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feste Männlichkeit gegenüber einer tiefen, wenn auch stets zurückgehaltenen Vaterliebe bei dem Verluste des einzigen Sohnes.

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Diese stumme Darlegung eines innern, stark erregten Zustandes macht auch sonst ein Merkmal seines echt deutschen Heldencharakters aus, der die kräftige, sprechende That dem Worte vorzieht und da lieber schweigt, wo die Handlung seine Gedanken kräftig und bestimmt kundgibt. So ertönt, ausdrucksvoll genug für den Sohn, der nach der unglücklichen Schlacht bei Reutlingen dem erzürnten Vater gegenüber sitzt, kein Wort im Saal; aber der Vater (III, 84)

schneidet zwischen Beiden das Tafeltuch entzwei.

Mit seiner ritterlichen Tapferkeit, mit dieser Lust am Dreinschlagen verbindet sich dann List und Schlauheit, wodurch der Greiner im Kriege erst zum wahren Helden wird. Im Kriege kommt es nicht auf blosse physische Kraft, auf Unerschrockenheit und kühne Todes verachtung an, ein verständiges und kluges Lenken der vorliegenden Situation und ein darnach bestimmtes Ergreifen von Massregeln ist dabei oft die Hauptsache. Von dieser Eigenschaft des Grafen legt der ganze zweite Gesang Zeugniss ab, wo er gradezu nicht durch Gewalt der Waffen, sondern durch kluge Vorkehrungen Heimsen erobert und zugleich durch Freilassung eines Thores die Schlägler nicht zur Verzweiflung treibt. Mehr listig ist im vierten Gesange das „,mit Donnerlaut" gerufene Wort: „Die Feinde fliehen!" denn kaum dass (IV, 37)

Die Städter han vernommen das seltsam list'ge Wort,

so beginnt das Wanken,

Das Wort hat sie ergriffen gleich einem Zauberlied,
Der Graf und seine Ritter durchbrechen Glied auf Glied.

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Hervorragend in seinem Charakter ist ferner die stolze Gemüthsart, die selbst seine Feinde anerkennen, wenn sie besprechen (II, 7)

Wie man den stolzen Greiner mit Kriegsheer überfällt;

und als Wolf von Wunnenstein einen reisigen Boten an ihn sendet und ihm Beistand gegen die Städte anbietet, da ent

gegnete der stolze Greiner: „Ich hab sein nicht begehrt" (IV, 15). Aber auch diese Gesinnungsart tritt nicht zu einseitig und zu schroff hervor, sondern wird gemildert durch einen schelmisch neckenden, glücklichen Humor, der zuweilen wohl in's Satyrische übergeht, und der oft gleich neben einer Aeusserung des Stolzes, gewissermassen wie zur Milderung sich hören lässt. So folgen gleich auf obige Antwort des Grafen an den Wunnensteiner die Worte (IV, 16):

Er hat umsonst die Münze, die ich ihm einst verehrt;

mit Bezug auf die im ersten Gesange gegen das Ende erzählte Geschichte, wo er zum Andenken an seine Entschlüpfung aus der Gefahr Münzen prägen lässt und dem treuen Hirten manches Stück davon gibt;

Auch manchen Herrn von Schlegel verehrt er eins zum Hohn!

(I, 64.) Und als gegen Ende des vierten Gesanges der Graf von dem Einfall und dem Raube des Wunnensteiners hört, der ihm eben noch gegen seinen Willen und ohne Dank von ihm haben zu wollen, Beistand gegen die Städter geleistet hat, da lacht der alte Greiner in seinen grauen Bart und ruft (IV, 72):

Das Wölflein holt sich Kochfleisch, das ist des Wölfleins Art!

Als die Schlegler im zweiten Gesange zur Schirmung des Städtchens mit Steinen und Geschossen von den Thürmen werfen, da ruft der alte Greiner (II, 27-28):

„Nur sachte! Euch wird das Bad geheizt,

Aufdampfen soll's und qualmen, dass Euch's die Augen beizt!“ und ebenso gehört hierher das Willkommen, mit dem der Graf die sich ergebenden Schlegelkönige empfängt:

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Willkomm! so ruft der Greiner, willkomm in meiner Haft!
Ich traf Euch gut beisammen, geehrte Brüderschaft!

So konnt' ich wieder dienen für den Besuch im Bad;
Nur Einen miss' ich, Freunde! den Wunnenstein, 's ist Schad'!"
(II, 45 48.)

Als Regent zeigt er landes väterliche Fürsorge im Schutze seiner Unterthanen und in Abwehr jeder Unbill und jeder Gewaltthat. Kaum ist er aus dem Wildbad gerettet zurückgekehrt, so

schickt er tüch'ge Maurer in's Wildbad alsofort,

Sie sollen Mauern führen rings um den offnen Ort,

Damit in künft'gen Sommern sich jeder greise Mann,

Von Feinden ungefährdet, im Bade jüngen kann (I, 65 68).

Kaum hat er im vierten Gesange von der Seinen Noth gehört, die ihnen die Städter bereiten, so kommt er mit starkem Aufgebot zu ihrer Hilfe herangezogen.

Eine solche väterliche Fürsorge erwirbt ihm natürlich Liebe und aufopfernde Hingabe unter seinem Volke. Einen trefflichen Beleg für diese Gesinnung bringt der erste Gesang, wo es wahrhaft rührend ist, wenn der treue Hirte den ermüdeten alten Herrn auf den Rücken nimmt und zu ihm sagt: „Ich thu's von Herzen gern" (I, 56). Dass der Graf für geleistete Dienste dankbar ist, wird gleich dabei erzählt, da er von den zum Gedächtnissmal geprägten Münzen „dem treuen Hirten manch blankes Stück gibt“ (I, 63). Er erkennt sogar die Dienste an, die ihm sein Feind leistet, möchte dafür dankbar sein und reicht daher nach der Schlacht bei Döffingen dem Wunnensteiner die Rechte:

Hab Dank, Du tapfrer Degen, und reit mit mir nach Haus,
Dass wir uns gütlich pflegen nach diesem harten Strauss.
(IV, 55 - 56.)

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Als Vater fanden wir den alten Greiner bereits an der Bahre seines einzigen Sohnes die ganze Nacht hindurch wachend, und erfahren wir hieraus seine grosse Vaterliebe, so ist eine andere Stelle in der Rhapsodie, die uns weiteren Aufschluss über die Verhältnisse zwischen Vater und Sohn gibt, und aus der wir erkennen, dass der schon erwachsene und bereits in den Jahren weit vorgeschrittene Sohn kindliche Scheu und ehrerbietige Furcht vor dem greisen Vater hat, mithin letzterer sich in hohem väterlichen, ehrfurchtgebietenden Ansehen bei seinem längst mündigen Ulrich zu erhalten gewusst hat und noch weiss. Als im dritten Gesange Ulrich nach der Schlacht bei Reutlingen von seinen Wunden geheilt ist, reitet er nach Stuttgart, „er hat nicht sehr geeilt."

Er trifft den alten Vater allein am Mittagsmahl,

Ein frostiger Willkommen! kein Wort ertönt im Saal.

Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an dem Tisch,

Er schlägt die Augen nieder, man bringt ihm Wein und

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Da fasst der Greis ein Messer und spricht kein Wort dabei
Und schneidet zwischen beiden das Tafeltuch entzwei!
(III, 78 84.)

Dies Alles erinnert an die strengen Erziehungsmaximen im Mittelalter, wo in der Hütte, wie im Palast der Sohn angehalten wurde, rücksichtslos die väterliche Oberhoheit anzuerkennen und ohne Widerrede und stumm zu gehorchen, wie ihm oft stumm oder doch ohne viel Worte geboten ward.

Des alten Rauschebarts Verhältniss endlich zur Kirche und Religion zeigt ihn uns ganz in dem from men, kindlich gläubigen Sinne der damaligen Zeit, der so etwas Einfaches, zum Herzen Sprechendes hat, was ausser allen andern Eigenschaften ihn uns vorzugsweise liebgewinnen lässt. Mit dem Abte von Hirschau steht er in freundschaftlichem Verkehr, bei ihm kehrt er ein und trinkt den kühlen Klosterwein (I, 10). Im Bade angekommen, versäumt er es nie, „erst sein Gebet zu sprechen" (I, 18), ehe er in die Fluth steigt; und als im letzten Gesange nach so vielen Unglücksbotschaften ihm die frohe Mähre gebracht wird: „Glück zum Urenkelein!" (IV, - 80.)

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Da hebt er hoch die Hände, der ritterliche Greis:

Der Fink hat wieder Samen, dem Herrn sei Dank und

Preis!

Neben dem vollen deutschen Charakter des Rauschebarts schildern die dargestellten Begebenheiten, wenn sie sich auch speciell auf würtembergischem Boden bewegen, doch allgemeine deutsche Zustände aus der letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts und auch dadurch gewinnt das patriotische Interesse an dem herrlichen Gedichte. Abgesehen von dem allgemeinen, in Deutschland verbreiteten Sonderinteresse der einzelnen Staaten für ihren Oberherrn, ein Interesse, das damals vollständig zum Durchbruch kam und das an dem einzelnen Beispiele des würtembergischen Grafen und seiner Unterthanen gezeigt wird, bei denen

Archiv f. n. Sprachen. XXXIII.

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wir sammt und sonders keine Spur von dem einheitlichen deutschen Bewusstsein finden, abgesehen also davon, waren die geschilderten Ereignisse der Ritterverbindungen und der Städtevereine allgemeiner Natur in Deutschland. Im Osten und Westen, im Norden und Süden traten solche Ritterverbindungen auf, entweder um gemeinschaftliche Räubereien auszuführen, oder gegen andere Raubrittervereine sich zu schützen und die letztern in ihr früheres Abhängigkeitsverhältniss zurückzubringen. Die Städte aber vereinigten sich theils zu allgemeinen Handelszwecken, theils zur Sicherstellung ihrer Karawanen gegen die Raubritter, theils zur Erkämpfung einer politisch unabhängigen Stellung in dem deutschen Vaterlande, wie die Schweiz mit rühmlichem Beispiele vorangegangen war. Da sie gediegene Kraft in sich spürten und sich ihres Werthes bewusst wurden, wollten sie dies auch äusserlich im politischen und socialen Leben zur Geltung bringen. Hieraus entstand damals der grosse Kampf zwischen Ritter- und Bürgerthum, der unter den Begebenheiten unseres Gedichtes eigentlich den Mittelpunkt und Kern bildet. Aus diesem Kampfe ging das Ritterthum siegend hervor, wie denn dessen Hauptvertreter, der Graf von Würtemberg, auch der Held des ganzen Gedichtes ist. Die Regierungszeit des Rauschebart fällt grade in die Jahre, als Ritter und Städte sich in Wichtigkeit und Bedeutung noch gegenseitig die Waage hielten, ja als eigentlich die Städte ein merkliches Uebergewicht über die Ritter zu erlangen begannen, endlich aber, und besonders durch die bedeutenden Anstrengungen des würtembergischen Grafen und durch seinen Sieg bei Döffingen ihre politisch wichtige Bedeutung, und mit ihr zugleich der grösste Theil seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit von andern Fürsten verlor. Wegen dieser hohen und höchsten Güter, um die sie kämpften, die Städter um Freiheit und Unabhängigkeit, die Ritter und Edlen gradezu um ihre Existenz und alte, von den Vätern ererbte Geltung, beweisen sie auch eine so mannhafte Tapferkeit und eine so heldenmüthige Lust am Dreinschlagen, die Ritter so gut wie die Städter, und wenn sich die Ritter „als Löwen kund thun," so will der Städter ,,baden im heissen Ritterblut," und dabei „nimmt man nicht gefangen, da geht es auf den Tod" (III, 30-33).

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