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zwanzig Bogen Geschriebenes; der Ju Inhalt war folgender:

Der Franz kommt der Franz kommt! das ging wie ein Freudenruf durch die Mädchen, welche in der Nachbarschaft eines hohen schmalen Hauses von nur zwei Fenstern Front wohnten, in dessen Giebelstube die Witwe eines Subalternbeamten mit ihrem Sohne lebte. Ihr Mann war früh gestorben, die kleine Pension reichte nicht zum Lebensunterhalt aus, noch weniger zur Erziehung ihres einzigen Kindes, das aus der Ehe ihr geblieben war. In ihm sah Frau W. das Glück ihres Daseins, den Trost für den früh dahingestorbenen Gatten, die Hoffnung für ihre Zukunft. So war ihr einziges Streben darauf gerichtet, dem Franz eine gute Erziehung zu geben, um so mehr, da er sich schon früh als ein geweckter Kopf gezeigt hatte. Vor ihrer Ehe hatte. die Mutter in Diensten einer vornehmen Dame gestanden, war mit dieser viel ge= reist und hatte aus diesem Verhältnis Manieren und Haltung bewahrt, die sonst nicht den Frauen ihres Standes eigen zu sein pflegten. Davon war auch etwas auf den Sohn übergegangen. Der Mutter halfen sie, sich Eingang in die bessere Gesellschaft der Stadt zu verschaffen. Sie hatte ihre geschickte Hand in Thätigkeit versezt und im Verein mit gutem Geschmacke sich zur ersten Kleidermacherin der Stadt emporgeschwungen, viel Kundschaft und auch ausreichenden Verdienst erworben. Die jungen Mädchen wollten ihre Kleider denn von Toiletten sprach man damals noch nicht nur bei Frau W. gemacht haben, und auffallenderweise kamen sie öfter zum Anprobieren, als es der Frau Kreissekretärin so betitelte man Frau W.- nötig erschien; es fehlte da und fehlte dort, das und das mußte geändert werden, so daß Frau W. manch mal die Geduld verlor und das auch unverhohlen zum Ausdruck brachte; aber darum blieben die Kundinnen doch nicht weg, kamen immer wieder. Es war auch nicht schwer, das Auffallende dieser Erscheinung zu ergründen. In derselben

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Stube, wo die Mutter arbeitete die — Nähmädchen waren nebenan —, saß auch der Gymnasiast Franz, und während hier an diesem Tische über Falbeln und Ärmelschnitt debattiert wurde, lag er über seinem Plato oder lernte aus den Geschichtsbüchern, daß schon die römischen Frauen der Kunst der Koketterie ergeben waren. Sehr unzufrieden gingen oft die jungen Mädchen von Frau W. weg, aber nicht darum, weil die Taille nicht saß, sondern weil der schöne Franz sie wenig oder gar nicht beobachtet hatte. Denn Franz war unter den jungen Lenten des Gymnasiums der hübscheste, Ser manierlichste, und daß er zweifelsohne auch der klügste war, das fam weniger in Betracht, wenn er nur gut tanzte. Und das war bei ihm der Fall mehr als bei allen anderen seiner Kameraden. Die Mutter hatte nicht recht daran wollen, als er gleich seinen Mitschülern den Wunsch hegte, an deren Tanzunterricht teilzunehmen. Wenn er sie nach dem Grund fragte, so gab sie ausweichende Antwort anfänglich, dann aber wurde sie deutlicher mit Hinweisen. darauf, daß sich derartiges Vergnügen mit seinem künftigen Berufe wohl nicht gut vertragen möchte, maßen sie den Herzenswunsch hege, Franz möchte sich dem geistlichen Stande widmen. Aber der Sohn schien dazu vor der Hand wenig Neigung zu verspüren. Sagte er auch nichts dagegen, so that er doch auch nichts dafür. Wie könne sich ein junger Mensch darüber jezt schon in seinem Alter klar und bestimmt aussprechen! meinte er. Um vielleicht später mal über den Wert des Anreizes der Welt und ihrer Dinge urteilen zu können, müsse man diese aus Erfahrung doch vorerst selbst kennen lernen; auch verspüre er in sich dieselbe Jugendlust wie seine Altersgenossen. Schließlich mußte die Mutter nachgeben. Aber es waren für sie immer harte Empfindungen, wenn sie von anderen Leuten hören mußte, welch flotter Tänzer der Franz sei, wie gewandt im Umgange mit den Damen und wie gern gesehen und begehrt zum Reigen von allen. Kurz: Der Franz ist

da! war ein Jubelruf unter den jungen | besigt noch ein Bildchen von ihr aus dieMädchen, mochte in der Stadt oder drau- ser Zeit, ein Bildchen, das auch seine Gesen im Freien ein Tanzvergnügen arran- schichte hat, wie wir später sehen werden. giert sein. Jedes Mädchen fühlte sich ge= Damals waren nur erst die Daguerreoehrt und glücklich, wenn der hübsche, ❘ typen aufgekommen, aber noch selten und schlanke Mensch mit dem braunen welligen so teuer, daß sie noch nicht bei einfachen LeuHaar, den hellen, klugen braunen Augen ten in Aufnahme gekommen. Diese Kreideund der freundlich herzlichen Weise nach ihm zeichnung ist aber nur als ein unbeholbintam, um es um einen Tanz zu bitten. fenes Nachkriheln all des Liebreizes zu Hielten die Tänzerinnen allenfalls unter sich betrachten, der von der Fränz ausstrahlte. Kat, was es denn sei, das ihn so anziehend So wie sie gezeichnet ist, trug sie ihr dunkelfür alle mache, so nannte jede einen ande- blondes Haar an beiden Seiten in Schneckren Zug seines Äußeren oder eine andere chen zusammengerollt, jo die kurzen Ärmel Eigenschaft seines Wesens, um schließlich ihres Kattunkleidchens; aber jenes holdin dem allgemein formulierten Saß über- selige Lebendige, was die äußere Hülle einzustimmen: er hat eben etwas extra — umschloß, konnte kein Kreidestrich wiederer der Franz wie die Fränz. Leztere war geben, und wäre es auch der des größten die Tochter eines wohlhabenden Glocken- Künstlers. Das Beste und Edelste und gießers, der den Ruf seiner Kunst weithin Schönste zwingt jedermann zum Optimisertönen ließ in fernen Städten und Län- mus, und so hätte es fast eine Unmög= dern durch seine ehernen Erzeugnisse, die lichkeit gedünkt, daß im Angesichte dieser er zum Lobe und Preise Gottes in seiner beiden Jugendgestalten eine häßliche Seite Werkstätte goß. Wie jede Ware mehr der Menschennatur zum Ausdruck gekomoder weniger dem Erzeuger ihren Cha- men wäre, wie Neid oder Bosheit und rakter ausdrückt, so waren das Haus und auch selbst nur die Eifersucht. Jedermann die Familie des Glockengießers in einem mußte in sich anerkennen, daß diese beiden religiösen Tone abgestimmt. Die Familie Seelen nur sich gehörten, ein dritter keilebte still für sich, Vater und Mutter waren nen Teil an ihnen haben könne. ernste Leute, und die Kinder, zwei Töchter, in einfacher Sitte des Hauses erzogen. Daher man einigermaßen in der Stadt erstaunt war, als die Mutter sie an dem Tanzkränzchen, das sich unter der Leitung des Franz gebildet hatte, teilnehmen ließ. Der Franz und die Fränz! hieß es bald. Wie die beiden Namen verwandt waren, so auch die Herzen. Aber keines der Mädchen war der Fränz gram, daß sie von nun an allein die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf sich zog; denn ein so liebes Geschöpf wie sie mochte es nicht leicht wieder geben. Alles kam bei ihr aus dem Herzen: das holde Lächeln auf ihren schönen, frischen, vollen Lippen, der schelmische und doch so tiefe Blick aus ihren dunkeluen Augen, die weiche Stimme, die wie im Tone einer Glocke abgestimmt schien, und die Freundlichkeit, die Sanft mut, die Heiterkeit, die sie jedermann entgegenbrachte. Ihre Freundin Bertha

Die Zeit war herangekommen, wo Franz die Universität beziehen sollte. Zwischen den beiden Liebenden war das Abkommen getroffen, er sollte Jura studieren. Allerdings bedeutete das drei Jahre des Studiums, denen eine Praxis von mindestens drei Jahren folgte, ehe beide hoffen konnten, das Ziel ihrer Wünsche in ehelicher Vereinigung zu erreichen; aber zu damaliger Zeit war ein so langer Brautstand eben nichts Seltenes. Man war noch nicht gewöhnt, mit Dampfeseile zu seinem. Glücke zu gelangen, und vielleicht gab es darum auch weniger unglückliche Ehen als jezt, indem sich Liebesleute in so langer Zeit genugsam kennen zu lernen Gelegen= heit hatten. Kannte Franzens Mutter auch die Abmachungen zwischen den beiden nicht, so war ihr doch der Entschluß ihres Sohnes hinsichtlich der Wahl seines künftigen Lebensberufes bewußt; sie machte dagegen keine Einwendung, erklärte sich

sogar bereit, ihm zu seinem Unterhalte auf der Universität monatlich eine Beisteuer zu geben, während durch städtische und private Stipendien ihm weitere Unterstützung gewährt wurde. So war der Vorabend der Abreise herangekom men, die Mutter hatte den kleinen Koffer gepackt, und manche Thräne war dabei auf das alte Seehundsfell gefallen, mit dem er überzogen war und das im Laufe der Zeiten fast alle Haare gelassen hatte. Bertha, die Freundin des Franz, hatte es vermittelt, daß bei ihr die beiden Liebenden sich noch lebewohl sagten. Unter dem Eindruck dieser Stunde war Franz zu seiner Mutter heimgekommen, die ihm mit der Meldung entgegenkam, der Herr Stadtpfarrer wünsche ihn noch zu sprechen. Der geistliche Herr hatte sich stets in allen Lagen, in Leid und Freud als ein wahrhafter Freund für Mutter und Sohn erwiesen, und Franz ging gern zu ihm nach dem Pfarrhofe. So fiel es ihm jezt wie der Vorwurf einer groben Vernachlässigung aufs Herz, als er erst daran erinnert werden mußte, dem würdigen Freunde noch lebewohl zu sagen. Er zögerte darum auch gar nicht und machte sich sogleich auf den Weg. Bei seinem Weggange bemerkte die Mutter, daß der Überzieher, in dem Franz reisen sollte, doch schon recht fadenscheinig zu werden beginne und daß sie ihm so gern noch einen neuen angeschafft hätte, aber es that sich bei den übrigen Ausgaben eben nicht mehr. | „Ach, wenn nur das Herz darunter recht warm sizt!" hatte Franz beim Hinausgehen gesagt.

Leichten Herzens war er nach dem Pfarrhofe gegangen, mit schwerem kam er zu seiner Mutter heim. Was war geschehen oder was hatte er erfahren? Der Stadtpfarrer hatte wie stets ihn sehr freundlich empfangen, war im Gespräch auf die vor ihm liegende Studienzeit gekommen und richtete schließlich die Frage an ihn, ob er noch des festen Willens sei, sich dem Studium der Jurisprudenz zu widmen. Auf das entschiedene Ja des angehenden Studiosus hin nahm

der Geistliche eine ernite, fast betrübte Miene an, legte ihm beide Hände auf die Schulter und frug ihn, ob er bei diesem Entschlusse auch dann noch beharren würde, wenn er damit seine Mutter unglücklich sehr unglücklich machen würde. Das ganze Gesicht Franzens war auf diese Bemerkung zu einer Frage geworden, und alsbald erhielt er von dem geistlichen Freunde auch die nötige Aufklärung. Seine Mutter sei gestern zu ihm gekommen und habe ihres Herzens Angst und Not einen Weg zu ihm verschafft, um seines Rates, seiner Hilfe, wenn es sein müsse, teilhaftig zu werden. Sie hatte dem Seelsorger folgendes erzählt:

Es war in einer Zeit, wo sie noch eine junge Frau, aber schon Witwe war und bereits mit ihrer Hände Arbeit den mühsamen Kampf um das tägliche Brot begonnen hatte. Franz war damals etwa fünf Jahre alt ein munteres, lebhaftes und dabei beherztes Kind. Dem Hause gegenüber, in dem sie damals gewohnt hatte, lag die Kirche „Zu den heiligen Nothelfern“, ein gotischer Bau mit reichem Ornament in Galerien, Nischen, Fialen und Spitbogen. Die eine Front des Kirchenplages war von dem Hause eines reichen Produktenhändlers gebildet. Der Mann hatte im Thorwege früher einen Grünfram betrieben, dann das Haus gekauft und ein großes Produktengeschäft etabliert. Mit seinem plöglichen Reichtum, flüsterten sich die Leute in die Ohren, sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. In dem Hinterhause habe eine alte Frau gewohnt, die, geizig und mißtrauisch gegen alle Welt, sich von dieser abgeschlossen hatte. Sie hatte dem Grünwarenhändler eine kleine Stube abgemietet. Als sie mehrere Tage nicht mehr zum Vorschein gekommen, sei Plenkner

das war der Name des Mannes in ihre Wohnung hinaufgestiegen, habe dieselbe, als ihm auf lautes Pochen nicht geöffnet, gewaltsam erbrochen und seine Mieterin tot gefunden. Sie hatte arme Verwandte in der Stadt, die kamen herbei, fanden aber unter dem Nachlaß nichts,

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was ihre Hoffnungen auf die Erbschaft | der Alten erfüllt hätte, obgleich sie wissen wollten, daß die Verstorbene diese und jene Papiere besessen. Aber von diesen war nichts vorhanden. Jett munkelte man, Plenkner habe sie und mehr, als| man erwartet hatte, beiseite geschafft; aber man konnte ihm nichts beweisen, obwohl er von Jahr zu Jahr zusehends reicer wurde im Vermögen, wenn auch nicht im Ansehen bei seinen Mitbürgern. Diese gingen ihm, dem langen, hageren Mann mit dem unruhig flackernden Blicke, und ebenso seiner Frau, einer robusten Person mit gelblichem Teint und schwarzem Haare, aus dem Wege. Niemand mochte mit ihnen etwas zu thun haben. So war es auch Franz von seiner Mutter verboten, mit dem einzigen Sohne, den das Ehe paar besaß, dessen einzigem Kinde, auf dem Plaze zu spielen. Nicht weil Frau W. den dunklen Gerüchten, die über Plenkners gingen, geglaubt hätte, sondern weil sie in dem Jungen aus dem großen Nach- | barhause, der mit Franz gleichalterig war, einen verzogenen, verwöhnten und dabei | rohen, boshaften Bengel erkannt hatte. Seine Lust war, Vögel zu martern oder Razen am Schwanze aufzuhängen. So häßlich sich bereits in diesen jungen Jahren der Charakter des Knaben ergab, so häßlich war auch sein Äußeres. Sein dicker Kopf mit weit abstehenden Ohren saß auf eingesunkenen Schultern; wenn er lächeln wollte, grinste er. Das ganze Gesicht war voll Sommersproffen. Zu diesem Äußeren hatten ihm die entzückten Eltern den Namen Florentin gegeben. Mochte auch Franz noch so sehr dem Gebote seiner Mutter, sich fern von ihm zu halten, gehorsam sein, er konnte sich seiner nicht erwehren; es war das Andrängen des Häßlichen an das Schöne, des Bösen an das Gute, jene geheimnisvolle Anziehungskraft des Entgegengesezten, das sich auch hier in diesen beiden Knaben offenbarte. Jede Gelegenheit, jeden Vorwand benußte Florentin, um mit Franz in Berührung zu kommen, und kein Lokfungsmittel ließ er unversucht, ihn sich ge

neigt zu machen. Er hatte immer die Tasche voll Leckereien, während an Franz diese höchstens zur Weihnachtszeit kamen, und der spätere Bischof war eben auch ein Kind wie jedes andere. Was für Florentin tägliche Speise, das war ihm Manna.

Eines Tages saß Franzens Mutter bei der Arbeit am Fenster; die Augen waren ihr dabei müde geworden, so daß es ihr Bedürfnis war, einen Moment auszuruhen. Dabei ging ihr Blick hinüber über den Plaz, nach der Kirche. Heiliger Gott der Atem stockte ihr dort die Galerie entlang kletterte ihr Franz. An einer der Fialen, der kleinen freistehenden gotischen Türmchen, hatte sich ein Papierdrache festgehakt. Nach dem ging des Knaben Sinn, das Spielzeug von der Spize des Türmchens loszulösen. Er überstieg die Brüstung der durchbrochenen Galerie; er sezte sich auf den Bogen, der von da abwärts nach der Fiale führte, wie ein Reiter auf ein Pferd. Er hatte das Türmchen erreicht, seine Hand langte nach dem Drachen. Da entführte ein plöglicher Windstoß ihm die Müße; er wollte danach greifen; die Mutter sah, wie er dabei das Gleichgewicht verlor. In diesem gräßlichen Moment ging aus ihrer Seele ein Flehen, ein Gelübde zu dem, ohne des Willen kein Sperling vom Dache fällt: „Heiliger, Gütiger, ich will ihn dir und bei deinem Hause lassen ich gelobe es dir nur gieb ihn mir lebend wieder!" Und flugs wie dieses Gebet kam auch die Erhörung. Vom Falle hinab auf das Pflaster des Plazes bedroht, hatte der Knabe noch das Türmchen erfaßt. Jedoch vor dem klopfenden Herzen der Mutter schien es, als fange dieses von der plößlichen Last ebenfalls zu wanken an. Nein es hielt - Franz hatte es fest umklammert. Vorsichtig löste er den Drachen, aber den Bogen hinaufzureiten, war schwerer denn herab, und doch war kein anderer Weg, zur Galerie zu gelangen. Da sah sie, wie er die Schnur des Drachens nach der Galerie warf, über die Brüstung, damit das Ende durch

das Maßwerk wieder zu ihm herabfiele. Anfangs wollte das nicht so rasch gehen. Er legte sich platt auf den Bogen und haschte nach dem Ende, was ihm auch gelang. Damit hatte er einen festen Anhalt gewonnen, um sich nach der Galerie hinaufzuschwingen. Oben angekommen, hatte er eigentlich keine Gefahr mehr zu bestehen, nur entlang zu gehen; allenfalls bot die Passage nahe am Turmfenster, durch das er herausgeklettert war, noch Schwierigkeiten. Aber auch dieses gelang, und nun sank die Mutter in ihrem Stübchen auf die Knie. Erst jezt rang sich die unsägliche Angst in einem lauten Aufschrei nach oben von ihrer Brust, und ihr Gebet war ein Danken unter Stöhnen und Schluchzen. Wäre es ihr auch nicht durch die Klugheit geboten gewesen, weder das Fenster zu öffnen noch gar ihm zuzurufen, sondern stille an sich zu halten sie wäre doch feiner Bewegung fähig gewesen; und auch jezt noch, wo sie den Versuch machte, die Treppe hinunterzugehen, versagten ihr die Kräfte. Aber sie kam wenigstens aus dem Hause und hinaus auf den Plaß, wo die Müße ihres Jungen lag. Sie hob sie auf, und zugleich kam Franz mit dem Drachen aus der Thür des Turmes. Er übergab ihn Florentin, der schon auf ihn wartete, und sagte dazu: „Da hast du das dumme Ding wieder. Jezt bekommst du wenigstens von deinem Vater keine Prügel. Nun gieb mir aber die versprochene Apfelsine!" „Ich hab ja gar keine," höhnte Florentin und wollte dann lachend davonlaufen. Er erreichte seinen Zweck aber nicht, denn von Franzens Mut- | ter sah er sich zurückgehalten: „Schand-| bube, Teufelsbraten du!" rief sie ihm zu; „hast du denn nicht gesehen, daß Franz fast zu Tode sich gefallen hätte?" „Das hätte auch nichts geschadet; dann braucht ich mich nicht mehr zu bosen darüber, daß alle Leute ihn lieber haben, den schönen Franz, als mich.“ Damit hatte sich Florentin aus der Nähe entfernt. Frau W. aber umfaßte mit zitternden Händen ihr Kind. „Ach, Mutter," sagte der Knabe, „mir war nur um meine

Kappe angst! Du hast sie mir erst neu gekauft. Aber sie hat gar nicht Schaden gelitten," fügte er bei, indem er die Müze aufhob.

So weit die Erzählung der Mutter.

Franz erinnerte sich jezt nach vierzehn Jahren noch recht wohl des Vorfalls, auch des Spielkameraden und der damaligen Nachbarschaftsverhältnisse, aber das Gelübde seiner Mutter, daß sie ihn der Kirche und deren Dienst versprochen hatte, war ihm eine neue Enthüllung. Er verstand jezt wohl die Hindeutungen seiner Mutter, ihre mehr oder minder klar ausgesprochenen Wünsche, die Mitteilungen des geistlichen Freundes ließen ihn allem. auf den Grund schauen.

,,Und nun thue einen Blick in die Seele deiner Mutter, gehe mit deinen Gedanken zurück in die Jahre deiner geistigen Entwickelung. Denke dir, mit welchem angstvollen Interesse sie diese verfolgte, wie sie jede Äußerung, jeden Fortschritt derselben prüfend mit dem zusammenhielt, was sie als End- und Zielpunkt deiner Studien, deines ganzen Lebens betrachten mußte! Sie hat das Geheimnis bis jezt in sich verhalten, und nur die äußerste Herzensnot hat es ihr vor mir erpreßt, damit ich dessen Vermittler an dich würde. Sie hat in den natürlichen Entwickelungsgang deiner seelischen und intellektuellen Eigenschaften nicht eingreifen wollen. Es war ihr eine Beruhigung, daß du lebhaften religiösen Einwirkungen dein Herz nicht verschlossest, wie andererseits ich ihr wieder zu tiefer Bekümmernis nicht verbergen konnte, daß du in Bezug auf dein Lebensziel nicht den Weg gingest, den sie als Heil für dich und sich ersah. Aber immer noch hoffte sie auf eine göttliche Gnadenwirkung, die dich auf den rechten Pfad ge= leiten sollte. Und nun blieb diese aus bis jezt, wo du vor einem entscheidenden Wendepunkte deines Lebens stehst. Wir dürfen nimmermehr verzweifeln, sagte ich ihr, und uns geziemt es nicht, eigenmächtig in Sinn, Wollen und Plan eines andereh Lebensganges einzugreifen; das ist

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