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Vorträge.

Kauffahrteischiffe in fremden Gewässern.

Von

Dr. Paul Heilborn,

Privatdocent an der Universität Berlin.
Gehalten am 6. November 1894.

Das unter der Flagge eines bestimmten Staates segelnde Kauffahrteischiff erscheint auf den ersten Blick hin als die Verkörperung einer stattlichen Zahl nationaler Interessen. Wohl und Wehe des Schiffes ist zugleich das vieler Menschen. An ihm sind der Kapitän, die Mannschaft, die Passagiere mit ihrem Leben, die Eigentümer, Schiffsgläubiger, Versicherer und Befrachter mit ihrem Vermögen beteiligt. In dem Schiffe sind die Interessen aller dieser Personen vereinigt; und es sind vorwiegend Interessen von Angehörigen des Flaggenstaates.

Freilich, wenn wir schärfer hinzusehen, gestaltet sich das Bild anders. Der Schiffahrtsverkehr dient ja gerade zur Verbindung fremder Länder. Auf unseren Schiffen schwimmt viel nichtdeutsches Gut; es kommt nicht aus Deutschland und geht nicht dorthin; aber auch ihre deutsche Ladung bringen sie meist den Ausländern. Die Passagiere unserer grossen Dampfer sind eine bunte Gesellschaft aus aller Herren Länder; an Mannigfaltigkeit dürfte sie nur von derjenigen überboten werden, welche sich an der Spielbank zu Monte Carlo zusammenfindet. Und fragen wir nach der Schiffsbesatzung? Der Matrose fährt heute unter dieser, morgen unter jener Flagge. Wie es scheint, ist Dänemark der einzige Staat, auf dessen Schiffen nicht nur der Kapitän, sondern auch die gesamte Mannschaft aus Staatsangehörigen bestehen muss. Von den Schiffs

gläubigern und den Versicherungsgesellschaften will ich gar nicht reden. Nur der Eigentümer möchte ich kurz gedenken. Nach englischem und deutschem, nach österreichischem, schwedischem, norwegischem und nordamerikanischem Rechte kann nur das Schiff die Nationalflagge führen, welches ausschliessliches Eigentum der Staatsangehörigen ist. Dieser Standpunkt wird aber nicht von allen Staaten eingenommen. Die argentinische Flagge kann ein Schiff führen, ohne dass eine einzige Part im Eigentum eines argentinischen Bürgers wäre. Das ist freilich eine traurige Anomalie. Andere Staaten begnügen sich mit Teileigentum; Belgien und die Niederlande fordern nationales Eigentum zu 5, Frankreich zur Hälfte1).

Es fehlt also viel daran, dass nur nationale Interessen und Rechte im Schiff repräsentiert würden. Und doch: haben wir uns über alle einzelnen Verhältnisse orientiert, treten wir einen Schritt zurück, um einen umfassenden Ueberblick über das Ganze zu gewinnen, so sehen wir wieder die dominierende Stellung, welche die Interessen der Angehörigen des Flaggenstaates einnehmen. Deshalb scheint es nur recht und billig, dass die mit dem Schiff in Beziehung stehenden Lebensverhältnisse, die auf ihm sich ereignenden Begebenheiten von dem Recht des Flaggenstaates geregelt, seinen Gerichten zur Entscheidung unterbreitet werden. Auf privatrechtlichem Gebiete allerdings nicht durchweg. Wohl aber sollte man meinen, dass alle Angelegenheiten des öffentlichen Rechts dem Recht und der Gerichtsbarkeit des Flaggenstaates zu unterwerfen seien.

Das ist nun auch thatsächlich der Fall, so lange das Schiff in heimischen Gewässern oder auf hoher See sich befindet. „Schiffe auf offenem Meere sind grundsätzlich nur der heimischen Staatsgewalt und deren Jurisdiktion unterworfen" 2). Ich glaube, jeder Staat wendet seine Strafgesetze auf alle Delikte, nur von diesen soll in Folgendem die Rede sein, an, welche auf seinen Schiffen während ihres Aufenthaltes auf hoher See begangen werden, jeder Staat erklärt seine Gerichte für zuständig zu deren Aburteilung. Anders verhält es sich jedoch, sobald das Schiff in fremden Gewässern sich aufhält. Während der Dauer dieses Aufenthaltes

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1) Imbart Latour: La mer territoriale, Paris 1889, S. 210. Perels: Das internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart, Berlin 1882, S. 55.

2) Perels: S. 65.

ist das Schiff, sind die auf ihm befindlichen Personen der Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit des betreffenden fremden Staates unterworfen 1). Kann dieser Umstand für den Flaggenstaat bestimmend sein zum Verzicht auf Bestrafung der Delikte, welche auf seinem Schiffe während des vorübergehenden Aufenthaltes in fremden Gewässern verübt wurden? Hat von seinem Standpunkte aus die That einen anderen Charakter, je nachdem sie auf offenem Meere oder in fremden Wässern begangen wird? Diese Frage wird von den Staaten sehr verschiedenartig beantwortet. Ehe ich Ihnen die Regelung vorführe, welche der Materie von Seiten der einzelnen Staaten zu Teil geworden ist, möchte ich Ihnen kurz das Verhalten der Staaten zu den fremden Schiffen in ihren Gewässern ins Gedächtnis zurückrufen.

Theoretisch hat, wie gesagt, jeder Staat das Recht, seine Rechtsordnung auf die Personen voll und ganz zur Anwendung zu bringen, welche sich auf fremden Schiffen in seinen Häfen aufhalten. Für das thatsächliche Verhalten sind demnach drei Möglichkeiten gegeben: 1) entweder macht er von seinem Rechte vollen Gebrauch, oder 2) gar nicht, oder aber 3) nur teilweise. Diese drei möglichen Verhaltungsweisen werden von den verschiedenen Staaten. in der That eingeschlagen. Es verdient indessen bemerkt zu werden, dass das Territorialprinzip nur sehr selten mit aller Schärfe durchgeführt wird. Nach dem britischen Gesetze über die Gerichtsbarkeit in Territorialgewässern vom 16. August 1878 sind die englischen Gerichte zuständig zur Aburteilung aller nach englischem Rechte strafbaren Handlungen, welche in britischen Territorialgewässern begangen werden; es ist gleichgültig, ob der Thäter In

1) Dies wird allgemein für den Zeitraum zugegeben, während dessen das Schiff in einem fremden Hafen vor Anker liegt; sehr bestritten ist dagegen die Jurisdiktionskompetenz des Uferstaates in Ansehung der Schiffe, welche durch seine Küstengewässer nur hindurchfahren. Auf diese Streitfrage brauchte in dem Vortrage nicht eingegangen zu werden, da derselbe nicht die völkerrechtlichen Rechte der Staaten gegeneinander zum Gegenstande hat, sondern lediglich das Verhältnis zwischen dem Flaggenstaate auf der einen, der Schiffsbesatzung und den Reisenden auf der anderen Seite. Muss der Flaggenstaat die Delikte strafen, welche an Bord seiner Schiffe während ihres Aufenthaltes in fremden Häfen begangen werden, so wird er die während der Durchfahrt durch fremde Küstengewässer verübten nicht ungestraft lassen können.

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länder oder Ausländer ist, ob die That auf einem britischen oder auf einem fremden Schiffe begangen wurde.

Die zweite Reihe der Staaten macht von ihrem Rechte gar keinen Gebrauch. Das sind die nichtchristlichen Staaten, welche fremden Staaten die Ausübung der Konsulargerichtsbarkeit gestatten. Der letzteren sind die Ausländer nicht nur auf dem Festlande, sondern auch in den Territorialgewässern des betreffenden nichtchristlichen Staates unterworfen. Freilich kann jeder Staat die Konsulargerichtsbarkeit nur über seine eigenen Unterthanen ausüben, nicht über Ausländer auf seinen Schiffen 1). Diese unterstehen der Regel nach der Konsulargerichtsbarkeit ihres Heimatstaates.

Die dritte Reihe der Staaten macht endlich von ihrem Rechte nur teilweisen Gebrauch. Im Anschluss an eine Entscheidung des französischen Staatsrates vom Jahre 1806 hat sich eine konstante Praxis ausgebildet: in die inneren Schiffsangelegenheiten mischt sich der fremde Staat, in dessen Gewässern das Schiff liegt, nicht ein. Als innere Schiffsangelegenheiten betrachtet er aber nur solche an Bord begangene Delikte, durch welche die Ruhe oder öffentliche Ordnung am Lande oder im Hafen nicht gestört wird, an welchen auch weder ein Landesangehöriger, noch eine zur Schiffsmannschaft nicht gehörige Person beteiligt ist. Von der Gerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates sind also niemals dessen Unterthanen befreit. Im Uebrigen kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf die Zugehörigkeit zur Schiffsmannschaft an: Reisende und Besucher unterstehen der Gerichtsbarkeit des Aufenthaltsstaates, befreit von ihr sind der Schiffer und die Schiffsmannschaft, gleichviel ob sie Angehörige des Flaggenstaates oder eines dritten Staates sind, wenn sie nur dem Aufenthaltsstaate nicht angehören.

Dass der Begriff „,,Störung der Ruhe oder öffentlichen Ordnung am Lande oder im Hafen" ein sehr dehnbarer ist, liegt auf der Hand. Lassen Sie mich einige Entscheidungen von Fällen anführen, in denen ein Mord oder Totschlag an Bord eines fremden Schiffes

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1) Ausnahmen sind zugelassen in dem Vertrage zwischen China und den Vereinigten Staaten vom 3. Juli 1844 Art. 26 (British and foreign State Papers Bd. 32 S. 791 ff.) zwischen China und Schweden Norwegen vom 20. März 1847 Art. 26 (Martens: Nouveau recueil général Bd. XVII 2 S. 193 ff.) Vergl. auch Bd. I S. 148 dieses Jahrbuches den Vertrag

zwischen Griechenland und der Türkei vom 27. Mai 1855.

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