Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

folger bestimmten Prunkzelte und durfte am folgenden Tage die Besichtigung fortsetzen.

Den Gesamteindruck konnte ich dahin zusammenfassen, daß die türkische Armee, welche in den Kämpfen vom November 1912 ihre Waffenehre wieder hergestellt hatte, nicht mehr unterschätzt werden dürfe und zum erneuerten Vormarsche fähig sei. Die nachgefolgten Ereignisse haben mein Urteil bestätigt.

Das Terrain ist ein zergliedertes Hügelland, ein ideales. Manövrierterrain. Ich möchte es mit der Gegend von Hajmáskér (unserem Artillerieschießplatz) vergleichen. Nachdem außer Hutweiden keine Kulturen vorhanden sind, ist es für Truppen- und Schießübungen wie geschaffen, wurde aber hiezu früher nicht ausgenützt. Der in den Karten eingezeichnete Wald ist niederes Strauchwerk, welches zur Vorfeldlichtung abgebrannt wurde.

Die Truppen machten einen guten Eindruck. Die Mannschaft war gut genährt, von strammer Haltung und bis auf das Schuhwerk, welches größtenteils aus Lappen bestand, gut adjustiert. Es ist bekannt, daß ganze Truppenkörper ohne Fußbekleidung in den Krieg zogen. Auffallend waren viele alte Leute mit grauen Bärten man sprach zwar von Freiwilligen, ich vermute aber, daß man eben die Leute nahm, wo man sie auftreiben konnte.

Die Mobilisierung wurde von den Gendarmeriekommandos geleitet. Nachdem nichts vorbereitet war und der Übergang auf den Kriegsstand gerade in jene Zeit fiel, in welcher zwei Jahrgänge beurlaubt wurden, ergab die Einrückung der Reservisten ein völliges Chaos. Es kamen Blinde und Krüppel zur Armee, weil man die ärztliche Untersuchung versäumte. Die Hälfte der Mannschaft war nicht ausgebildet, da die Reservisten aus der Zeit Abdul Hamids nie einen scharfen Schuß abgegeben und auch keine Marschübungen mitgemacht hatten. In der Čataldža waren diese Fehler größtenteils be

hoben.

Daß auch die Disziplin eine gute war, konnte ich aus der Leistung der Ehrenbezeigung beim Passieren rastender und marschierender Truppen entnehmen. Die Disziplin basiert bei den Türken auf der Religion. Das Verhältnis zwischen Mannschaft und Offizier ist in den Koranvorschriften begründet.

Die Zeitungsberichterstatter wußten bekanntlich von einer Verwundung Enver Beys beim Beiramfest im September in Adrianopel zu berichten, was als Beweis einer erneuerten Differenz zwischen Jungund Alttürken dargestellt wurde. Ich kann bestätigen, daß an dieser Sache kein wahres Wort ist.

In Konstantinopel sah ich viele junge kriegstüchtige Leute, die sich offenbar losgekauft hatten.

Die kleinen einheimischen Pferde waren von guter Kondition und gut beschlagen. Die ungarischen Pferde, größtenteils Artilleriebespannungen, sahen weniger gut aus. Der türkische Reiter kennt eine Schonung des Pferdes in unserem Sinne nicht. Ich sah in Konstantinopel wiederholt Offiziere die steilen, gepflasterten Bergstraßen hinaufgaloppieren; hinter ihnen die Ordonnanzen in schärfster Pace. In Konstantinopel gab es trotz erneuerter Einberufung von Pferden genug Fiaker; auch Pferde werden losgekauft.

Die Artillerie hat in diesem Kriege am wenigsten gelitten. Es gingen zwar an die 300 Geschütze, welche beim Rückzuge in dem aufgeweichten Boden stecken blieben, verloren, aber was zurückkam, blieb gut erhalten. Ausrüstung und Beschirrung waren in Ordnung, Mann und Pferd in guter Verfassung.

Anfangs Juli standen in der Čataldža über 200 leichte und gegen 60 schwere Geschütze modernster Konstruktion. Letztere wurden erst im April neu beschafft. Das Material, größtenteils deutschen Ursprungs, war vorzüglich. Durch Wegnahme eines serbischen Transportes von 54 Geschützen samt Munition stand auch französisches Material bei den Türken in Verwendung.

Die Feldgeschütze haben trotz der zahlreich abgegebenen Schüsse gar nicht gelitten, während der größte Teil der Gewehre zu grunde ging allerdings weniger durch das Feuer als durch die schlechte Konservierung, die ja im Kriege begreiflich ist.

Die Trains, welche zu Beginn des Krieges vollkommen versagten, wurden in der Čataldža-Stellung neu organisiert. Ich sah zahlreiche Wagenburgen und weidende Büffelherden; bei den Truppen Tragtiere und Kamele. Letztere haben als Tragtiere bei den Operationen sehr gut entsprochen und auch im Winter nicht versagt. Ein Kamel ist als Tragtier gleichwertig mit einem Wagen. (Bei der ČataldžaArmee waren etwa 300 Kamele.) Der größte Teil der Offiziersbagagen ist während des Krieges in Verlust geraten.

Die Lagerplätze waren gut angelegt; für Wasserabfluß war gesorgt. Als Schlafstellen dienten Zelte für je 10 Mann oder solche wie bei uns, aus Zeltblättern hergestellt. Jeder Mann hatte eine Lagerdecke. Im Hauptquartier hatte jeder Offizier sein eigenes Zelt mit einem Feldbett. Überall herrschte Ordnung und Reinlichkeit. Bei manchen Lagern waren auch Blumen- und Gemüsegärten angelegt und Pferdestände aus Laubwerk hergestellt. Abseits der Lager standen lange Reihen von Latrinen. Die Lagerplätze wurden aus sanitären Gründen öfter gewechselt.

Die Verpflegung, welche zu Beginn des Krieges ebenfalls sehr im argen lag, funktionierte in der Čataldža sehr gut. Fahrküchen und Feldbacköfen sind noch nicht eingeführt. In jeder Abteilung wird auf Kochrinnen gekocht, das Brot bereiten die Truppenbäcker. Die Leute bekamen morgens eine Gemüsesuppe, abends zumeist Reis mit Hammelfleisch. Genußmittel, Kaffee und Tabak wurden nicht verabfolgt. Obstgenuß war verboten.

In Konstantinopel sah ich auch Viehherden zur Armee bringen. Die Pferde fanden genug Weideflächen. Es gab aber auch in den Depots Vorräte von Preẞheu.

Der Gesundheitszustand war gut, die Spitalsbaracken leer. Zur Gewinnung von Trinkwasser waren artesische Brunnen angelegt, doch ging anfangs Juli das Wasser aus, nachdem man es versäumt hatte, vom Derkos-See eine Wasserleitung anzulegen.

Es wurden auch Truppen- und Schießübungen vorgenommen. Das unselige Mißtrauen Abdul Hamids hatte früher jede Truppenübung verboten; aus gleichem Grunde waren Offiziersversammlungen verpönt. Das Telephon wurde nicht eingeführt, weil es Verschwörungen begünstigt hätte. Nach dieser Geistesknechtung war es schwer, in drei Jahren Wandel zu schaffen.

Am Abend war in den Lagern Appell und Defilierung wie bei uns. Nach dem Appell sah ich einige Leute auf kleinen Gebetteppichen beten. Im allgemeinen herrschte in den Lagern auffallend große Ruhe; hie und da hörte man eintönigen Gesang.

Etwas über die technische Einrichtung.

Die Kampflinie ist in der Textskizze 1 ersichtlich. Die Sichtlinie reichte bis zu den Höhen westlich Čataldža auf etwa 6 km. Die Wahl der Kampflinie war wegen der zahlreichen toten Räume sehr schwierig, wurde aber überall glücklich gelöst. Jeder frontale Vorstoß war flankiert. Vorfeldstellungen gab es nicht. Als eventuell zweite Linie für den Fall eines Mißerfolges war jene östlich Kademköj gedacht, aber nicht eingerichtet.

Die vordere Stellung hat den Nachteil, daß sie von den Höhen westlich des Derkos-Sees flankiert wird. Anderseits wird aber auch jeder Angriff vom Marmara-Meer aus enfiliert. Die rückwärtige Stellung ist flacher und hat weniger tote Räume. Der Hauptnachteil der vorderen Stellung ist der, daß aus ihr eine Offensive nicht möglich war; höchstens frontale Vorstöße über offenes Terrain.

Aus diesem Grunde haben sich die Türken anfangs Februar der Höhen westlich Büjük Čekmedže bemächtigt, um

[merged small][graphic][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][ocr errors][ocr errors][subsumed][subsumed][subsumed][ocr errors][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][subsumed][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small]

Dieser

von hier aus allenfalls eine Offensive fortsetzen zu können. schwierige Angriff (es mußte die schmale Brücke bei Čekmedže forciert werden) gibt Zeugnis, daß die Armee noch genug Schlagkraft besaß. Seit anfangs Februar waren die Höhen westlich Čekmedže im Besitze der Türken. Ein im März unternommener Gegenangriff der Bulgaren wurde abgewiesen.

Die vielfach verbreitete Meinung, daß die Bulgaren aus politischer Ursache eine Forcierung der Čataldža-Linie gar nicht versucht haben, ist nicht begründet, denn die Angriffe vom 17. bis 20. November kosteten sehr viele Opfer. Vielleicht wären sie gelungen, wenn man den Türken zur Retablierung nicht so viel Zeit gelassen hätte. Die technische Einrichtung der Kampflinie war überall nach modernsten Grundsätzen durchgeführt. Vorfeld gelichtet, Distanzen gemessen. Als Beobachtungspunkte dienten die alten Erdschanzen, welche ausschließlich auf den Höhen lagen, daher auch nicht besetzt waren. Sie wurden mit Erfolg als Scheinbauten benützt, indem man ein Geschütz einstellte. Die Deckungen waren feldmäßig, Schützengräben ohne Aufzug (nur Erde und Holz), Verbindungsgräben und Deckungen für Reserven. Alles gut maskiert. Die Batterien sehr gut angelegt ohne Aufzug mit Unterständen für Mannschaft und Munition. Vor der Kampflinie ein 10 m breites, aus der Stellung flankiertes Drahthindernis mit Lücken.

Verbindungen: eine für schwere Automobile benützbare Fahrstraße verbindet die beiden Flügel. Von hier aus führen Kommunikationen in die Kampflinie. Parallel zur Straße eine Pferdefeldbahn. Man hatte es aber versäumt, auch die Straße von Konstantinopel nach Kademköj herzurichten. Es war interessant, diese früher ganz gute Kommunikation zu sehen. Der Boden war beiderseits von Geleisen zerwühlt, eine Fahrbahn nicht zu erkennen. Alie Kommandos waren untereinander mit gut gelegten Leitungen telephonisch verbunden.

Auch Scheinwerfer waren vorhanden. In San Stefano sah man Flugapparate mit deutschen Piloten.

Die Führung schien in guten Händen zu sein. Die 12 Offiziere im Hauptquartier, welche alle deutsch und französisch sprachen, waren voll Kriegsbegeisterung. Izzet Pascha wird als vorsichtiger, dabei intelligenter und energischer Heerführer geschildert.

Der Vormarsch wurde bald darauf angetreten und wenn auch die Armee keinen Widerstand fand, so darf man nicht vergessen, daß die Türkei bereits als Leichnam behandelt wurde, sonst hätten sich die Bulgaren wohl den Rücken gedeckt.

« ZurückWeiter »