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wichtigen Fragen finden.

Indem Korkunow das Proportionalsystem als das beste und zweckentsprechendste für die politische Vertretung erachtet, findet er es als durchaus notwendig und untadelhaft für die politische Wahlen in die Vorkommissionen, welche für eine allseitige Besprechung der einzelnen Fragen einberufen werden und besonders bei der örtlichen Vertretung erforderlich sind.

Das autonome lokale Leben ist auf mannigfaltigen Lokalinteressen und Verschiedenheiten gegründet; die Staatsmacht kann nicht zulassen, dass irgendwelche örtlichen Interessen durch eine zufällig überwiegende Mehrheit unterdrückt werden. Der ganze Mechanismus der Selbstverwaltung beruht auf der gegenseitigen. Beeinflussung der allgemeinen Staatsziele und der örtlichen Bedürfnisse, nicht aber auf der Opposition und Kontrole der abwechselnden Regierungsparteien. Die örtliche Vertretung, meint Korkunow, dient nicht wie die politische zur selbständigen Stütze der Staatsmacht; die örtlichen selbstverwaltenden Behörden wirken selbst als Bevollmächtigte der Staatsmacht; sie stützen sich in ihrem Wissen auf staatliche Autorität und schöpfen ihre Kraft und Einigkeit von der Regierung. Wir sind vollkommen damit einverstanden, dass bei der Lokalvertretung der Hauptpunkt in der Beschützung und Entwickelung aller mannigfaltigen örtlichen Interessen liegt und das beste Mittel zum Erreichen dieses Zieles die Proportionalwahlen darbieten; aber wir können in keinem Falle zugeben, dass die Lokalautonomie sich ausschliesslich auf die Staatsautorität stützt, indem sie ihre Einigkeit und Existenzkraft von ihr schöpft. Ohne Zweifel, die Lokalautonomie ist eine untergeordnete Organisation, ihre Autorität soll durch ein Gesetz genau bestimmt sein, ebenso wie diejenige aller anderen Staatsanstalten, das Parlament mit eingeschlossen. Aber das Gesetz muss der örtlichen Selbstverwaltung eine ungehinderte Selbstentwickelung und hinreichende Unabhänigkeit für die Erfüllung ihres Berufes zum Schutze und Wachstum der Lokalkräfte und Interessen freistellen; wenn man nun diese Selbstverwaltung nur zu einem untergeordneten Abhängigkeitsverhältnis im ganzen Staatssystem bestimmt, so wird sie nicht nur ihr Berufsziel verfehlen, sondern auch schwach und der Staatsgewalt nicht hinlänglich behilflich sein können. Wir erlauben uns deshalb gelegentlich zu bemerken, dass einige der neuesten Änderungen in der russischen Munizipal- und

Landesordnung die russischen selbstverwaltenden Staats- und Landesbehörden in eine zu grosse Abhängigkeit von der Lokaladministration gebracht haben und dass diese Änderungen kaum für die Fortentwickelung der Landbvölkerung dienen und dem. sozialen Fortschritte den erwarteten Nutzen bringen werden.

Die neue Landordnung (12. Juni 1890) und die neue Munizipalordnung (11. Juni 1892) liessen die Angelegenheiten der Behörden und die Aufgaben der Land- und Stadtverwaltungen fast in der alten Lage und in dem früheren Umfange, aber sie haben gründlich ihre Selbständigkeit und ihren Charakter umgestaltet. Erstens vergrösserten sie die Anzahl der Fragen, für deren Erledigung eine Bestätigung des Gouverneurs oder des Ministers des Innern nötig ist (Zemskoie polojenie 82, 83, 85; Gorodowoie polojenie 78, 79); zweitens ist den Gouverneuren nicht nur die Aufsicht über die Gesetzmässigkeit, sondern auch über die Richtigkeit der Handlungen der Landes- und Stadtbehörden gestattet (Zemsk. pol. St. 5; Gorodow. pol. St. 11). Kraft dieser Aufsicht besitzt der Gouverneur das Recht, die Bestimmungen der Landes- und Stadtsitzungen zu suspendieren, wenn er sieht, dass diese 1) dem Gesetze widersprechen, oder die Kompetenz der Behörden, die Machtgrenzen und die Geschäftsordnung überschreiten, oder 2) wenn sie nicht den allgemeinen Staatsbedürfnissen entsprechen, oder offenbar den Interessen der Ortschaftsbewohner schaden" (Zemsk. pol. St. 87; Gorod. pol. St. 83). 3) Dem Gouverneur ist nicht nur das Revisionsrecht über alle Landes- und Stadtbehörden eingeräumt, sondern er ist auch befugt, Vorschriften zur Restitution zu erteilen, falls er von einer unrichtigen Handlung bei der Revision oder auf irgend eine andere Weise erfährt (Zemsk. pol. St. 103; Gorod. St. 101); 4) dem Gouverneur und dem Minister des Innern ist nicht nur die einfache Bestätigung des Vorsitzenden und der Mitglieder des Kreisausschusses, der Stadthäupter und der Mitglieder des Munizipalamts, welche die meisten Wahlstimmen erhalten haben, gestattet, sondern es steht ihnen die Wahl einer Person frei, falls zwei oder mehrere für diesen Posten gewählt werden (Zemsk. pol. St. 118; Gorodow. pol. St. 115, 118). Ausserdem werden die Vorsitzenden und Mitglieder des Kreisausschusses, Stadthäupter und Mitglieder des Munizipalamts als im Staatsdienste stehende Beamte betrachtet;

ihre Dienstposten sind nach Klassen, Rang und Uniform eingeteilt, und der Gouverneur stellt diejenigen Mitglieder des Kreisausschusses zum I. Klassenrange vor, welche eine bestimmte längere Zeit gedient haben, aber keine allgemeine Berechtigung zum Eintritt in den Staatsdienst besitzen (Zemsk. pol. St. 117, 118, 119, 124; Gorod. pol. St. 115, 118, 119, 121, 122). Nicht nur diejenigen Beschlüsse der Landes- und Stadtversammlungen, in welchen er einen Gesetzesbruch, eine Schädigung der Staatsinteressen erblickt, sondern auch alle diejenigen, in welchen er eine Unrichtigkeit oder einen „,offenbaren Widerspruch gegen die Interessen der Ortschaftsbewohner" sieht, beeinflusst der Gouverneur. Dieser Umstand eröffnet den Weg zur steten Intervention der administrativen Gewalt in die verschiedenartigen, ja sogar kleinsten Angelegenheiten und Fragen der örtlichen Gesellschaften und Anstalten. Der Ausdruck „offenbar den Interessen der Ortschaftsbewohner schaden“ kann wenig in diesem Falle helfen, da die Ansichten über den Nutzen, die Bedürfnisse und Interessen vom eigenen Standpunkte und persönlichem Befinden abhängen. Der Gesetzgeber verstand wohl die Schwäche dieser Vorschrift und bestimmte, dass solche Gouverneursproteste an eine gemischte Verwaltungsbehörde übergeben und mit deren Resolution zur Einsicht an den Minister des Innern gesandt werden sollen. Letzterer kann den Beschluss der Land- und Stadtsitzung entweder für richtig erachten oder die Frage der Versammlung der Minister oder dem Reichsrate vorlegen (Zemsk. pol. 91, 93, 94. Gorod. pol. 86, 87, 88). Aber in dem Personalbestand der gemischten Verwaltungsbehörde, welche ihrer Kompetenz nach mit den Landes- und Stadtangelegenheiten in Berührung kommt, herrscht das bureaukratische Element (ausser dem Gouverneur sind der VizeGouverneur, der Präsident des Steueramtes, der Prokureur des Bezirksgerichtes daran beteiligt). Die Mitglieder der Behörde stehen in direkter oder indirekter Verbindung mit dem Gouverneur und sind weniger als der Gouverneur selbst mit den örtlichen Verhältnissen vertraut; ja sogar diejenigen Mitglieder der Landes- und Stadtsitzungen, welche dem Gesetze nach an den Verhandlungen der Landes- und Stadtangelegenheiten in den gemischten Verwaltungsbehörden teilnehmen müssen, werden obgleich besonders von den Landes- und Stadtversammlungen dazu erwählt (Zemsk. pol. cm. 8, Gorod. pol. cm. 14), doch nach den Vorschlägen der Gouverneure

durch den Minister des Innern bestätigt. Überdies bedingt die eingeführte Protestordnung des Gouverneurs, die Verhandlung in den gemischten Verwaltungsbehörden, die weitere Erörterung dieser Proteste im Ministerium des Innern sichtlich erhebliche Zeitverluste und macht die Entscheidung von verschiedenen Zufälligkeiten abhängig. Es wäre genügend, wenn die Gouverneure wie früher die Gesetzlichkeit der Handlungen der Landes- und Stadtbehörden beaufsichtigten und schützten. Sollte später der Gesetzgeber erkennen, dass einige von den früheren Beschlüssen und Massregeln der Landes- und Stadtsitzungen wenig überlegt und gelungen sind, dann wäre es viel zweckmässiger und richtiger, den Kreis derjenigen Angelegenheiten (die wichtigeren) zu erweitern, welche eine Bestätigung durch die höhere Regierungsinstanz verlangen, aber in den anderen Fällen die frühere selbständige Bedeutung den Landes- und Stadtsitzungen zu belassen. Die Beaufsichtigung der Administration nicht nur bezüglich der Gesetzmässigkeit, sondern auch der Richtigkeit der Geschäftsführung, die Gefahr einer steten Intervention in alle verschiedenartigen und kleinen Interessen der Landes- und Stadtsitzungen können nicht das Selbstbewusstsein und die Entwicklung der Gesellschaft fördern, ebenso wenig die besten Kräfte dem örtlichen Landes- und Munizipalitätsdienste gewinnen. Dies muss umso mehr in Betracht gezogen werden, als die administrative Gewalt bei der Weitläufigkeit ihrer Organisation, bei der unvermeidlichen Entfremdung von den örtlichen Lebensinteressen und dem öfteren Personalwechsel nicht im Stande ist, den Landes- und Städteangelegenheiten einen regelmässigen, zweckentsprechenden Gang zu sichern. Vor der Einführung der radikalen Reform in die Landes- und Stadtverwaltung in den Jahren 1864-1870, als die administrative Gewalt nicht nur mit der Pflicht eines Gesetzschutzes, sondern auch mit einer alles umfassenden Inspektion und Leitung betraut war, und so eine ihre Kräfte übersteigende Last der Verantwortlichkeit trug, sind diese Bedenken bereits genügend geprüft worden.

10. Über den Zwangswohnsitz

oder

das absolute beziehungsweise relative Aufenthalts

Verbot.

Von Dr. Raoul de la Grasserie, Richter, Korrespondent des französischen Ministeriums des Innern, Rennes.

Wenn die Gesellschaft einen Schuldigen mit einer notwendigen Strafe belegt hat, so erwächst ihr die Verpflichtung, Massnahmen zu treffen, damit nicht die Strafe selbst einen Rückfall herbeiführt; sie muss eine solche Wiederkehr der Strafthat zu verhindern suchen, oder ihr Werk ist unvollständig, wenn nicht gar schädlich. Bei der Entlassung aus dem Gefängnis oder einem anderen mit schärferem Namen bezeichneten Gewahrsam findet sich der Freigelassene notwendigerweise aus seinem Stande ausgestossen. Er wird Mühe haben, seine gewöhnliche Arbeit wieder aufzunehmen, denn man wird ihm immer unbestrafte Personen vorziehen. Sieht er sich so einer unfreiwilligen und individuellen Arbeitslosigkeit gegenüber, so werden seine schlechten Neigungen wieder Macht über ihn gewinnen, oder, wenn er nicht durch Charakteranlage, sondern durch den Einfluss von Umgebung und Umständen zum Verbrecher geworden ist, wird er bald wieder in jene Sphäre zurücksinken. Und das ist noch nicht Alles: Sein Hang zum Verbrechen wird nicht nur blos im Allgemeinen wieder hervorzutreten streben, sondern er wird sich in den meisten Fällen gegen seine früheren Opfer wenden. Diesen wird der Strafentlassene die Schuld an seinen, gleichwohl verdienten Leiden zuschieben, und sein Übelwollen wird um so mehr zu fürchten sein, als es durch ein Gefühl der Rache verstärkt wird. Statt ihn zu bessern und die Gesellschaft zu schätzen, wird die verbüsste Strafe ihn nur veranlassen, auf der Bahn des Verbrechens fortzuschreiten. Dies um so eher, als sich eine allgemeine Tendenz des Gerichts zur Verfügung kurzer Strafen kund giebt, die viel häufiger den Schuldigen reizen, als ihn bessern.

In einem Fall allein kann die Vollstreckung der Strafe den Zweck des Kriminalisten erfüllen: das ist, wenn der Verbrecher zahlungsfähig ist. Die Nachteile dessen, was ich durch Strafe

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