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mödie“, der dritte Teil, bleiben. Hier tritt ein gewisser Markus Schwarz auf, mit dem Bewußtsein, der nun rund 1854 Jahre alte Ahasver zu sein. Ist solche poetische Fiktion in moderner Umgebung noch erlaubt? Ist diese Vorstellung nicht grauenerregend? Freilich läßt uns der Verfasser in seinem dämonischen Humor am Schlusse des tollen Spieles auch bei Morgendämmerung eine Jrrenanstalt sehen! Wer sich um ernsthafte Litteratur noch kümmert, lasse sich diesen ewigen Juden nicht entgehen. Für die gewollte Formlosigkeit im alten Sinn wird er entschädigt durch eine Fülle einzelner Schönheiten und tiefsinniger Ideen. Man bedauert unwillkürlich, daß man nicht hören kann, was wohl der alte Goethe zu einer solchen Dichtung gesagt hätte.

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Sicherlich als ein gutes Zeichen der Zeit ist die Erscheinung zu begrüßen, daß unsere Fachgelehrten es nicht mehr unter ihrer Würde halten, dem gebildeten Volke die neuesten Ergebnisse ihrer Wissenschaft so schnell als möglich mitzuteilen und in allgemein verständlicher Form vorzutragen. Ein in diesem Sinne sehr lesenswertes Buch ist die neueste Veröffentlichung des allgemeinen Vereins für deutsche Litteratur: Kosmische Weltansichten. Astronomische Beobachtungen und Ideen von M. W. Meyer. (Berlin, E. Paetel.) Der Verfasser hat es meisterhaft verstanden, über sein Gebiet, die Astronomie, so zu plaudern, daß, wer nur lesen gelernt hat, ihm bis in die höchsten Regionen zu folgen vermag, ohne schwindelig zu werden. Ein Werk wie das vorliegende, es besteht aus siebzehn Auffäßen, sollte in feiner größeren Hausbibliothek fehlen. Selbst,,rascher lebende" Menschen werden zu demselben in stillen Stunden der Einkehr öfter zurückkehren, und stets Neues darin zur Erweiterung ihrer eigenen Lebensbetrachtung und Weltanschauung finden.

Die Ungarn feiern im Jahre 1887 das tausendjährige Bestehen ihres Reiches, ein Ereignis, das auch über die Grenzen hinaus freudig begrüßt werden dürfte. Wer dieses in jeder Hinsicht interessante und noch viel zu wenig bekannte Land genauer kennen lernen will, für den empfiehlt sich das soeben erschienene Werk eines Deutsch - Ungarn: Aus dem Reiche der Karpathen. Ungarische Landschafts-, Sitten-, Litteratur- und Kulturbilder von Dr. Adolf Kohut. (Stuttgart, Göschensche Verlagshandlung.) Das Buch zerfällt in eine Reihe frisch, oft glänzend geschriebener Feuilletons, was aber dem Inhalte als solchem nicht zum Schaden gereicht. Die Schilderung von Land und Leuten ist recht anschaulich. Eigentümliche Betrachtungen er

weckt der Aufsaß über Heines Einfluß auf die ungarische Litteratur.

An einen kleineren Kreis von Lesern wendet sich Hans v. Wolzogen mit seinem Buche Kleine Schriften. Erster Band: Über Sprache und Schrift. (Leipzig, E. Schloemp.) Einzelne dieser Abhandlungen wie: „Die Benennung des Löwen bei den Indogermanen“, ,,Frosch-rana batrachos" sind recht lesenswert. Zustimmen wird man dem Verfasser, wenn er in seinen „Proben modernen ästhetischen Stiles" und in der „deutschen Rechtschreibung" gegen den allzu großen Eifer einiger Sprachreiniger Front macht und der historisch gewordenen Schreibweise ihr Recht zukommen läßt. Gar köstlich und freilich auch sehr_betrübend ist die am Schlusse mitgeteilte kleine Satire:,,Der Turmbau zu Babel." Wir sehen daraus, wie selbst die gefeiertsten Schriftsteller des Tages sich Verstöße gegen die Logik unserer Sprache zu schulden kommen lassen, die unglaublich erschienen, wenn sie nicht eben gedruckt vorlägen.

Für Leute vom Fach" oder solche, die sich diesem Berufe zuwenden wollen, ist: Aus der Werkstatt des Schauspielers. Dramaturgische Aufsäße von C. F. Frey. (Leipzig, E. Schloemp.) Der Verfasser, selber Schauspieler, faßt seinen Beruf noch von der idealen Seite auf. Auch für Dilettanten enthält das Buch viele schäßenswerte Winke. In dem, was Frey über Virtuosentum und zumal die Schäden desselben für die Entwickelung kleinerer Kunstinstitute sagt, wird man ihm rückhaltslos beipflichten müssen.

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Briefe von I. S. Turgenjew. Erste Sammlung (1840 bis 1883).. Aus dem Russischen überseßt und mit Einleitung versehen von Dr. H. Ruhe. (Leipzig, F. W. v. Biedermann.) Wer diese Sammlung von Briefen, es sind ihrer vierhundertachtundachtzig, durchgelesen hat, wird mit erneuter Bewunderung sich im Geiste die große Erscheinung des russischen Erzählers vergegenwärtigen, der bis jezt, weit mehr als Puschkin und Lermontoff, als Repräsentant der russischen Nationallitteratur gelten kann. Diese Briese zeigen uns den Menschen Turgenjem, wie er lebte, fühlte und dachte, dachte in religiösen, politi schen und künstlerischen Dingen. Niemals wird man in diesen Briefen, von denen die meisten zugleich in wahrhaft klassischem Briefstile gehalten sind, Züge bemerken, welche das Bild des Dichters entstellen könnten. Eine fast kindliche Seelengüte durchklingt seine Antworten und Ratschläge; selbst da, wo er grob sein könnte und sollte, zumal gegen die Unbescheidenheit jüngerer, ist er bescheiden, nicht heuchlerisch, sondern von Herzen bescheiden.

Die Sammlung enthält zahllose Stellen, welche vielen als,,Sentenzen" zur Führung auf dem Lebenswege dienen können. Interessant und wohl nicht jedermann bekannt ist, daß Turgenjew sich für Balzacs Kunstweise niemals zu erwärmen vermochte, und daß er auch, als echter Erzähler, sich gegen Zolas Manier sehr zurückhaltend verhielt Jedenfalls gehört diese Sammlung zu den wenigen Büchern, die bei erneutem Lesen stets neuen Reiz gewähren.

Heidelberger Festtage und andere. Gesammelte Feuilletons von J. Grosser. (Breslau, S. Schottlaender.) Sogenannte,,Augenblickslektüre"; die Schilderung der Heidelberger Festtage, des Kölner Domsestes werden diejenigen, welche,,dabei" waren, gern noch einmal lesen. In einem launig geschriebenen Vorwort erklärt der Verfasser, weshalb er sich berechtigt fühle, aus Zeitungsartikeln dieses Buch zu machen. Er führt das Beispiel französischer Feuilletonisten und einiger deutscher an. Gewiß mit Recht. Ob aber derartige Bücher in Deutschland auch auf Entgegenkommen zu rechnen haben, muß der Erfolg lehren.

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recht glücklichen Mittelweg eingeschlagen: er geleitet den Leser als stadtfremden Gast in das Haus des reichen Patriciers Tile von Damm und weist diesem die Rolle des kundigen Führers auf einer mehrtägigen Wanderung durch die fünf Weichbilder der Stadt zu. Freilich läßt sich diese Fiktion bei der Verschiedenheit der Denkart und aller Interessen von damals und von heute nicht durchweg aufrecht erhalten; aber dieser Mangel an Einheit und Geschlossenheit wird reichlich dadurch aufgewogen, daß die gewählte Einkleidung einen wirkungsvollen subjektiven Zug in die streng historischen Schilderungen von Zuständen und Ereignissen hineinbringt, welcher selbst den an sich trockenen rein topographischen Mitteilungen eine gewisse Frische verleiht. Auch die Auswahl der typischen Vorgänge, mit denen Hohnstein die verschiedenen Bezirke der Stadt belebt, verrät eine glückliche Hand. An geeigneten Stellen sind die wichtigsten Ereignisse aus der älteren Geschichte Braunschweigs zum Teil in ausführlicher Darstellung eingeflochten, so im ersten Abschnitte der große Aufruhr, die Schicht“ von 1374, im vierten die Streitigkeiten der Stadt mit den Herzögen. Auch eine Fülle von interessanten Zügen aus dem Alltagsleben der Zeit hat der Verfasser gelegentlich einzustreuen verstanden. Die Darstellungsform ist gewandt und reich an Abwechselung. Wir zweifeln nicht, daß die schöne und dankenswerte Arbeit bei dem lebhaften Interesse für deutsches Städteleben im Mittelalter, das gerade in unseren Tagen durch das Zusammenwirken von Geschichte und Dichtung neu erweckt scheint, nicht bloß in der Bürgerschaft der alten Brunswik, sondern auch außerhalb derselben vielfach freudig willkommen geheißen wird.

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Unter Verantwortung von Friedrich Westermann in Braunschweig. Redacteur: Dr. Adolf Glaser.
Druck und Verlag von George Westermann in Braunschweig.
Nachdruck wird strafgerichtlich verfolgt. - Überseßungsrechte bleiben vorbehalten.

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swar in Rom, in der Gemäldegalerie eines Banquiers, welcher ebensoviel Geschmack als Geld und Glück gehabt hatte: des Banquiers Torloniato. Es giebt da unter anderem eine göttliche" Madonna im Azur von Prescotto und einen ,,gött lichen" San Giuseppe von Giotto. An die Gemäldegalerie reiht sich ein Statuensaal, welcher göttliche" Originale von Chios und Megala enthält.

Wenn man in Rom das Kapitol gesehen hat und den Vatikan und das Nolosseum, dann besucht man die weltberühmte Torloniato Galerie; vorzüglich, wenn man aus England kommt, denn in England giebt es die meisten Reisehandbücher und zugleich die meisten Gläubigen für die Reisehandbücher.

Um die Mittagsstunde eines heißen. Tages waren aber nur wenige Besucher in den Loggien der Galerie. Bloß drei Gruppen: ein alter Herr, eine junge Dame und ein Groom; dann ein dicknasiger Herr mit einer dickhalsigen Frau;

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und endlich ein Kavalier ohne weitere Begleitung.

Der Kavalier (dem Aussehen nach ein Italiener) entseßte sich vor dem dicknasi gen und dickhalsigen Ehepaare so heftig, daß er mit Vehemenz an den schönsten Bildern vorüberlief. um in die Nähe der ersten Gruppe zu kommen.

Der alte Herr dieser Gruppe hatte die Eigenschaft, sich stets in Fensternischen zu sezen, um sich von Genüssen auszuruhen, die er noch gar nicht gehabt hatte. Sein Groom in den roten Plüschhosen stand stets an der Statue oder bei dem Bilde neben der Eingangsthür wie angenagelt und wartete aufs Fortgehen. Und die schöne junge Dame trippelte flüchtig an all den Bildern und Statuen vorbei, als habe sie dieselben schon oftmals gesehen.

Der Kavalier kam endlich neben sie. Ich muß mich nur immer ärgern, so oft ich diese Madonna von Giotto erblicke," sagte er halblaut. Wie kann. man eine solche Marionette mit blutroten verdrehten Augen schön finden? Ich be

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