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in diesem Sinne präcisiert: dort „doch mac mit staete niht gesîn dirre trüebe lîhte schîn" hier „siufzebaeren".

Eine selbstgemachte Form des Substantives scheint Wolfram nur in „erbarme“ P. 465, 8 zu haben. Die mhd. gangbare Form ist nur erbermede und erbarmunge, auch selten erberme. Die Hss. variieren denn auch in diesen Formen. Wolfram hat hier die absonderliche Form wahrscheinlich als Wortspiel zu V. 7 erbarme" (Verb.) gebildet. Die Stelle heißt:

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Dagegen laßen sich neugebildete Zusammensetzungen von Substantiven öfter wahrnehmen. Ich rechne dahin:

P. 197, 16 sîn hôchvart-swindens tac

296, 1 Parcival der valschheitswant

496, 18 gegenbiet cf. Wh. 37, 16. 350, 26.

393, 1 gegenniet of 444, 16 (= das Gegenanstreben)

Wh. 130, 20 dankêre Umkehr

383, 20 wiserich, wofür das W. B. keine Bedeutung findet. Es heißt:

„dâ streich der alte Heimrîch

mit swerten den wiserîch

Man könnte also an „Wiesenertrag" metaphorisch gebraucht, denken. Wh. 389, 19 wolkenriz Wolkenbruch, Gewitter cf. P. 378, 11. W. B. II, 756.

Von Verben endlich sind manche als eigene Bildungen Wolframs aus Adjectiven oder Substantiven anzusehen, viele aber wegen ihrer eigenthümlichen Verbindung oder Construction hier anzumerken.

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Als Neubildungen sehe ich an: P. 184, 9 zenstüren = zahnstochern? - 334, 24 volspehen erforsche vollständig. 529, 2 sich twirhen vom Adj. twerch quer, verkehrt cf. 615, 20 twirchlingen; was das W. B. fälschlich als stv. ansieht.

=

Zahlreicher erscheinen sonst gebräuchliche Verba in einer Wol

fram eigenthümlichen Bedeutung z. B.

P. 218, 24 erst ûf gelogen = man hat ihm Lügen aufgebunden. 268, 11 Parzival in ûf verliez (= ließ ihn aufstehen cf. Nib.

592 1).

224, 2 den âventiur hât ûz gefrumt (= ausgesandt).

249, 3 ez âventiurt sich es gestaltet sich wunderbar.

5 sich krenken nach dem erwähnten Gebrauch zur Negation weniger werden.

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292, 10 das oben erörterte verspiln c. acc. unglücklich spielen mit, wenn die Annahme richtig ist. Sie wird in etwas unterstützt durch: P. 307, 27 Keie hât verpfendet: verpfenden steht absolut und kann hier nur heißen: Keie hat das Pfand verloren (er setzte gewissermassen seine Würde bei der Züchtigung Cunnewârens als Pfand ein). Sonst aber wird es nur c. acc. construiert Pfand ein setzen. Hier würde sich also die Bedeutung von ver" ähnlich verändert haben wie bei verspiln.

415, 28 ir hetet iuch gâhs gein mir bevilt (beviln persönl. construiert).

cf. 798, 3.

463, 1 einem etwaz ab erzürnen = durch Zorn abnöthigen

Endlich kerzen mit Kerzen versehen.

807, 12 gekerzet 638, 12 bekerzet.

Wir haben nun gesehen, wie und wodurch sich Wolframs Sprache im einzelnen Ausdruck sowohl als im Satzbau und den Satzverbindungen von allen andern abhebt; wir haben auch versucht, diese Eigenthümlichkeiten auf seinen Charakter, seine ganze Individualität zurückzuführen. Wir haben uns davon überzeugt, was in jedem Urtheile über Wolfram hervorgehoben wird, daß der ungewöhnliche Gedankenreichthum des Dichters auch in einer ungewöhnlichen Form Ausdruck findet, aber wir haben auch gefunden, daß dies Ungewöhnliche vielfach nur Schwäche der Darstellung ist, nur Mangel an Herschaft über die Sprache, und damit scheinen wir den in Litteraturgeschichten und Aufsätzen sich findenden ungetrübten Lobeserhebungen Wolframs zu widersprechen. Dennoch können und wollen wir diese Schwächen nicht verwischen, und wir können sie behaupten, ohne daß der unsterbliche Ruhm Wolframs gefährdet würde. Wer freilich für die erhabene Idee des Parzival keine Begeisterung empfindet, der wird sich mit Gottfried an diese formalen Schwächen klammern, der wird in den Ana. coluthien, in der springenden Darstellung nur den unstäten Mann erkennen und diese Meinung durch die scheinbare Verworrenheit des Ganzen, die eingeschobenen endlosen Abenteuer Gawans unterstützt finden. Wer aber den geradezu protestantischen Geist zu schätzen weiß, der im Parzival lebt, jene erst durch die Reformation erkannte Wahrheit, daß wir nur durch den Zweifel hindurch zu geläuterten Begriffen, zu lebensvollem Glauben gelangen, wer da versteht, wie dem entsprechend auch alle einzelnen sittlichen Begriffe Wolframs unendlich über die seiner Zeitgenossen erhaben sein mußten, so vor Allem die Keru- und Stichwörter der sittlichen Welt des Mittelalters

die minne, die triuwe, der zwivel, die staete, welchen sein tief religiöses Gemüth eine ganz eigenthümlich tiefe, den Anschauungen seiner Zeit direct zuwiderlaufende Bedeutung gab*), der erkennt auch, wie alle Charaktere im Parzival geschaffen sind, um jene sittlichen Begriffe, die wie Marksteine im Eingang hervorgehoben sind, in ihrem wahren Werthe darzustellen, der findet also das rechte Correctiv, der läßt sich auch jenen Mangel an schöner Form gern gefallen und wird von Inconsequenzen, von Verworrenheit im Denken und Empfinden des Dichters nicht reden. So können wir denn hier unsere Betrachtungen, ohne in den Verdacht zu kommen, Wolframs Ruhm schmälern zu wollen, schließen, indem wir in einem Rückblicke die einzelnen Momente zu einem Gesammtbilde zusammenfassen.

Resultat ist, daß die Eigenthümlichkeiten der Sprache Wolframs auf die beiden Momente zurückzuführen sind, welche überhaupt die Persönlichkeit eines Menschen bestimmen: auf die äusseren (zufälligen) Verhältnisse, unter denen er geboren und erzogen war, unter denen er später lebte, und auf seine angebornen intellectuellen und moralischen Anlagen. In ersterer Beziehung sahen wir einerseits seine fränkisch-baierische Nationalität wirksam in den vielen apocopierten und syncopierten Formen, sowie in einigen speciell baierischösterreichischen Wörtern, andererseits sein Leben in Thüringen in der Einmischung niederdeutscher Formen und Wörter. In seiner Heimat ferner hatte er von Jugend auf die deutschen Heldenlieder kennen und lieben gelernt; an ihnen hatte er also seine dichterische Kraft genährt und ihre Darstellungs- und Anschauungsweise, ja auch viele ihrer Eigenheiten im Ausdruck waren ihm daher geläufig. Unter diesem Gesichtspunkte also ist der originelle Gebrauch der specifisch volksepischen Ausdrücke für Krieg und Ritterwesen zu be

*) Verstand sie doch Gottfried so wenig, daß er ihm nur zuzurufen wußte: „vindaere wilder maere, der maere wildenaere"! und gegen Hartmann, dessen Heldin sich fast an der Bahre des todten Gatten wieder in Iwein verliebte, geht die tadelnde Bemerkung:

P. 496, 8 ff. man mac noch dicke schouwen

froun Lunêten rîten zuo

etslichem râte gar ze fruo.

Näher hierauf einzugehen, würde hier zu weit führen, obwohl die veredelte Bedeutung dieser Begriffe mit zu den Eigenthümlichkeiten der Wolframschen Sprache gehört. Ich verweise auf die trefflichen Parzivalstudien von San Marte Bd. III. und man beachte besonders das IX. Buch (Parz. bei Trevrizent) sowie alles auf das zarte Verhältniss Parzivals und Condwiramurs bezügliche und einzelne Partieen wie P. 532, 1 ff, den Eingang des Wh. und Wh. 307-310.

trachten, unter ihm auch gewisse volks epische Formeln, Wendungen, Structuren.

Da diese nun meist mit Ungenauigkeiten, ja Verstössen gegen die Grammatik zusammenhiengen, so führte uns dies weiter auf die Abweichungen Wolframs von der Umgangssprache, welche als Folgen seiner Unkenntniss der Schrift, seines Mangels an litterarischer Bildung und grammatischer Übung zu betrachten sind: Vermengung der Numeri und Modi, Anacoluthien, elliptische Redeweisen, störende Kürzungen im Ausdruck. Zum Theil befand er sich hier noch immer auf dem Boden des Volksepos, insofern auch dieses Dichter von populärer Redeweise voraussetzt. Zum Theil aber erwuchsen diese auffallenden Unregelmässigkeiten auch rein aus seiner eigenartigen Disposition: die Lebhaftigkeit seines Geistes, die Fülle von Gedanken und Vorstellungen, welche ihm derselbe jederzeit zuführte, waren wohl die Hauptursachen der Anacoluthien, der Anticipation, des Überspringens von einem Gedanken zum andern, wodurch die Constructionen zerstört wurden. Dazu kam nun der gewaltige Schwung seiner Phantasie, die Tiefe des Gemüthes und die Lebhaftigkeit der Empfindung, welche seine Sprache in völlig eigenthümlicher Weise beeinflußten. Wie er selber alles sinnlich in den lebensvollsten Bildern sah, so wollte er es auch darstellen, so strebte er „auch das geistigste mit Tönen zu verwandeln in ein Bild“.

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Daher rührten also die ausserordentlich vielen und oft sehr ungewöhnlichen Umschreibungen, die Personification von Abstracten, die üppige mannichfaltige metaphorische Redeweise, der Reichthum seiner Bilder. Eigenartig empfindend und eigenartig vorstellend sucht er auch, wie das schon hier bemerkt werden konnte, nach eigenartiger Ausdrucksweise überhaupt. Die geläufige so will es scheinen genügt nicht für das, was er sagen will, faßt den Inhalt seines Gedankens nicht: er sucht also etwas besonderes. Daher die eigenthümliche Bildung der Negation durch Metaphern, ihre Verwendung zur Verstärkung des Ausdruckes, daher die gesuchten Bilder, die oft seltsamen Umschreibungen des einfachen Ausdruckes, die eigenen Wortbildungen, ja dieses Haschen nach dem Ungewöhnlichen wurde zur Schwäche in den bei ihm ganz gewöhnlichen formelhaften Ausdrucksweisen mit „bekant, kunt, zil, site" etc.

Das ist fast alles extrem und Extreme sind überhaupt für ihn im hohen Grade charakteristisch: auf der einen Seite führt ihn seine

colossale Phantasie so leicht zu Abschweifungen, daß er oft genug den stürmenden Gedanken unterliegt und für Augenblicke vom Faden abspringt, dadurch aber zu vielen Undeutlichkeiten kommt, auf der andern sucht er wieder ein Remedium gegen die Breite, zu welcher ihn die Phantasie hinzureissen droht, in einer allzu gedrängten Kürze des Ausdruckes, so daß er auch dadurch oft undeutlich wird. —

Viel Licht also und viel Schatten! Ja im Einzelnen der Darstellung mehr Schatten als Licht! Der Mangel eines einigermaßen glatten Stils muß uns unangenehm berühren. Dennoch versöhnen wir uns mit diesen formalen Schwächen des Dichters wegen der originellen Kraft, welche in seiner ganzen Weise liegt, wegen der Tiefe der Empfindung, die er uns in so merkwürdigem Gewande bietet; vielleicht lieben wir ihn gerade deshalb, weil er es uns so schwer macht, ihn zu verstehen! Haben wir doch auch den durch nichts gestörten Genuß, des Dichters Herz und Gemüth in der Darstellung der triwe und minne, der state und des zwivels kennen zu lernen, welchen wir durch den ganzen Parzival hindurch mit immer neuem Interesse begegnen!

DIE ALTHOCHDEUTSCHEN GLOSSEN ZUM EVANGELIUM LUCAE AUS ST. PAUL.

Das Bruchstück der Uncialhandschrift, aus welchem im Jahr 1843 von Hoffmann von Fallersleben in Haupt's Zeitschrift für deutsches Alterthum III, S. 460-467 die althochdeutschen Glossen zum ersten Male veröffentlicht worden sind, habe ich im Herbste voriges Jahres in der Benedictiner-Abtei St. Paul in Kärnten von neuem abgeschrieben. Es sind zwei zusammenhängende, 0251m hohe, 0.204m breite zweispaltige Pergamentblätter zu 32 Zeilen und enthalten in Uncialschrift aus dem Beginn des siebenten Jahrhunderts Evangelium Lucae 1, 64-2, 51. Der Text ist im achten Jahrhundert durchcorrigiert, und von desselben Correctors Hand stammen die deutschen Glossen.

Während Hoffmann sich darauf beschränkt hat, die Glossen mit ihren Lemmatis auszuziehen, gebe ich im Nachstehenden den Inhalt des Bruchstückes vollständig wieder; nur ist Uncialschrift in Current umgesetzt, die lateinischen Correcturen cursiv gedruckt und die meist nach Hoffmanns Vorgang vollzogenen Ergänzungen eingeklammert und unter den Text verwiesen.

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