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allgemeinen Korruption bildete 1). Das Übel scheint unausrottbar gewesen zu sein, denn noch Justinian macht den Versuch, durch eine Verordnung die Soldaten gegen unerlaubte Beeinträchtigungen von seiten der duces, Tribunen und Offizialen in Schutz zu nehmen 2).

Wie der Herr, so der Knecht! Wenn die Offiziere auf Kosten der Untergebenen in ihre Tasche wirtschafteten, so versuchten ihrerseits die Soldaten, sich durch Räubereien und Erpressungen an ihren Quartierwirten und an sonstigen friedlichen Bürgern schadlos zu halten 3). Die besseren Elemente unter ihnen versuchten ihre Einkünfte zu steigern, indem sie alle möglichen landwirtschaftlichen oder kaufmännischen Nebenbeschäftigungen übernahmen. Da sie hierüber den Dienst vernachlässigten, wurde dies mehrfach verboten1); aber die wiederholten Verordnungen zeigen, daß die Soldaten immer wieder zu dieser Aushilfe griffen und wahrscheinlich auch infolge des Druckes von oben greifen mußten. Die wirtschaftliche Not mußten sie um so bitterer empfinden, da sie seit Septimius Severus durchweg verheiratet waren3). Wenigstens erfahren wir nirgends, daß im 4. Jahrhundert ihrer Eheschließung noch Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Nur, um ihre Familie in der Garnison bei sich zu haben, bedurfte es besonderer Erlaubnis).

Über soldatische Sitten und Gebräuche erfahren wir nur gelegentlich und fast nur bei Ammian Einzelheiten. Unter den Offizieren scheint rege Geselligkeit geherrscht zu haben. Öfters hören wir von Gastmählern), bei denen dann auch nebenbei hohe Politik getrieben wurde. So ward Julian als Augustus aus

1) Zos. V 46, 5.

2) Cod. lust. I 27, 2 § 8f. Über die Bestechlichkeit der actuarii vgl. oben S. 193.

9) S. oben S. 235. 240; ferner Vita Pescen. Nig. 10, 5; V. Alex. Sev. 51, 6; V. Aurel. 7, 5.

4) Theodos. VII 1, 15 (vom Jahre 396); Cod. lust. XII 35, 13 pr. (398). 15 (458); IV 65, 31 (458); Nov. CXVI; vgl. Dig. XLIX 16, 12 § 1; Veget II 19 (S. 53, 16 ff.).

5) Herod. III 8, 5; Amm. XX 4, 11; 8, 8. Über Soldatenehe vgl. Marquardt, Röm. Staatsverwaltung II S. 560 ff.; Seeck, Untergang d. antik. Welt I S. 416. 596–598 (Anh).

"). Theodos. VII 1, 3 (vom Jahre 349).

7) Amm. XV 3, 7; XX 4, 13; XXI 4, 3ff.; XXV 8, 18.

gerufen infolge eines Abschiedsmahls, das er in Paris für die Offiziere seiner auxilia veranstaltet hatte1).

Ansprachen des Feldherrn an seine Soldaten waren noch so üblich wie in früherer Zeit. Neugewählte Augusti oder Caesares pflegten sich in öffentlicher Versammlung dem Heere vorzustellen) oder wurden ihm von dem älteren Mitherrscher vorgestellt3). Sonst wurden Ansprachen gehalten bei Beginn eines Feldzugs') oder auch während der kriegerischen Ereignisse bei allen möglichen Gelegenheiten, um auf die Stimmung der Soldaten günstig einzuwirken 5). Auch pflegte wohl ein donativum mit einer Ansprache verteilt zu werden). Die Soldaten bezeugten bei diesen Gelegenheiten ihren Beifall durch Stoßen der Schilde gegen die Knie) bzw. gegen die Beinschienen (hierüber später Genaueres) oder wohl auch durch Hochheben der Schilde 8), Zorn und Mißfallen dagegen, indem sie mit den Lanzen gegen die Schilde schlugen ). Also war dumpfes Waffengerassel Zeichen der Freude, Schlagen und Klappern dagegen Ausdruck der Trauer. Möglicherweise war diese Sitte gallisch-germanischen Ursprungs1o), doch bedarf es einer solchen Erklärung nicht; sie kann auch ganz von selbst innerhalb des römischen Heeres entstanden sein 11). Unser Theaterpublikum klatscht oder pfeift und zischt, unsere Studenten trampeln oder scharren, da man bei solchen Gelegenheiten sitzt und keine zum Lärm geeigneten Instrumente zur Hand hat; der römische Soldat stand und trug in den Händen Schild und Lanze, konnte also nur mit der Stimme und mit diesen

1) Amm. XX 4, 13 ff.

2) Amm. XX 5, 1 (Julian); XXVI 2, 3 (Valentinian); XXVI 6, 18 (Procopius).

$) Amm. XV 8, 4 (Julian von Constantius); XXVII 6, 5 (Gratian von Valentinian).

1) Amm. XXI 13, 9 (Constantius); XXI 5, 1; XXIII 5, 15 (Julian).

❝) Amm. XIV 10, 10; XVII 1, 2; 13, 25; XXIV 3, 3.

6) Amm. XV 6, 3.

2 Amm. XV 8, 15; wahrscheinlich auch XXIV 3, 8; XXVII 6, 10; wohl irrtümlich XXIX 5, 39; vgl. A. Müller, Militaria, S. 626 f.

8) Amm. XXIII 5, 24.

9) Amm. XV 8, 15; ferner XIV 2, 17; XVI 12, 13; XXV 3, 10; wahrscheinlich auch XXI 5, 9; XXXI 12, 12; wohl irrtümlich XX 5, 8.

10) Vgl. Liv. XXXVIII 17; Caes. BG. VII 21, 1; Tac. Hist. V 17; Germania, 11. A. Müller a. a. O. S. 627f.

11) Vgl. Polyb. XI 30, 1; XV 12, 8.

beiden Waffen seinen Gefühlen Ausdruck geben. Unzweifelhaft germanisch ist dagegen der barritus, der Schlachtruf der Auxilien und später des ganzen römischen Heeres, der von leisem Gemurmel zu furchtbarem Geschrei anschwoll1).

Von einem eigentümlichen Gebrauch bei der Ableistung eines Eides erzählt uns Ammian (XXI 5, 10). Als Julian gegen Constantius ziehen will, geloben die Soldaten ihm Treue bis in den Tod, indem sie unter furchtbaren Schwüren und Verwünschungen das Schwert gegen den Nacken halten. Der Sinn dieser Zeremonie ist klar; überliefert wird sie uns meines Wissens nur an dieser Stelle.

In jeder Gesellschaft von Menschen, die draußen im Gelände beschäftigt ist, bürgern sich bestimmte Zeichen ein, mit denen man sich außer Rufweite verständigt. Daß dies auch in der römischen Armee der Fall war, bezeugt Ammian: die Nähe des Feindes und das Gelingen eines Unternehmens wurde durch Winken mit Hand und Mantel signalisiert 2).

Daß der heidnische Aberglaube der divinatio, das Erforschen der Zukunft durch allerhand Vorzeichen, im Heere des 4. Jahrhunderts noch allgemein im Schwange war, ist selbstverständlich - ist doch dieser Glaube sogar heute noch unter den Gebildeten aller christlichen Völker viel verbreiteter, als der einzelne zuzugeben pflegt. Die Stellung der Kaiser hierzu war verschieden. Constantius bekämpfte die divinatio mit scharfen Verordnungen 3), obgleich er selbst von Aberglauben nicht ganz frei gewesen zu sein scheint1). Ammian, der auf diesem Gebiete überzeugter Anhänger der alten Religion ist"), spottet über ihn, daß er Leute hinrichten ließ, die sich das Pfeifen einer Spitzmaus oder die Begegnung eines Wiesels deuten ließen oder die sich irgendeine Krankheit von einem alten Weibe durch Sympathie heilen ließen). Julian war dagegen der divinatio so ergeben, daß hier 1) Vgl. oben S. 38 unten, ferner Ihm, Barditus, Pauly-Wissowa III 1 Sp. 10f. 2) Amm. XVIII 6, 13 (porrecto extentius bracchio et summitatibus sagi contortis); XXV 6, 14.

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3) Theodos. IX 16, 4. 5
4) Amm. XXI 14, 1f.; 15, 2.

Cod. Just. IX 18, 5. 6 (vom Jahre 357).

3) Amm. XXI 1, 7-14: eine ausführliche Erörterung der verschiedenen Vorzeichen. Über den Glauben Ammians vgl. Schanz, Gesch. d. röm. Lit. IV 1, S. 93f.

*) Amm. XVI 8, 2.

sogar Ammian ein Zuviel feststellen muß1). Auch der christliche lovianus machte von der Eingeweideschau Gebrauch2), und Valentinian bezeichnete in einer Verfügung vom Jahre 371 die divinatio als harmlos und erlaubte sie wieder). Erst im 5. Jahrhundert wurden die damit betrauten Priesterkollegien allmählich aufgehoben, und somit war in dem nun wenigstens äußerlich völlig christianisierten Reiche die divinatio vom offiziellen Staatsglauben zum privaten Aberglauben herabgesunken. Ammians Erzählung von den Feldzügen Julians ist voll von Berichten über Vorzeichen und Wunder'), aber auch in anderen Teilen seines Buches fehlen sie nicht).

VIII. Heeresstärke 6).

Es ist ein naheliegender und bestechender Gedanke, den Mannschaftsbestand des spätrömischen Heeres mit Hilfe der amtlichen Notitia Dignitatum durch Addition der hier verzeichneten Truppenteile zu erschließen. Leider müssen wir bei näherer Überlegung dieses Unternehmen als völlig aussichtslos aufgeben. Denn einerseits ist das Verzeichnis teilweise unvollständig und verstümmelt, anderseits ist zu bedenken, daß es aus dem Beginn des 5. Jahrhunderts stammt, wo aus später zu erörternden Gründen zweifellos viele Truppenkörper bloß noch auf dem Papier standen. So wird hier noch die tatsächlich längst aus dem Reichsverband ausgeschiedene Provinz Britannien angeführt, und zwar haben wir festgestellt, daß ihr Truppenverzeichnis die Zustände des 3. Jahrhunderts wiedergibt. Ferner sind wir nicht hinreichend über die Stärke der einzelnen Truppenkörper unterrichtet. Bei den Legionen können wir im einzelnen nicht mit Sicherheit feststellen, ob es sich um die alte Vollegion von 6000 oder das

1) Amm. XXI 2, 4; XXV 4, 17: praesagiorum sciscitationi nimium deditus. 2) Amm. XXV 6, 1.

3) Theodos. IX 16, 9.

4) Amm. XXIII 3, 6; 5, 8ff. Weitere Belege bei A. Müller, Militaria, S. 624f.

5) Z. B. Amm. XXXI 1, 3f.

6) Militärwesen S. 253

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260 ff.; Seeck, Untergang d. antik. Welt II (Anhang) S. 480--483; Delbrück, Gesch. d. Kriegskunst II S. 226 ff., 311f.; Liebenam, Exercitus, Pauly-Wissowa VI 2 Sp. 1617.

Detachement von etwa 1000 Mann handelt1). In bezug auf die übrigen Truppenteile sind wir durchweg auf Vermutungen angewiesen. Allerdings sind unsere Annahmen gut begründet, aber wenn wir der festgestellten Durchschnittsziffer von 500 Mann auch unbedingtes Vertrauen schenken können, so haben wir damit doch nur die Sollstärke festgelegt, tatsächlich wird der Mannschaftsbestand dieser ungemein zahlreichen Formationen sehr verschieden gewesen sein. Aus allen diesen Gründen ergeben sich so große Schwankungen, daß wir keinen festen Boden für eine Berechnung finden können. Höchstens das Feldheer läßt sich überschlagen, da wir hier die Legion durchweg als Detachement ansprechen können und da wir für auxilium, vexillatio und schola mit ziemlicher Sicherheit die Zahl von 500 Mann festgestellt haben. Es zählte 94 Legionen und 108 Auxilien, also 148000 Mann Fußvolk, ferner 81 Vexillationen und zwölf Scholen, also 46500 Mann Reiterei, zusammen 194500 Mann. Da man bei diesen eigentlichen Kampftruppen sicher besonderen Wert auf Vollzähligkeit der Formationen gelegt hat, so mag diese Zahl einigermaßen das Richtige treffen.

Wir müssen uns also nach anderen Quellenzeugnissen umsehen. Da fällt zunächst ins Gewicht die Angabe des Lactantius, daß Diokletian die Armee vervierfacht habe). Eine so starke Vermehrung ist natürlich ausgeschlossen, sie hätte das wirtschaftlich geschwächte Reich gar nicht leisten können. Auch läßt sich für diesen Irrtum eine naheliegende Erklärung finden. Bis zum Ende des 3. Jahrhunderts stand das Heer an den langen Sperrlinien der Grenzen verteilt, so daß der römische Bürger im Innern, wenn wir von der starken hauptstädtischen Garnison und gelegentlichen Truppendurchzügen absehen, nur schwache Kommandos zu sehen bekam. Durch die diokletianisch-konstantinische Reform aber wurden ganze Heeresgruppen an den Verkehrsmittelpunkten in großen Konzentrationslagern vereinigt, wodurch dann leicht der Eindruck einer Vervielfachung der Truppenzahl erweckt werden konnte. Aber die Tatsache einer Verstärkung des Heeres durch Diokletian und Konstantin braucht deshalb nicht angezweifelt zu werden, und sie wird durch andere Quellenzeugnisse zur Ge

1) Die Einzelheiten sind oben bei der Erörterung der verschiedenen Truppenkörper abgehandelt.

2) Lact. de morte pers. 7, 2.

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