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sprang von den Pferden, Thüren kreischten in den Angeln, Fackellicht sprühte auf und Stimmenwechsel ward hörbar. Titos Herz klopfte in banger Erwartung. Endlich hieß man auch ihn herabsteigen, nahm ihm, als er auf den Füßen stand, die Binde von den Augen, und nun gewahrte er, daß er sich auf dem Domplaß eines ihm unbekannten Ortes befand, daß die Kirche geöffnet und erleuchtet war, und daß man eben unweit von ihm eine vermummte weibliche Gestalt aus dem Sattel hob.

zu kommen, das sie schon bei Titos Ein- | leises Kommando der ganze Haufen. Man bringung angewandt hatten. Sie warfen ihm einen Strick um den Leib, und halb gezogen, halb geschoben mußte das unglückliche Opfer all dieser für ihn rätselhaften Vorkommnisse sich in einen leichten Trab sehen, und so bergauf, bergab auf abscheulichen Gebirgspfaden, die seinen beiden Begleitern so glatt vorzukommen schienen wie Marmorfußböden, davonhasten. An einer Stelle des Weges wurde plößlich Halt gemacht, und wieder schlang sich die eng anschließende Binde um Titos Augen. Dann eilte man weiter, bis Signalpfiffe ertönten und gleich danach Pferdegetrappel hörbar ward. Nun hieß man Tito in den Sattel steigen. Er bat, ihm die Binde abzunehmen, da er, ohnehin kein Reiter, anderenfalls unfehlbar herabfallen werde. Aber der Brigant tröstete ihn, er solle sich nur an Mähne und Sattel festklammern, und er selber werde das Pferd neben dem seinigen am Zügel führen.

Dann sezten sich die Pferde auf den Zuruf des Briganten erst in scharfen Trab, dann in Galopp, und die kleine Kavalkade sauste auf der glatten Chaussee dahin, daß dem armen Tito Hören und Sehen verging und er sich, den Zaum fahren lassend, mit beiden Händen am Sattelknauf festhielt und wie ein Affe zusammenhockte, den ein Kamel davonträgt. Eine geraume Weile hindurch war nichts vernehmbar als das Klappern der jagenden Hufe auf dem harten Boden, hin und wieder ein kurzer Pfiff des Briganten an Titos Seite und das Sausen des Nachtwindes in den Alleebäumen. Plößlich ward Halt kommandiert, von verschiedenen Seiten her ertönten Signale, die erwidert wurden, neue Reiter galoppierten aus einer anderen Gegend heran und ein groBer Trupp sezte sich nunmehr langsamer in Bewegung. Tito begriff von dem allen nicht das geringste. Nach wenigen Minuten merkte er aber, daß die Pferdehuse auf dem Pflaster städtischer Gassen klapperten, hier und da drang Lichterschein durch seine Binde, und nun hielt auf ein

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Eine Ahnung, wie von etwas Unerhörtem, durchzuckte ihn und machte ihn sekundenlang gleichsam trunken, so daß er meinte, nicht mehr auf seinen Füßen stehen zu können. Dann umringten ihn schon ein paar Briganten und geleiteten ihn in das Innere der Kathedrale, das Tito mit wankenden Knien, sich unablässig bekreuzend, betrat. Durch eine andere Pforte war die jezt gleichfalls ihrer Binde entledigte Frauengestalt mitten in einem Schwarm von Briganten eingetreten. Auf dem Hochaltar brannten die mächtigen Wachskerzen in den silbernen Leuchtern und warfen flackernde Reflexe über die Pilaster des Mittelschiffs und die dunkel gebräunten Heiligenbilder an den Wänden. Ein Priester in vollem Ornat stand neben dem „schwarzen Bären“ auf der untersten Altarstufe in eifrigem Gespräch. Er war in sichtlicher Angst, zitterte am ganzen Körper und hob wie beschwörend die gefalteten Hände zu dem Briganten empor. Der aber redete, den Schlapphut in der Hand und in seiner gewohnten Kleidung, den Gurt von Waffen stroßend, mit düsterem Ernst auf den alten kleinen Priester ein und machte hin und wieder eine bezeichnende Gebärde nach seinem Revolver hin. „Und macht's kurz, Padre!" hörte Tito ihn endlich sagen und sah ihn zurücktreten.

Dann verschwamm und verklang ihm alles vor den Augen und Ohren. Er erkannte nur noch ganz deutlich und mit tödlich - wonnigem Erschrecken Gioconda

Delverdes Züge dicht neben sich, die mit düsterer Verschlossenheit, ohne ihn anzu sehen, vor sich hinstarrte; er wollte sie anrufen, wollte ein einziges Wort zu ihr sprechen, das ihr sagen sollte, wie er sie liebe, wie er an dieser ganzen Veranstaltung unschuldig sei und wie er doch wieder von seligem Entzücken dadurch heimgesucht werde. Aber das Wort erstarb ihm auf der Zunge und er konnte nicht reden. Er konnte sie nicht bei Namen rufen und sie nicht bitten, ihn doch wenig stens einmal anzusehen. Die Orgel hatte, eingesetzt, die Chorknaben schwangen die Rauchfässer, der Priester begann seines Amtes zu walten.

Kommando, aufzubrechen, trat auf den erschöpft sich an eine Säule des Hochaltars lehnenden Greis zu, schüttelte ihm dankend die beiden Hände und ließ einen Lederbeutel mit Geld in die Finger des Ministranten gleiten. „Leset ein paar Messen dafür, Padre!" sagte er und nickte dem Priester wohlwollend zu; „Ihr habt ein gutes Werk gethan, und der liebe Gott im Himmel wird es Euch lohnen. Vor dem Bischof aber rechtfertigt Ener Vorgehen nur damit, daß ich geschworen, Euch die Kirche über dem Kopfe anzustecken, wenn Ihr mir nicht zu Willen wäret. Wenn Seine Eminenz sich damit nicht zufrieden geben sollte, so red ich selber schon noch ein Wörtlein zu Euren Gunsten mit ihm. Und nun gehabt Euch wohl, Padre, und schlaft Euren nächtigen Schrecken aus!"

Er kürzte die Ceremonie nach Möglich keit ab, immer den Blick auf den funkeln den Revolver im Gurt des Briganten hauptmanns gerichtet, der als Hauptzeuge bei dieser Trauung fungierte; er sprach mit so bebender Stimme den Segen, daß | hinaus. Draußen aber waren die Bri

man ihn kaum vernahm, zumal allmählich allerlei aus dem Schlaf aufgestörtes Geindel in die Kirche nachgedrängt war und das Gotteshaus mit Stimmengebrause und wildem Gebärdenspiel erfüllte; aber der schwarze Bär" wachte genau darüber, daß alles streng nach der Form vor sich ging, und trat nicht eher von der untersten Stufe, auf der er zur Seite des Brautpaares neben dem Altar gestanden hatte, zurück, als bis die unauf löslich bindenden Trauworte der Kirche gesprochen waren. Dann erteilte er das

Damit ging er hallenden Schrittes

ganten, von einem neugierig gaffenden Pöbelhaufen umringt, schon wieder auf den Pferden, das neu vermählte Paar, das noch kein Wort miteinander gesprochen hatte, mit verbundenen Augen in ihrer Mitte. Der schwarze Bär" hielt kurze Überschau, schwang sich dann gleichfalls auf sein Pferd und rief lachend zurück: „Meinen Gruß an die Herren Karabinieri!" Und in sausendem Ga| lopp, gleich als wäre die wilde Jagd losgelassen, stob der Schwarm in die Nacht davon. (Schluß folgt.)

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Inter den Hauptstädten Europas bieten besonders zwei das Beispiel eines rapiden Wachstums und einer sich innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit vollziehenden radikalen inneren Um gestaltung: Berlin und Budapest. Jedem, der sie kennt und miteinander vergleicht, drängt sich diese Ähnlichkeit auf, welche auf eine verwandte mächtige Lebens- und Triebkraft in ihrer Bevölkerung hinweist. Aber kaum ist gleichzeitig eine größere Verschieden, eit zu denken als die zwi schen der natürlichen Lage, den Lebensbedingungen, dem Bevölkerungscharakter und der Vorgeschichte beider Hauptstädte.

Wer sich gleich bei dem ersten Eintritt in das Weichbild von Budapest der ganzen Schönheit dieser Lage bewußt werden will, muß sich von der Flut des mäch

I.

tigen Stromes zu ihr hintragen lassen, welcher die uralte Völkerstraße aus dem Herzen Deutschlands zu den Ländern und Meeren Asiens bildet. Im Dampfer während eines langen schönen Sommertages zur ungarischen Hauptstadt fahrend und im Augenblick des Sonnenuntergangs und bei aufgehendem Vollmonde, an der waldigen Margareteninsel vorüber, diesem prächtigen Stadtbilde entgegenschwimmend nur so empfängt man den Eindruck seiner ganzen Herrlichkeit sofort in voller Stärke. Der Charakterzug, welcher die Erscheinung der durch den Strom getrennten, durch die drei grandiosen Brücken verbundenen Doppelstadt von den meisten anderen auf beiden Ufern eines solchen gelegenen Städten so wesentlich unterscheidet, ist die totale Verschiedenheit der Terrainformation dieser

Hälften und damit der ganzen Anlage, der Gruppierung, der Silhouette der lezteren. Das linke östliche Ufer, auf welchem Pest sich ausbreitet, ist weithin durchaus flach und eben. Das rechte, an dem sich Buda erhebt, steigt in seinem südlicheren Teil schon ganz nahe dem Strom zu steilen, troßigen Höhenrücken auf, die nach Süden hin in dem, von einem alten Kastell gekrönten, sogenannten Blocksberg gipfeln. Mit seinen Felswänden fällt er schroff wie ein Vorgebirge östlich gegen die Donau hin ab. Buda wirkt immer am mächtigsten und eindruck- | vollsten als Ganzes, von Pest vom Strom oder der Kettenbrücke her gesehen, durch diese natürliche Bodenbildung; Pest allein durch seine architektonische Anlage, besonders durch die Gebäudereihen, welche sich längs der Donau hinziehen, teils die schönen Quais flankierend, teils von diesen zurücktretend, prächtige Pläße mit Gartenanlagen umfassend. An diesen Quais legt der Dampfer an, der uns von Wien hierher gebracht hat. Zu ihnen steigen wir hinauf, wenn wir das Boot verlassen haben.

Bauten bereits stark in den Schatten stellen.

Zu einer städtischen Einheit verschmolzen sind die beiden Uferorte Buda (von den Deutschen Ofen genannt) und Pest erst seit dem Jahr 1873 unter dem segensreichen Regiment des Ministeriums Andrassy. In innigem Zusammenhang aber haben sie zu allen Zeiten ihrer Geschichte gestanden, die eine hat meist die Schicksale der anderen geteilt. Ihre Anfänge liegen im frühen Mittelalter. Buda bewahrt sogar in den Resten einer antiken Wasserleitung, antiker Bäder und eines Amphitheaters die Zeugnisse der einstigen Existenz der römischen Kolonie Aquineum, die zur Kaiserzeit auf dieser Stelle des Donauufers begründet worden ist. Die ältesten geschichtlichen Nachrichten über die christlichen Ansiedelungen Ofen oder Buda und Pest datieren aus dem Anfang des elften Jahrhunderts. Dort errichtete Stefan der Heilige, hier der Dominikanerorden Kirchen. Um diese und die feste. Burg Ofen erwuchsen hüben und drüben die Schwesterstädte, die sich zumal durch deutsche Ansiedler rasch vergrößerten. Die Das erste, was sich uns hier von Könige aus der Arpad-Dynastie statteten der Stadt in der Nähe und im Detail die nach der Vernichtung durch die Monzeigt, ist diese Flucht von großen Hotels, golen wieder neuerstandenen Städte reich Palästen, von Geschäftshäusern großer mit wichtigen Privilegien aus, residierten Gesellschaften, von monumentalen öffent auch wohl bereits auf dem damals bald lichen Gebäuden. Das alles trägt das als Pester, bald als Ofener bezeichneten architektonische Gepräge einer großen mo- Burgberge. 1286 wurde auf dem Rakosdernen europäischen Hauptstadt. Es mas- | felde bei Pest durch eine Versammlung fiert nach dieser Stromseite hin sehr wirk, des ungarischen Adels der erste Grund fam die dahinter liegende Hauptmasse zu dem späteren Reichstage der Nation Pests mit jenem Gewirre von Straßen gelegt. und Gäßchen, die zum Teil noch wenig verändert die Physiognomie der einstigen schmucklosen, bescheidenen, ja etwas schäbigen ungarisch - deutschen Landstadt bewahrt hat. Aber auch in diesen Teilen sind stellenweise bereits architektonische Neuschöpfungen entstanden, Straßen erwachsen, die durch Großartigkeit der Anlage und künstlerische Schönheit und Vornehmheit der Ausführung und gesamten Erscheinung jene etwas älteren, die Quais und die Plähe am Fluß begrenzenden

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Ich verzichte darauf, hier die Geschichte Budapests während der folgenden ereignisreichen Jahrhunderte zu erzählen. Man kann sie in jeder Encyklopädie nachlesen und findet ihre Hauptdaten in jedem Reisehandbuch und Führer für ÖsterreichUngarn. Diese Geschichte ist so reich an blutigen Greueln, an Gewaltthaten, erbitterten Kämpfen, brutalen Justizmorden, grausigen Rachethaten, erschütternden und heroischen Martyrien, wie die irgend einer anderen bedeutenden und vielumworbenen

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ständischen Gegenpartei zu Preßburg mit der königlichen Würde bekleideten Schwager des bei Mohacz gefallenen Ludwig. Ferdinand von Österreich, die Städte räumen. Doch nur zwei Jahre währt dessen Herrlichkeit. Mit überwältigender Macht kehrt der Sultan 1522 zurück, erstürmt die Schwesterstädte in wenigen Stunden, und als türkischer Vasall nimmt Zapolya noch einmal seine Residenz in Ofen. Nach dessen Tode ward Festung und Schloß der Sig eines türkischen Paschas, während gegenüber Pest von österreichischen Truppen genommen und beseßt gehalten blieb. Damals begann jene anderthalb Jahrhundert währende Türkenherrschaft für den größten Teil Ungarns, welche die bereits erreichte, hoch entwickelte Kultur des Landes und seiner gewerbsleißigen Städte vernichtete und es jener Verwahrlosung anheimgab, welche das Schicksal aller dieser Macht unterworfenen Länder und Völker Europas und Asiens gewesen ist.

Hauptstadt. Auch sie liefert wieder andererseits den Beweis, wie viel ein Volk aushalten kann an physischem und moralischem Elend, ohne völlig zu Grunde zu gehen. So konnten alle jene Jahrhunderte währenden Parteifämpfe und Bürgerkriege, welche teils durch die verschiedenen Thronprätendenten in dem Wahlkönigreich entfacht, teils zwischen dem troßigen Adel und dem Königthron ausgefochten wurden, die fortschreitende Entwickelung der Städte Pest und Ofen nie völlig ins Stocken bringen. Dem zähen ausdauernden Fleiß, der inneren Kraft und Tüchtigkeit der deutschen Kolonisten zumal gelang es immer wieder, die Wunden auszuheilen. In langen Zwischenräumen that dann die glückliche Regierung eines großen Herrschers von klarem Blick, gutem Willen und ungewöhnlicher genialer Kraft noch das Ihrige hinzu, um, wie das ganze Volk und Land, so auch die beiden Hauptstädte zu einer neuen hohen Stufe des Wohlstandes, der geistigen und materiellen Blüte zu er- Erst im Jahre 1686, nachdem die heben. So geschah es unter dem und türkische Macht zum zweitenmal an den durch den großen Matthias Corvinus Wällen Wiens gescheitert war, gelang es († 1490), dessen Regierungszeit die Glanz- den kaiserlichen Heeren unter Karl von epoche der mittelalterlichen Geschichte Lothringen nach langer Belagerung und Budapests bildet. Nach seinem Tode furchtbaren Stürmen, bei welchen die bricht das alte Elend der wilden blutigen ganze Stadt in Flammen aufging, Ofen Parteikämpfe um Thron und Macht von zurückzuerobern. Von da ab beginnt neuem mit voller Wut aus. Und noch ein unter österreichischem Scepter eine sturmanderes furchtbareres Unheil tritt hinzu. freiere, lange friedliche Epoche für beide Die Türken ergießen sich nach der gelun- Städte. Allmählich erhoben sie sich aus genen Eroberung Konstantinopels über ihrem tiefen Verfall, erweiterten und verden europäischen Osten, und das durch jüngten sich. Einen ungeahnten kräftigen die inneren Parteikämpfe zerrüttete Un-Aufschwung nahm die Neuentwickelung garn erliegt dem wütenden Ansturm der Schwesterstädte unter dem nach der der Barbaren. In der Schlacht bei Mo- | Kaiserkrönung Franz' I. eingesehten Rehacz 1520 wird die Blüte der ungari giment des Palatin Erzherzog Joseph schen Ritterschaft mit ihrem Könige dahin-| gemäht, Ofen durch Sultan Soliman wenige Wochen später erobert, geplündert und verbrannt, Pest dem gleichen Schicksal preisgegeben. Aber Soliman hält seine Beute nicht fest, sondern sezt den Woiwoden von Siebenbürgen Johann Zapolya | als König ein. Schon im nächsten Sommer aber muß derselbe dem von der

(1792). Schon zu dieser Zeit zeigt sich jene eigentümliche, für die Kulturentwickelung des modernen Ungarn so charakte= ristische Erscheinung, die wir dort bis diesen Tag beobachten können und die fast ohnegleichen in allen anderen Ländern ist (kaum, daß noch England auf gewissen Gebieten ein ähnliches Schauspiel gewährt): der hohe Adel der Nation stellt

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