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Vorbei war es für immer mit der ein gerüttelt und geschüttelt Maß beschiemarklosen Weltbürgerei, dem ästhetisch- | den war. kritischen Tändeln; vorbei mit dem Spiel philosophischer Spekulation, wenn sie nicht, wie bei Fichte, der nationalen Sache sich dienstbar machte.

Mochte auch die Luise" von Voß, unfindbarer Beziehungen zur schönen Königin verdächtig, auf den Listen der verfemten Bücher an oberster Stelle stehen, mit plumpen Polizeifäusten war das feine Gewebe deutschen Geisteslebens nicht zu fassen. „Die Ideologie,“ erzählt Perthes, ,,die Ideologie, wie Napoleon das ihm im Wege stehende Geistige nannte, das heißt den Sinn für Wahrheit, die Liebe zu Gott, die Furcht vor ihm, und den uns unvertilgbaren Trieb, den Ursprung der Dinge zu erforschen zu alledem zu alledem drangen Davoust und seine Genossen und Gehilfen nicht, und so wurden die Grundsäße wahrer Ordnung, Freiheit und Nationalität wie ein stummes Geheimnis unter uns bewahrt, bis die Morgenröte fam."

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Und die Morgenröte kam. Zuerst und am leuchtendsten ging fie am litterarischen Horizonte auf. Mit den wehmütigen Accorden:

Was blichst du doch zu Boden schweigend nieder,
Durch ein Portal siegprangend eingeführt?
Du wendest dich, begrüßt vom Schall der Lieder,
Und deine starke Brust, sie scheint gerührt.
Blick auf, o Herr! du kehrst als Sieger wieder,
Wie hoch auch jener Gäjar triumphiert:
Ihm ist die Schar der Götter zugefallen,
Jedoch den Menschen hast du wohlgefallen.

begrüßte Heinrich v. Kleist den heimkehrenden König und schloß mit dem tapferen Trost:

Und müßt auch selbst noch auf der Hauptstadt Türmen
Der Kampf sich für das heil'ge Recht erneu'n :
Sie sind gebaut, o Herr, wie hell sie blinken,
Für bere Güter in den Staub zu sinken!

In Kleist fand die politische Leidenschaft den überwältigendsten Ausdruck. Brennender als irgend ein anderer empfand der Nachfahr des berühmten Soldatengeschlechts die Schmach seines Vaterlan des. In Preußens Leiden ging ihm alles Leid, selbst das eigene auf, davon ihm

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Den Zeitgenossen so gut wie unbekannt, wurde er der begeistertste Rufer im Streit, ein eifernder Apostel jenes unversöhnlichen Hasses, der den Kaiser nicht wie einen. den anderen Fürsten gleichstehenden Herrscher betrachtete, sondern wie einen Käuber und Bösewicht, einen Vogelfreien, der alle Freiheit und alles Recht und Gesez verraten habe“.

Diesen Haß zur Zeit politischer Ohnmacht zu bethätigen, griff er zu jeder Waffe. Pamphlete, Satiren, Erzählun= gen, Journalartikel entströmten, von keinem ästhetischen Bedenken gehemmt, seiner fliegenden Feder. Die gewaltigste Rachehymne aller Zeiten klang von seinen Lippen, da er fragte:

Stehst du auf, Germania?

Ist der Tag der Rache da?

Wo in dem ganzen, weiten Bezirke deutscher Dichtung wären Töne zu finden, die sich an sprühender Glut mit einer Strophe messen dürften, wie:

Alle Triften, alle Stätten
Färbt mit ihren Knochen weiß;
Welchen Rab und Fuchs verschmähten,
Gebet ihn den Fischen Preis;
Dämmt den Rhein mit ihren Leichen,
Laßt, gestäuft von ihrem Bein,
Schäumend um die Pfalz ihn weichen
Und ihn dann die Grenze sein ! -?

Einem tosenden Bergstrom gleich, in atemloser Hast braust der Grimm seiner Rede dahin. Kein Ausdruck, kein Bild thut ihm Genüge, den Mörder vaterländischer Größe zu brandmarken, den er „einen bösen Geist, den Erzfeind, den Anfang alles Schlechten, das Ende alles Guten" nennt. Auf keinen wie auf ihn hat die Mahnung fördernder gewirkt, mit der A. W. Schlegel im Frühjahr 1808 seine Vorlesungen über dramatische Kunst und Poesie zu Wien einleitete, wo es heißt: Unser historisches Schauspiel sei denn auch wirklich allgemein national. Es hänge sich nicht an Lebensbegebenheiten von einzelnen Rittern und kleinen Fürsten, die auf das Ganze keinen Einfluß haben; es sei wahrhaft historisch, aus

der Tiefe der Kenntnis geschöpft, und verseze uns ganz in die große Vorzeit. In diesem Spiegel lasse uns der Dichter schauen, sei es auch zu unserem tiefsten Schamerröten, was die Deutschen vor alters waren und was sie wieder werden sollten. Er lege uns ans Herz, daß wir

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In der Schilderung römischer Gewalt und Hinterlist springt die Bonapartesche Art mit greller Frische in die Augen; die deutschen Rheinbundfürsten, die Könige von Napoleons Gnaden sind mit Händen zu greifen.

Es hieße jedoch an Kleist sich versünDeutsche, wenn wir die Lehren der Ge- | digen, wollte man dies dahin deuten, als schichte nicht besser bedenken als bisher, in Gefahr sind ganz aus der Reihe der selbständigen Völker zu verschwinden.

Aber so unbekümmert sind wir Deutsche noch immer in unseren wichtigsten Na- | tionalangelegenheiten, daß selbst die bloß historische Darstellung unserer historischen Vergangenheit hier noch sehr im Rückstande ist."

Kleist war ein gelehriger Schüler: er schrieb Die Hermannschlacht". Auch hier sang er das hohe Lied der Rache. Sein Cheruskerfürst ist ganz der ungebändigte Sohn des Teutoburger Waldes, listig, verschlagen, vor keinem noch so zweideutigen Mittel zurückschreckend, aber in der Wahrhaftigkeit seines Hasses von hinreißender Größe.

Ein Vergleich mit Klopstocks gleichnamigem Drama läßt deutlich den ungeheuren Umschwung im deutschen Dichter gemüt erkennen. Dort mutet alles kalt, farblos, selbst fraßenhaft an. Ohne Anschauung für den Sinn, ohne Leben und Wahrheit, ist es der dürftige Aufguß klassischer Bücher- und Schulweisheit; alles Nationale verschwimmt noch in der weichlichen Gespreiztheit ossianischer Nach ahmung; hier pulst volle Wirklichkeit, strotzend von schäumender Kraft und frei von aller Phrase. Einen Bardengesang wie den Kleistschen, der als Motto vor jeder Geschichte der Befreiungskriege stehen müßte, hätte der ehrliche Klopstock_nim- · mer zu stande gebracht:

Wir litten menschlich seit dem Tage,
Da jener Fremdling eingerückt;
Wir rächten nicht die erste Plage,

Mit Hohn auf uns herabgeschickt;
Wir übten nach der Götter Lehre

Uns durch viel Jahre im Verzeihn:
Doch endlich drückt des Joches Schwere
Und abgeschüttelt will es sein!

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wäre nur Haß sein Handwerk, nur Rache
sein Gewerbe gewesen. Er hatte seinem
gebeugten Volke Tröstlicheres zu bieten.
Sein Prinz von Homburg" zeugt von
einer Liebe zum Vaterlande, wie sie kein
Dichter vor oder nach ihm tiefer und rei-
ner im Herzen getragen; zeugt von dem
unerschütterten Glauben an Preußens
weltgeschichtlichen Beruf. Klingt es nicht,
als eile sein Geist auf Jahre voraus und
sähe den alten York in der Mühle von
Poscherun, wenn der Oberst Kottwig dem
Kurfürsten entgegnet:

Herr, das Gesetz, das höchste, oberste,
Das wirken soll in deiner Feldherrn Brust,
Das ist der Buchstab deines Willens nicht;
Das ist das Vaterland, das ist die Krone,
Das bist du selber, dessen Haupt sie trägt!

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Nachträglich die Zukunft eines Staates in pomphaften Versen zu prophezeien, fordert von dem Besizer eines leidlichen Geschichts - Handbuches keinen Überschwang an dichterischer Begabung; der Genius offenbart sich dagegen in ganzer Göttlichkeit, wenn, wie hier, ein Poet zur Zeit tiefster Entwürdigung die strahlende Größe seines Vaterlandes mit der Sicherheit des Sehers vorausverkündet:

Das Vaterland, das du uns gründetest,
Steht eine feste Burg, mein edler Ohm:
Das wird ganz andre Stürme noch ertragen,
Fürwahr, als diesen unberufnen Sieg;
Das wird sich ausbaun herrlich, in der Zukunft,
Erweitern unter Enkels Hand, verschönern,
Mit Zinnen, üppig, jeenhaft, zur Wonne
Der Freunde und zum Schrecken aller Feinde.

Voreilig, noch ehe der heiß ersehnte Erntetag gekommen, hat sich der Friedund Heimatlose aus dem Leben gedrängt; um so treuer soll sein Volk daran gedenfen, was er ihm zur Zeit der Aussaat gewejen!

Unaushaltsam hatte sich inzwischen die Umgestaltung der Geister vollzogen. Je schonungsloser die Franzosen dem Deutschen den Fuß auf den Nacken seßten, je eifriger ihre Spione und rheinbündischen Spießgesellen nach jedem beschriebenen oder gedruckten Feßen fahndeten, desto unermüdlicher wehte und webte der vaterländische Gedanke um Schreibtisch und Druckpresse. Der wackere Palm freilich war unter ihrem meuchelmörderischen Blei verblutet, aber das unsichtbare, ungreifbare Etwas, das wie ein Hauch zwischen den Zeilen, wie ein Duft über dem andeutenden Worte, dem umschreibenden Bilde schwebte, war gegen ihre Kugeln gefeit; ja, es währte nicht lange, und die deutsche Dichtung trat offenen Visiers dem Dränger entgegen.

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Wie ein Blizz schlug die Siegeskunde von Aspern in das dumpfe Rachebrüten. Mit Heinrich v. Kleist jauchzte auch Theodor Körner dem Überwinder des Unüberwindlichen“ zu und rief „den Manen der gefallenen Helden seines Herzens ganzen Jubel in den Frühling ihrer Welten“ nach.

Der Kampf in den Tiroler Felsenklüften, das Blutgericht von Mantua, Dörnbergs Erhebung und der an die Mären grauer Vorzeit gemahnende Ritt des schwarzen Welfenfürsten hallten in Wort und Lied durch alle Lande. Um Schill aber, den kühnen Freibeuter, der „ein Ende mit Schrecken" lieber als einen Schrecken ohne Ende" wollte, leuchtete der verklärende Glanz romantischen Opfermutes. Schenkendorfs wahlverwandte | Muse lich dem heldisch Gefallenen die Geisterstimme:

Und im Herzen hat's gettungen,
In dem Herzen wohnt das Recht:
Stahl, von Männerfaust geschwungen,
Rettet einzig dies Geschlecht.
Haltet darum fest am Hasse,
Kämpfe redlich, deutsches Blut.
„Für die Freiheit eine Gasse!"
Dacht ein Held im Todesmut.

Freudig bin auch ich gefallen,
Selig schauend ein Gesicht.

Von den Türmen hört ich's schallen,
Auf den Bergen schien ein Licht.

Tag des Voltes, du wirst tagen,
Den ich oben feiern will,

Und mein König selbst wird jagen:
Ruh in Frieden, treuer Schill!

Schenkendorf mußte des gelähmten rechten Armes wegen mit der Linken schreiben. Man spürt es: sie war dem Herzen um so näher. Wie denn überhaupt dieser liederfrohe Ostpreuße, der den habsburgischen Kaiser besang, dieser bibelfeste Prote= stant, der die heroische Standhaftigkeit des Statthalters Christi pries, dieser Junker von ältestem Landgeschlecht, der die stolze Blüte deutschen Städtelebens feierte und sich der Ehre freute, in Reih und Glied mit freien Bauern ins Feld zu ziehen, zu den eigenartigsten Erscheinungen gehört, welche diese Jahre zeitigten, nur diese Jahre zeitigen konnten.

Gleich ihm blickte der junge dichterische Nachwuchs geringschäßig auf das rein litterarische Genießen herab. Die objektive Ruhe und Abgeschlossenheit der klassischen Zeit blieb diesen Feuerseelen ein Unbegreifliches, galt ihnen für ein Verlengnen edelster Regungen. Nicht Geist und Bildung, sondern Opferfreudigkeit, Begeisterung, Leidenschaft heischten sie als erstes, unerläßliches Erfordernis vom echten Dichter. Hatte das abgeklärte Griechentum „aus Religion zu keiner der vorhandenen Religionen sich bekennen“ wollen, so huldigten sie einer innigen, von den katholisierenden Anwandlungen der Romantiker unberührten Gläubigkeit. Die Not hatte sie wieder beten gelehrt, demütig und herzhaft, wie einst Luther mit seinem Herrgott geredet.

Wer ist ein Mann? Wer glauben kann.
Inbrünstig, wahr und frei;

Denn diese Wehr bricht nimmermehr,

Sie bricht kein Mensch entzwei

sang Ernst Moritz Arndt, der, im Vers wie in Proja die markige Gesundheit seines Wesens wahrend, den vaterländischen und friegerischen Stimmungen seiner Zeit den volkstümlichsten, Herz und Nieren packenden Ausdruck verlieh.

Tiefbewegte Trauerklänge machten für geraume Frist die troßigen Weisen ver

stummen. Friedrich Wilhelms ahnungsschweres Wort: „Weil sie meine Frau ist, darum stirbt sie gewiß!" hatte sich erfüllt: die königliche Dulderin war heimgegan gen. Ein heiliger, lange nachzitternder Schmerz durchbebte das deutsche Saiten spiel, an dem Sarge der Frühverklärten klagend:

Roje, schöne Königsroje,

Hat auch dich der Sturm getroffen ?
Gilt kein Beten mehr, fein Hoffen
Bei dem schreckenvollen Loje?

Aber ihr jäher Tod spornte auch und schürte den Haß wider die Fremdherrschaft, als deren vornehmstes Opfer die milde Frau betrachtet wurde. Hatte doch ihre lehte Sorge, ihr leßter banger Seufzer noch dem Vaterland gegolten. „Ade, Germania!" stammelten bei der Kunde von Österreichs Niederlage ihre erkaltenden Lippen, dann brach das hochgemute Herz, das dem gekrönten Plebejer in den Tagen tiefster Demütigung den Zauber deutscher Frauenwürde bewiesen. An ihrem Bilde erbaute und stärkte sich die ganze Nation zu mannhaftem Ausharren und Wagen. Das Gelöbnis:

Kommt dann der Tag der Freiheit und der Nache, Dann ruft dein Volk; dann, deutsche Frau, erwache, Ein guter Engel für die gute Sache!

gab ihr Theodor Körner zum Scheidegruß mit, und der Name „Luise" wurde fortan der Feldruf für alle, denen ein warmes Gefühl für vaterländische Ehre und Sitte noch den Busen hob.

Der leise weinende Gram verschärfte sich zum gellenden Entrüstungsschrei, als Napoleons russische Heerfahrt die fümmerlichen Reste des Hohenzollernstaates vollends niederzutreten drohte. Immer dringender, immer unabweisbarer äußerte sich das Verlangen nach einem Verzweif lungskampfe, nach einem letzten heiligen Krieg". Selbst Gneisenau griff in die nur selten gerührte Harfe, den zaudernden König zur That eines Curtius, zum ehrenvollen Untergange fortzureißen:

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Noch aber hatte die große Stunde nicht geschlagen. Preußen mußte Frankreich die geforderten Schergendienste leisten, und tiefe Entmutigung beschlich die Gemüter. Nur die unbestimmte Erwartung eines im Schoße der nächsten Zukunft verborgenen Verhängnisses ließ auch die Besten nicht verzagen. Und siehe da! das erlösende Verhängnis brach herein, grauenvoll und erbarmungslos über menschliches Hoffen und Ermessen hinaus. Ein Heer, wie es seit Xerxes die Erde nicht erschüttert, lag begraben unter Schnee und Eis.

Während es vom Osten her im Bänkel-
sängerton von Mund zu Munde ging:
Der Kaiser auf der Flucht,
Soldaten ohne Zucht.

Mit Mann und Noß und Wagen
So hat sie Gott geschlagen.

suchte Stägemann an der Brandstätte des hunderttürmigen Kremls die schwelende Glut im preußischen Herzen zur lohen, Feuergarbe zu entfachen:

Wehet wütend, Flammenflocken, Stürmt, ihr unsichtbaren Glocken, In die Adern, die noch stocken! König Friedrich Wilhelm verlegte seine Residenz nach Breslau, unter seinen Fenstern ließen Jahn und Steffens die Werbetrommel rühren, ganz Preußen klirrte in Stahl und Eisen, und mit dem Freudenrufe:

Frisch auf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen! Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht eilte der Dichter des „Zriny", Schillers vielgetreuer Jünger, aus der üppigen Phäakenstadt unter die preußischen Fahnen, die Brust von stolzen Hoffnungen geschwellt:

Sei mir gegrüßt im Rauschen deiner Flügel!
Das Herz verheißt mir Sieg in deinem Zeichen.
Durch! edler Aar! Die Wolken müssen weichen!'
Fleug rächend auf von deiner Toten Hügel.

Dem tapferen Obersachsen wird es ewig unvergessen bleiben, daß er sich nicht, gleich den anderen klein- und mittelstaatlichen Poeten, daran genügen ließ, ausschließlich durch die Kunst zu wirken, sondern den jungen preußischen Dichtern sich

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zugesellte, die, Kants erhabener Lehre von der „verdammten Pflicht und Schuldigkeit" eingedenk, bis auf den lezten Mann zu den Waffen griffen. Konnte Stägemann, durch sein Amt zurückgehalten, das Landwehrkreuz nicht an die Müße heften, etwas Köstlicheres denn das eigene Leben hatte er als Ersay zu bieten:

Elisabeth, auf, rüste den Sohn! Du hast
Dem Vaterland ihn freudig geboren.

Die Männer der Wissenschaft wollten nicht zurückbleiben. In den Reihen des Landsturms schwang Fichte unter schallendem Hurraruf seine Pike, indessen der große Grieche Buttmann über die unlösbaren Geheimnisse des Rechts- und Linksummachens schier verzweifelte.

Die Eindrücke dieser gewaltigen Tage haben zur Zeit der Ernüchterung unter den ehemaligen Freiwilligen noch erquickende Früchte reifen lassen. Ihnen verdanken wir Holteis unsterbliches,,Mantellied", ihnen Immermanns,,Trauerspiel in Tirol" und Wilibald Alexis' vaterländische Romane, welche in keiner Bücherei eines deutschen Haushaltes fehlen dürften. Von den Ufern der Oder klang es:

Last brausen, was nur brausen kann,
In hellen lichten Flammen!

Ihr Deutschen alle, Mann für Mann,
Fürs Vaterland zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan!
Und himmelan die Hände!

Und schwöret alle, Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!

Die Winde trugen es weiter, und bald hallten es die Gestade des Mains und Neckars wieder. Siegkündend wie die Fanfaren von Fehrbellin und Hohenfriedberg schmetterten Arndts und Fouqués Lieder zwischen die Orgeltöne und Glockenklänge eines Rückert und Uhland. Alle Welt verstand jezt die stolzen preußischen Weisen. Frohlockte das schlesische Heer: Fahrt wohl, ihr Franzosen, zur Ostsee hinab! Und nehmet, Ohnehojen, den Walfisch zum Grab! so fielen jubelnd Nord und Süden ein:

Drum blajet, ihr Trompeten, Hujaren heraus!
Du reite, Herr Feldmarschall, wie Winde im Saus!
Dem Siege entgegen, zum Rhein, übern Rhein,
Du tapierer Degen, in Frankreich hinein!

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Daß sich der Olympier in Weimar von dem Ungestüm dieser jungen Litteratur unbequem berührt, die grau gewordene Weltbürgerlichkeit von den Kraftäußerungen selbstbewußten Deutschtums sich abgestoßen fühlte, ist um so begreiflicher, als es neben dem Wertvollen und Bleibenden auch an den flüchtigen Erzeugnissen des Tages nicht fehlte, die sich der unritterlichen Waffe niedrigster Schmähung bedienten; gleichwohl ist und bleibt es eine beklagenswerte Schicksalsfügung, daß der erste Mann der Nation der politischen Wiedergeburt seines Volkes wie ein Fremdling gegenüberstand.

Schon 1808, da Napoleon seine deutschen Vasallen zu Erfurt und Weimar Revue passieren ließ, die Geister ringsumher noch in tiefer Betäubung lagen und nur der niemals genug gewürdigte Stägemann die unterwürfigen Rheinbundskönige mit dem vorwurfsvollen Gruß empfing:

Dem tapfern Volk einst Söhne vom Göttersproß, Auf Thronen einst, demütige Schemel nun Des Fußes, der vom Siz des Ahnherrn, Frech von dem ehrenden Sih euch wegstießt! Schlaftrunken ihr, betäubt von dem heuchelnden Anhauch des Giftbaums, während Germaniens Schlafloser Gram dem heißen Siechbett Achzend entwankt, ein gequälter Nachtgeist! hatte Goethe weniger die Demütigung seines fürstlichen Freundes als die Genugthuung empfunden, im Dunstkreis imperatorischer Größe atmen zu dürfen, von dem Bändiger so vieler gekrönter Häupter beachtet und aufgesucht zu werden.

Über die Trübsal der nächsten Jahre hatte er sich mit dem leidigen Troste hinweggeholfen: „Wenn wir einen Platz in der Welt finden, da mit unseren Besißtümern zu ruhen, ein Feld uns zu nähren, ein Haus uns zu decken; haben wir da nicht ein Vaterland? Und haben es nicht tausend und Tausende in jedem Staat? Und leben sie nicht in dieser Beschränkung glücklich? Wozu nun das vergebene Aufstreben nach einer Empfindung, die wir weder haben können noch mögen, die bei gewissen Völkern nur zu gewissen Zeitpunkten das Resultat vieler glücklicher

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