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Ueber die Zulässigkeit der Compensation mit einer in einem andern Processe der Parteien auf dem Compensationswege geltend gemachten Forderung.

In einem von dem K. Oberappellationsgericht zu Berlin am 11. Januar d. J. in Sachen des Grafen Reventlow-Criminil auf Emkendorf wider die Wittwe C. Böckmann in Seedorf und Genoffen abgegebenen Erkenntnisse ist hierüber bemerkt:

Die Ansicht des Apellationsrichters, der von den Beklagten erhobene, nicht unter dem Gesichtspunkt der Rententionseinrede, sondern der Compensation zu beurtheilende Einwand, es stehen ihnen gegen den Kläger aus demselben Rechtsverhältnisse, aus welchem er klagt, Gegenforderungen im Betrage von 155 Thlr. 241⁄2 Sgr. und 2115 Thlr. zu, sei in diesem Proceffe nicht zuzulaffen, weil diese Forderungen bereits in dem andern zwischen den Parteien schwebenden Processe in judicium deducirt seien und der Grundsaß zur Anwendung ge= bracht werden müsse, daß nicht über denselben Streitgegenstand gleichzeitig in verschiedenen Processen entschieden werden dürfe, die Einrede der Compensation wie der Rentention aber eine Entscheidung über den Rechtsbestand der Forderung, mit welcher compenfirt oder auf Grund deren retinirt werden solle, fordern, erscheint nicht gerechtfertigt.

Nach L. 8 D. de comp. (16, 2) fann es feinem Zweifel unterliegen, daß nach Römischem Rechte die Compensation mit einer Forderung, welche in einem andern Processe rechtshängig war, zulässig war. Es mag dahingestellt bleiben, ob auch nach dem heutigen Proceffe dieser Grundsat in solcher Allgemeinheit noch Geltung habe. Für eine unbedingte Ausschließung deffelben sind jedenfalls ausreichende Gründe aus dem heutigen Proceßverfahren nicht zu entnehmen. Anzuerkennen ist zwar, daß processualische Unzuträglichkeiten dadurch entstehen können, wenn über dieselben Forde rungen gleichzeitig in verschiedenen Processen verhandelt wird. Allein dieses kann nicht berechtigen, den Beklagten materiell in so wesentlicher Weise in seiner Vertheidigung zu beschränken, wie dieses geschieht, wenn die Einrede der Compensation schon deshalb ohne Weiteres zurückgewiesen wird, weil Beklagter durch einen früheren noch anhängigen Proceß in die

Lage gekommen ist, dieselben Gegenforderungen geltend zu machen. Es werden vielmehr jene processualischen Unzuträglichkeiten auf andere Weise zu beseitigen sein, und erscheint es im vorliegenden Fall, wo beide Rechtsstreite bei demselben Gerichte anhängig sind und das Verfahren in dem zuerst erhobenen Processe bereits auf die von den Beklagten geltend gemachten Gegenforderungen sich erstreckt hat, angemessen, das Verfahren in dem hier in Rede stehenden Rechtsstreite auszuseßen, bis über den Rechtsbestand der beklagtischen Gegenforderungen in dem zuerst vom Kläger erhobenen Processe entschieden ist.

Rechtsanwälte (und Notare). Deren Gebühren und Auslagen nicht von Amtswegen, sondern im Wege der Parteienverhandlung richterlich festzustellen.

Rechtsanwalt N. überreichte, nachdem ein unter seinem Beistande geführter Rechtsstreit rechtskräftige Verurtheilung der Gegenpartei zur Kostenerstattung herbeigeführt hatte, dem Proceßgericht seine Gebührenund Auslagenrechnung mit dem Antrage auf Beitreis bung des Belaufes derselben von der Gegenpartei.

Das Gericht seßte der Gegenpartei eine Frist zur Berichtigung der Rechnung oder Erhebung von Einreden gegen dieselbe mit der Verwarnung, daß widrigenfalls auf ferneren Antrag des N. gerichtliche Fest= stellung und executivische Beitreibung der Rechnung erfolgen werde.

Nach fruchtlosem Ablauf der Frist und erneuertem Antrag des N. seßte das Gericht einen Posten von der Rechnung ab und verfügte wegen des übrigen Betrags derselben die Auspfändung des Beklagten.

Auf desfällige Beschwerde des N. erfolgte nachstehende Berfügung des Appellationsgerichts:

In Beziehung auf den am 16. December 1871 hier eingegangenen Bericht über die Beschwerde des Rechtsanwalts N. in H. über die in Sachen Brestrup wider Diedrichsen, betreffend Folienschließung und Arrestbelegung bezüglich der außergerichtlichen Kosten, unterm 3. November 1871 ergangene Verfügung des Königlichen Kreisgerichts zu Flensburg wird demselben,

zuändern, daß dem Verklagten anzubefehlen, die verzeichneten, vom klägerischen Anwalt selbst von 56 Thlr. 29 Sgr. auf 53 Thlr. 26 Sgr. herabgefeßten Kosten, soweit diese nicht inzwischen executivisch beigetrieben worden, binnen 14 Tagen zu zahlen oder binnen gleicher Frist seine Einwendungen anzubringen, widrigenfalls auf ferneren Antrag des Klägers die gerichtliche Beitreibung dieser Kosten erfolgen werde,

wogegen die fernere Beschwerde, betreffend die Herabseßung der beregten Kosten, durch die Verfügung vom 3. November 1871 jedenfalls zur Zeit nicht in Be= tracht kommt.

Kiel, den 26. Januar 1872.

in Erwägung, daß hauptsächlich Beschwerden darüber erhoben worden, daß auf den Antrag des Klägers, den Verklagten zur Berichtigung der auf angelegter Rechnung verzeichneten Kosten executivisch anzuhalten, von dem Königlichen Kreisgericht dem Verflagten Abschrift der Kostenrechnung mitgetheilt worden mit der Auflage, dieselben binnen 14 Tagen entweder zu berichtigen oder zu moniren, widrigenfalls auf ferneren Antrag des Klägers die gerichtliche Fest= segung und executivische Beitreibung derselben er= folgen werde, und daß sodann auf ferneren Antrag des Klägers um executivische Beitreibung von dem Königlichen Kreisgericht unterm 3. November 1871 die gerichtliche Festsetzung der berechneten Gebühren erfolgt und wegen des festgeseßten Betrags die Wardirung in das bewegliche Vermögen des Verklagten verfügt worden, daß jedoch in Gemäßheit der §§ 3, 4 und 5 der nach § 18 der Verordnung vom 30. Auguft 1867 feit dem 1. September 1867 in den Herzogthümern Schleswig und Holstein in Wirksamkeit ge= tretenen Gefeße für die Königlich Preußischen Staaten vom 11. und 12. Mai 1851, betreffend den Ansat Pacht. und die Erhebung der Gebühren der Notare und Rechtsanwälte, eine richterliche Festsetzung der Rechnungen für Gebühren und Auslagen von Rechtsanwalten und Notaren weder auf einseitigen Antrag des Rechnungsstellers oder einer Partei, noch von Amtswegen zulässig ist, vielmehr die Festseßung der zu erequirenden Kosten, indem es der betreffenden Partei überlassen ist, ihre Einreden gegen die Richtigkeit des Ansages anzubringen, jezt nur auf dem Wege der Parteiverhandlung stattfinden kann;

in Erwägung, daß es hiernach zweckentsprechend erscheint, wenn die Liqudation der Kosten in der Weise geschieht, daß die mit dem Executionsantrag einzureichende Kostenrechnung dem Gegentheil mit dem Präjudiz mitgetheilt wird, daß, wenn innerhalb zu bes stimmender Frist weder Zahlung erfolgt, noch Einreden vorgebracht werden, die Erecution werde vollftredt werden, und daß, wenn Einreden erhoben werden, die Zulassung und weitere Behandlung der felben sich nach den analog anzuwendenden Vorschriften für den unbedingten Mandatsproceß richtet,

hierdurch zu erkennen gegeben:

daß die angefochtene Verfügung des Königlichen
Kreisgerichts vom 3. October 1871 dahin ab-

Königliches Appellationsgericht,
Civilsenat.

Stellung des Pächters im Concurse des Verpächters.

In der S. 349 c. der vorigjährigen Anzeigen mitgetheilten Sache ist die gegen das zweitinstanzliche Erfenntniß von dem Beklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nachstehendermaßen verworfen worden:

Im Namen des Königs!

In Sachen des Eingesessenen H. Schmalfeld zu Kellinghusen, Beklagten und Imploranten, wider

den Güterpfleger im Concurse des Barons von Hobe zu Rensing, Kläger und Imploraten,

hat der der erste Senat des Königlichen OberAppellationsgerichts zu Berlin in seiner Sizung am 1. Februar 1872,

in Erwägung, daß die Bestimmungen in § 4 der Verordnung vom 27. August 1777 wegen der den Pächtern adeliger oder anderer Güter und liegender Gründe in Fällen, da über diese ein Concurs entsteht, zukommenden Rechte und obliegenden Verbindlichkeiten, durch die Verordnung vom 17. Juni 1859, betreffend die Anfechtbarkeit und Strafbarkeit gewisser vor eröffnetem Concurse vorgenommenen Rechtsgeschäfte, nicht aufgehoben worden sind, da nach § 15 dieser lezteren

Verordnung nur alle mit dieser in Widerspruch stehenden Geseze, Verordnungen, Gewohnheiten und bisher geltenden Rechtsfäße aufgehoben sind, die Vorschriften des § 4 cit. aber weder mit den vom Imploranten speciell angezogenen Bestimmungen in den §§ 1, 2 2 u. 3, 32 der Verordnung vom 17. Juni 1859, noch mit den sonstigen Vorschriften derselben im Widerspruch stehen, indem sie sich auf die Anfechtbarkeit der vom Cridar geleisteten Zahlungen und vorgenommenen Rechtsge= schäfte beziehen, jene dagegen die Wirksamkeit der an den Cridar vorausbezahlten Pachtgelder betreffen;

in fernerer Erwägung, daß der Appellationsrichter den gemeinrechtlichen Grundsaß, daß nach Eröffnung des Concurses über den Verpächter der Pächter gegen den Willen der übrigen Gläubiger nicht mehr an das Pachtstück sich halten könne, vielmehr, wenn er zur Räumung des Pachtobjects genöthigt worden, seine Forderung auf das Interesse wie ein anderer Gläubiger verfolgen müsse, nur als ein Moment für die den Vorschriften in §§ 3, 4 der Verordnung vom 27. Au gust 1777 gegebene Auslegung benußt, übrigens auch dieser Sag als richtig anerkannt werden muß, und nicht erfindlich ist, inwiefern der Appellationsrichter den Vorschriften der Verordnung vom 17. Juni 1859 rückwirkende Kraft beigelegt habe;

in Erwägung, daß das Appellationsgericht die Bestimmungen in § 4 cit. richtig aufgefaßt und mit Recht im vorliegenden Fall für anwendbar erklärt hat, für Recht erkannt:

daß die gegen das Urtheil des Königl. Appel-
lationsgerichts zu Kiel vom 22. September 1871
vom Beklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde
unter Verurtheilung desselben in die Kosten
dieser Instanz, zu verwerfen sei.
V. R. W.

Urkundlich 2c.

Strafrecht und Strafverfahren.

Cautionspflicht der Zeitschriften auch nach dem Erlaß der Gewerbeordnung. §§ 11, 17, 42 des Preßgefeßes vom 12. Mai 1851, § 1 der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869*).

In Untersuchungssachen wider den Redacteur F. und Buchdrucker H. hat der Vorderrichter thatsächlich festgestellt, daß der Angeklagte F. im October 1871 zu S. den (Titel des Blattes) eine in kürzeren als monatlichen Fristen erscheinende Zeitung, redigirt und daß der Mitangeklagte H. zur selbigen Zeit und am selbigen Orte diese Zeitung herausgegeben hat, ohne daß abseiten des Leßteren eine Caution gestellt worden ist,

sowie daß diese Zeitung nicht lediglich amtliche Be= kanntmachungen, Anzeigen aus den Geschäftsverkehr, über öffentliche Vergnügungen, Verkäufe, gestohlene, verlorene oder gefundene Sachen oder ähnliche Nachrichten des täglichen Verkehrs enthält, noch für rein wissenschaftliche, technische oder gewerbliche Zwecke bestimmt ist.

Dessenungeachtet hat der Vorderrichter freigesprochen, weil er des Erachtens ist, daß die sämmtlichen, die Cautionspflicht bei Herausgabe periodischer Druckschriften betreffenden landesgeseßlichen Bestimmungen durch den § 1 der Bundes-Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 aufgehoben und außer Kraft gefeßt sind**).

*) cfr. Anzeigen pro 1871, Seite 8. **) Es heißt in den Motiven:

Da nämlich der gedachte § 1 den Betrieb eines Gewerbes Jedermann gestattet, soweit nicht dieses Gefeß selbst Ausnahmen statuirt oder zuläßt; da nun ferner das Herausgeben sowohl wie das Redigiren periodischer Druckschriften als Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung angesehen werden muß, und hinsichtlich dieser Gewerbe in der Bundes-Gewerbeordnung Ausnahmen weder angeordnet, noch die noch auch die landesgeseßlich bestehenden Ausnahmen aufrecht erhalten worden sind, so kann es sich nur noch darum handeln, ob die im Preßgefeß statuirte Cautionspflicht die Zulassung zu den gedachten Gewerben beschränkt, oder nur eine polizeiliche Vorschrift enthält, unter der die Ausübung des Gewerbebetriebes quaest. Jedermann gestattet ist. In

Das Appellationsgericht hat unterm 9. Januar 1872 reformirt, die Angeklagten des Vergehens gegen die preßgefeßlichen Bestimmungen schuldig erkannt und in die niedrigsten Geldstrafen verurtheilt. Gründe:

Widerspruch mit dem Ober-Tribunalßerkenntnisse cit. muß das Kreisgericht sich für das Erstere entscheiden. Schon die Worte des § 11 cit.: „Wer eine Zeitung herausgeben will, ist verpflichtet, vor der her. ausgabe eine Caution zu bestellen," stellt die Cautionsbestellung als ein Erforderniß der Zulassung zum Gewerbebetriebe hin, ganz in gleicher Weise; wie beispielsweise im § 33 der Bundes-Gewerbeordnung eine obrigkeitliche Concession als Vorbedingung für die Zulaffung zum Betrieb der Gastwirthschaft statuirt wird, verbis: „Wer Gastwirthschaft betreiben will, bedarf dazu der Erlaubniß." Unbestreitbar dürfte es auch sein, daß das Erforderniß einer vorherigen Cautionsbestellung, Manchen that. sächlich und mit Nothwendigkeit von dem Betriebe dieses bestimmten Gewerbes, des Herausgebens von Zeitungen abhält, ganz ebenso, wie der früher an manchen Orten für verschiedene Handwerke erforderte Befähigungsnachweis, oder die erforderliche Mitgliedschaft einer Zunft, den Einen oder Andern abhielt, das bestimmte Handwerk, daß er ausgeübt haben würde, zu betreiben. Will man aber die vorherige Cautionsbestellung als eine polizeiliche Vorschrift für die Ausübung des Gewerbes deshalb ansehen, weil jene Cautionsbestellung den Erfolg haben wird, daß eine Zeitung, für deren Vergehen der Verleger mit seinem Vermögen haftet, in anderer, nämlich vorfichtigerer Weise, redigirt werden wird, als eine solche, bei der Vermögensverluste nicht zu befürchten sind, so würde man auch das Erforderniß des Befähigungsnachweises bei Handwerkern für eine die Ausübung des Gewerbes betreffenden polizeiliche Vorschrift anzusehen gezwungen sein, da anzunehmen ist, daß der Handwerker, der sich über seine Befähigung ausgewiesen hat, das Handwerk anders und zweckmäßiger betreiben werbe, als einer, der beim Beginn des selbstständigen Betriebes eines Handwerks dasfelbe erst selbst zu erlernen hat. Als polizeiliche Vorfchriften für die Ausübung des Gewerbes können überhaupt unseres Erachtens nur solche Anordnungen angesehen werden, deren Erfüllung eben regelmäßig jedem möglich, der das betreffende Gewerbe ausüben will; gehen sie hierüber hinaus, so werden sie zu Borbedingungen, die die Zulassung zu diesem beftimmten Gewerbebetriebe beschränken. Nun ist es aber klar, daß keineswegs jeder, der den Gewerbe

Die thatfachliche Feststellung des Vorderrichters ist unbedenklich und enthält alle diejenigen Momente, welche nach § 11, 17 und 42 des Preßgefeßes vom

betrieb eines Zeitungsherausgebers beginnen will, und vielleicht mit Mühe die Mittel zusammengebracht hat, diesen Betrieb zu beginnen, nun auch im Stande ist, die nicht unbedeutende Caution zu bestellen. Auf keinen Fall kann namentlich die vorherige Cautionsbestellung mit den sonstigen Vorschriften des Preßgefeßes über die Hinterlegung eines Pflichteremplars, über Bestellung und Zeichnung eines verantwortlichen Redacteurs oder etwa mit der Vorschrift des § 48 daselbst in eine Kategorie gebracht werden, da eben jeder Zeitungsverleger diesen Vorschriften ohne Schwierigkeiten nachkommen kann. Auch der in dem Erkenntniß des Königlichen OberTribunals vom 4. November 1870 (J. M. B. 350) behandelte Fall betrifft einen solchen, wo es sich unzweifelhaft nur um polizeiliche Vorschrift für die Ausübung eines Gewerbes handelt, denn dadurch, daß Jemandem untersagt wird, Schülern den Aufenthalt in seinem Local zu gestatten, wird er hinsichtlich der Zulassung zum Betriebe der Schenkwirthschaft nicht beschränkt, sondern werden ihm nur hinsichtlich der Art und Weise der Ausübung Vorschriften ertheilt, während in dem § 11 des Preßgefeßes gerade untersagt ist, den im Herausgeben einer Zeitung bestehenden Gewerbebetrieb zu beginnen, bevor die Caution bestellt worden.

Im Uebrigen relevirt es für das Verhältniß zwischen Preßgefeß und Gewerbeordnung durchaus nicht, daß die Bundes-Gewerbeordnung sich mit der Revision der Preßgefeßgebung der einzelnen Bundesstaaten nicht beschäftigt, da die Preßgewerbe weder im Allgemeinen noch im Speciellen von den Bestimmungen der Gewerbeordnung erimirt sind, und diese Gewerbeordnung mindestens ebenso gut den § 11 des Preßgefeßes außer Kraft seßen konnte, als dies hinsichtlich des § 1 gedachten Preßgefeßes unzweifelhaft der Fall ist.

Es ist nun auch nicht übersehen worden, daß daß nach den Motiven, mit den seiner Zeit die Bundes- Gewerbeordnung dem Reichstage vorgelegt worden, im Bundesrathe die Meinung geherrscht hat daß durch den § 1 desselben die Cautionspflicht der Zeitungen nicht tangirt werde. Allein die Motive können doch immerhin nur verwandt werden, um bei einem mehrdeutigen Wortlaut des Gefeßes Auskunft über den Sinn desselben zu geben. Nach unserer Meinung ist aber hinsichtlich des § 1 der Gewerbe

12. Mai 1851 zur Anwendung der Strafvorschrift des Veranlassung einem Amtsrichter am 27. Februar 1872 legtgedachten Paragraphen erforderlich sind. Folgendes eröffnet:

Wenn nun der Vorderrichter dessenungeachtet auf Freisprechung und zwar aus dem Grunde erkannt hat, weil die anzogenen Vorschriften des Preßgefeßes durch den § 1 der Bundes-Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 aufgehoben seien, so kann dieser Ansicht nicht beigepflichtet werden. Es unterliegt schon an sich erheblichen Bedenken, eine Beschränkung der Zulassung zum Gewerbebetriebe auch in sochen polizeilichen Bestimmungen zu finden, welche nur thatsächlich und mittelbar wie im vorliegenden Fall wegen Fehlens der nöthigen Geldmittel den Einen oder Andern von dem Betrieb des Gewerbes möglicherweise abhalten können. Jedenfalls ist dies in dem Maße zweifelhaft, daß es nicht gerechtfertigt erscheint, die Entscheidung im Widerspruch mit den der Bundes-Gewerbeordnung bei Einbringung in den Reichstag beigebenen Motiven zu treffen, welche im Zweifel als der wahre Ausdruck des gesetzgeberischen Willens anzusehen sind. Darnach aber müssen die obgedachten Bestimmungen des Preßgefeßes als noch fortdauernd gültig betrachtet werden.

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Directionen von Eisenbahn-Gesellschaften find keine zu Requifitionen in Strafsachen befugte Behörden.

Das Appellationsgericht hat in einer gegebenen

ordnung in seinem vorliegenden Wortlaute und rüďsichtlich seines Verhältnisses zu den bezüglichen Bestimmungen des Strafgeseßes über die Cautionspflicht keine Zweideutigkeit vorhanden. Konnten wir also so solchemnach die § 11 und 42 Sat 1 des Geseßes vom 18. Mai 1851 als geltend nicht ansehen, so waren beide Angeklagte, deren oben dargelegte Handlungsweise gegen kein Strafgeset verstößt, freizusprechen.

Durch die Königliche Ober-Staatsanwaltschaft haben wir davon Kunde erhalten, daß die Direction der N.'schen Eisenbahngesellschaft auf Anlaß einer Denunciation wider den Oberbahnwärter E. wegen Diebstahls das Amtsgericht um die Vernehmung der Zeugen A. und B. angegangen ist, und daß das Amtsgericht folche am 8. und 16. August v. J. vorgenommen, das bei ersteren Zeugen beeidigt und beiden Zeugen Kosten liquidirt hat. Wir nehmen hieraus Veranlassung, zur künftigen Nachachtung das Amtsgericht darauf hinzuweisen, daß die Eisenbahn-Directionen keine öffentliche Behörden sind, welche in Strafsachen Vernehmungen requiriren können und daß Gerichte daher weder be= fugt noch verpflichtet sind, ihren derartigen Requifitionen nachzukommen, solche vielmehr abzulehnen haben.

Der Berufungsrichter, welcher bei der erst= richterlichen Feststellung Bedenken findet, ist nicht verpflichtet, die Beweisaufnahme in einem das ganze Sachverhältniß erschöpfenden Umfange zu bewirken; es ge= nügt, wenn er sie in soweit veranlaßt, als jene Feststellung angefochten oder von ihm für bedenklich erachtet ist. Str. Pr. D. § 377.

cfr. Oppenhoff, Rechtsspr. Bd. 10, S. 367, Bd. 12, S. 447 *).

Erkenntniß des Ober-Tribunals gegen Stübichen vom 13. September 1871.

*) cf. Anz. pro 1870, S. 77.

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