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solche Leute - er spricht allerdings nur von Veteranensöhnen noch für die Curie haftbar machen, von einer anderen Bestrafung ist nicht die Rede 1). Valentinian wiederholt und verallgemeinert diese Verordnung in einem Erlaß an den vicarius urbis Romae vom Jahre 367, während er ein bis sechs Jahre später dem praefectus praetorio Galliarum befiehlt, die Selbstverstümmelung mit dem Feuertode zu bestrafen; auch der Herr, der seinen Untergebenen nicht daran hindert, soll schwer gebüßt werden2). Auffallend ist, daß diese barbarische Justiz gerade für Gallien, angeordnet wurde, wo nach Ammians Worten das Abschneiden der Finger gar nicht vorkam. Vielleicht bezieht sich dieser Erlaß auf Britannien, das auch zum Bezirk des gallischen Präfekten gehörte und wo auch Ammian Deserteure erwähnt). Theodosius I. kehrt nun im Jahre 381 zu der älteren milden Praxis zurück1). Er sieht von einer Leibesstrafe ab, verlangt aber von dem Verstümmelten den Militärdienst, den er ableisten muß, ohne auf die soldatischen Ehrenrechte, also auch auf Beförderung, Aussicht zu haben. Ferner galten bei der Rekrutenstellung zwei solche Verstümmelte nur für einen vollwertigen Mann. Diese Bestimmung mag wirksam gewesen sein, aber natürlich bereicherte sie die Armee um körperlich wie geistig völlig unbrauchbare Elemente.

Auf Leute, die sich nicht nur zu „drücken" versuchten wie die murci, sondern fahnenflüchtig in des Wortes voller Bedeutung waren, wurde regelrecht Jagd gemacht. Zu diesem Zwecke wurden Protektoren und Tribunen in die Provinzen geschickt. Diese müssen sich dabei vielfach Übergriffe erlaubt haben, denn eine Bestimmung vom Jahre 412 befreit aus diesem Grunde Afrika von ihnen 5). Jedermann hatte das Recht, einen Fahnenflüchtigen zu verhaften und, wenn er Widerstand leistete, kurzerhand zu töten"); wurde dieser seinem Truppenteile eingeliefert,

1) Theodos. VII 22, 1 (vom Jahre 319).

2) Theodos. VII 13, 4. 5.

3) Amm. XXVII 8, 10. Vgl. zu dieser Frage Gothofredus u. Liebenam Sp. 634 oben.

4) Theodos. VII 13, 10, an den praef. praet. Orientis (nicht Illyrici, wie Liebenam Sp. 634 meint, s. Index [Ed. Mommsen-Mayer] S. CLXXIII) Eutropius gerichtet.

5) Theodos. VII 18, 10 (vom Jahre 400). 17 (vom Jahre 412).

") Theodos. VII 18, 13-15 (Cod. Iust. III 27, 2; XII 45, 3; im Jahre 403 und 406).

so erlitt er je nach der Länge seiner unerlaubten Abwesenheit eine Degradation von zehn Jahren bis zu lebenslänglicher Dauer 1). Mit den schwersten Strafen wurden Leute bedroht, die Deserteure bei sich verbargen2). Sehr häufig kam es vor, daß Soldaten freigeborene und gestellungspflichtige Leute unter dem Vorwande, es seien ihre Angehörigen, oder auch als Marketender zu sich ins Lager aufnahmen; sie werden durch einen Erlaß vom Jahre 367 aufgefordert, diese ihren Offizieren anzuzeigen; zur Belohnung sollen sie befördert, andernfalls degradiert werden3) wieder ein Zeichen, wie verbreitet die Flucht vor dem Kriegsdienste war. Mehrfach werden harte Strafen festgesetzt, die einen Zivilisten treffen sollen, der einen Fahnenflüchtigen in seiner Wohnung verbirgt: er soll fünf Pfund Gold zahlen1); ist er geringen Standes, wird er zur Zwangsarbeit in den Bergwerken, ist er ein Mann von Rang und Besitz, wird er zur Zahlung seines halben Vermögens verurteilt"); in einem noch schärferen Erlaß Valentinians wird jener mit Prügel- und lebenslänglicher Bergwerksstrafe, dieser mit der Gestellung von zehn Rekruten oder einer Geldbuße von 50 Pfund Gold bedroht). Wird auf einem Gute ein versteckter Fahnenflüchtiger entdeckt, so soll der Verwalter als der Hauptschuldige verbrannt), der Inhaber, wenn er darum gewußt hat, mit Konfiskation des Besitztums bestraft werden). Daß diese drakonische Bestimmung dreimal wiederholt wurde, beweist natürlich nur, daß auch sie wirkungslos blieb. Endlich wurden für die Auslieferung eines Deserteurs Belohnungen ausgesetzt 9). Aus mehreren Erlassen gewinnen wir den Eindruck, daß die Ergänzung des durch Diokletian so stark vermehrten Heeres oft schwere Sorgen bereitete. Die Lücken, welche die freiwillige Werbung offen ließ, sollten zunächst durch die adcrescentes, erst in zweiter Linie durch die übrigen Gestellungspflichtigen ausgefüllt werden; nur im äußersten Notfalle sollten auch die censiti

1) Theodos. VII 18, 16 = Cod. Iust. XII 42, 3 (im Jahre 413).

2) Theodos. VII 13, 21 (vom Jahre 416?).

3) Theodos. VII 1, 10.

') Theodos. VII 1, 15 (vom Jahre 396); vgl. 12. 16. 17.

") Theodos. VII 18, 1 (vom Jahre 365).

6) Theodos. VII 18, 8 (vom Jahre 383); vgl. 9 u. 12.

2) Theodos. VII 18, 2 (vom Jahre 379). 4 (380). 5 (381). 8 (383).

8) Theodos. VII 18, 4.

9) Theodos. VII 1, 10; 18, 3

herangezogen werden 1). In Zeiten der Not, wie zu Beginn des 5. Jahrhunderts, wurde jede Befreiung scharf geprüft3) und an die Vaterlandsliebe der ganzen Bevölkerung appelliert3).

Im justinianischen Kodex wird die mittelbare Aushebung nur noch selten und beiläufig erwähnt1); wir können daher annehmen, daß sie damals im wesentlichen außer Gebrauch war. Da auch der Erbzwang und die Einziehung der vagi abgeschafft war, so blieb also im wesentlichen nur noch die Anwerbung von Freiwilligen übrig. Sie mag ausgereicht haben, um die dürftigen nationalen Formationen zu füllen, bestand doch der Kern des Heeres aus ausländischen Söldnern. Wenn wir bedenken, wie schwer die Zwangsaushebung auf dem römischen Leben im 4. und 5. Jahrhundert lastete, so können wir ermessen, welche Erleichterung diese Veränderung des Militärsystems mit sich gebracht haben muß. Sie ist sicher einer von den vielen Gründen gewesen, die das Aufblühen so mancher Provinzen im 6. Jahrhundert ermöglichten.

1) Theodos. VII 13, 6 (vom Jahre 370).

2) Theodos. VII 13, 15 (vom Jahre 402); vgl. 18; VI 27, 13.

3) Theodos. VII 13, 16. 17 (vom Jahre 406).

4) Cod. lust. X 42, 8; XII 16, 2.

C. Die inneren Verhältnisse der Armee des

4. Jahrhunderts.

I. Die Quellen.

In bezug auf das Innenleben der Armee des 4. Jahrhunderts sind wir etwas einseitig unterrichtet, da wir fast ausschließlich auf die Schilderungen Ammians angewiesen sind. Glücklicherweise ist er ein erfahrener Soldat, ein scharfer und wahrheitsliebender Beobachter und ein Meister der Charakteristik, so daß wir uns im allgemeinen auf seine Darstellung unbedingt verlassen können. Dem-steht leider gegenüber, daß seine Terminologie, wie wir schon früher öfters zu unserem Schmerze beobachten konnten, außerordentlich ungenau ist und er uns deshalb in so mancher Einzelfrage im Stiche läßt, wo er als praktischer Militär zweifellos genauen Bescheid erteilen könnte.

II. Der Dienst1).

Daß auch im 4. Jahrhundert das kunstgemäße Exerzieren noch geübt wurde, sehen wir daran, daß großer Wert auf die armatura oder pyrrhicha militaris gelegt wurde. Es war dies eine Art Kriegstanz, ein beliebtes militärisches Paradestück, wie es seit republikanischer Zeit an Festtagen im Zirkus2) dem Volke vorgeführt wurde. Eingeübt wurde es von den Exerziermeistern, den campidoctores). Bei der armatura pedestris wurde kunstvoll nach den Klängen der Musik marschiert'). Dies hatte auch 1) A. Müller, Militaria, S. 612 ff.; Pollack, Armatura, Pauly-Wissowa II 1 Sp. 1178f.

2) Veget, II 23 (S. 57, 5).

3) Veget. I 13; II 23.

4) Amm. XVI 5, 10. Eine ausführliche Schilderung nur bei Livius XLIV 9 (im Jahre 169).

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praktische Bedeutung, da auch gelegentlich beim kriegsmäßigen Marsche nach dem Takte der Musik getreten wurde1). Das römische Heer besaß also eine feste Marschdisziplin und stand auf diesem Gebiete noch weit über den wegen ihres militärischen Drills berühmten Landsknechten des 16. Jahrhunderts, die meist ohne Tritt und ohne feste Ordnung einherzogen. Eine Schilderung der armatura equestris gibt uns Claudian aus dem Jahre 4042). Sie bestand vor allem aus einem Scheingefecht bewaffneter Reiter mit Angriff und Flucht, mit kunstvollen Bewegungen und Zusammenschlagen der Schilde und Schwerter, alles nach dem Takte, den der Leiter des Spiels, also wohl der campidoctor, durch Peitschenknall angab ganz wie in unserer Zeit bei ähnlichen Veranstaltungen im Zirkus. Dann folgte eine gemeinsame Ehrenbezeugung vor dem Veranstalter der Feier, in diesem Falle dem Kaiser, und den Schluß machte ein allgemeines Voltenund Figurenreiten. Das Ganze setzt voraus, daß die römische Reiterei nicht nur im Geländereiten ausgebildet wurde, sondern auch eine gründliche Reitschule durchmachte. Welch hoher Wert auf diese Übungen bei Infanterie und Kavallerie gelegt wurde, geht daraus. hervor, daß Ammian des Constantius gründliche Kenntnis der armatura pedestris rühmt) und daß Julian die pyrrhicha militaris erlernte'), daß diese Übung ferner die größte Freude des sonst unfähigen Heermeisters Sabinianus war3). Sonstige militärische Vorübungen erwähnt Ammian nur in allgemeinen Ausdrücken®), einmal erfahren wir, daß Julian bei einer solchen den Schild zerbrach), ein andermal, daß auch eine besondere Art des Ringens hierzu gehörte 9).

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Nach wie vor mußte der römische Soldat schwersten Arbeitsdienst beim Aufschlagen des Marschlagers (darüber weiter unten), beim Bau von Kastellen und der Wiederherstellung zerstörter Ortschaften leisten 9). Als Valentinian am ganzen Rhein Kastelle anlegte,

1) Amm. XIX 6, 9; XXIV 6, 10.

2) Claudian., Paneg. de VI. consulat. Honor. 621–639.

3) Amm. XXI 16, 7. Dasselbe über die Söhne des Ursicinus: XIV 11, 3. 4) Amm. XVI 5, 10.

5) Amm. XVIII 7, 7.

*) Amm. XIV 11, 3; XVI 5, 10: proludia disciplinae castrensis.

7) Amm. XXI 2, 1.

9) Amm. XXX 7, 3: peritia militum more luctandi.

9) Amm. XVI 11, 11; XVII 9, 1; XVIII 2, 3-6; XXIX 5, 18;

XXXI 8, 1.

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