalt gegenüber lastet diese Verpflichtung auf Jedermann, welcher zur Leistung der geforderten Dienste körperlich und geistig im Stande ist, wie dieselbe auch unter Umständen von weiblichen Personen erfüllt werden kann und darf. Bisweilen ist auch diesen Verpflichtungen ein bestimmter privatrechtlicher Charakter gegeben, in welchem Falle dann Subject und Object besonders bestimmt zu sein pflegen. Dem Militairrecht der Staatsgewalt gegenüber ist die Verpflichtung nicht minder eine allgemeine, allein durch den Zweck dieser Verpflichtung auch besonders qualificirt, indem der Umfang und die Art dieser Pflicht besonders bestimmt und der Eintritt derselben an besondere Bedingungen geknüpft sein muss. Die Aufnahme der allgemeinen Bestimmungen über diese Dienstpflicht der Unterthanen in die Verfassungsgesetze hat vor Allem in der Thatsache seinen Grund, dass ehedem die Fürsten mit dieser Pflicht mehr nach Willkür, als nach gleichmässig angewandten Grundsätzen Einzelne beschwerten, und dass der prinzipiellen Freiheit der individuellen Kräfte und ihrer Verwendung gegenüber die Anforderungen des Staates daran nach Mass und Art rechtlich bestimmt sein mussten.2)

2. Active Rechtsverhältnisse.")

§. 494.

Das Gesetz der Nothwendigkeit, welches den Staat und sein Leben beherrscht, begründet auch die Forderung der Unterthanen, dass der Staat diesem Gesetze, aber auch nicht über dasselbe hinaus lebe. Dazu tritt

Oldenburgsches Revidirtes Staatsgrundgesetz Art. 31 §. 3:,,Die gesetzlich bestehenden Befreiungsgründe sind möglichst einzuschränken."

') Hessen-Darmstädtsches Verfassungsgesetz §. 28: „,In ausserordentlichen Nothfällen ist jeder Hesse zur Vertheidigung des Vaterlandes verpflichtet und kann für diesen Zweck zu den Waffen berufen werden." Der Landsturm im Norddeutschen Bunde. 2) Vergl. oben §. 290.

3) Lehrbücher des deutschen Staatsrechtes sprechen von ,,Regirungsrechten der Unterthanen" (z. B. Weiss, System §. 259).,,Regirungsrechte" stehen niemals einem Anderen als dem Monarchen zu, wohl aber kann die Ausnutzung eines „Regals" (s.`g. nutzbarer Hoheitsrechte) sehr wohl einem anderen (privatrechtlichen) Subjecte ganz oder theilweise, zeitlich oder auf immer überlassen werden.

dann noch das weitere Moment, dass die sittliche Natur der Menschen nicht duldet, dass dieselben in ihren politischen Verhältnissen ohne das lebendige Bewusstsein ihrer politischen Natur und ohne selbsbestimmende Antheilnahme an dem Leben des Staates stehen. Der sittlich freie Mensch ist dem Staate nicht nur ein Pflichtiger, sondern ihm eignet auch die Forderung an den Staat, dass dieser dem sittlichen Bewusstsein seiner Unterthanen in all seinen Handlungen Rechnung trage und sich stets der eigenen sittlichen Natur und des in sich begrenzten Zweckes seines Daseins bewusst bleibe und zeige. Aus dem politischen Leben der Unterthanen zieht das des Staates seine wesentliche Nahrung und ohne die active Antheilnahme der Unterthanen an dem Wollen und Handeln des Staatsoberhauptes ist wohl ein Herrschen dieses, nicht aber ein Leben des Staates denkbar. Nur aus der Verbindung des passiven und des activen Charakters der Unterthanen geht der Begriff der constitutionellen Unterthanen oder Staatsbürger hervor, und ist die active Antheilnahme der Unterthanen an dem Leben des Staates Ursprung und Inhalt der Unterthanenrechte.')

§. 495.

Die Unterthanenrechte sind theils allgemeine und stehen unter gewissen objectiv feststehenden Voraussetzungen einem jeden Unterthan als solchen zu, theils sind sie besondere, welche nur von einzelnen Unterthanen im Staate erworben werden können oder erworben werden.) Beide Arten der Unterthanenrechte sind gleich wesentlich, in dem Wesen des Staates und der Unterthanschaft selbst und unmittelbar begründet. Nur um des Staates und seines Lebens willen bestehen sie und nur daraus bestimmen sich deren Voraussetzungen, Arten und Umfang. Auch die Anerkennung einzelner besonderer Berechtigungen zum Unterschiede von den allgemeinen Rechten der Unterthanen hat die Natur und das Bedürfniss des Staates zum Grunde und ergiebt sich nur hieraus der Inhalt der besonderen Rechte einzelner Unterthanen. Eben darum war es eine berechtigte und mit Erfolg geltend gemachte Forderung des erwachten politischen Bewusstseins der Unterthanen, dass alle jene nicht in dem Wesen und dem Rechte des Staates begründeten, sondern nur zu persönlicher Begünstigung und Bevorzugung einzelner Individuen oder auch einzelner Familiengeschlechter eingeführten Sonderrechte nicht ferner bestehen sollen. In diesem Sinne ist die verfassungsgesetzliche Aufhebung aller politischen Bevorzugungen

1) Gerber, Ueber öffentliche Rechte S. 47:,,Seine (des Staatsorganismus) Lebensfähigkeit beruht auf der Möglichkeit der freien Ausübung jener Rechte, deren Innehaben die Eigenschaft eines lebendigen Gliedes derselben begründet." Vergl. auch Ahrens, Die organische Staatslehre Th. I. S. 173, 4.

2) Diese,,besonderen Unterthanenrechte" sind nicht politische Vorrechte, sondern nur durch besondere Verhältnisse und Interessen des Staates bedingte Rechte der Unterthanen als solche.

einzelner Stände oder Personen und das Anerkenntniss der gleichen politischen Berechtigung aller Unterthanen zu verstehen. Nicht ist damit die individuelle Gleichberechtigung aller Unterthanen, sondern der Ausschluss der Bevorzugung Einzelner aus individuellen Gründen und die Nothwendigkeit der Zurückführung aller Rechte der Unterthanen als solcher auf das Wesen und den Zweck des Staates anerkannt.')

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Den rechts- und verfassungswidrigen Anforderungen der Organe der öffentlichen Gewalt gegenüber steht den Unterthanen das Recht der Beschwerde zu. Ausgeschlossen ist dasselbe hinsichtlich der Gesetze und hinsichtlich der Verordnungen und Verfügungen des Souverains, hier wegen der persönlichen Unverantwortlichkeit des Souverains, welche indess durch das Erforderniss der Gegenzeichnung verantwortlicher Minister zur Rechtsverbindlichkeit der fürstlichen Verordnungen wirkungslos gemacht ist, und dort, weil der im Gesetze ausgesprochene Wille des Staates souverain ist und einen Richter nicht über sich hat. Hier würde die sachlich gerechtfertigte Beschwerde sich zu einer Vorstellung abschwächen müssen, welche etwa den gesetzgebenden Körper oder den Souverain zu einer Revision und Modification ihrer Normen und Verfügungen veranlassen könnte.") Dagegen ist hinsichtlich aller Handlungen der Staatsbehörden, welche an dem Gesetze des Staates geprüft werden können, das Beschwerderecht den Unterthanen gestattet und kann eine jede materiell oder formell gesetz- oder auch nur ordnungswidrige Handlung oder Unterlassung der Behörden Anlass und Gegenstand der Beschwerde sein.) Die Redressirung der beschwerenden

1) Vergl. hinsichtlich der noch bestehenden politischen Standesvorrechte oben §. 470 ff., auch §. 469.

2) Beide politischen Rechte sind ganz verschiedener Natur und Bedeutung; sie werden indess in den Verfassungsgesetzen wie in der theoretischen Behandlung nicht ohne Grund zusammengestellt, weil die rechtliche Gestaltung der Ausübung dieser beiden Rechte aus inneren Gründen eine gleiche sein musste. Vergl. unten §. 502.

3) Vergl. Weimarsches Grundgesetz §. 45:,,Sollte wegen bemerkter Missbräuche in der Gesetzgebung oder in der Verwaltung des Landesfürsten von Seiten des Landtages Vorstellung gethan werden, so ist“ etc.

4) Vergl. Baiersches Verfassungsgesetz Tit. VII. §. 21:,,Beschwerden über Verletzung der constitutionellen Rechte"; Sächsisches §. 36:,,über gesetz- oder ordnungswidriges Verfahren einer Behörde oder Verzögerung der Entscheidung"; Würtembergsches §. 36 (ebenso); Altenburgsches Grundgesetz §. 65 (ebenso); Coburg-Gothasches Staatsgrundgesetz §. 48 spricht nur von „,Beschwerden“, ohne den Gegenstand

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Handlung oder Unterlassung ist selbstverständlich der Zweck der Beschwerde, obwohl die Erfüllung desselben auch einigen Schutz vor ähnlichen Störungen der constitutionellen Beziehungen im Staate gewähren kann. Die Beschwerde verlangt einen Bescheid und schreiben manche Verfassungsgesetze ausdrücklich vor, dass dem abweisenden Bescheide die Entscheidungsgründe beigefügt sein müssen.")

§. 497.

Zur Geltendmachung einer Beschwerde kann nur der berechtigt sein, welcher durch ein ordnungs- oder gesetzwidriges Verfahren oder Verhalten der Behörden verletzt war oder doch ein solches wahrgenommen hat. Die Verletzung oder Benachtheiligung eines persönlichen Rechtes oder Verhältnisses wird nicht immer die Voraussetzung der persönlichen Legitimation sein können, da die Behörden und deren Beamte auch allgemeine Verpflichtungen haben, deren Nichterfüllung nicht immer direct das Recht oder das Interesse des einzelnen Unterthanen verletzt, sondern zunächst im allgemeinen Interesse der Staatsregirung selbst vermieden werden muss. So ist es nicht unmöglich, dass ein Unterthan nur um dieses allgemeinen Interesses willen Beschwerde erhebt, wie z. B. über das unsittliche Verhalten eines Beamten, obwohl ihm persönlich noch kein Nachtheil dadurch zugeftigt worden. Auch bedarf es nicht immer der Zugehörigkeit zu diesem Staate, Namens dessen eine Behörde gehandelt, da dieselbe auch den „Fremden" gegenüber Verpflichtungen hat,) deren Verletzung auch diesen das Recht zur Beschwerde geben muss.) In mehren Verfassungsgesetzen findet sich

derselben zu berühren, §. 133 dagegen von ,,Beschwerden über etwaige, durch Regirungsverfügungen ihnen widerfahrene Beeinträchtigungen"; Braunschweigsche Neue Landschaftsordnung §. 38:,,Beschwerden über gesetz- oder ordnungswidriges Verfahren der Behörden"; Oldenburgsches Revidirtes Staatsgrundgesetz Art. 47 §. 1 spricht ganz allgemein nur von „,Beschwerden"; Anhalt-Bernburgsches Landesverfassungsgesetz §. 11 spricht allgemein von dem,,Recht zu Beschwerden" und dann besonders von Beschwerden über gesetzwidriges Verfahren der Verwaltungsbeamten", das Gesetz vom 31. August 1859 Art. III., welcher den §. 11 des Verfassungsgesetzes abänderte, aber nur von dem Rechte, „Beschwerden an die Staatsregirung zu richten"; Reuss-Schleizisches Gesetz vom 10. Juni 1856 §. 22:,,Jedermann bleibt es frei, über das, sein Interesse benachtheiligende verfassungs-, gesetz- oder ordnungswidrige Benehmen oder Verfahren einer öffentlichen Behörde

Beschwerde zu erheben"; Liechtensteinsches Verfassungsgesetz §. 22 (ebenso); Waldecksches §. 33 spricht nur allgemein von der Gewährung des Beschwerderechtes der Unterthanen; ebenso das Bremensche §. 14. Es ist wohl gestattet, in diesen verschiedenen Ausdrücken einen wesentlich gleichen Sinn zu finden.

1) Hierdurch unterscheidet sich die Beschwerde" von der ,,Petition", welche die Herstellung eines neuen Zustandes bezweckt, am Sichtbarsten.

2) Vergl. z. B. Sächsisches Verfassungsgesetz §. 36; Würtembergsches §. 37; Altenburgsches Grundgesetz §. 65.

3) Vergl. oben §. 316 ff.

*) Mehre Verfassungsgesetze sprechen zwar nur von dem Beschwerde rechte der Staats

die Bestimmung, dass das Einreichen von Beschwerden Seitens Mehrerer unter einem Gesammtnamen nur Behörden und Corporationen gestattet sei,') sowie das Beschwerderecht der bewaffneten Macht und der im Militairdienst Stehenden durch die Rücksichtnahme, welche das dienstliche Interesse verlangt, modificirt ist.")

§. 498.

Ein in dem deutschen Rechtsleben besonders berücksichtigter Fall des Beschwerderechts der Unterthanen ist die Verweigerung der Justiz, d. h. die Nichterfüllung der Pflicht des Richters, dem bestrittenen Rechte Geltung zu verschaffen. Das besondere Wesen dieser Beschwerde ist durch den Charakter des Gegenstandes und den Anlass und Zweck der Beschwerde begründet. Handelt es sich darum, dass vom Staate (durch das Verschulden seines Richters) nicht geschieht, was von demselben von Rechts wegen geschehen müsste, so muss auch auf die Beschwerde ein bestimmter Bescheid erfolgen, welcher entweder derselben Folge giebt oder diese als rechtlich nicht begründet zurückweist. Ebenso steht diese Beschwerde nur dem bestimmten Rechtssubjecte, welches die richterliche Hülfe wegen eines pflichtwidrigen Richter nicht erlangen kann, zu, nicht aber so allgemein, wie sonst von dem Beschwerde recht der Unterthanen zu sprechen ist. Dass aber in den deutschen Staaten von dem Rechte der Beschwerde über die Verweigerung der Justiz besonders die Rede ist, erklärt sich weniger aus dem Charakter dieser Staaten als wahrer Rechtsstaaten, als vielmehr aus den ehedem wohl vorgekommenen Uebergriffen der Staatsregirung in das Gebiet der Rechtspflege.")

bb. Das Petitionsrecht.')
§. 499.

Es liegt schon in der Natur der Sache, dass der Staat, welcher seiner

angehörigen oder Unterthanen, indess liegt kein Grund vor, daraus zu schliessen, dass die Fremden" niemals zu einer staatsrechtlichen Beschwerde legitimirt erscheinen können. Richtiger ist es, wenn auch das Verfassungsgesetz, wie z. B. das Sächsische §. 36 schlechthin sagt: „Jeder hat das Recht, Beschwerde zu führen."

1) Baiersches Verfassungsgesetz Tit. VII. §. 21:,,Jeder einzelne Staatsbürger, sowie jede Gemeinde"; Coburg-Gothasches Staatsgrundgesetz §. 48: Petitionen und Beschwerden unter einem Gesammtnamen sind nur Behörden und Corporationen gestattet.“ Vergl. dazu auch die unten S. 489 Note 1 citirten Stellen aus Verfassungsgesetzen. Damit ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass sich Mehre im Verein beschweren. Vgl. CoburgGothasches Staatsgrundgesetz 1. c. Abs. 1 und 2.

2) S. unten die Citate auf S. 489 Note 2.

3) Seitdem die Wiener Schlussacte Art. 29 den Fall der Justizverweigerung besonders berücksichtigt hatte, bedurfte es für die einzelnen Staaten des Bundes einer ausdrücklichen Normirung der Beschwerde über verweigerte Justiz nicht mehr.

) Von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik Bd. I. S. 222 ff.: Beiträge zur Lehre vom Petitionsrecht in constitutionellen Staaten.

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