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Er, der lästert, wo Andere beten, er, der nicht zaudern würde, den Himmel zu stürmen, wenn er eine Strasse dahin fände, fühlt sich erst recht in seinem Elemente, wenn ihn, den einzelnen, Feindesgewühl umringt. Dann blitzt seine Klinge umher und haut den einen quer, den andern der Länge nach auseinander. Er kennt keinen Unterschied von Geschlecht, Alter, Stand, und seiner Tapferkeit kommt nur seine Grausamkeit gleich. Endlich zum Weichen genöthigt, zieht er sich, trotz aller Angriffe, die einen Berg umreissen könnten, nur langsam und stolz zurück und entkommt mitten durch das Wasser. Afrika, das doch den Antäus und den Hannibal hervorgebracht, sah nie seines Gleichen. Ausser solchen Feldzugskämpfen besteht er auch die üblichen Raufereien der Helden unter sich, welche freilich aller Parteidisciplin in's Gesicht schlagen. Die Monotonie derselben ist um so grösser, als sie immer aus den nämlichen Privatstreitigkeiten um Damen, Pferde, Waffen, oder auch aus blossem Wortwechsel oder Uebermuth entspringen und dasselbe unentschiedene Ende nehmen. Zwar bebt die Erde unter den Schlägen, zwar sprühen die Waffen Funken wie eine Schmiedeesse, aber die Rüstungen sind gefeit, und das Leben der Krieger ist für die Oekonomie des Gedichtes kostbar, so dass sie, wie die grossen Diebe, mehr oder weniger unbeschädigt, davonkommen, während nur die kleinen gehängt oder vielmehr todtgeschlagen werden.

In allen diesen Händeln ist Rodomonte immer der Stolzeste der Stolzen, der sich sogar der Gelegenheit eines Kampfes zu enthalten weiss, nicht aus Unlust am Raufen, sondern weil es unter seiner Mohrenwürde ist, sich in anderer Leute Zwistigkeiten zu mischen. Einem solchen Manne kann nichts Schlimmeres passiren als ein Liebesunglück durch dessen unvermeidliche Verbindung mit einiger Lächerlichkeit. Diese Schmach nun thut ihm seine angebetete Doralice an, indem sie ihm den schlimmen Tartaren Mandrikardo vorzieht. Zum ersten Mal in seinem Leben steht Rodomonte verwirrt und sprachlos. Zwar greift er bald wieder nach dem kräftigsten Beweismittel seines Rechtes, dem Schwerte, allein wie ihm sein höchster Herr und Heerführer Unrecht giebt, spielt er den Achill und zieht sich schmollend zurück gleich einem Stier, welcher, durch einen

siegreichen Nebenbuhler von seinem geliebten Rinde vertrieben, die Einsamkeit der Wälder und Wiesenufer aufsucht. Er will wieder nach Hause, und kaum vermag ihn die zu seinem Trost erzählte spassige Episode von der nichtsnutzigen Fiammetta zu erheitern. Nun aber muss er, indem er sich in die schöne Isabella verliebt, beweisen, dass in Liebesangelegenheiten alle Erfahrung nichts nutzen kann. Er, der an keinen Gott glaubt, lacht über die Treue, welche die Schöne ihrem Zerbin zu schulden erklärt, lässt sich jedoch in einer grauenvollen Weise von ihr mystificiren. In der doppelten Trunkenheit des Weins und der Liebe enthauptet er sie, die er unverwundbar glaubt, und wird dadurch zum Werkzeug ihres indirecten, der Keuschheit dargebrachten Selbstmordes. Zur Besinnung zurückgekehrt und zum ersten Male von einem menschlichen Rühren erfasst, lässt er ihr ein ungeheures Grabmal bauen, daneben eine schmale Brücke, auf welcher er mit allen Passanten turnirt, um sie zum Dienste an jenem Heiligthum zu zwingen. Hier ringt er auch mit dem, zu Fuss und nackt ankommenden, wahnsinnigen Roland, bis beide in's Wasser fallen. Endlich von Bradamantens goldener Zauberlanze niedergeworfen, verlässt er Brücke und Waffen und setzt sich, in immer vermehrtem Trübsinn, in eine finstere Höhle.

Während er dort verweilt, werden die Feinde der Christen gänzlich geschlagen, ihre Hauptführer getödtet, und den munteren Ruggiero bekehren der ehrwürdige Turpin und die schönen Augen Bradamantens zum Christenthume. Wie nun das Hochzeitsfest mit dieser letzteren in Paris gefeiert wird, erscheint, in rabenschwarzer Rüstung und mit mehr grossen Worten, Trotz und Stolz als je angethan, der wiederaufgelebte Rodomonte. Er wirft jenem seine Verrätherei vor, disputirt mit theologischen Gründen gegen Ruggiero's Versuch, ihn zur Nachahmung seines Beispieles zu bestimmen, und man kömmt auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege von Worten zu Thaten. Hier hat der neue Christ, welchen Kaiser Karl und Roland selbst wappnen, den Vortheil der von Vulcan für Hektor geschmiedeten Waffen über die mittelmässige Gelegenheitsrüstung Rodomonte's. Dennoch macht ihm dieser durch seine Entschlossenheit und Riesenstärke viel zu schaffen, indem er, nachdem

seine Klinge zerbrochen, ihn vom Pferde reisst und mit ihm ringt. Schon besiegt und aus vielen Wunden verblutend sucht sich der Saracene dennoch unter der Degenspitze des Gegners wieder aufzuraffen wie der Schäferhund unter dem Bisse der Doggen, die ihn an der Kehle halten, noch einen Stoss will er ihm, wie Amorg dem Hüon, von unten beibringen da trifft ihn der Todesstreich, und nun flieht fluchend zu den Ufern des Acheron diese trotzige Seele, welche auf der Welt so hochfahrend und übermüthig gewesen war.

Wenn diesen Rodomonte seine Ausdauer wie seine Selbstständigkeit vor den anderen Helden unserer beiden italienischen Epiker auszeichnen, so führen ihn gerade diese Eigenschaften dem Diomed nahe. Tapferkeit und Stärke haben freilich fast alle hauptsächlichen Personen heroischer Gedichte, aber eine wilde, titanische gottlose Kühnheit ist nur diesen beiden Koryphäen eigen. Ihre feurige, nordische Reckenhaftigkeit zwingt uns Achtung und Entsetzen zugleich ab, ihre unerschrockene Festigkeit versöhnt uns mit ihrer Frechheit, ihre jugendliche Unabhängigkeit macht sie zu Mittelpunkten nicht der Haupthandlung wohl aber der gelungensten Episoden. Dass uns trotzdem der Tydide immer mehr interessiren wird als der König von Algier, das hat seinen Grund nicht in einer Charakterverschiedenheit, sondern in dem Unterschied von Styl und Stoff zwischen den Dichtern selbst. Was uns bei Homer so sehr anzieht, das ist seine kaltblütige Unparteilichkeit, welche jedem der streitenden Theile sein Recht lässt bei den Italienern müssen wir eine gewisse Summe christlicher Sympathie und Antipathie mitbringen oder in deren Ermangelung es gefallen lassen, in ihrer Handlung nur ein künstlich verwirrtes Spiel bedeutungsloser Abenteuer zu erblicken. Das Uebergewicht aber, welches Homer durch das allgemeine Interesse seiner vaterländischen Begebenheit gewinnt, trägt sich auch auf die von ihm geschaffenen Gestalten selbst über. Das wildbewegte und ziellose Wesen der Rolandsgedichte kann insbesondere einen allgemeinen Regulator wie Odysseus gar nicht aufkommen lassen, und gerade für Rodomonte, der untergehen. muss, während Diomed davonkommt, vermissen wir eine solche Abwesenheit am schmerzlichsten.

uns

So stehen denn unsere beiden Helden nicht weiter auseinander als Homer und Ariost, als Alterthum und Mittelalter, als der heidnische Olymp hier und Himmel und Hölle des Christenthums dort. Nur die Ruhe und das Mass der classischen Welt auf der einen, die romantische Leidenschaft und ihre Uebertreibungen auf der andern Seite bewirken einen gewaltigen Unterschied zwischen ihnen. Aber zu diesem Unterschiede kann sich die Kunst nur Glück wünschen, wenn sie nicht in ewiger sclavischer Anschauung der Antike versauern will.

Wollten wir uns die betrachteten Helden beider Theile aus den Händen der Poesie in die anderer Musen übertragen denken, so müssten wir den Diomed als Bildsäule, den Rodomonte im Gemälde zu sehen wünschen, oder den einen redend, den andern singend denken.

Caen, Calvados.

Alex. Büchner.

Ueber die Satyre Menippée.

Im Jahre 1593, als Heinrich IV., König von Navarra und rechtmässiger König von Frankreich, noch um den Besitz dieses seines Königreichs in die hartnäckigsten Kämpfe mit der katholischen Ligue verwickelt war, als die lothringischen Fürsten auf der einen, auf der andern Seite Philipp von Spanien und der Papst durch die Wahl eines katholischen Königs von Frankreich entweder dieses Land an sich zu reissen oder wenigstens dauernden Einfluss auf seine Regierung zu gewinnen hofften, erschien ein Büchelchen, die Satyre Menippée, welches sowohl in der politischen als auch in der Literaturgeschichte Frankreichs den weittragendsten Einfluss gehabt hat. Hatten frühere Schmähschriften die übergrosse Macht der Lothringer denn diese

waren ja die eigentliche Seele der Ligue - oftmals auch angefeindet, so hatten sie doch im wesentlichen das Ansehen derselben nicht zu vermindern vermocht: dagegen gelang es der Satyre Menippée, die Lothringer und ihr Treiben lächerlich zu machen und somit moralisch zu vernichten. Hauptsächlich ist also die Satyre Menippée gegen die Intriguen der Lothringer oder Guisen gerichtet: zum Verständniss derselben scheint es mir unumgänglich nothwendig, zunächst einen kurzen Ueberblick über die vorhergehenden Wirren und namentlich über die Stellung der lothringischen Fürsten in Frankreich zu geben.

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