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Die ganze Familie war musikalisch. Der Graf befand sich im Besitz einer Baßstimme; die Gräfin und ihre Tochter Caroline fangen Alt, und die ältere Comtesse Marie erfreute sich eines „wunderschönen“ hohen Soprans. Da nun auch Freiherr Carl von Schönstein 1), ein trefflicher Tenorbariton, das Esterhazhsche Haus oft zu besuchen pflegte, so stand das Vocal-Quartett fertig da, jenes Quartett, welches mit einer der schönsten Schubert'schen Compositionen: „Gebet vor der Schlacht“ (von de la Motte Fouqué) in unauflöslicher Verbindung steht. Die beiden Töchter spielten auch Clavier, und während die, von den besten italienischen Meistern gebildete Marie sich hauptsächlich an den Gesang hielt, befaßte sich Caroline, deren Stimme zwar lieblich, aber schwach war, bei mehrstimmigen Gefängen ausschließlich mit der Begleitung am Flügel, worin sie excellirte.

Als Schubert in diese Familie eingeführt wurde, hatte er sein 21. Lebensjahr vollendet. Der Graf stand im rüstigen Mannesalter. Die Gräfin Rosine zählte achtundzwanzig Jahre, ihre ältere Tochter (Marie) deren dreizehn, die jüngere (Caroline) eilf Jahre; der Sohn war damals ein fünfjähriges Kind.

Es versteht sich von selbst, daß Schubert's musikalischschöpferisches Talent diesem Kreis nicht lange verborgen

1) Freiherr Carl von Schönstein, geboren am 27. Juni 1796 in Ofen, begann seine Beamten-Laufbahn im J. 1813 bei der königl. ungarischen Statthalterei, wurde 1831 Hofsecretär der allgemeinen Hoffammer, 1845 Hofrath daselbst, und trat 1856 in Pension. Seiner Zuvorkommenheit verdanke ich die, auf Schubert's Verhältniß zu der Familie Esterhazy bezüglichen Mittheilungen.

bleiben konnte. Er wurde ein Liebling der Familie, blieb der Verabredung gemäß auch den Winter über als Musikmeister in ihren Diensten, und ging mit derselben zu wiederholten Malen auf das erwähnte Landgut in Ungarn. Er verweilte überhaupt, und zwar bis an sein Lebensende, und auch außer den Musikstunden, viel im Hause des Grafen. In den ersten Jahren seiner Bekanntschaft wurde fleißig musicirt, wobei hauptsächlich Haydn's „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“, desselben vierstimmige Gesänge und Mozart's „Requiem“ herhalten mußten. Anch Anselm Hüttenbrenner's Vocal-Quartett: „Der Abend“ 1), welches Schubert wohl gefiel, wurde da öfters gesungen. Freiherr von Schönstein, der bis zu seinem Zusammentreffen mit Schubert ausschließlich der italienischen Gesangsmusik gehuldigt hatte, erfaßte nun das deutsche Lied, wie ihm dieses in seiner vollen Schöne von Schubert dargebracht wurde, mit Enthusiasmus, und widmete sich von da an vorzugsweise dem Vortrag der Schubert'schen Gesänge, in welchem er nebst Vogl alsbald unerreicht dastand, ja den letteren an Schönheit der Stimme übertraf. Der Tondichter trat zu ihm in ein näheres Verhältniß und musicirte gerne und viel in seiner Gesellschaft. Schönstein trug die Schubert'schen Lieder zumeist in dem ihm sehr befreundeten Eßterhazy'schen Hause vor, von welchem jedes Familienglied für den Componisten begeistert war; seine sociale Stellung gab ihm aber auch Gelegenheit, im Verlauf der Zeit noch andere „hohe“ und „höchste Kreise“ mit diesen Compositionen bekannt zu machen.

1) Es ist im Stich erschienen und wurde im J. 1862 in einem musikalischen „Kränzchen“ in Wien gesungen.

Es versteht sich von selbst, daß der Landaufenthalt (in den Jahren 1818 und 1824) in musikalischer Beziehung nicht ungenüßt vorüberging.

Zweihändige und vierhändige Clavierstücke, besonders Märsche, Sonaten und Variationen, dann Lieder und mehrstimmige Gesänge, entstanden in jener Zeit und zeugen von Schubert's unermüdlicher Thätigkeit. In Zelész hörte er auch ungarische und slavische Nationalweisen, die er sich, wie sie eben von Zigeunern gespielt oder von den Mägden im Schloß gesungen wurden, sogleich aufzeichnete, um sie in künstlerischer Weise auf das reizendste zu verarbeiten.

Das Divertissement à la Hongroise (op. 54) besteht ausschließlich aus derlei aneinandergereihten meist schwermüthigen Melodien; das Thema dazu holte sich Schubert in der Esterhazy'schen Küche, wo es eine Magd, am Herd stehend, sang, und er, mit Schönstein eben von einem Spaziergang zurückkehrend, die Melodie im Vorübergehen hörte. Er brummte das Lied im Weitergehen vor sich hin, und im nächsten Winter erschien es als Thema in dem Divertissement. Auch in einigen der Impromptus, Moments musicals, Sonaten, und selbst in sinfonischen Säßen finden sich ungarisch-nationale Anklänge vor.

Bei seinem ersten Besuch in Zelész ist Schubert mindestens bis in den Spätherbst daselbst geblieben, denn das „Abendlied", „Du heilig glühend Abendroth" (von Schreiber), dessen Manuscript sich in den Händen der Frau Gräfin Rosa v. Almash, geb. Gräfin Festetics und Muhme der Gräfin Caroline Eßterhazy, in Wien befindet, trägt das Datum: Zelész, November 1818. Auch das Lied: „Blondel zu Marien“ (in Lief. 34 enthalten), componirt im September,

und Singübungen, im Manuscript fünf Seiten ausfüllend, mit dem Datum Juli 1818, fallen bereits in die Zeit jenes Landaufenthaltes, und wurden lettere, da sich die Handschrift 1) davon im Nachlaß der Gräfin Caroline vorfand, wahrscheinlich für deren Schwester Marie geschrieben.

3m Jahr 1824, also sechs Jahre später, treffen wir Schubert zum zweiten Male in Zelész. Auch Baron Schönstein hatte sich daselbst eingefunden, und es fallen in diese Zeit: das große Duo für Clavier op. 140, vierhändige Variationen (op. 35) und das erwähnte Gesangsquartett: Gebet vor der Schlacht". Die Entstehungsweise des leßtgenannten Musikstückes charakterisirt abermals Schubert's erstaunliches Schaffensvermögen.

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Eines Morgens in den ersten Tagen des September 1824 forderte die Frau des Hauses während des ge= meinschaftlichen Frühstückes den Meister auf, ein Gedicht von de la Motte Fouqué (es war das oben genannte) für das Hausquartett in Musik zu setzen. Schubert nahm das Buch und entfernte sich damit, um in Tönen zu dichten. Noch am Abend desselben Tages wurde die umfangreiche

1) Die in dem musikalischen Nachlaß der Gräfin Caroline noch vorgefundenen Schubert'schen Autografe sind folgende: Das Trio in Es (1827), zwei vierhändige Ouverturen in C und D (Dec. 1817), Walzer (Jän. 1824), Deutsche (Oct. 1824); die Lieder: „Abendlied“ und ,,Blondel zu Marien“ und Singübungen. Diese Manuscripte finden sich in Aufbewahrung der Gräfin Rosa von Almasy; die Müllerlieder : „Ungeduld“, „Morgengruß“ und „des Müllers Blumen" hat diese Dame Herrn Julius Stockhausen übergeben. Die französische Nomanze in E-Moll, welche Schubert als Thema zu op. 10 wählte, besißt ebenfalls die Familie Almasy.

Composition aus dem Manuscript heraus am Clavier durchgesungen. Die Freude über das vortreffliche Musikstück steigerte sich am folgenden Abend, wo dasselbe aus den, von Schubert selbst mittlerweile herausgeschriebenen Stimmpartien mit größerer Sicherheit vorgetragen werden konnte, und das Ganze an Klarheit und Schönheit des Ausdrucks wesentlich gewann. Das Quartett war innerhalb zehn Stunden componirt und fehlerlos niedergeschrieben worden.

Die Composition wurde damals nicht veröffentlicht, da sie für die Familie Eßterhazy geschrieben, das Manuscript unter der Bedingung der Nichtherausgabe erstanden war, und die Gräfin Rosine einen besonderen Werth darauf legte, eine Schubert'sche Composition allein zu besigen. Erst einige Jahre nach Schubert's Tod übergab Frh. v. Schönstein mit Einwilligung jener Dame das Manuscript einer Wiener Verlagshandlung zur Veröffentlichung ').

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gewiß

Schubert machte sich über das Verliebtsein der Freunde zu wiederholten Malen lustig, war aber gegen diese Leidenschaft nichts weniger als gefeit. Auch er hatte nicht zu seinem Schaden Herzenskämpfe zu bestehen. Von einer dauernden Liebschaft ist zwar nichts bekannt geworden, und an das Heirathen scheint er überhaupt niemals gedacht zu haben; aber an Liebeständeleien, und wohl auch an ernsterer, tieferer Neigung hat es bei ihm nicht gefehlt. Bald nach seinem Eintritt in das Eßterhazy'sche Haus knüpfte er ein Verhältniß mit einer Dienerin daselbst an, welches aber sofort einer poetischeren Flamme weichen mußte, die für die

'),,Gebet vor der Schlacht" erschien bei Diabelli und Comp. als op. 139.

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