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Drittes Buch

Aus den Jahren 1850 bis 1866

Kür die Jahre 1850 bis 1866 fehlt das Material, um eine zusammen

seinen eignen Worten herzustellen. Ein fortlaufendes Tagebuch hat er in dieser Zeit nicht geführt, und die Briefe an die Prinzessin Amalie, in welchen vor der Heirat das Innenleben des Fürsten sich aussprach, nehmen, seit er in einer glücklichen Ehe lebte, begreiflicherweise einen andern Charakter an, beschränken sich auf tatsächliche Mitteilungen über die Erlebnisse und Geschäfte des Tags. Auch fehlt dieser Periode die Einheit, welche in den Entwicklungsjahren durch das Werden der Persönlichkeit gegeben ist. Diese ist gewissermaßen fertig und sucht nach einer Gelegenheit, sich in der Politik zu betätigen. Aber die Zeit war dafür nicht günstig. Der nationale Idealismus des Jahres 1848 war in der Dede der Reaktion erstorben und ein ehemaliger Reichsgesandter hatte keine Aussicht, von der bayrischen Regierung geschäßt und im Staatsdienste verwendet zu werden. Für einen nach seiner Bildung und sozialen Stellung konservativ gerichteten, dabei aber von starkem Nationalgefühl erfüllten Politiker bot das Bayern der fünfziger Jahre keine Gelegenheit, seine Kraft zu betätigen. Es ist psychologisch interessant, wie der Drang nach politischem Wirken den Fürsten allmählich zu einem Kompromiß mit den Verhältnissen führt, in denen allein ein solches Wirken für ihn möglich war, wie er bestrebt ist, seinen Frieden mit dem bayrischen Königtum zu machen und wie unter der Einwirkung dieser äußeren Gegebenheiten auch seine politischen Anschauungen allmählich eine Wendung nehmen, die ihn dem bayrischen Partikularismus näher bringt. Er wird ein Anhänger der Triasidee nicht aus innerer Ueberzeugung, aber aus dem Gefühle, daß bei der scheinbaren Aussichtslosigkeit des kleindeutschen Programms, bei der zweifellosen Unmöglichkeit einer großdeutschen Politik die Sammlung der in den süddeutschen und mitteldeutschen Staaten vorhandenen nationalen Kräfte zu einem dritten Deutschland immer noch den Vorzug verdiene vor der völligen Zersplitterung und Machtlosigkeit tüchtiger deutscher Stämme. Diese bayrisch-partikularistische Wendung ist besonders deshalb beachtenswert, weil sie auch in der späteren Wirksamkeit des Fürsten an der Spite des bayrischen Staats nachwirkt und weil gerade diese Konzession an den Partikularismus die Voraussetzung war für die nationale Politik des

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bayrischen Ministerpräsidenten. Nur ein Staatsmann, an dessen korrekt bayrischer Gesinnung nicht zu zweifeln war, konnte das Vertrauen König Ludwigs II. gewinnen und die nationale Haltung dieses Fürsten in den großen und entscheidenden Fragen der deutschen Politik bestimmen.

1. Paris und Rußland.

Im Dezember 1850 reiste der Fürst mit seiner Gemahlin für mehrere Monate nach Paris. Von dort schrieb er der Prinzessin Amalie am 15. Dezember:

Die ersten acht Tage benußten wir neben unsern Einrichtungsgeschäften, die verschiedenen Theater zu besuchen, weil dies nicht mehr möglich ist, wenn man abends ausgeht... Die Theater find interessant und lehrreich, was die Sprache anbetrifft. Madame Rachel und Madeleine Brohan in der Comédie Française sind sehr merkwürdig. Lettere wird besonders ihrer Schönheit wegen applaudiert, erstere ist über alle Kritik erhaben, so daß man sogar ihr Judengesicht vergißt. Im Théâtre de la Gaîté wird ein Melodrama „Paillasse" gegeben, das von Frédéric Lemaître außerordentlich gut dargestellt wird. Die neue Oper L'enfant prodigue" von Auber ist der Gegenstand aller Unterhaltung. Es ist die Geschichte aus der Bibel und spielt in Aegypten und Palästina. Ein größeres Aergernis als diese Oper kann man sich nicht denken, ja am Schluß kommt eine Szene vor, wo der Himmel sich auftut und man die Engel mit Harfen sieht. Die Dekorationen find prachtvoll, die Musik elend, und während fünf Stunden muß man dieses Gebärmel mit anhören. Einmal und nicht wieder!

Madame Sontag sah ich im „Barbier de Séville“. Ein sonderbarer Eindruck, nachdem ich sie zulezt in ihrem Salon in Berlin gesehen hatte. 1)

Unsre,,entrée dans le monde" haben wir bei Frau von Narischkin gemacht. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns möglichst schnell bekannt zu machen, und hat dies mit der größten Freundlichkeit und Gewandtheit ausgeführt. Wir fanden viele Bekannte in ihrem Salon aus Athen und Neapel, so daß ihr ihre Aufgabe erleichtert wurde. Tags darauf ließ ich mich durch den bayrischen Gesandten bei dem Präsidenten vorstellen. Die Masse geht in die großen Salons, vornehme Leute in die kleinen Appartements des Präsidenten. Hier hinein führte mich Wendland. Im ersten Salon fanden wir den Hofstaat und an der Tür des zweiten einen kleinen Mann mit dem Gesicht eines bayrischen Chevaulegeroffiziers und dem großen Band der Ehrenlegion. Es war le Prince".

1) Henriette Sontag (1808 bis 1854) hatte als Gräfin Rofft von 1848 bis 1849 in Berlin gelebt.

Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. I

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Ich wurde ihm vorgestellt, und dann sprach er mit mir über Bayern: „J'y ai passé ma jeunesse, à Augsbourg, et j'en conserve toujours un très bon souvenir."1) Er erzählte von einem Prinzen Hohenlohe, den er in München gekannt hatte. Dann wurde ich der Prinzeß Mathilde vorgestellt, einer dicken, schönen Dame mit Diamanten. Bald darauf sezte sich die ganze Gesellschaft in Bewegung und defilierte in die Tanzfäle, wo das Publikum Spalier bildete, um uns wie einen großen Hofstaat durchgehen zu sehen. Im Saal wurde ich Lord und Lady Normanby vorgestellt. Lord Normanby ist ein großer krausköpfiger, immer lächelnder Engländer mit vielen Orden, Lady Normanby ein dickes, impassibles Wesen mit Diamanten. Graf Haßfeld, der preußische Gesandte, den ich auch kennen lernte, ein rheinischer Rittergutsbesitzer dans toute la force du terme. Seine Frau eine geistreiche Französin. Der österreichische Gesandte Hübner ist eine Mélange zwischen Liszt und Karl von Koschentin, 2) geschickt und gewandt wie alle österreichischen Diplomaten. Die Russen sind zahlreich und für uns sehr liebenswürdig, im übrigen abgeschliffen und leer.

Gestern abend waren wir bei der Herzogin von Maillé, einer freundlichen Dame mit grauem Schnurrbart. Die Annehmlichkeit, in einen Salon von wenig Menschen zu kommen, von denen man niemand kennt, wurde uns da zuteil. Man bleibt jedoch nur eine halbe Stunde in diesen Avant-soirées. Nachher gingen wir zur Fürstin Lieven. Dort war es mir interessant, alle möglichen merkwürdigen Leute zu sehen und kennen zu lernen. Guizot ist eine gleich im ersten Augenblick auffallende Erscheinung. Er ist der einzige Mensch, den ich in der Pariser Welt bisher getroffen habe, der nicht an andre Dinge denkt oder zu denken scheint, wenn er mit einem spricht. Es ist dies sehr schwer und es gehört viel geistige Kraft dazu, in diesem heillosen Geschrei eines Pariser Salons und umgeben von den verschiedenartigsten Personen nicht verwirrt zu sein und zu scheinen. Molé 3) ist ein ernster Mann, aber auch zerstreut, Berryer, 4) der ebenfalls da war, den ich aber nicht kennen lernte, sieht aus wie ein Landpfarrer. Unter den Damen, die ich bisher gesehen, zeichnet sich Madame Kalergi durch Schönheit, Fürstin Grassalkowitsch durch rüstiges Alter, Madame Gudin durch Fett und naive Bemerkungen

1) Napoleon hatte von 1816 ab mit seiner Mutter Hortense mehrere Jahre in Augsburg gelebt und das dortige Gymnasium zu St. Anna besucht.

2) Prinz Karl zu Hohenlohe-Ingelfingen (1820 bis 1890) auf Roschentin. 3) Graf Louis Mathieu Molé, konservativer Staatsmann, Minister unter Louis Philippe.

4) Der berühmte Redner, Verteidiger Neys und Napoleons nach dem Unternehmen von Boulogne.

aus. Junge Mädchen sah ich bisher nicht, nur auf dem Ball bei dem Präsidenten einige.

Im allgemeinen ist alles hier sehr vormärzlich, mein Kutscher schreit mir immer,,oui, Monseigneur" zu. Wer einen Orden hat, trägt ihn immer, überall und zu allen Tageszeiten. Das Leben ist indessen ange nehm und leicht, die Soireen, da deren viele an demselben Abend sind, kurz und bloße Visiten...

...

4. Februar 1851.

Ich höre einen sehr interessanten cours bei Michel Chevalier über Nationalökonomie, wohin ich mit Marie, Fürstin Mentschikoff und Frau von Seebach fahre. Das Collège de France ist leider so weit, daß ich die übrigen cours, wie einen ganz verrückten cours de philosophie bei Michelet, nur ab und zu besuchen kann. Dienstag und Freitag um 712 Uhr liest Blanqui 1) in dem Conservatoire des arts et métiers über „économie industrielle", eine höchst interessante und merkwürdige Vorlesung, die ich aber der Diners wegen nur selten besuchen kann. Es ist besonders merkwürdig, die verschiedenen Zuhörerklassen zu beobachten, Damen und Herren auf den reservierten Pläßen und Blusenmänner in Masse auf dem Amphitheater... Im allgemeinen gehe ich beruhigt, um manche Illusion ärmer von hier fort, also reicher im Innern. Marie fühlt mit jedem Tag mehr den Wert unsrer stillen Existenz in Schillingsfürst zunehmen und hat nun einen Schritt näher zum wahren Frieden getan. Und im Augenblick, wo alle diese Erfahrungen uns den Aufenthalt in der Heimat wert und teuer machen, droht uns eine unabweisbare Pflicht in die Ferne zu führen und eröffnet sich mir die Aussicht auf eine mühevolle aber fruchtbare Existenz.

Die lezte Bemerkung bezieht sich auf eine Uebereinkunft des Fürsten mit seinem Schwiegervater, dem Fürsten zu Sayn-Wittgenstein, nach welcher der Fürst die Verwaltung der großen Besitzungen in Rußland übernehmen sollte, welche das Erbteil der Fürstin und ihres Bruders von ihrer am 26. Juli 1832 verstorbenen Mutter geb. Prinzessin Stephanie von Radziwill bildeten. Die Uebersiedelung nach Rußland wurde für den Herbst 1851 festgesetzt.

...

An die Prinzessin Amalie.

Schillingsfürst, 24. Juli 1851.

Nach London zu gehen habe ich große Lust, doch weiß ich nicht, wie ich es bei meinen bevorstehenden großen Reiseplänen machen soll. Es wird wohl nicht möglich sein, und ich werde, wenn auch mit großem Bedauern,

1) Nationalökonom, der ältere Bruder des Kommunisten.

darauf verzichten müssen, den Kristallpalast und die Weltausstellung zu sehen. Daß durch dieselbe nun der lange verkannte Wert des Prinzen Albert recht deutlich an den Tag getreten ist, freut mich sehr und ist ein neuer Beweis, wie unrecht man tut, wenn man der sogenannten öffentlichen Meinung und dem Urteil des Pöbels über hervorragende Personen Glauben schenkt. . .

...

An dieselbe.

Rauden, 4. Oktober 1851.

Je länger ich von Schillingsfürst weg bin, desto fester wird in mir der Entschluß, nicht so bald dahin zurückzukehren, und da bleibt denn nur Rußland, das mit den dortigen Geschäften so schwer wiegt, daß die kleinen Schillingsfürster Geschäfte nichts dagegen wiegen. Warum ich gern von Schillingsfürst weggehe, warum ich so leicht das wirklich schöne, gemütliche und reiche Leben dort aufgebe und verschmerze, weiß ich kaum. Je älter wir werden, desto mehr tritt das ideale Leben in den Hintergrund. Der Mann soll und will schaffen und arbeiten, der vernünftige Mensch erkennt in der Arbeit die Quelle der Glückseligkeit, und deshalb dürste ich nach Arbeit, weil wir ja, wir mögen uns anstellen, wie wir wollen, doch immer nach Glückseligkeit streben. Darum ist mir das süddeutsche standesherrliche Leben immer ungenügend gewesen, weil es die Faulheit zum Lebensberuf stempelt. Darum habe ich durch die Uebernahme von Schillingsfürst etwas meiner Natur und meiner Bildung nicht Entsprechendes, sich stets Rächendes getan, und darum endlich danke ich Gott, daß er mich da mit Gewalt herausgerissen und auf eine wenn auch ungewiffe, gefahrvolle, mühsame, aber doch naturgemäße Laufbahn geworfen hat. Verzeih, daß ich Dir so viel von meinen inneren und äußeren Verhältnissen vorerzähle, aber es ist mir, als brächte es Dir, wenn auch nur indirekt, Beruhigung, wenn Du siehst, daß ich meine Pflicht tue und nicht aus Leichtsinn in die weite Welt hinein fahre.

An die Prinzessin Elise. 1)

Werki, 25./13. Oktober 1851.

Wir sind nun zwei Tage hier, und ich kann nicht sagen, daß Land und Leute einen unangenehmen Eindruck auf mich gemacht hätten. Wäre ich zehn Jahre jünger und noch voll Lebenshoffnung und Erwartung von zu verwirklichenden Idealen, so würde es mich allerdings etwas melancholisch stimmen, in diesen menschenleeren, traurigen Gegenden zu reisen, von denen man nicht weiß, ob sie von vergangener Größe oder

1) Jüngste Schwester des Fürsten, geboren den 6. Januar 1831, seit 1868 vers mählt mit dem Prinzen zu Salm-Horstmar.

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