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gehören also nicht diejenigen ehemals Reichsunmittelbaren, welche des Besitzes der Landeshoheit sich nicht erfreuten, wohl aber diejenigen, welchen die politischen Ereignisse zu Anfang dieses Jahrhunderts oder später diesen Besitz wieder entzogen haben. Der Charakter des hohen Adels erstreckt sich auf die Familien jener ehemals Reichsunmittelbaren und sind also die Angehörigen dieses Standes alle Glieder dieser Familien, welche nach den Regeln des Eherechts zu dieser gehören. So kann auch die Zugehörigkeit zum hohen Adel nur durch die Geburt, das Geborensein in einer solchen Familie, entstehen, und ist dieser Stand ein Geburtsstand im eigentlichsten und strengsten Sinne des Wortes. Die politischen Titel dieser landesherrlichen Familien bedeuten dabei Nichts, wie denn auch nicht der Titel eines adligen Hauses nur einmal eine Vermuthung für dessen Zugehörigkeit zum hohen Adel begründet.

B. Staatsrechtliche Bedeutung desselben.

§. 474.

Nach der Auflösung des deutschen Reiches war die rechtliche Stellung des hohen Adels der partikularen Gesetzgebung und namentlich den Beschlüssen des Rheinbundes, in dessen Gebiete ein bedeutender Theil desselben sesshaft war, überlassen. Bei der Errichtung des deutschen Bundes vereinbarten die deutschen Fürsten sich indess über einen in Gemässheit der gegenwärtigen Verhältnisse gleichförmig bleibenden Rechtszustand der

manches adlige Geschlecht seit 1806 von deutschen Souverainen mit den Privilegien des hohen Adels bedacht, indess ist damit diesen Familien nicht die Eigenschaft des hohen Adels im Sinne der Bundesacte von 1815 verliehen. Der Begriff des hohen Adels ist ein wahrhaft gemeinrechtlicher in Deutschland, während solche kraft der Entschliessung eines Souverains dem hohen Adel zugerechneten Familien nur partikularrechtlich diesen Charakter tragen. Diese Unterscheidung machte schon die Deutsche Bundesacte Art. 14, wo Abs. 3 von der Herstellung „eines in allen deutschen Staaten übereinstimmenden Rechtszustandes der mittelbar gewordenen Fürsten, Grafen und Herren gesprochen war, während Abs. 4 die Rechte des ehemaligen Reichsadels den Modificationen der Landesgesetze unterworfen blieben. Der Darstellung jenes allgemeinen Rechtszustandes sollte die königlich Baiersche Verordnung vom Jahre 1807 (Beilage IV des Baierschen Verfassungsgesetzes), als Basis und Norm" untergelegt werden. Vergl. Baiersches Verfassungsgesetz Tit. V §. 2: „Den vormals reichsständischen Fürsten und Grafen werden alle jene Vorzüge und Rechte gesichert* etc. und §. 3: „Die der Baierschen Hoheit untergebenen ehemaligen unmittelbaren Reichsadligen geniessen diejenigen Rechte, welche in Gemässheit der königlichen Deklaration durch die constitutionellen Edicte ihnen zugesichert werden; Badensches Verfassungsgesetz §. 23: „Die Berechtigungen, die durch das Edict vom 23. April 1818 den dem Grossherzogthume angehörigen, ehemaligen Reichsständen und Mitgliedern der vormaligen unmittelbaren Reichsritterschaft verliehen worden sind, bilden einen Bestandtheil der Staatsverfassung"; ähnlich Grossherzoglich Hessisches Verfassungsgesetz §. 37.

mediatisirten Fürsten und Grafen in allen Bundesstaaten und erklärten diese als „die ersten Standesherren" in dem Staate, zu welchem sie gehören, und als die „privilegirteste Klasse der Unterthanen".") Die politische Bewegung von 1848 ging dagegen über dieses Anerkenntniss des hohen Adels als eines besonderen politischen Standes mit dem consequenten Prinzipe der Gleichheit aller vor dem Gesetze, welches die Reichsverfassung von 1849 durch die Nichtanerkennung eines Unterschiedes der Stände und die ausdrückliche Aufhebung der Standeseigenschaft des Adels und aller Standesvorrechte unzweideutig präcisirte, hinweg.) Die jener Bewegung folgende Gegenströmung der politischen Entwicklung führte indess zu der Restitution etlicher in der deutschen Bundesacte festgestellten Rechtsbesonderheiten des hohen Adels und zu der Anerkennung desselben als eines politischen Standes zurück.) Durch die Auflösung des deutschen Bundes ist hierin noch Nichts geändert, da jeder einzelne deutsche Staat zur Anerkennung des so gestalteten Rechtszustandes verpflichtet geblieben ist. Wohl aber wird die einstige Vereinbarung der Bundesfürsten über den Rechtszustand des hohen Adels der partikularen, wie der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes kein Hinderniss geben, denselben als Gegenstand ihrer Competenz zu betrachten.

§. 475.

Die historisch-politische Bedeutung des hohen Adels ist der unzerstörliche Hintergrund der besonderen staatsrechtlichen Stellung desselben.

1) Deutsche Bundesacte Art. 14.

2) Deutsche Reichsverfassung von 1849 §. 137.

3) Obwohl die Preussische Verfassungsurkunde Art. 4 die Gleichheit aller Preussen vor dem Gesetze mit dem ausdrücklichen Zusatz: „Standesvorrechte finden nicht statt", als Prinzip anerkannt hatte, deklarirte das Gesetz vom 10. Juni 1854, dass die Bestimmungen der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850 einer Wiederherstellung derjenigen durch die Gesetzgebung seit dem 1. Januar 1848 verletzten Rechte und Vorzüge nicht entgegenstehen, welche den mittelbar gewordenen Deutschen Reichsfürsten und Grafen, deren Besitzungen in den Jahren 1815 und 1850 der Preussischen Monarchie einverleibt oder wieder einverleibt worden, auf Grund ihrer früheren staatsrechtlichen Stellung im Reiche und der von ihnen besessenen Landeshoheit zustehen, und namentlich durch den Art. 14 der Deutschen Bundesacte vom 8. Juni 1815 und durch die Art, 23 und 43 der Wiener Congress acte vom 9. Juni 1815, sowie durch die spätere Bundesgesetzgebung zugesichert worden, sofern die Betheiligten sie nicht ausdrücklich durch rechtsbeständige Verträge aufgegeben haben. Die Wiederherstellung sollte durch Königliche Verordnung erfolgen. Demzufolge ergingen der Königliche Erlass vom 9. Oktober 1854 über die Vertretung der vormals reichsunmittelbaren Fürsten und Grafen in Processen und zwei Königliche Verordnungen vom 12. November 1855, von denen die eine die Restitution des privilegirten Gerichtsstandes (vergl. dazu den Erlass des Justiz Ministers vom 17. December 1855) und die andere die Feststellung des Umfanges der jedem einzelnen vormals reichsunmittelbaren Hause zustehenden Rechte und Vorzüge sowie die Regulirung der zur Herstellung des verletzten Rechtszustandes erforderlichen Massregeln und der etwa in Anspruch genommenen Entschädigungen betraf.

Während der sonstige Adel nur noch als Stand eine politische Qualification zeigt und dem Einzelnen nur als dem Mitgliede dieses Standes einen besonderen staatsrechtlichen Charakter leiht, ist jedes Geschlecht des hohen Adels von einer solchen politischen Bedeutung, dass dieser eine besondere Staatsrechtliche Stellung entsprechen muss. Die Fürsten des deutschen Bundes reservirten den im Jahre 1807 und seitdem mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsständen und Reichsangehörigen, um in Gemässheit der gegenwärtigen Verhältnisse denselben in allen Bundesstaaten einen gleichförmig bleibenden Rechtszustand zu verschaffen", 1) den Charakter des hohen Adels und das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriffe, 2) die Eigenschaft der ersten Standesherren in dem Staate, zu dem sie gehören und der privilegirtesten Klasse der Unterthanen in demselben, insbesondere in Ansehung der Besteuerung; und 3) in Rücksicht ihrer Personen, Familien und Besitzungen alle diejenigen Rechte und Vorzüge, welche aus ihrem Eigenthum und dessen ungestörtem Genusse herrühren und nicht zu der Staatsgewalt und den höheren Regirungsrechten gehören. Unter diesen Rechten sollten insbesondere und namentlich begriffen sein: a) die unbeschränkte Freiheit, ihren Aufenthalt in jedem zu dem Bunde gehörenden oder mit demselben in Frieden lebenden Staate zu nehmen; b) nach den Grundsätzen der früheren deutschen Verfassung die noch bestehenden Familienverträge und die Befugniss, über ihre Güter und Familienverhältnisse verbindliche Verfügungen zu treffen; c) privilegirter Gerichtsstand und Befreiung von aller Militairpflichtigkeit für sich und ihre Familie; d) die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerechtigkeitspflege in erster, und, wo die Besitzung gross genug sei, in zweiter Instanz. die Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei und Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen, auch über milde Stiftungen, jedoch nach Vorschrift der Landesgesetze, welchen sie, sowie der Militairverfassung und der Oberaufsicht der Regirungen über jene Zuständigkeiten unterworfen bleiben. Bei der näheren Bestimmung der angeführten Befugnisse sowohl wie in allen übrigen Punkten sollte die königlich Baiersche Verordnung vom Jahre 1807 als Basis und Norm untergelegt werden. Diese der rechtlichen Bedeutung nach höchst verschiedenen Rechte es sind theils privatrechtliche, theils politische und diese wieder theils Regirungsrechte, theils Unterthanenprivilegien sind auch noch jetzt der Inhalt des Standesvorrechts des hohen Adels in den deutschen Staaten, nur sind die Steuerprivilegien desselben und die patrimoniale Gerichtsbarkeit als höheren staatsrechtlichen Prinzipien widerstreitend, beseitigt geblieben.')

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1) Vergl. oben §. 89 und unten §. 488 ff.

3. Staatsrechtliche Stellung des niedern Adels.')

§. 467.

Die feudale Bedeutung des s. g. niederen Adels ist mit der politischen Entwicklung der deutschen Staaten gesunken. Die besonderen Pflichten, welche einst den reichsständischen Adel fast zum alleinigen Träger des politischen Lebens erhoben, sind als solche verschwunden und zu allgemeinen Pflichten Aller geworden, so hat auch das Recht desselben sich verflüchtigt und ist in den allgemeinen Rechten der Unterthanen aufgegangen. In der Gegenwart unterscheidet der niedere Adel sich nur noch durch Aeusserlichkeiten der socialen Stellung von den übrigen Unterthanen. Seitdem die Verleihung dieser äusserlichen Standesabzeichen (Adelsprivilegien) durch die Gunst des Souverains der Thatsache des adlich Geborenseins gleichgestellt und zwischen der Verleihung des persönlichen Adels und der des Geschlechtsadels unterschieden worden, ist vollends das historische Prinzip des niedern Adels gebrochen und ist die Bedeutung des Adels fast ganz auf das sociale Gebiet beschränkt. So bestimmt sich auch der Begriff des niedern Adels nur aus Momenten, deren politischer Werth kaum zu bemerken ist, denn diese Klasse des Adels bildet sich nur aus denen, welche das Recht des adligen Namens und Wappens haben, sei es durch die Geburt oder die Verleihung des Souverains. Der Besitz dieser besonderen Rechte begründet aber noch keinerlei Vermuthung für den Besitz auch politischer Vorrechte, und es kann nur aus dem positiven Rechte des einzelnen Staates ersehen werden, ob derartige Vorrechte dem niederen Adel in diesem Staate verliehen sind. Persönliche politische Vorrechte gesteht das deutsche Staatsrecht den Adligen nicht mehr zu; nur dem Adel als einem „Stande" liess dasselbe einige Bedeutung bei der Organisation der Vertretung der Unterthanen. Es wird sich aber erweisen, dass dem Stande des niedern Adels als solchem so gut wie gar keine besondere staatsrechtliche Rechte zustehen; es pflegen diese vielmehr an besondere Voraussetzungen geknüpft zu sein, deren Erfüllung allererst den Adligen staatsrechtlich qualificirt. In der Regel. begründet nur das Zusammentreffen der Eigenschaft des Adels mit dem Besitze eines grösseren gefestigten Grundbesitzes noch eine staatsrechtliche Qualification des Adels, jedoch des Oefteren auch nur in der Weise, dass jener Besitz diese Qualification bewirkt, auch wenn jene persönliche Eigenschaft dem Besitzer mangeln würde. In diesem Falle

1) In einem System des Staatsrechts kann nur von dem Adel als einem Geburtsstand die Rede sein. Der s. g. persönliche (Amts-, Kriegs- oder Glocken-) Adel mag noch eine sociale Bedeutung haben, staatsrechtlich aber ist er ganz bedeutungslos. Zu dem Geburtsadel kann aber auch der Briefadel gehören, wenn nämlich der Adel erblich verliehen worden. Vergl. Klüber, Oeffentliches Recht §. 261.

Grote fend, Staatsrecht.

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gewinnt also der politische Adel nur aus seinen socialen Verhältnissen eine politische Bedeutung und ist mit dessen geschichtlicher völlig gebrochen.')

IV. Entstehung der Rechtsverhältnisse.

§. 477.

In dem Individuum begründen sich die einzelnen Verpflichtungen oder Berechtigungen, welche aus dem Unterthanennexus hervorgehen, theils schlechthin durch die persönliche Existenz desselben oder erst durch besondere dingliche Verhältnisse, in denen das Individuum als Subject steht. Auch das Staatsrecht kennt freilich nicht in dem Sinne des Privatrechts den Unterschied zwischen persönlichen und dinglichen politischen Rechten der Unterthanen, in dem Sinne nämlich, dass gewisse dieser Rechte einen bestimmt qualificirten dinglichen Besitz zur Voraussetzung haben und mit diesem erworben werden, während sonst und zwar in der Regel die Person des Unterthanen als solche schon den Rechtsgrund ihrer politischen Beziehungen in sich trägt. Der dingliche (Grund-) Besitz tritt besonders bei der Steuerpflicht der Unterthanen und bei der Bildung des Organes der Unterthanen-Vertretung bedeutsam hervor, aber in beiden Hinsichten in sehr bestimmt besonderer Art und mit ganz verschiedener Bedeutung.) Es richtet sich indess das politische Streben auf die Beseitigung

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1) Die Deutsche Bundesacte Art. 14 garantirte dem ehemaligen Reichsadel" die unbeschränkte Freiheit des Aufenthalts und das Recht der (autonomischen) Familienverträge, gleichwie diese Rechte dem hohen Adel zugesichert waren. Ausserdem sollte der ehemalige Reichsadel Antheil an Landstandschaft, Patrimonial- und Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei, Kirchenpatronat und privilegirten Gerichtsstand haben, und zwar ward nur „den Begüterten“ der Antheil an der Landstandschaft zugesichert. Die Bundesacte enthielt aber schon selbst den Vorbehalt, dass diese Rechte nur nach Vorschrift der Landesgesetze ausgeübt werden sollen. Die Landesgesetze haben dann auch in der That viele dieser Privilegien beseitigt. Vergl. Preussisches Verfassungsgesetz Art. 4; Baiersche Gesetze vom 11. September 1825, vom 4. Juni 1848 und vom 28. Mai 1852; Sächsisches Verfassungsgesetz §. 34; Grossherzoglich Hessisches Gesetz, die Verhältnisse der Standesherrn und adligen Gerichtsherrn betreffend, vom 8. August 1848; Braunschweigsches Gesetz vom 4. Juli 1851; Meiningensches Grundgesetz §. 15; Altenburgsches §. 64. Für den nicht zum ehemaligen Reichsadel zu rechnenden Adel sind auch unter dem Einflusse des Deutschen Bundes niemals besondere staatsrechtliche Ver

hältnisse begründet gewesen. Wenn das Bremensche Verfassungsgesetz §. 17 zu dem Prinzipe der Gleichheit aller Staatsgenossen vor dem Gesetze noch hinzufügt: „Der Staat erkennt bei seinen Genossen keinen Adel an", so motivirt sich dies aus dem republikanischen Charakter dieses Staatswesens.

2) S. unten §. 488 und die Darstellung der Bildung des gesetzgebenden Körpers.

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