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eigenes Leben, das aus diesen Papieren groß die Zahl derer, welche teilnahmlos zu ihr sprach. Wo sie Stellen wegließ, blickend an ihr vorübergehen. Gar manche handelte die milde Frau vielfach aus Rückrufen: Was ist uns Börne, daß wir ihn sicht auf Zeitgenossen oder aus Bescheidenheit. Wie der Inhalt des Nachlasses war ihnen auch die äußere Erscheinung desselben heilig. Selbst Straus mußte den Tod gleichsam schon nahe fühlen, ehe er es über sich vermochte, einem begeister ten Verehrer Börnes ein irgendwie größeres Blättchen von dessen Hand zu überlassen.

Jeanette Straus starb nach langen Leiden am 27. November 1861 zu Paris, ihr Gatte am 24. Januar 1866 zu Frankfurt am Main. Bis zum letzten Atemzuge, bis über das Grab hinaus dafür besorgt, pflegten sie Börnes Andenken, nicht in aufdringlicher, reklamenhafter, aber um so innigerer Weise.

Und mit ihnen hat das deutsche Volk, der eigentliche Erbe seines geistigen Vermächtnisses, das Andenken seines erhabe nen Freundes noch Jahrzehnte nach dessen Tode sich lebendig und in Ehren ge= halten.

Können wir ein Gleiches von unseren Zeitgenossen, können wir es vor allem von unserer Jugend sagen?

Ach, nicht klein ist die Zahl derer, die seine Büste hinaustragen wollen aus der Walhalla wahrer deutscher Größe,

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feiern? Haben wir ihn nicht überwunden? Væ victoribus! Wehe den Siegern! Nein, Börne lebt, Börne ist nicht stumm, nur viele sind taub geworden. Aber solange wir nicht die Fähigkeit verloren, Freiheit und Recht zu lieben, Unrecht zu hassen, solange wir nicht völlig verlernt haben, in dem Mitmenschen den Bruder zu erkennen, welches Glaubens er auch sei, welche Sprache er auch rede, so lange dürfen wir auch hoffen, daß die geistige | Größe eines Börne wiederum die volle Würdigung, die ihr gebührt, erfahren werde und daß wir ihn nicht allein schäßen werden seiner Kunst, seines Wißes, seines Stiles wegen: Gaben, die ihm nie etwas anderes als Mittel im Dienste seiner Ideen gewesen sind und mit denen | zwecklos zu glänzen gerade er als ein seiner unwürdiges Spiel verachtet haben | würde. Möchten wir nicht auch von dem Genius eines Börne selbst sagen müssen: in weite Bahnen ist er gezogen und erst späte Enkel werden ihn freudig willkom= men heißen; möchte es auch uns noch leuchten, das Morgenrot jener Zeit, die ihn zu ehren versteht, wie es die edle Frau that, deren Andenken diese meine Worte gegolten haben.

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u den angenehmsten Erinne- | rungen an eine Sommerfrische in den Alpen gehören die Tage, die ich vor einigen Jah ren auf der ... alp verlebt hatte. Ich vermeide hier, den Ort näher zu bezeich nen, weil der eine oder andere Leser dieser Geschichte dem Namen der Dame nachforschen könnte, von der ich hier erzählen will, und weil ihm das nicht sehr schwer würde, denn das Merkmal der alles erflimmenden Kultur, das Fremdenbuch, hat auch schon seinen Weg nach jener über sechstausend Fuß hoch gelegenen Alp genommen. Die Begierde des Lesers nach dem wahren Namen der Dame würde gerade nicht das wenigst schmeichelhafte Zeugnis sein für das Interesse an den erzählten Begebenheiten, wogegen es doch mehr in ihrem Wunsche liegen möchte, daß der sie schüßende Schleier der Pseudonymität nicht von ihr hinweggezogen würde, auch schon wegen der Persönlichkeit des hohen geist lichen Würdenträgers, von dem wir hier im Verfolge hören werden.

Es war in den ersten Tagen des Juli, die noch von allem Duft und Blust der Sonnenwendtage erfüllt sind und dabei doch frei von der Qual, welche später der Schwarm der Sommerzügler aus den Schul- und Gerichtsstuben heraus über diese bisher unentweihten Hochstätten des Natur- und Lebensgenusses bringt. Man konnte noch ein einsamer Mensch auf einsamer Höhe sein. Die beiden Sennerinnen boten gerade Unterhaltung genug. Abends kamen noch der Knecht dazu, wenn er für die Nacht sein Vieh an sicherem Orte wußte, und von der Alm drüben auch ,,der Kuhbua", und dann gingen das Zitherg'spiel und die G'sangln und Jodler bis tief in die Nacht hinein. Das war eine innere Sättigung, bei der man gern auf die Speisekarte und den Komfort der Hotels tief unten verzichtete. In diesem Falle wird die Freude im genießenden Menschen nur zu leicht zu einem Grade verstärkt, daß er sich einen alleinigen Anspruch auf diese zuschreibt und jede Störung als einen Eingriff in ein persönliches

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Recht betrachtet. Mit dieser Empfindung sah ich an einem Abend, als drunten über die Thäler sich schon die tiefsten blauen Schatten gebreitet hatten, eine Dame den steilen Bergweg heraufkom men. Sie war geführt von einem Beglei= ter, der fast noch ein Knabe war und eine kleine Reisetasche ihr nachtrug. Ich betrachtete sie als einen unberufenen Eindringling in meinen Naturfrieden und hätte am allerliebsten gehört, wenn die Obermagd ihre Frage nach einem Nacht- | quartier ablehnend beantwortet hätte. Aber die Resi that das nicht; im Gegenteil versicherte sie der Ankommenden, daß sie ihr ein hübsches großes „Kammert im drübern Haus“ einräumen könne, das beste, das überhaupt vorhanden wäre, im vorigen Jahre hätte eine Erzherzogin drin geschlafen; sie sei dort ganz ungeniert. Das Zimmerl „zu ebener Erd" habe der Herr hier inne — hier zeigte sie auf mich. Von meiner Seite Verbeugung gegen die Fremde, wie das ja auch nicht anders als in der Ordnung war das war die erste Begegnung. Später sah ich im Scheine des Herdfeuers, wie sich mir zwei Augen zuwandten einen Moment einen Moment - prüfend; dann thaten sich auch die meinigen zu ihnen hinüber auf, und ich sah in das Gesicht einer Frau von vielleicht fünf-| zig Jahren. Damit war auch gleich mein Unmut weg. Freundlicherem, wohlwollen derem Ausdruck in einem Frauenantlig erinnerte ich mich kaum zuvor in meinem Leben begegnet zu sein. Es lag in diejen Zügen ein Friede, eine Klarheit, die eben nur ein volles Herz zum Untergrunde haben konnten. Ja, wahrhaftig, die Züge waren sogar noch hübsch zu nennen; das blonde Haar war leicht ergraut, legte sich in zwei geteilten Scheiteln noch mit einer gewissen Fülle um die Schläfe. Dem Gesichte entsprach auch die Gestalt in einer Figur über Mittelgröße, in ein einfaches dunkelbraunes Wollkleid eingeschlossen. Nach einer Stunde des Beisammenseins mit ihr war ich über ihre Anwesenheit hier oben ebenso erfreut, als ich vorher über ihr Kommen innerlich

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mich gestört gefühlt hatte. Von gleichem Eindruck waren auch die Sennerinnen beherrscht, als die Fremde den schwarzen Hut abgenommen, sich an den Tisch gejezt hatte und mit einer melodischen Altstimme und in bewegtem, doch gleichmäßigem Rhythmus erzählte, was sie an dem Tage alles schon unternommen hatte und wie sie der Wirt unten im Thale noch länger hätte behalten wollen, sie aber sich vorgesezt, heute noch auf der Alpe zu übernachten.

Ich möchte immer da sein, wo die Berge nächst am Himmel sind,“ schloß sie ihre Erzählung. Dann erzählte sie, wie sie jedes Jahr eine Gebirgsreise mache, ganz allein, bei der große Fußtouren ihr die liebsten seien. Im Heraufgehen habe sie sich die Glocknerwand aus der Ferne angesehen. „Im Glocknerhaus werde ich | doch auch noch mal übernachten," fügte sie hinzu. `„Für dieses Jahr ist es mir schon zu spät." Während das übliche Abendbrot, „der. Schmarrn“, zubereitet wurde, zog sie ihr Strickzeug heraus und machte sich an die Arbeit.

Gnä Frau sollten nach dem langen Marsch doch a bißl a Ruh gebn!" meinte die Resi.

„Ich kann nicht ohne Arbeit ruhig sizen; und bis zum September muß ich ein Dußend von diesen Strümpfen fertig haben haben für meinen Jüngsten, der geht

über See.“

„Also Kinderln habn die gnä Frau doch auch schon?"

„Sechs!" antwortete sie trocken und strickte ruhig weiter.

Aus allem, was die Frau sprach, kam ein fester, bewußter Wille zu Tage, eine klare Einsicht in menschliche Verhältnisse und ein auffallendes Verständnis für alles Lokale. Lokale. Wenn sie fragend nach solchem forschte, so war das weit verschieden von jener geschwäßigen Neugier gewöhnlicher Touristen. In hohem Grade schienen sie kirchliche Verhältnisse zu interessieren. Sie erkundigte sich angelegentlich, wie die beiden Mädchen hier oben ihren religiösen Bedürfnissen genügten, da doch der Weg

zur nächsten Kirche hinab sehr weit sei. Die Resi gab da die Auskunft, daß sie -die beiden Mägde des Sommers doch ein paarmal den Weg in die Kirche binab machten, namentlich wenn sie Zucker und Kaffee brauchten, da ginge das in einem hin. Sonst aber komme alle Sommer ein paarmal der Herr Benefiziat von dem nächsten Kirchdorf herauf und halte für die Almen ringsum Messe und Predigt.

„Da möcht ich auch einmal dabei sein. Wie erhebend muß das sein! Da kom men die Sennerinnen wohl von allen Seiten herbei?"

,,Ja das schon weil die Buabn halt sonst gar keine Dearndln zu schaun friegen."

Und dabei lachte die Frau mit mir recht herzlich.

Die Resi hatte nur der Wahrheit gemäß berichtet und deutete auf eine kleine Kapelle, die nicht weit vom Almhaus lag; dort würde der Berggottesdienst gehalten.

sie wiederum ihre Freude zu haben schien, bis sie mir dann alles erklärte.

Ich habe im Fremdenbuch nachgesehen und Ihren Namen gelesen. Was haben Sie mit dem Buch von der Königin Luise dem deutschen Publikum für eine schöne, edle Gabe geboten!"

Und dann sagte sie noch mehr, was ich mich wohl hüte, hier wiederzugeben, da es mich in den Geruch der Selbstgefälligkeit bringen würde. Ich thue es auch nur darum, um eine getreue Relation zu geben, wie sich unsere nähere Bekanntschaft entwickelt hat. An dem genannten Buche schien sie aber ein besonderes Gefallen zu haben.

,,Es ist so deutsch!" sagte sie.

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„Das ist der Stoff," erwiderte ich, ,,und diesem kommt alles Verdienst zu. Aber um auf Persönliches wieder zurückzukommen leider haben Sie sich noch nicht in das Fremdenbuch eingezeichnet, daß ich auch Ihren Namen hätte erfahren können." Sie sagte mir, daß sie Frau Sonnreder heiße, und weiter erfuhr ich, daß sie in der unteren Maingegend zu Hause sei, dann einen Gutsbesizer im Rheingau geheiratet habe und nun dort in sicherem Besiß lebe, Gattin und Mutter von sechs Kindern.

Ja, ich habe sie im Heraufgehen gesehen. Es ist ja hier ringsum von Alpenrosen eine ganze Weide; da könntet Ihr doch jeden Morgen ein Sträußel dort opfern, um Gott einen Dank zu geben, daß er Euch gesund erhält und bei frohem Mut; aber ich habe nur kahle Wände gejeben." „Also war die gnä Frau schon dort ?" Zeit ein unwiderstehlicher Drang in mich, "Ja!"

„So glücklich ich in meinen Verhältnissen bin, kommt doch alljährlich in dieser

allein zu sein. Man muß sich auch von

„Aber die Kapelle liegt doch außerm seiner Familie erholen, wenn man nicht Weg."

„Um ein Abendgebet zu verrichten, liegt mir nichts außer dem Weg," sagte die Fremde und stricte ruhig weiter.

Am anderen Morgen kam mir die Frau mit ausgestreckten Händen entgegen und mit den Worten: „Wie danke ich Ihnen und wie freue ich mich, hier Gelegenheit zu haben, das Ihnen sagen zu können!“ Nun hätte ich mich eher einiger Milhonen, die ich zufällig nicht besige, erinnern können, als dessen, wodurch ich ihren Dank verdient haben sollte. Diesem Bewußtsein mußte auch meine etwas verblüffte Miene entsprochen haben, an der

ganz für die Außenwelt absterben und in die Alltagsstimmung versinken will. So begehe ich an mir selbst eine That der Rettung, indem ich alljährlich ganz allein eine Studentenreise mache, um mit frischerem Herzen zu meinen Penaten, meinem. Manne und den Kindern, wieder heimzukehren."

In kurzer Zeit hatten wir uns gegenseitig angefreundet, und wenn ich sage, daß ich um ihretwillen länger blieb, als ich beabsichtigt hatte, so wird es vielleicht gar nicht zu unbescheiden sein, wenn ich ein Gleiches von ihrer Seite berichte. Es war von einem zum anderen eben eine

corde sensible gespannt. Wenn diese von der einen Seite nur leise berührt ward, so gab sie auf der anderen auch schon Ton. Wie klein die Welt ist, trat auch hier wieder zu Tage. Wir hatten gegenseitig eine! Menge persönlicher Berührungspunkte. Das übrige that die Größe und die Stille der Natur. Man vergaß hier oben die Zeit oder wenigstens das Maß der Zeit; man sehnte sich mit immer tieferem Atem des Herzens von einem Abend zum anderen Morgen; dann wieder danach, daß der Tag nie enden möge; und doch genoß man die Abende mit immer neuem Entzücken. Aber dieses Genusses und seiner daraus sich ergebenden Stimmungen würden wir nicht teilhaftig geworden sein, wären wir mit unseren Empfindungen eben auf der Erdstelle geblieben, wäre nicht jene Weihe über uns gekommen, welche die Berührungen des Inneren durch die Natur auch zu Gedanken über das Jenseits erhebt. So kamen wir beide | auf das religiöse Gebiet. Beim ersten, Zusammensein hatte ich schon gemerkt, daß Frau Sonnreder Katholikin war, und eine eifrige Katholikin, wie ich aus fernerem Verkehr bemerken mußte; aber es störte mich keineswegs, da sie damit weder etwas beweisen oder bezwecken oder auch nur kokettieren wollte.

,,Die Protestanten fangen immer an," sagte sie lächelnd, als ich eine Anspielung auf die Verschiedenheit unseres Bekennt nisses machte.

„Ich wollte damit nur andeuten,“ war meine Rede, „daß es in allen zu höheren Stimmungen angelegten Naturen doch immer einen Punkt geben wird, in welchem sich auch die Bekenner auseinandergehender Dogmen doch wieder zusammenfinden werden.“

„Und das ist eben allein im mensch lichsten Empfinden," jagte sie. „Was menschlich, ist wahr, und die Wahrheit ist schon der Anfang zur Religion. Es giebt in meinem Bekenntnisse zu viele Dinge, die mein forschender Geist nicht erfassen kann, aber ich lasse mir daran genügen und bleibe damit in der Begrenzung mei

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ner weiblichen Natur. Ich finde mich davon, soweit es mein menschliches Bedürfnis betrifft, erfüllt und befriedigt, und darin finde ich mich selig."

Vor unserem Häuschen sizend, auf dem höchsten Gipfel der Alp auf einer Bank unter einem Felsabhang, besprachen wir ruhig das, was unsere beiden Bekenntnisse trennt. Wir kamen dabei auch auf die Beichte.

„Hier hat meine Kirche das menschliche Herz im Tiefsten erkannt und erfaßt: in seiner Schwäche, seiner Sehnsucht, seinem Ringen und seinem Aufschrei um Hilfe. Denken Sie nur daran, was es für Sie bei irgend einer Sache, die Sie bewegt oder beunruhigt, für ein Labsal ist, sich einem anderen Menschen anvertrauen und so Ihre innere Peinigung sich von der Seele wälzen zu können, wenn Sie einem fremden Blicke die Einsicht in Ihr Inneres gegönnt haben, dieser klar schaut, aufklärt, beruhigt, indem er die rechten Wege zeigt zum Austrag, zur inneren Beilegung aller Differenzen, Skrupel oder Widersprüche. Welch eine Beruhigung, welche erlösende Hilfe! Und dann wenn Sie zudem noch darauf bauen können, daß ein heiliger Schwur den Mund dessen schließt, dem Sie Ihre Bangnis anvertraut haben, wir also einem Priester! Von Mund zu Mund nur durch die Öffnung des Gitters am Beichtstuhl, von Atem zu Atem, wenn diesen nicht das schüßende Tuch des Priesters abhielte, von Herz zu Herz geht das Geheimnis. Denken Sie sich mal in die Lage, Sie hätten in der Aufwallung der Leidenschaft denn nach meiner Überzeugung geht jedes Verbrechen aus einer Leidenschaft hervor, durch die der Mensch einen Teil seiner Zurechnungsfähigkeit eingebüßt hat oder besser denken Sie an einen, der ein Todesverbrechen begangen. Das Bewußtsein seiner That, die Reue kommt über ihn und damit die Qual der Gewissensbisse. Die Furien lassen ihm keinen ruhigen Augenblick mehr, sie durchtoben seine Tage, sie umringen sein Lager, auf dem er umsonst Ruhe sucht. Seine That offen zu bekennen, vor der weltlichen Ge

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