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irgend prägt sich der Gegensag zwischen französischem und deutschem Wesen so scharf und

deutlich aus als in den bei den Völkern eigentümlichen Anschauungen von der Stellung des einzelnen zu der Gesellschaft und in dem Einfluß, den diese Anschauungen auf die Charakterbildung haben. Der Franzose fühlt sich im allgemeinen ganz als Geov nokıtıxóv, wie der Ausdruck des griechischen Philosophen lautet, als ein Glied einer großen Gesamtheit, er erhebt gleiche Ansprüche auf politische Rechte und bürgerliche Achtung wie alle übrigen, er sieht in der gesellschaftlichen Stellung ein Hauptziel seines Ehrgeizes und bestrebt sich darum, in allem gleichen Schritt und gleichen Schnitt mit seinen Mitbürgern zu halten, in teiner Weise hinter ihnen zurückzubleiben, sich in den äußeren Lebensverhältnissen so wenig als möglich von ihnen zu unterscheiden. Der Deutsche, viel später seßhaft geworden als der Romane und Kelte, fühlt sich in viel stärkerem Grade als Einzelwesen, er lebt, denkt und schafft für sich, ja er sucht etwas darin, anders zu sein als die neben ihm. Dem Franzosen ist die Achtung anderer alles, dem Deutschen die Selbstachtung. Darum ist Frankreich das Land der Mode, der Geselligkeit, Deutschland das der Originale. Nie könnte der Franzose wie der Deutsche glücklich sein in einer einsamen

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Alpenhütte, bei Wasser und Brot, in dem Bewußtsein, die Handschrift einer unsterblichen Tragödie in der Brusttasche zu bewahren wahren er fühlt sich unglücklich in der Einsamkeit oder wenn ihm der Erfolg ausbleibt, der ihm alles ist und auf den der Deutsche hinwiederum nicht selten wie auf ein Nebensächliches herabsieht. Ihn zu erringen, ist des Franzosen heißester Wunsch, ihn zu verschmähen, scheint dem Deutschen höchster Ruhm. Jener sieht über den Gebrauch nicht berechtigter Mittel wohl hinweg, wenn sie zum Ziele führen, und spottet nur, wenn der Streber troß seiner unerlaubten Mittel den Zweck doch nicht erreicht; diesem ist schon der Gebrauch eines nicht ganz ehrenvollen Mittels ein Verbrechen, er spricht schon von Bosheit, wo jener nur von Intriguen redet. Jenem erscheint es lächerlich, sich außerhalb der Gesellschaft zu stellen, und auch das schwerste Unrecht oder Unglück könnte ihn nicht zum Einsiedler machen; diesem erscheint der Mann erhaben, der aus solchen Gründen auf den Verkehr mit der übrigen Welt verzichtet und nur sich selbst lebt. Tartuf und Misanthrop sind dem Franzosen komische, dem Deutschen tragische Gestalten. Jenem. ist die Natur ohne den Menschen eine tote Masse, dieser findet die Welt,,vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual". (Man glaube nicht, dies mit dem Beispiel Rousseaus

widerlegen zu können, Rousseau ist seinen. Anschauungen nach mehr Deutscher wie Franzose.) Der Franzose wird immer vor seinen Mitmenschen sich besser und liebenswürdiger zu machen suchen, als er ist, weil er ihnen nur so imponieren zu können glaubt um anders zu sein als sie, macht sich der Deutsche nicht selten schlechter, härter und rauher. Dem Franzosen imponiert man durch genaueste Beobachtung aller gesellschaftlichen Formen, dem Deutschen durch absichtliche Verlegung derselben; jenem, indem man ihm. schmeichelnd seine möglichste Hochachtung bezeigt, diesem, wenn man durch Vernachlässigung ihm andeutet, daß man seiner nicht bedürfe. Dies alles gilt nun freilich von den heutigen Deutschen nicht mehr in vollem Maße, denn die lezten Jahrzehnte haben manche Umwandlung der gesellschaftlichen Anschauungen in Deutschland hervorgerufen. Wenn der auch noch immer bei uns Bewunderung findet, der den Mut hat, die individuelle Art der Welt gegenüber voll zum Ausdruck zu bringen und von der konventionellen Schablone möglichst abzuweichen, so haben wir doch wenigstens schon einen gewissen Normalton durch stillschweigende Übereinkunft festgesezt, auf den jeder gestimmt sein muß, so oft er sich zu der Gesellschaft in Beziehungen seht. Aber vor sechzig, siebzig Jahren und früher war dies noch nicht der Fall. Originalität galt damals noch als der höchste Charakterzug der Deutschen, und der wurde bewundert, welcher der angeborenen und nicht selten auch angewöhnten Eigenart um der Gesellschaft willen am wenigsten Fesseln anlegte. Ein Beispiel dieser Originalitätssucht, die eigenartig sein wollte um jeden Preis und die Folgerungen ihrer Denk- und Handlungsweise bis ins äußerste, ja fast bis an die Grenzen der Überspanntheit zog, ja vielleicht das charakteristischste Beispiel dieser Art in der ganzen Litteratur ist Grabbe. Eine von Haus aus zur Bizarrerie angelegte Natur, wunderbares Zusammentreffen sonderbarer Lebensumstände, die ihn beeinflußten, Mangel an innerem wie

an äußerem Halt, kurz alles, was auf das Leben eines Menschen Einfluß üben kann, vereinigte sich bei ihm, ihn von der Bahn der gewöhnlichen aber tüchtigen Entfaltung der angeborenen Kräfte abzudrängen und auf die Straße des Strebens nach Seltsamkeit und Eigenart zu werfen, die ihn schließlich bis hart vor den Rachen des Wahnsinns führte und alle edlen Triebe, die in ihm lagen, entweder unterdrückte und knickte, oder so üppig in die Breite wuchern ließ, daß sich aus keinem derselben ein kräftiger, gesunder Stamm entwickeln konnte. Düster und schwer seßt Grabbes Leben und Schaffen ein, schauerlich und erschütternd entwickelt es sich: eine Symphonie in Molltönen, nur von ein paar freundlichen Durklängen unterbrochen, bewegt ein Sah sich in immer grelleren Dissonanzen als der andere, selbst im Scherzo springt nur ein grausiger Humor toll quiekend auf und nieder, und mit einem grellen Aufschrei sämtlicher Instrumente schließt das Ganze ein drückender Sommertag von peinlicher Schwüle, die immer beängstigender wird, je höher die Sonne steigt und stechende Glutstrahlen niederwirft und dann wird es immer düsterer und unheimlicher, und endlich ist es, kaum daß der Nachmittag angefangen, fast nachtdunkel, das Gewitter bricht herein, es hagelt, stürmt, blißt und donnert, und der Schrecken hört nicht auf, immer weiter tobt es draußen, kein freundlicher Abend sinkt hernieder, vergeblich wartet man auf ein Ende des Gewitters, der Sturm heult immer fort, und unter Donner und Bliß sucht man endlich die Ruhe auf. So ungefähr ist das Bild, das Grabbes Leben und Schaffen gewährt, und so eng sind in demselben alle unheilbringenden Fäden verschlungen, daß man kaum sagen kann, wieviel und wo in demselben eigene Schuld und angeflogenes Unglück sich verknüpfen.

Im Hause des Jammers und Verbrechens beginnt Grabbes Leben. Der Vater war Zuchtmeister und Leihbankverwalter in Detmold, und in seiner Amtswohnung

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im Zuchthause gebar ihm seine Frau nach achtjähriger kinderloser Ehe am 11. De zember 1801 einen Sohn, der den Namen Dietrich Christian erhielt. Die Eltern waren nicht gerade unbemittelt, der Vater auch nicht ganz ohne Bildung. Von der Mutter, die zeitlebens nur ihr westfälisches Platt sprach, erbte er eine gewisse Heftigkeit und Halsstarrigkeit, den Hang zum Sonderbaren. Einer der wenigen Menschen, mit denen Grabbe in früher Jugend Verkehr hatte - wer hätte zu ihm ins Zuchthaus kommen sollen? war ein ehemaliger Mörder, der, halb begnadigt, kleine Dienste im Hause verrichtete und mit Christian im Gefängnishofe spazieren ging. Die furchtbaren und widrigen Scenen mancherlei Art in einem Zuchthause, namentlich bei der früheren inhumanen Art der Rechtspflege, jener tägliche Verkehr, das sind Jugendeindrücke, die sich nie vergessen, die von Anfang an ́bestimmend auf ein jugend liches Gemüt tief einwirken müssen. Christian blieb der einzige Sohn, alle Liebe, deren Elternherzen fähig sind, wurde ihm zugewandt, und er ward, wie bei einzigen Kindern nicht selten, verzogen. Die Eltern liebten ihn sehr, ja vielleicht zu sehr; es ist leeres Gespräch, was späterhin an Verleumdungen über die Mutter verbreitet wurde. Jeder Wille, jedes Gelüst wurde ihm nachgegeben, der Sohn war ein Genie, er war zu Großem bestimmt, und alles, was die Eltern besaßen, sollte auf seine Ausbildung verwendet werden, daß er nur ja größer und anders würde als die übrigen. Eine Anekdote aus seinen Kinderjahren ist oft nacherzählt worden, und sie beweist, wenn auch der kritische Herausgeber der Werke Grabbes es bestreitet, daß in dem Kinde der Mann schon fast fertig war. Um die Herbstzeit herum empfand Grabbe eine wahre Begier nach den unreifen Früchten der Pflaumbäume von Detmold, er aß sie mit Leidenschaft und wachte eifrig, daß kein anderer ihm darin gleichthäte oder eine raube; kaum waren sie reif, so kümmerte er sich nicht mehr um sie, sondern über

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ließ sie willig den Genossen. Auch im späteren Leben reizte Grabbe immer nur das Unreife, Werdende, nie das Fertige, Reife, und als er in seinem Schaffen endlich nach langem Irren auf die rechte Bahn gekommen schien und eine gerade Straße vor ihm lag, sprang er schnell von derselben zur Seite und bahnte sich durch das Dickicht einen neuen Weg. Ein krankhafter Hang zum Seltsamen, die Neigung, anders zu sein als alle übrigen, war ihm angeboren; zum Unglück ward er von Anfang an darin bestärkt, und so entstand sein unglückliches Wesen, welches sich nie mit der Gegenwart, der Realität vertragen konnte. Bis auf die kleinsten Umstände, bis auf die Sprache erstreckte sich dasselbe, das Wort „außerordentlich“ gebrauchte er nur in dem Sinne von

abweichend von der Regel", außer der für alle geltenden Ordnung, und es war sein Ehrgeiz, in diesem Verstande für einen außerordentlichen Menschen und Dichter zu gelten.

Einige glückliche und von entschiedenem Talent zeugende Auffäße verschafften ihm bereits auf der Schule den Ruf eines Genies. Aber nun wollte er dieses Genie auch in jeder Hinsicht sein, er wollte den Anschein erwecken, als ob ihm selbst das, was man sich nur durch gründliches Studium aneignen kann, wie einem Gottbegnadeten vom Himmel zufliege, und wenn er Besuch erhielt, warf er schnell die Klassiker und Lehrbücher in die Ecke und nahm einen Roman vor, nur um glauben zu machen, er brauche, um zu wissen, nicht zu lernen. Er las eifrig Shakespeare. Nichts zog ihn so mächtig an als die gewaltige dramatische Leidenschaft dieses Dichters, und gleichzeitig begann er eine Tragödie: „Herzog Theodor von Goth= land", die über alles, was Shakespeare geschrieben, hinausgehen sollte. Aber um seinen Geist von den hohen Flügen in das Land der phantastischen Dichtung zu erholen, in das er ihn führte, gewöhnte er sich zur selben Zeit die niedersten Leidenschaften an, Trinken der stärksten Getränke und Rauchen im Übermaß, und er

suchte seine Kraft darin, alle seine Mit schüler in diesen Dingen zu übertreffen. So untergrub er von früh an seine Gesundheit, denn die Eltern waren zu schwach, um ihm zu wehren. Alles ging ihm vortrefflich, die Eltern liebten ihn, seine Lehrer waren ihm zugethan, Freunde des Hauses, wie der Archivrat Klostermeier, förderten ihn, wo es anging, seine Kameraden bewunderten ihn, die halbe Stadt staunte ihn als ein Talent an- er aber wühlte sich immer tiefer und tiefer in einen selbstersonnenen Pessimismus hinein, er wollte nicht sehen, wie sich gerade ihm die Welt von einer besseren Seite gab, als sie es wohl sonst pflegt, er wollte alles elend und schlecht finden, seine Natur drängte ihn dazu, sie ließ ihn immer. eigensinnig an den Häfen des Lebens vorbei- und nur den Klippen zusteuern. Wenn ein kräftiger und begabter Mann Jahrzehnte lang gewaltig mit den Fluten des Lebens ringt und widrige Winde ihn gegen dieselben nicht aufkommen lassen, und er dann ob des stetigen Mißgeschicks verzweifelnd seinen lehten Trost in der düsteren Weltanschauung des Pessimismus findet, wenn ein scharfer Denker die Erscheinungen des Lebens bis in alle Einzelheiten beobachtet und dann aus den Ergebnissen langer Forschungen den Schluß von der Jämmerlichkeit der Welt zieht, so ist in diesen Fällen der Pessimismus zu begrei fen und vielleicht sogar zu verteidigen. Wenn aber ein junger Mensch, der kaum in die Welt getreten, dem es noch in keiner Hinsicht fehlt, dem jedermann mit Interesse begegnet, sich den vergrämtesten und verzweifeltsten Anschauungen und Empfindungen ergiebt und diese in einem Kunstwerk niederzulegen und zu gestalten sucht, so ist man wohl berechtigt, in diesem Falle eine krankhaft organisierte Natur anzunehmen.

Von Detmold aus kam Grabbe im Jahre 1820 nach Leipzig, wo er Jura studieren sollte. Von leßterem war wenig die Rede. Bald wie ein Einsiedler verschlossen und unzugänglich auf seinem Zimmer liegend, bald sich in Gesellschaft

von ähnlich Gesinnten den wüstesten Orgien ergebend, dabei unausgesezt an seiner Tragödie arbeitend, dann, verlockt durch den Beifall, den man einigen seiner mit großem Pathos vorgetragenen Deklamationen schenkte, sich mit dem Vorsaz tragend, Schauspieler zu werden, welchen Beruf seine Erscheinung ihm jedoch gar nicht verstattete so verbrachte er hier sein Leben. Mit dem vollendeten Manuskript des Trauerspiels Herzog Theodor von Gothland" in der Tasche, siedelte er im folgenden Jahre nach Berlin über. Wo er erschien, erweckte er sogleich dauerndes Interesse. Das Phantastische, Schmerzzerrissene in seinem Wesen reizte die Leute, seine von Genieblizen sprühende Unterhaltung fesselte sie. Seine Erscheinung, sein ganzes Wesen war so eigenartig, so neu, so ungewöhnlich! Niemand gab sich die Mühe, nach der Ursache und Entstehung desselben zu forschen. Es war Grabbes Wesen zu blenden, zu verblüffen, aber er vermochte nicht festzuhalten, was er vertrat; wie Hannibal, der von früh an sein Lieblingsheld war, verstand er zu siegen, nicht aber den Sieg zu gebrauchen. Wenn Grabbe in Gesellschaft war," sagte späterhin Immermann,,,beschäftigte man sich ausschließlich mit ihm, aber nie erwähnte man auch nur seiner, wenn er nicht da war." Die Kraftgenialität seines Gothland, den er in Privatzirkeln bekannt machte, zog namentlich die Jugend, der alles Überschäumende gefällt, mächtig an. Einst war der junge Heinrich Heine, der auch damals in Berlin lebte, bei Gubiz, dem Redacteur des „Gesellschafters“, einem für Poesie ziemlich verständnislosen Mann. „Lesen Sie nur dieses tolle Zeug," sagte Gubiß zu Heine, indem er ihn auf einige Stellen des Gothland hinwies, der Verfasser muß vollständig verrückt sein." Heine las ein paar Scenen und sagte dann: „Sie irren, lieber Gubiß, der das geschrieben, ist kein Narr, sondern ein Genie." So kam Grabbe schnell in jenen tollen Kreis, der sich des Abends in der berühmten Weinstube von Lutter und Wegener zu ver

sammeln pflegte. Neben den älteren Se rapionsbrüdern, wie Devrient und Hoffmann, saßen hier die jüngeren Genies der damaligen Berliner Schule, Heine, Robert, Gustorff, Köchy, v. Üchtriß und andere, und hier wurden nun Nacht für Nacht die phantastischsten Orgien, die wildesten Gelage aufgeführt. Im nüch| ternen, um nicht zu sagen kazenjämmerlichen Zustande des folgenden Tages sah aber dann Grabbe wieder die Welt im fahlsten Lichte, dann redete er, dem es an nichts fehlte, sich ein, verhungern zu müssen, und sandte einen kläglichen Brief an den Kronprinzen mit der Bitte, ihn vom Elend zu retten — einen Brief, dessen sonderbarer Ton schon im voraus eine Antwort verhinderte. Sein Glaube an sich selbst und seine Dichtergröße stieg aber immer höher. Er sandte sein Manuskript an das da malige Crakel aller dramatischen Kunstanfänger, an Ludwig Tieck, mit der Bitte | straflos üben. Das ist ganz die Logik

geblichen Brudermord zu rächen, nachdem er erfahren, daß er den Bruder ungerecht erschlagen, sich nicht in sein eigenes Schwert stürzt, sondern an Gott und der sittlichen Weltordnung verzweifelnd, zum Schurken und Verräter werde und von Verbrechen zu Verbrechen taumele. Gerade darin giebt sich ein meisterhafter seelischer Tiefblick des Dichters kund, denn gerade so zeigt sich der Naturmensch, der Theodor ist, stark, schlau, listig, aber naiv, und nicht gewohnt, über die höchsten Probleme nachzudenken, so daß er verzweifelt und sich berechtigt glaubt, alles ungestraft zu thun, wenn ein anderer ungestraft an ihm einen Schurkenstreich begehen durfte. Entweder es ist Gott und Gerechtigkeit in der Welt, denkt er, und dann dürfen sie solche himmelschreiende Verbrechen nicht geschehen lassen, oder jene geschehen und | es ist kein Gott, und dann darf sie jeder

um ein Urteil und der Aufforderung,
„ihn öffentlich für einen erbärmlichen
Dichterling zu erklären, wenn er sein
Trauerspiel den Produkten der gewöhn
lichen Dichter jener Zeit ähnlich finde."
Tieds Urteil lautete, wie vorauszusehen
war: er erkannte die große Begabung
des Dichters, die Leidenschaft, die Genia-
lität seiner Darstellung an, fühlte sich
aber durch den wahren Kult des Häßlichen,
der darin getrieben wurde, das Schwel-
gen im Rohen und Widerwärtigen, die
Art, in der aller Psychologie oft der bit
terste Hohn gesprochen wurde, seltsam
abgestoßen. In der That ist Theodor
von Gothland ein Werk, das wohl in der
deutschen Litteratur einzig dasteht. Es
enthält Scenen und Momente von hin-
reißender Kraft und Leidenschaft und dicht
daneben wieder wahrhaft kindliche Naive-
täten; Schönheit und Roheit ringen um
die Palme und nur zu oft erhält die lez-
tere die Oberhand. Die Voraussetzung,
die Fabel beruhen auf ungeheuerlichen
Unmöglichkeiten. Dennoch aber verdient
der Dichter manchen Tadel nicht, der ihm
geworden, so jenen, daß der Held, der
ein Brudermörder geworden ist, um an- |

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eines Naturmenschen wie Gothland. In
den zwei ersten Akten ist die Komposition
streng und geschlossen, diese dürften auch
auf der Bühne der gewaltigsten Wirkung
gewiß sein, wie überhaupt der Gothland
von allen Stücken Grabbes sich vielleicht
noch am ehesten für die scenische Dar-
stellung eignet; dann aber zerfällt dieselbe
in ein lockeres Gefüge aneinandergereihter
Scenen. Dennoch könnte vielleicht ein
tüchtiger Regisseur auch diese in geschickter
Weise vereinfachen, binden und für die Dar-
stellung von allen Roheiten und Auswüch-
sen, die ihnen ankleben, reinigen. Neben
vielem Schwulst und Bombast enthält
dieses, als Erstlingswerk betrachtet, ko-
losjale Stück auch Reden und Scenen von
einem fortreißenden Schwunge: dazu ge-
hören die Monologe Gothlands und Ber-
doas, die Klagen des alten Gothland an der
Leiche seines Sohnes. Ein abgrundtiefer
Pessimismus spricht sich in dem Werke aus.

Der Mensch ist so verderbt, daß es unmöglich ist
Sich an 'nem Menschen zu verfünd'gen, was
Für Leid ich ihm auch anthu, er hat es
Verdient

heißt es, und dementsprechend sind auch
alle Gestalten des Stückes Meineidige,

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