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Diomed und Rodomonte.

Eine literarische Parallele.

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Unser würdiger alter Bouterwek vermisst in seiner Besprechung von Ariost's Rasendem Roland das Interesse der Charaktere und die feineren Unterscheidungen unter denselben. Unter Ariost's Helden," sagt er, ist kein Achill, kein Diomed, kein Ulyss, kein Hektor." So begründet dieser Tadel auf den ersten Blick erscheinen mag, so löst er sich doch, bei näherer Betrachtung, in eine blosse allgemeine Verschiedenheit des Styls innerhalb der nämlichen Dichtgattung auf. Diese Verschiedenheit ist die von Classisch und Romantisch, von Antik und Modern. Gegenüber der Schärfe der hellenischen Zeichnung erscheinen die Gestalten der Renaissance unbestimmt und verschwommen und sind mithin schwerer von einander zu sondern, als Jene. Aber eine Sonderung lässt sich doch vornehmen, und wenn sie geschieht, so fehlt es an Analogien der künstlerischen Bilder von hier nach dort keineswegs, weder im Allgemeinen noch insbesondere auf dem Gebiete der antiken und der italienischen Epopöe. In den kühlen, aber offenen und geraden Laubgängen des griechischen Genius stehen volle und kalte, kräftige aber bewegungslose, immer schöne, doch zuweilen abstossende Bilder von stets gleicher Farbe - wundersame, bunte Gestalten von schreckhafter Schönheit oder Hässlichkeit wandeln, rennen, irren, schiffen zwischen den brennenden Blumenbeeten, durch die dunkeln Buschpfade, in den üppigen Schlinggewächsen, auf den pfeilschnellen Wassergewinden der leidenschaftlich erregten

neueren Phantasie. Aber diese Bilder und Gestalten zeigen uns, trotz aller äusserlichen Verschiedenheiten, im Grunde dieselben Menschen, unter ihren abweichenden Gewandungen schlägt das nämliche Heldenherz. Dort erscheint ein Charakter, wenn auch nicht in seiner eigentlichen Tiefe, so doch in den allgemeinen Umrissen, klar und fasslich, hier müssen seine Züge mit Aufmerksamkeit und Anstrengung verfolgt werden geschieht aber Letzteres, so lassen sich sichere und dankbare Analogien auffinden, und zwar um so leichter, als ja das antike Epos nicht ohne Einfluss auf das der Renaissance geblieben ist, als ein Bojardo, ein Ariost, ein Tasso, ohne den Homer, Virgil, Ovid gerade nachahmen zu wollen, ihnen die Handwerkskniffe mit einer merkwürdigen Geschicklichkeit abzusehen wussten.

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Wir versuchen unsere Behauptungen zu erhärten durch die Aufstellung einer Parallele zwischen zwei Typen aus jenen beiden verschiedenen Welten. Und zwar wählen wir hierzu solche Persönlichkeiten, welche in ihrer jeweiligen Mitte weder die ersten Heldenrollen spielen noch auch untergeordnete Stellen einnehmen. Denn der officielle Mittelpunkt eines Epos ist allzusehr der Träger und Ausdruck seiner Zeit, um einen dankbaren Vergleich ausserhalb derselben zuzulassen, und andererseits sind die Leute aus der blossen grossen Masse immer dermassen sich selbst gleich, dass sie keine hervorspringenden Anhaltspunkte bieten. Ein Diomed, ein Rodomonte dagegen sind Erscheinungen, welche die Ereignisse weder machen, noch von denselben gemacht werden. Sie stehen in ihrer unabhängigen Heldenkraft etwas zur Seite und sind gerade darum fest abgeschlossene Ganzheiten. Auch sie könnten nicht ohne die Haupthandlung, noch könnte diese ohne sie bestehen, aber sie treten in ihrer Selbstständigkeit häufig genug aus derselben heraus, um in den Episoden wichtiger als irgend sonst wo zu werden. Der „,tollkühne, thierisch unbändige Rodomont," wie ihn Bouterwek nennt und der von Homer so massvoll gezeichnete Diomed sind im Grunde dieselben rücksichtslosen Krieger von rein soldatischer Kühnheit, welche kämpfen, um zu kämpfen, und alle Mittel um dieses Zweckes willen wollen, unabhängige aber ausdauernde Parteigänger, welche ihren Sinn nur ein wenig mehr auf das Ganze zu richten hätten, um selbst den Häuptern

und ersten Helden der sie feiernden Gedichte unser Interesse streitig zu machen.

Betrachten wir dieselben erst einzeln und dann in ihrem Zusammenhang untereinander.

Diomed ist ein bei den alten Dichtern mehr als billig vernachlässigter Charakter. Trotz seiner grossen Thaten lässt ihn Homer wie absichtlich in der zweiten Reihe seiner Helden stehen, und Sophokles verbannt ihn sogar, der Tradition entgegen, aus seinem Philoktet. In der Odyssee wird er in der Erzählung des Nestor kaum und von Proteus gar nicht genannt; auch Virgil lässt ihn nur beiläufig durch seinen frommen Aeneas, der freilich nicht gut auf ihn zu sprechen sein muss, erwähnen als gottlosen Räuber des Palladiums. In der Iliade hat er einen um so grösseren Platz. Was den Tydiden dort besonders auszeichnet und für uns dem furchtbaren Könige von Algier nahe bringt, das ist eine gewisse natürliche und mitunter selbst thierische Wildheit. Dieselbe liegt ihm im Blute. Sehen wir nur seinen Vater Tydeus bei Aeschylus und in den sonstigen Quellen über den Freischaarenzug der Sieben vor Theben. Der Sohn des Oineus, der Eber, ist klein aber schlimm, auch wird er als der erste genannt bei dem Berichte über den Sturm auf die Stadt. Lange vor dem Angriff glüht und brennt er, in Erinnerung an den ihm, dem Gesandten, gelegten Hinterhalt, vor Kampflust; der Schilderschütterer erbost sich mit frivolen Scheltworten über die Verzögerung, welche eine nichtige Seherkunst veranlasst, und gleicht einem Drachen, der in der Mittagshitze zischt, einem Pferde, welches in den Zügel schäumt bei dem Klange der Trompete. Schreiend schüttelt der Krieger seinen dichten, dreifachen Helmbusch, Entsetzen schallt aus den Schellen seines Schildes. Dieser Schild trägt das ruhmredige Bild des Himmels mit seinen glänzenden Lichtern, in der Mitte den Vollmond, den König der Sterne, das Auge der Nacht -der Nacht, die sich, nach der grauenvollen Ironie des Eteokles, auf den Träger solcher Waffen senken soll. Von Melanippus auf den Tod verwundet verscheucht er die Retterin Pallas sie weicht zurück, wie sie ihn an dem Gehirn des von Amphiaraus niedergeworfenen Gegners nagen sieht. Diesem Bild entspricht die Zeichnung des Tydeus in den Schutzflehenden,

wo derselbe nicht durch die Kunst der Rede glänzt, aber unter dem Schilde einen erfinderischen, listreichen Geist bewährt, der ihm in der Wissenschaft des Krieges einen grossen Namen erworben hat, wenn er auch in der Rathsversammlung nur wenige und rauhe Worte zu finden weiss. Aehnliches sagen von ihm die Phönizierinnen. Dort umborstet seinen Schild eine Löwenmähnenhaut, und dessen Träger schwingt, gleich dem Titanen Prometheus, eine Fackel, welche die Stadt Theben anzünden soll.

Der Sohn eines solchen Vaters, der Enkel des Adrast, führt aus Argolis nicht weniger als achtzig dunkle Schiffe nach der Ebene vor Troja, und unter den Helden, welche ihm folgen, gewahren wir vor Allem einen Sthenelus, den Sohn jenes wilden, vor Theben um seines Uebermuthes willen vom Blitz erschlagenen Kapaneus. Ein selbstständiger Krieger wie kein Anderer hat Diomed seinen eigenen Tag in der Iliade, jenen Tag, an dem ihn Athenäa mit Kraft und Entschluss schmückt und ihm auf Helm und Schild eine Gluth entflammt, die ihn dem Glanzgestirne der Herbstnacht gleichen lässt. Nun entfaltet er die wilde, übermüthige Kühnheit seines Erzeugers. Seine Verwundung durch den glänzenden Sohn des Lykaon treibt ihn vorwärts statt zurück, dem Pandaros und dem Aeneas zugleich will der Rufer im Streite trotzen, Jenen trifft sein wohlgezielter Wurf durch's Gesicht, Diesem zerschmettert er die Hüfte mit rauhem Feldstein, und dann, nach dem Sieg über die Sterblichen, beginnt er seinen Wort- und Thatkampf gegen die Götter selber. Der rettenden Mutter des Besiegten schreit er, sie an der Hand verletzend, zu, es solle ihr genügen, Weiber von schwachem Sinne zu verleiten, statt sich in den Krieg zu mengen, dessen blosser Name ihr Schauder erregen müsse und wir finden es natürlich, dass Helena in ihrer Heerschau einen solchen Helden nicht gesehen oder nicht gekannt oder nicht genannt hat. Apollo, der den Aeneas wegträgt, muss den anstürmenden Helden mit ernster Mahnung, sich den unsterblichen Göttern nicht gleich zu achten, zurückschrecken, und dennoch entweicht Jener nur zaudernd. Vor Hektor und Ares in Gemeinschaft will er nur mit stets zurückgewandtem Angesichte langsam fliehen, und fast wie Ironie klingt das Wort:

Nicht suchen wir Kampf mit unsterblichen Göttern!

im Munde des Mannes, der schon in der nächsten Minute seine Lanzenspitze nach dem dritten Olympier strecken wird stark wie ein Dämon. Freilich sitzt bei der Verwundung des Ares Pallas bei ihm auf dem Wagen, dessen buchene Axe stöhnt, weil sie die Grauengöttin und den stärksten der Männer trägt. Ein so wilder Held wird etwas gemildert durch seine Begegnung mit Glaukos, bei welcher sich beide mehr zum Reden als zum Fechten aufgelegt zeigen. Dass der feurige Sohn des Tydeus dabei dennoch eine goldene Rüstung gegen eine eherne gewinnt, das verdankt er dem Zeus. Dieser verblendet den Lykier bei dem Handel bis zur Besinnungslosigkeit, wie zur Belohnung des Diomed, der bei dem Gegner in langer, gottesfürchtiger Rede angefragt hat, ob er nicht etwa einer der Unsterblichen sei, mit denen er, um vieler warnender Beispiele willen, nichts zu thun haben wolle. Nach dieser Episode aber kommt der rauhe Soldat wieder zum Vorschein. Es handelt sich um den gefährlichen Zweikampf gegen Hektor, und Diomed ist der erste, der sich, nach den beiden nächsten Interessenten Menelaos und Agamemnon, und noch vor den beiden Ajax, erhebt. Auch kennt ihn das Volk, denn bei dem Schwingen der Loose wird für ihn, neben dem Telamonier und dem ersten Heerführer, gebetet. Nicht minder ist Diomed, wenn auch der Jüngste im Rath, der Erste, welcher sich gegen Agamemnon's Fluchtvorschlag stemmt, wo alle anderen verstummen, und auch noch nach der verfehlten Botschaft an Achilles zur Beharrlichkeit ermahnt. Lassen wir Jenen gehen oder bleiben, wir selbst stärken uns zu neuem Kampf! Solchen Worten folgt die That: der bedenkliche Kundschaftergang mit Odysseus, bei welchem unser Held, zum dritten Male, der Erste ist, der sich vor den Riss stellt. Nacht und Gefahr vermehren seine Wildheit bis zur Grausamkeit. Nachdem Odysseus den gefangenen Dolon mit freundlichen Worten ausgefragt, haut Diomed dem Flehenden erbarmungslos das Schwert in den Nacken. Im trojanischen Lager lässt ihm sein Gefährte die Wahl zwischen dem Raub der Rosse und dem Mord der Männer, und fast ohne ein Wort zu reden, übernimmt der Tydide die grauenvolle That an den Schlafenden. Euripides oder wer

Archiv f. n. Sprachen. XXXIII.

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