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zen von der Last der Sünde loszusprechen und zu weiterem Gange durch das Leben fähig zu machen."

Zum Abschied riet ihm der geistliche Freund, an diesem Abend seiner Mutter noch nichts von dem Vorgefallenen zu sagen, sondern sie zu veranlassen, daß sie am folgenden Tage nach der Messe, die jie regelmäßig zu besuchen pflegte, zu ihm komme. „Wenn liebe Freunde und ge= treue Nachbarn," schloß der Dechant, ihr die Neuigkeit nicht schon zugetragen haben.“ Aber das war nicht der Fall. Als Franz heim kam, fand er seine Mutter noch wach, so daß nichts ihr die Freude des Wiedersehens trübte. Am anderen Morgen allerdings kam sie sehr bekümmerter Miene aus dem Pfarrhofe zurück — fast gebeugt.

Der Herr Dechant hat mir gesagt,“ sprach sie zum Sohne, daß es weniger eine Sünde sei, ein Gelübde, das eben nicht von einem anderen erfüllt werden fann, unerfüllt zu lassen, als diesen zur Erfüllung zu zwingen. Ich werde mich ja in mir zurechtfinden wenn nur das, was du dir als Glück ausgesucht hast, wirklich ein solches ist. Daran werde ich mich aufrichten, und dann soll mir alles recht sein. Lassen wir es nun so!“

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Aber es sollte nicht so bleiben! Drei Wochen mochten vergangen sein, seit sich der Franz und die Fränz in dieser Weise verlobt hatten. Nichts störte die Liebenden in ihrem Glücke, selbst Florentin nicht. Dessen Vater hatte dem geliebten Sohne in einem fernen Teile des Landes, in bergigem Terrain eine Jagd gepachtet, damit der gute Junge" nach den Anstrengungen seines Daseins doch auch ein wenig Freude haben sollte, da Jagd noch seine wirkliche und einzige Passion war. Der alte Förster, bei dem er oft wochenlang in öder Gebirgsgegend zubrachte, sagte freilich von ihm, daß er mehr Schinder als Jäger sei; „aber es machte doch Florentinchen Freude." Und nun noch nach diesem Mißerfolg bei der Landpartie hatte er um so mehr eine Aufheiterung nötig. So sezte er seine

Jagdgewehre in stand, füllte seine Ba tronenfästen, warf sich in das neueste Jägerdreß und war nun in die Berge gegangen, in der Stadt von niemand vermißt, wenn nicht von seinen Eltern; aber wenn sich Florentin amüsieren wollte, kamen diese nicht in Betracht. Die Eltern der Fränz hatten dem erklärten Bräuti gam den Zutritt in ihrem Hause gestat tet; dazwischen verkehrte Franz in dieser Ferienzeit auch wieder mit seinen Nommilitonen, und auf ihre Aufforderung hatte er sich eines Nachmittags ihnen zu einem Ausfluge angeschlossen, den sie nach einem etwa drei Stunden entfernten, landschaftlich besonders hervorragenden Punkte der Umgegend machten. Vor Einbruch der Nacht würden sie wohl nicht zurückkommen, hatte er der Braut beim Abschiede gesagt, so daß sie sich also erst am nächsten Tage wiedersehen würden. Als die Studenten zum Thor der Stadt wieder einzogen, war es wirklich schon nahe an Mitternacht. Franz, der Wohning jeiner Mutter näher kommend, sah auf fallenderweise auf deren Stube noch Licht

ein Anzeichen für ihn, daß sie noch wache, während sie sonst um diese Zeit längst zur Ruhe war.

längst zur Ruhe war. Er fand sie sogar vor der Hausthür auf ihn wartend mit der Meldung, daß die Eltern der Fränz schon nach ihm geschickt hätten, zu erfahren, ob er noch nicht zurück, auch Bertha sei schon dagewesen; die Fränz werde überall gesucht, sie sei verschwunden. Den Abend habe sie bei Bertha zugebracht und sei aus deren Familie gegen Abend zum Heimweg aufgebrochen. Als die Tochter jedoch gegen elf Uhr noch nicht zu Hause war, hätten die Eltern, die außerhalb der Stadt wohnten, hereingeschickt, bei Bertha fragen zu lassen, warum denn die Fränz noch nicht heimgekommen sei. Bertha konnte nur sagen, daß die Freundin vor zwei Stunden bereits sich auf den Heimweg gemacht habe. Die Fränz pflegte durch die Stadtanlage zu gehen, wenn sie von oder nach der Stadt kam. Das war ein ziemlich umfangreicher Park, der sich von der äuße

ren Stadtmauer bis in die Vorstadt, wo gen. Man zog sie als Leiche aus dem

der Glockengießer sein Heim hatte, hin- | Wasser.
30g. Dieser Weg war der kürzere und
dem offeneren der Straße darum vorzu-
ziehen, obwohl Bertha sowohl wie die
Eltern des öfteren das Mädchen ermahnt
hatten, den lezteren für den Heimweg zu
wählen. Aber die Fränz lachte dazu und
meinte, sie wüßte nicht, wer und was ihr
ankommen sollte, da doch jedermann wüßte,
daß im Hause des Glockengießers wohl
Erz, aber bei seiner Tochter kein Gold
zu finden sei; sie kenne niemand, der ihr
seind sei, und alles in allem habe sie
Courage. Aber an diesem Abend war
das Mädchen nicht aufzufinden. Die tief
geängstigten Eltern sandten das ganze
Personal ihres Hauses zur Kundschaft
nach der Vermißten aus, und als nir
gends eine Spur von ihr sich zeigte,
sandten sie nach dem Verlobten. Franz
stellte sich an die Spiße der Suchenden,
lies Fackeln anzünden und die beiden
Wege, sowohl den der Straße als den
durch die Anlagen, absuchen. Es war
eine finstere Herbstnacht, und lange irrten
die Männer mit ihren Leuchten unter den
dunklen Bäumen umher, bis gegen drei
Uhr in der Frühe. Durch die Anlage
ging ein Kanal von nicht unbedeutendem
Tiefgang; an diesem vorbei führte ein
schmaler Pfad; von der einen Seite war
er mit Bäumen beseßt, von der anderen
Seite nach dem Wasser hin frei. Von
dem Flußpfade ging eine steile Böschung
nach dem Wasser hinab. An diese Stelle
kamen die Suchenden zuleßt, Franz immer
voran. Die Sprache schien ihm erstor-
ben seine Schritte und Bewegungen
gingen wie in Fieberpulsen. Da ein Laut
des Schreckens durch die dunkle Nacht

ein Aufschrei! Da unten an einem
Baume, der sich zur Hälfte über das
Wasser legte und dessen Zweige sich in
die Flut tauchten, kam ein lichter Punkt
zum Vorschein - ein Stück hellen Zeu-
ges schwamm auf dem Wasser. Eine
Erinnerung kam ihm: die Fränz hatte
es war ein warmer Spätsommertag
ein helles Kleid leichten Stoffes getra

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Lag hier ein Selbstmord oder ein Verbrechen vor? Mit dieser Frage beschäftigte sich monatelang die ganze Stadt, auch die Gerichte. Für erstere Annahme ergab sich nirgends ein Anhaltspunkt. Die Entseelte war noch des Nachmittags bei Bertha so heiter gewesen, hatte sich so unbefangen gezeigt und so glücklich in ihrem Gefühl vollen Liebesglückes! Wo wäre da ein Grund auch nur zur Vermutung gewesen, die Fränz hätte selbst den Tod gesucht. Der Körper wurde obduziert und intakt befunden, unentweiht, wie er aus den Händen der Natur hervorgegangen war. Ein Verbrechen? Auch hier verloren sich alle Spuren in ein wesenloses Nichts. Die kleinen Schmucksachen der Lebenden, selbst der kleine Verlobungsreif, den ihr Franz gereicht hatte, wurden an der Toten wiedergefunden, so daß selbst die einzige Möglichkeit, die auf eine Spur hätte len= fen können, die Annahme einer Beraubung, ausgeschlossen blieb. Freilich munfelte man hier und da von einer That der Rache, man hörte auch den Namen Florentin Plenkners, aber dieser war seit drei Wochen nicht mehr in der Stadt gewesen und kehrte nach der That erst in Monatsfrist zurück. So blieb also der öffentlichen Stimme nur noch einen Unglücksfall anzunehmen übrig - derart, daß das Mädchen auf dem Nachhauseweg es eilig hatte, diesen Pfad gewählt, einen Fehltritt gethan -es hatte Tags vorher geregnet, und der Boden war feucht und die Böschung hinab glatt – und daß sie so hilflos hinabgeglitten und ertrunken sei. Jedenfalls wurde mit der Fränz ein Geheimnis in das Grab gejenkt, von dem niemand erwartete, daß es einst wieder aus demselben erstehen und enthüllt werden würde.

Drei Jahre nach dieser Herbstnacht feierte Franz als Priester sein erstes Meßopfer.

Der Herzenswunsch der Frau Kreissekretär war erfüllt, fie sah ihren Sohn

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am Altare sah ihn das erste heilige | und durch mehrere Monate hindurch sein Meßopfer verrichten. Die jüngere Schwe- Leben ernstlich gefährdet ward. Das ster Berthas war bei dieser seiner Ver- war der Grund, daß er eine Pfarrstelle mählung mit der Kirche seine Braut auf dem Lande annahm, und auf dieser jungfer. Die halbe Stadt war in der blieb er an die fünfzehn Jahre. Der Nirche anwesend. In dem äußeren Er- Bischof hatte ihm andere angeboten mit eignis erkannte sie das innere, den Zu- reicheren Einkünften, aber danach stand sammenhang zwischen jenem Abend, wo sein Sinn nicht, er kannte nur eines man die Leiche der Fränz aus dem Teiche ein Gebot, ein Ziel für sein ganzes Leben: gezogen hatte, und dieser Feier, mit wel seinen Pfarrkindern ein rechter Priester cher der junge Priester sein Herz in den zu sein, in Lehre, Thun und Wandel. Dienst Gottes und der Kirche hingab. Darum hatte auch sein Name weit im Wohl hatte man ihn zu veranlassen ge- Lande herum einen Klang, der in dem sucht, daß er diesen wichtigen Schritt, die Menschen den Priester und in diesem Altarstufen hinan, an einem anderen Orte wieder den Menschen verkündete. In thun möchte als gerade in seiner Vater dieser Vereinigung sah er die höchste stadt, aber er blieb fest auf seinem Ent- Weihe eines Dieners der Kirche. Aber schlusse, sein Herz verlangte es so; an Franz sah sich noch weit von diesem Ziele dem Orte, wo der Grabhügel der Ge- entfernt. Zwar war er weder Kopfhänliebten war, wollte er auch sein Opfer ger noch Ascet davor hatte ihn seine darbringen. Am anderen Tage erzählten gesunde Natur bewahrt, aber ebensoes die Kirchhofsgängerinnen in der Stadt wenig war er zu jener lichten Klarheit, umher, daß sie am vorhergehenden Abend zu jener Befreiung aller Seelenkräfte aus den neuen Priester am Grabe der Fränz sich selbst, zu jener frischen Lebensfreude hätten knien sehen. Sie hätten noch mehr durchgedrungen, die an dem späteren sagen können, daß auf dem Totenhügel Bischofe ausstrahlte. Dunkle Mächte ein Rosenkranz lag; es war derselbe, den hielten noch seine Seele im Banne, und der Bräutigam der Kirche bei seiner der Kampf mit diesen zehrte an seinem Primiz getragen hatte. leiblichen wie geistigen Menschen. Im Aufstreben nach seinem Jdeal wurde er von einer entgegenstrebenden Macht wieder herniedergezogen; und diese war der zu Zeiten mehr oder minder in ihm auftauchende, aber nie ganz zu verscheuchende Gedanke: Sie ist für dich in den Tod gegangen; sie kannte den Kampf deines Herzens, sie wollte dich erlösen; sie gab sich zum Opfer für dich !

Die geistlichen Oberen des jungen Priesters hatten längst ihr Augenmerk auf ihn und seine außergewöhnlichen geistigen Fähigkeiten gehabt. Diese waren von echt priesterlichem Sinne, einer unerschütterlichen Glaubensstärke, dabei von einem Pflichteifer erhöht, der oft die Besorg nisse dieser Vorgesezten rücksichtlich der Gesundheit des jungen Priesters wachrief. Seine erste Verwendung erhielt er als Kaplan an einer der Kirchen der Bischof stadt; in dieser Stellung drohte er sich im Eifer der Seelsorge fast aufzureiben. Und so berief ihn der damalige Bischof zu seinem Privatsekretär, in der Absicht, ihn durch minder anstrengenden Dienst zu schonen. Aber auch diese Stellung konnte ihn nicht abhalten, sich dem Dienste der Armen und Elenden dieser Welt zu weihen, daß er von den Anstrengungen auf das Krankenlager geworfen wurde

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Der kleine Pfarrhof lag hinter der Kirche, die nach dem Äußeren dem Barockstil angehörte, im Inneren aber die ursprüngliche Gotik sich erhalten hatte. Von den Wohnungen der übrigen Dorfbewohner war das Pfarrhaus nicht wesentlich verschieden. Die sauberen Vorhänge an den Fenstern bedeuteten, daß keine geist= liche Junggesellenwirtschaft im Inneren anzutreffen war. Dafür sorgte die Mutter, die nun bei ihrem Sohne lebte, das Haus und den Garten besorgte, der zwischen

der Kirche und dem Pfarrhof gelegen war. Längst hatte sie Nadel und Schere bei jeite gelegt; aber wenn es ihr die Mädchen im Dorfe, namentlich die reicheren, mit ihrem Anzuge gar zu buntscheckig und geschmacklos trieben, nahm sie dieselben in den Pfarrhof, um sie „zu formieren". Die Einkünfte der Pfarrei waren nicht so schmal bemessen, daß Franz nicht hätte Gastfreundschaft üben können. Die geist lichen Amtsbrüder wußten, daß sie bei ihm immer ein gut Glas Wein vorfanden und daß die Frau Kreissekretär ebenso gut sich auf die Küche verstand als früher auf gutsißende Taillen.

Es kam auch mancher Besuch in den Pfarrhof. Bertha hatte sich verheiratet, aber jeden Sommer um die Sonnenwende kam sie mit ihrem Manne und jedes Jahr fait mit mehr und größeren Kindern. Das war die schwere Zeit für die Frau Kreissekretär, denn die Rotte Korah" ließ auch nicht eine Beere an den Sträuchern. Und doch hätte sie diesen Besuch nicht missen mögen. Wohl sah sie die Schatten auf den sonst so klaren Zügen des Sohnes, aber sie ermaß deren volle Bedeutung nicht, und wenn sie etwa danach zu forschen gesucht hatte, wurde sie durch seine Zusprache in sich beruhigt. Wenn aber dann Bertha mit ihren Kindern ins Haus einfiel, dann war der Pfarrer ein ganz anderer. Er tollte mit den Kindern treppauf, treppab, legte sich mit ihnen unter die Beerenstauden und lachte mit ihnen hell auf, wenn die Mutter laut darüber zeterte, daß die ganze Gesellschaft über ihre Beete mit dem jungen Gemüse sprang.

Das waren die Ferientage des Pfarrherrn; andere machte er sich nicht, weil er seine Gemeinde nicht verlassen wollte. Bei diesen Besuchen ward denn auch vergangener Zeiten gedacht der Jugendtage, die freilich immer weiter zurück lagen. Bertha brachte immer neue Nachrichten über die Wandlungen in den Verhältnissen der Vaterstadt, über die Schicksale der Personen, die mit ihren Jugendtagen verbunden waren. Die Rede kam Monatshefte, LXII. 367. April 1887.

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auf die und auf jene, auch Florentin war nicht vergessen in früherer Zeit, dann bei den späteren Besuchen der Jugendfreunde ward er wohl kaum mehr erwähnt. Im Pfarrhofe wußte man nur, daß er seinen Eltern viel Trübsal verursacht hatte. Seine Lust war, sich in der Fremde herumzutreiben. Wenn die Mittel dazu ausgegangen, dann kam er wieder auf ein paar Monate heim; nach Verlauf dieser war er wieder verschwunden. So konnte es nicht wunder nehmen, daß die Vermögensverhältnisse bei Plenkners mit der Zeit in Rückgang kamen. Im Triebe der Selbsterhaltung hatte sich der Vater zu der Willenskraft erhoben, dem Nichtsthuer die Mittel zu versagen, um ihn so zu veranlassen, sein wüstes Wanderleben aufzugeben. Aber da war es geschehen, daß der Sohn dem Vater erklärte, wenn dieser ihn auf diese Weise bevormunden wolle, könne er ihn des nächsten Tages oben an einem Balken auf dem Boden oder im Teiche des Stadtparkes suchen. Da war dem Vater das Entseßen bis unter die Haarwurzel gegangen. Die Dienstboten hatten diese Äußerung gehört, auch die Verwünschung vernommen, mit welcher der Alte dem Sohne den Beutel mit Gold vor die Füße geworfen hatte, und erzählten es nun in der Stadt herum.

Der alte Plenkner starb, während der Sohn sich wieder mal draußen umhertrieb. Dieser kam nur noch einmal nach seiner Vaterstadt, um sich wegen der Erbschaft mit der Mutter auseinanderzusetzen. In dieser Zeit starb auch diese, aber der Sohn war auf keine Weise zu bewegen, ihrem Sarge nach dem Kirchhofe zu folgen. Es war schon vordem aufgefallen, daß er nie an der Grabstätte seines Vaters zu sehen war, auch am Allerseelentag nicht, der gerade in die Zeit seiner Anwesenheit in der Stadt fiel. Als er sich nun gar vom Leichenbegängnis der Mutter ausschloß, vorschüßend, daß sein Gemüt der Bewegung des Schmerzes nicht gewachsen sei, da begann ein dunkles Gerücht in der Stadt umherzugehen.

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Jedenfalls war ihm der Aufenthalt in | gewohnt war. Nachdem der Pfarrer

der Stadt unheimlich, und aus dieser Empfindung heraus machte er die Hinter- | lassenschaft der Eltern so schnell als möglich zu Gelde, so daß diese Eile und Hast dem, was man sich von ihm zuflüsterte, nur neue Nahrung geben mußte. Dann war er plößlich verschwunden, um nie wieder in der Stadt gesehen zu werden. Damit war er auch aus dem Kreise der Erinnerungen des Pfarrhofes geschieden.

Alljährlich in den späteren Tagen des Septembermonats pflegte der Pfarrer in seiner Kirche ein Totenamt zu veranstal ten; in keinem Jahre ward das versäumt. Für eine dem Herzen des geistlichen Herrn teure Seele" lautete die Formel, welche die Frau Kreissekretärin dafür | ausgegeben hatte und die mit den Jahren stehend geworden war. Die Pfarrkinder forschten nicht danach, ob das für den Vater ihres Pfarrers oder einen Verwandten geschehe, oder für sonst wen. Was dem Herzen ihres Pfarrers teuer war, das ging auch ihnen nah, und so versammelte sich am Morgen des wiederkehrenden Jahrestages eine Anzahl von Andächtigen um den Katafalk, der am Fuße des Chores aufgerichtet war und über den sich das schwarze Bahrtuch mit dem weißen Kreuze breitete. Für uns, die wir die tragische Katastrophe aus dem Herzensleben des Geistlichen kennen, namentlich wenn wir uns des Septembertages und jener Nacht aus den Stadtanlagen erinnern, braucht es wohl keiner weiteren Ausführung, zu wessen Gedächtnis dieser Gottesdienst stattfand.

Zehn Jahre waren nach jener Nacht | verstrichen. In der Dorfkirche hatte die Trauerfeier stattgefunden. Die Andäch tigen verloren sich allmählich aus dem Gotteshause, nachdem sie vor dem Katafalk noch ein stilles Gebet für die Ruhe ,,der teuren Seele" gesprochen hatten.

Nur in der Nähe des Beichtstuhles warteten noch einige Frauen auf den Priester, weil er nach der Trauerfeier an diesem Vormittag Beichte zu hören

in der Sakristei die entsprechenden geistlichen Gewänder abgelegt hatte, begab er sich, nur mit der Alba und Stola angethan, in den Beichtstuhl. Nach etwa einer Stunde war die leßte der Frauen gegangen, und der Beichtiger wollte sich eben von seinem Size erheben, als er durch das enge Gitterwerk des Stuhles einen Mann bemerkte, der durch die offene Kirchenthür in das Gotteshaus eintrat. Der Pfarrer in der Meinung, das sei ebenfalls einer, der den Beichtstuhl aufsuche, wartete, ob der Fremde wohl näher kommen würde, aber es wollte ihm nicht so scheinen. Vielleicht war es nur die Neugierde, die jenen bewogen hatte, in die offene Kirchenhalle einzutreten, vielleicht die Kühle derselben, während draußen auf der Dorfstraße die Herbstsonne mit noch recht heißen Strahlen lag. Aber allmählich kam der Mann näher, nicht dem Beichtstuhl, sondern nach dem Altar zu, gerade als würde er durch den schwarzen Katafalk angezogen. Der Fremde mochte sich den vierziger Jahren nahen; sein Anzug, soviel der Priester bemerken konnte, war nicht gerade schlecht zu nennen, aber doch auch nicht der Kleidung wohl situierter Leute entsprechend. Er hatte im Aussehen, in seinem äußeren | Behaben etwas von der Weise fahrender Leute an sich, auch in dem frivolen, höhnischen Ausdruck des Gesichts, als er den Blick in der Kirche umhergehen ließ. Flackernde Augen, unruhige Blicke, ein unstätes Wesen die Züge des Gesichts waren tief durchfurcht, als ob alle Leidenschaften es verzerrt hätten. Da fiel durch die Chorfenster ein Sonnenstrahl gerade auf die Stelle, wo der Mann stand der Geistliche hatte Florentin erkannt. Mit verhaltenem Atem beobachtete er nun, wie dieser dem Katafalk immer näher kam, dann wieder einige Schritte zurückging, als wollte er sich gegen die Macht, die ihn dahinzog, auflehnen; aber diese schien doch stärker zu sein als sein Wille. Franz wollte sogar bemerkt haben, wie plößlich ein heftiges Zittern ihn über

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