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darmen lachten, als er in solcher Aus- | erwiderte nur brummend: „Feige Memme! staffierung wieder vor sie hintrat. Der Sag das der Jury zu deiner Verteidi

Wachtmeister hatte sich aber inzwischen | auf seine Instruktionen besonnen und fragte den nen Eingekleideten, die Arme höhnisch in die Seiten gestemmt:,,Du sagst, es ruhe keinerlei Verdacht auf dir, mein Bursch? Weshalb hast du dir's denn jo ruhig gefallen lassen, daß man dir deine Sachen wegnahm? Dachtest wohl, es wäre für eine unschuldige Mummerei, he? Oder wußtest wohl gar nicht, daß du einen Briganten vor dir hattest, den gefährlichsten und wildesten in der ganzen Gegend, he? Natürlich; bist ja so ein unschuldiges Lämmlein, das noch gar nie davon gehört hat, daß es Briganten hier in den Bergen giebt, weißt wohl kaum, was ein Brigant ist, wie? Oder hattest ganz vergessen, daß einen einzigen Büchsenschuß weiter unten die Arbeiter beschäftigt waren, und du nur hättest schreien brauchen, daß sie kamen und den Halunken festhielten? Nein, nein, das sind alles keine verdächtigen Umstände, sondern ganz natürliche, nicht wahr? ganz natürliche, mein Bursche?"

,,Hm," machte Tito ganz gelassen, „da hättet Ihr wohl eher recht, Signor Karabiniere. Das Üble dabei war nur, daß der Kerl ein Paar Revolver im Gurt stecken hatte und mich über den Haufen geschossen hätte, hätte ich nur muckjen wollen. Und dazu verspürte ich keine Lust in mir. Hätte ich die Arbeiter aber nach her, als er weg war, hinter ihm dreingeschickt und sie hätten ihn gefangen, so würde ich keine ruhige Stunde im Leben mehr gehabt haben, denn die anderen Briganten hätten's doch über kurz oder lang erfahren, daß ich einen von den Ihrigen verraten, und hätten mir eines schönen Tages den Garaus gemacht. Es thut mir leid, Signor Karabiniere, aber meine Haut trag ich um Euretwillen doch nicht zu Markte. Ihr müßt schon zusehen, wie Ihr den Schlaufopf ohne mich fangt!"

Der Wachtmeister sah die Berechtigung dieses Raisonnements zwar ein, hütete sich aber, sich das merken zu lassen, und

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gung, wenn es dir an den Kragen gehen soll, mich kümmert's nicht. Du hast den Verdacht auf dich geladen, ein Handlanger der Briganten zu sein, weil du einen von ihnen entwischen ließest, und damit basta! Vorwärts! Über all dem unnüßen Schwäßen verstreicht uns die Zeit. Eilt euch!"

Und weiter ging's, nunmehr im Sturmschritt, durch die winddurchpfiffene Nacht auf dem geraden Wege nach Racalmuto. Tito hatte alle Mühe, sich in den schweren, ihm viel zu weiten Stiefeln fortzubewegen, die Füße brannten ihm wie Feuer, und die ungewohnten Anstrengungen dieses verhängnisvollen Tages zusammen mit einer nicht ganz zu bekämpfenden Gemütsbewegung machten ihn so müde, daß er Blei in allen Gliedern zu spüren meinte. Nur noch mechanisch bewegte er sich fort, stolperte über die Geröllsteine, fiel ein paarmal in die Knie und hielt sich mühsam aufrecht. Endlich schimmerten die Lichter der Stadt durch das Dunkel herüber.

Der Wachtmeister ließ Halt machen. ,,Beppo, du führst den Burschen da in aller Stille ins Gewahrsam," komman= dierte er, „und, wenn er abgeliefert ist, stößt du auf der Piazza del Mercato wieder zu uns. Du, Maso, hältst in der Wohnung dieses Burschen, bei seinem Vater, kurz: in der ganzen Umgegend Haussuchung. Möglich, daß sich der Halunke dort eingeschlichen hat. Die Signale, wenn ihr etwas Verdächtiges entdeckt, kennt ihr. Auf der Piazza treffen wir in einer Stunde alle wieder zujammen. Weiß einer, ob der schwarze Bär' hierorts Angehörige hat?" Keiner antwortete. „Wenn du dich unverdächtig machen willst, Bursch," wandte sich der Hüne an Tito, so sag uns jezt, wo der Bandit sich verstecken wollte. Du wirst's wissen."

"Ich?" fragte Tito dagegen. „Daß er ein Narr gewesen wäre, mir's zu verraten!"

,,Gut denn," fnirschte der Wachtmeister, „vielleicht besinnst du dich hinter Schloß und Riegel drauf. Ab mit ihm! Dämpft eure Schritte!"

Der kleine Trupp verteilte sich, und Tito wurde von einem der Gendarmen, dem die Eskorte durch die Stadt nicht ganz sicher zu sein schien, an den Armen gefesselt und abgeführt. Als er nun so mit verschnürten Händen, in Stiefeln, Jacke und Kalabreser des gefürchtetsten Brigantenführers der ganzen Gegend von einem Karabiniere durch die matt erhellten Gassen seiner Vaterstadt geleitet wurde, ward ihm doch recht wunderlich zu Sinne. Heute mittag war er noch in wildem Haß gegen alles Brigantentum, das sich zwischen Gioconda und ihn gedrängt hatte, um ihm jede Aussicht auf Glück zu rauben, von hier fortgewandert und aufs Geratewohl den Bergen und dem neuen Eisenbahnbau entgegengeschlendert. Und nun brachten sie ihn, den faulen Tito, den Brigantenfeind, in der Verkleidung eines Banditen, als Freund und Helfers helfer der Räuber gefesselt ins Untersuchungsgefängnis und wollten ihm den Prozeß machen, der auf Tod und Leben ging! Dazwischen lagen nur etliche Stun den. Wie sonderbar doch das Schicksal mit ihm spielte!

Als er in Begleitung seines Escorteurs durch eine etwas heller erleuchtete Straße kam, sah ihn ein Liebespaar, das auf der steinernen Hausschwelle stand und flü= sternde Zwiesprache hielt. „Sacro Dio," rief die Dirne, erschrocken zusammenfahrend und ihre Hände aus denen des Burschen lösend, „da bringen sie einen Brigan ten ein!“ Der Bursche aber wandte sich unmutig nach den Störenfrieden um, erkannte im gleichen Augenblick beim Laternenlicht den faulen Tito unter dem breit randigen Schlapphut und schrie, die Hände zusammenschlagend: Christo mio! Es ist der faule Tito! Der faule Tito ist unter die Briganten gegangen und sie führen ihn ins Loch! Bei den vierzehn Nothelfern, das geht über meinen Verstand!"

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Und in einem Nachbarhause hatte man das Geschrei gehört; ein paar dunkle Gestalten stürzten unter die Hausthür, sahen, was vorging, und schlugen ein lautes, verwundertes Lamento auf; überall in den Mauern flangen Fensterflügel, neugierige Köpfe lehnten sich heraus, zu sehen, was es gäbe, man fragte, rief, lachte, schlug die Hände über dem Kopfe zujammen und durch die ganze Straße klang es hin: „Tito Nostrella, der faule Tito wird als Brigant eingebracht!" Dann stolperten ein paar Dußend zerlumpter Rangen die steinernen Stiegen hinunter auf die Gasse, wiederholten den Ruf in allen Tonarten und stürmten schreiend, johlend und pfeifend hinter dem unglücklichen Opfer und seinem uniformierten Begleiter drein. Im Zeitraum einer halben Viertelstunde wußte die ganze Stadt um das große, schier unglaubliche Ereignis dieses Abends, debattierte darüber in den Osterien beim Nostraner, erfand die unerhörtesten Märchen, die angeblich damit im Zusammenhang stehen sollten, redete sich in die größte Hiße hinein und geriet ohne jeden greifbaren Grund wechselseitig in Kampf und Zwist, obgleich eigentlich jeder der gleichen Meinung war und sie nur in so determinierter Weise zum besten gab, daß der andere auf die Vermutung geriet, man wolle ihm die seine in unverantwortlicher Heftigkeit bestreiten.

So wogte der Streit um Tito Nostrella durch ganz Racalmuto, jung und alt beteiligte sich daran, und der faule Tito, über welchen man bis zur Stunde verächtlich die Achseln gezuckt, war plözlich zum Helden dieser Nacht geworden. Seine ganze Faulheit sollte nur Verstellung gewesen sein; man wollte wissen, daß er schon längst im geheimen und unter seiner sichernden Maske den Briganten gespielt habe, und während er tags über träge herumgelungert, was nur Folge seiner Ermüdung gewesen, sei er nachts mit anderen Kumpanen aufs Räuberhandwerk ausgezogen und habe schon jo manchen seither spurlos Verschwun

denen auf dem Gewissen. Kurz: das Haupt des faulen Tito erstrahlte seit dieser wundersamen und verhängnisschweren Nacht in einer Aureole, davon weder er selbst noch irgend ein anderer in Racalmuto sich je etwas hatte träumen lassen.

Er hatte den Marterweg bis zum Untersuchungsgefängnis inzwischen glücklich, wenn auch umheult von einer immer mehr anwachsenden Rotte jugendlichen Gesindels, zurückgelegt, war nach einem mit ihm aufgenommenen Protokoll eingeliefert worden und saß nun in seiner vergitterten, käfigähnlichen Zelle, sich selber überlassen, frierend, hungernd und sein hartes Lager verwünschend, auf das er sich todmüde niedergeworfen. Troß der unerhörten Anstrengungen dieses Tages vermochte er jedoch nicht einzuschlafen. Nicht sein Schicksal quälte ihn, nicht die schimpfliche Behandlung, die man ihm so ungerechterweise angedeihen ließ, regte ihn auf, aber er dachte an Gioconda. Wenn

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und es
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um seinen guten Ruf bringen. pfui, wenn er's gethan hätte! Nur daß er vielleicht nun im Ernst werden sollte, wozu man ihn in lächerlicher Verkennung der Umstände um jeden Preis stempeln wollte, um sich für die ihm widerfahrene schmachvolle Behandlung zu rächen, den Karabinieri Todfeindschaft zu schwören und der Gesellschaft, die ihn widerrechtlich ausstoßen wollte, den Krieg zu erklären. Es hätte etwas Ausgleichendes darin gelegen und er hätte seiner Verbitterung und Empörung damit am besten Rechnung getragen. Warum auch nicht? Man jah ja, wie elend ungerecht es in der Welt zuging, wie die Unschuldigen leiden mußten und wie die Macht statt des Rechts triumphierte; die Briganten führten ja mit vollem Fug Krieg gegen alle Welt und schlugen die Mächtigen und Besizenden zu Boden und wollten den Gedrückten und Geschwächten aufhelfen. Weshalb sollte er da nicht mitthun?

zweck, und jedenfalls besser als gar kei

ner, als sich ducken zu müssen und sich mißhandeln und treten zu lassen und nur ohnmächtig die Faust dagegen ballen zu können!

Gioconda nun erfuhr, daß man ihn als | Im Grunde war es doch ein edler LebensBriganten eingebracht hatte und es war undenkbar, daß es ihr verborgen blieb was würde sie dazu sagen? Wenn er wirklich ein Brigant war, so konnte sie ihn ja heiraten und es gab kein Hindernis mehr, das zwischen ihnen beiden stand. Ob sie wohl daran dachte? Aber er, Tito Nostrella, dachte nicht daran. Er wollte nicht unter die Briganten gehen, um Gioconda Delverde zu erobern, und er wollte auch nicht fälschlich als Brigant angesehen werden, nur um in ihren Augen einen Vorsprung vor einem braven Burschen zu haben. Ganz und gar nicht. Er war viel zu stolz dazu; er wollte, wie er da war, als der faule Tito von Racalmuto, geliebt und erhört werden. Und wenn ihm das nicht gelang, wenn er erst unredlich werden und unter die Räuber laufen mußte, um eine Gioconda Delverde zu gewinnen, nein, dann verzichtete er lieber. Man hatte ihm freilich heute wenig glimpflich mitgespielt, aber eingestehen, daß er ein Brigant sei, durch solche Lüge Giocondas Herz erobern, sich selber aber mutwillig

Der faule Tito wälzte sich in solchen düsteren Gedanken und Vorstellungen unruhig auf seinem Lager umher. Ähnliches war noch nie in seiner Seele aufgestiegen, und jezt wühlte und gärte es drinnen und wollte ihm keinen Frieden gönnen. Unter die Briganten gehen? Er? Der faule Tito? Dann hätte er eben nicht der faule Tito sein müssen. In Felsenhöhlen wohnen, auf halsbrecherischen Ziegenpfaden im Gebirge herumklettern, Hunger und Durst ertragen, nachts auf Wache oder auf dem Anstand liegen, immer fluchtbereit, nirgends heimisch, ohne Ruhe, ohne Bequemlichkeit der Teufel hole solch ein nichtswürdiges Dasein! Und das Ende von dem allen war der Galgen. Nein, da schlief es sich zu Hause doch besser, und das friedliche Leben, ohne Sorgen, ohne Unrast, ohne Arbeit wenn es nur erst wieder begann !

Tito wollte gewiß nicht mehr unzufrieden jein, sich nichts anderes, nichts besseres mehr wünschen; er wollte den Karabinieri großmütig verzeihen und die Leute reden lassen und sein Brot in Gemütsruhe daheim essen, und schlafen

wie er schlafen wollte! Wenn er nur erst wieder im eigenen Bette lag! Was hätte ihn dann noch die Ungerechtigkeit in der Welt und der Kampf der Briganten gegen die Mächtigen gekümmert? Nur Ruhe, Frieden, ein gutes Bett, ein Stück Brot und einen Paradiesapfel dazu, sonst nichts, sonst gar nichts.

Und darüber schlief Tito endlich auf seiner über eine Strohschütte gebreiteten Pferdedecke in der dumpfigen Gefängniszelle ein und träumte von Gioconda und teilte sein Brot mit den saftigen Schnitten eines roten Pomo d'oro mit ihr und war im Traum sehr glücklich. Er wachte auch nicht eher auf, als bis ein Gefängniswärter ihn derb am Arm rüttelte und anschrie: In drei Teufels Namen, steht auf, man erwartet Euch!" Und als er dann emportaumelte, wurde er von dem Beamten aus der Zelle und über eine Unzahl von Gängen und Treppen geführt und endlich in ein Zimmer gestoßen, wo er eine ganze Menge von guten Bekannten versammelt fand, darunter auch seinen Vater, und einen Mann mit Talar und Barett hinter einem grünbehangenen Tische mit einem Kruzifix sah, der eifrig einem anderen neben ihm sizenden in die Feder diktierte. Und dieser selbe Mann rief ihn dicht vor den Tisch heran und fragte den noch halbverschlafenen Gefangenen, der sich unaufhörlich die Augen rieb, nochmals ganz genau nach allem aus, was er gestern gesehen, gehört und erlebt.

Und Tito erzählte es ihm haarklein, der Wahrheit gemäß, mit dem vertrauensseligsten und gutmütigsten Gesicht von der Welt, und es sprach sich so viel unfreiwil❘ liger Humor in seinen Worten aus, daß die anderen Leute im Hintergrunde des Zimmers anfingen zu lachen und der Rich ter selber sich ein behagliches Lächeln nicht ganz verjagen konnte. Als Tito dann

schließlich zu Ende war, meinte er aber: ,,Als der Brigant fort war, hättet Ihr ihn eben doch an die in der Nähe befindlichen Arbeiter verraten und ihn verfolgen lassen müssen, Signor Tito. Daß Ihr das nicht gethan, ist zwar menschlich und begreiflich, aber wie ein wackerer Staatsbürger, der ebensogut ein Feind der Briganten sein muß wie wir und die Karabinieri, habt Ihr nicht dabei gehandelt, und deshalb kann Euch die Lektion von heute nacht nichts schaden. Ein andermal werdet Ihr hoffentlich mehr Mut zeigen und unbeschadet der möglichen Folgen für Euch Eure Pflicht thun. Euer Mut wird dann sicher nicht unbelohnt bleiben. Wenn Ihr aber die Rache der Kumpane des Räubers fürchtet und ihn deshalb lieber schont, so erkennt Ihr damit die unheilvolle Macht der Brigan= ten, die größer sein soll und weiter reicht als die der Justiz, offen an und beflärkt die Verbrecher in ihrer Frechheit. Wenn jeder redliche Bürger unser Helfershelfer und Bundesgenosse wäre, würden wir der Briganten baldigst Herr werden; eure Furcht und Rücksicht aber macht uns schwach. Zudem hättet Ihr tausend Lire verdienen können, die auf den Kopf des schwarzen Bären' gesezt sind, Signor Tito. Also gebt ein andermal Euren feigen Erwägungen lieber nicht Raum, sondern greift, ohne Euch lange zu besinnen, mutig zu, wenn Euch einer von der Horde in den Weg tritt. Ihr würdet sonst ein zweites Mal nicht so mit dem bloßen Schrecken davonkommen. Und nun geht, für diesmal entlassen wir Euch!"

Da schritt Tito schweigend und mit gesenktem Haupte an der Seite seines Vaters und gefolgt von einem Schwarm seiner Landsleute hinaus. Er atmete tief auf, als er draußen war, besah sich nachdenklich die roten Striemen, welche die Stricke, mit denen man ihn gestern gefesselt, in seine Armgelenke eingeschnitten hatten, und schüttelte den Kopf. Auch ging alles, was seine Begleiter in ihrer lebhaften, redseligen Manier, unter einem Überfluß von Gestikulationen, auf ihn ein

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redeten, spurlos an ihm vorüber, und nur als ein paar Buben, die in ihren bunten Lappen auf den Straßenquadern lagen und Soldostücke ausspielten, je nachdem sie auf die Kopf- oder Schriftseite niederfielen, hinter ihm drein johlten und schrien: Ecco Tito! Ecco il brigante! Tito, il brigante!" und als der Ruf: „Tito! Tito, der Brigant!" sich immer weiter und weiter durch die Gassen fortpflanzte, da begann doch Leben in ihn zu kommen und er hob drohend die geballte Faust gegen den hinter ihm herlärmenden Haufen der Straßenjugend. Natürlich erreichte er aber dadurch nichts weiter, als daß das Getöse sich noch steigerte und alles in boshafter Freude um ihn herum tanzte und sprang und dabei unaufhörlich mit aller Lungenkraft schrie und heulte: ,,Tito, der Brigant! Tito, der Brigant!"

Und dieser Höllenlärm endete nicht eher, als bis der faule Tito sich in sein väterliches Haus geflüchtet hatte und die Thür dröhnend hinter ihm zufiel. Aber auch dann war er nur für den Augenblick verstummt; und während Tito sich müde, geärgert und gelangweilt auf sein Bett warf und den zum Teil versäumten Schlaf dieser Nacht nachholte, wurde der Ruf: ,,Tito, der Brigant" von der johlenden Gassenbrut weiter und weiter getragen; die Erwachsenen erzählten davon, wie von einem guten Spaß, auf dem Felde, in den Werkstätten und in den Trattorien, und bald gab es in ganz Racalmuto keinen Menschen mehr, der nicht lachend den neu erfundenen Übernamen des faulen Tito,,Tito, der Brigant" gekannt und nachgesprochen hätte.

Anfangs wurmte den faulen Tito diese neue Namensnennung im tiefsten Inneren; da er aber klug genug war, einzusehen, daß hier keine Rettung mehr möglich sei und jeder Widerstand das Übel nur noch verschlimmern werde, weil er sich erst dann vollends eine Blöße gegeben haben würde und selber aller Welt die Stelle aufweise, wo er am ehesten verwundbar sei, so machte er gute Miene zum bösen Spiel und ließ sich den Namen

nicht nur gefallen, sondern that sogar, als sei er ihm besonders lieb und ehrenvoll. Und so hieß der faule Tito fortan in Racalmuto: Tito, der Brigant. Und wie es denn so kommt, gelangte er nach einiger Zeit wirklich dazu, sich in seinem neuen Namen wohl zu fühlen; ja, er klang ihm ganz vertraut und heimelte ihn an, und Tito meinte, daß er bei weitem stolzer und würdiger sei als der frühere, der nun allmählich in Vergessenheit geriet, obgleich er noch ebenso berechtigt gewesen wäre wie am ersten Tage.

Denn über das Arbeiten dachte auch Tito, der Brigant, genau so, wie der faule Tito gedacht hatte, und in seiner Lebensweise änderte sich nichts. Höchstens, daß er das Haupt etwas höher trug als früher, und daß er ein gewisses Selbstbewußtsein zur Schau stellte, jeit er in den Kniestiefeln, der Jacke und dem bebänderten Schlapphut des großen Brigantenhauptmanns einmal durch die Gasssen von Racalmuto geschritten war. Nachträglich verlieh ihm diese Thatsache noch einen gewissen Glorienschein vor sich selber. Am meisten fühlte er den, wenn er Gioconda begegnete. Und das geschah ziemlich oft, obgleich Tito dem Mädchen jest niemals mehr nachlief er hätte

das unter seiner Würde gehalten und sich ganz steif und fest einredete, daß er keinerlei Begegnung mit ihr suche, sondern sie sogar vermeide. In Wahrheit richtete er es instinktiv so ein, daß er ihr auf seinen planlosen Streifereien häufig in den Weg trat. Dann begrüßte er sie kühl und schritt vorüber. Ein paarmal war es ihm wohl vorgekommen, als ob Gioconda ihn mit einem schalkhaften Seitenblick streife und eine erneute Annäherung herausfordern wolle, und dann besann er sich, daß sie jezt vielleicht der Meinung sein möge, er sei ja nun für alle Welt „Tito, der Brigant“ und einem Briganten dürfe sie ihre Hand eben reichen. Aber der Gedanke, daß das Mädchen ihn abermals abweisen und für seinen unverdienten Übernamen vielleicht nur Spott und Hohn bereit haben werde,

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