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Sicherheit eine von Gott über den Sünder verhängte Strafe nach sich: Der eine verarmt, der andere wird unheilbar krank, der dritte erliegt einem jähen Tode'). In Roenkarken wohnte ein alter Mann, der schon 99 falsche Eide geschworen hatte; als er dann aber noch einmal einen Meineid leisten wollte, wurde ihm die Hand steif 2). Eine Lähmung, einen Bruch, einen Knochenfraß am Arm hört man öfters auf einen Meineid zurückführen. Kinder, die mit verkrüppelten oder verstümmelten Gliedmaßen geboren werden, müssen für die Sünde der Eltern büßen 3). Meineidige müssen auch nach dem Tode umgehen 4). Ein einfacher Mann aus dem Volke, dem ich manche Mitteilung verdanke, erzählte mir kürzlich, vor Jahren habe in Stettin ein Mann einen Meineid geschworen; als er bald darauf plötzlich gestorben sei, habe man das allgemein als ein Strafgericht für seine Sünde angeführt 5).

Gleiche Anschauungen sind aus andern Ländern bekannt, lassen sich auch schon im klassischen Altertum nachweisen 6) Sicherlich ließen sich noch weit mehr Beispiele anführen 7). Interessant ist, daß man diesen Volksglauben auch in der schönen Literatur verwertet findet. Anzengruber führt ihn nämlich in seinem „Meineidbauer“ an, in dem er Liesl folgendes sagen läßt 8): „,,Damals wie der Meineidbauer sein' Hand hat zu Gott aufg'hobe, nur daß ihm die g'studierten Leut seines Bruders Hab und Gut zusprachen, da is kein Donner vom Himmel g'fall'n, die Erd' hat sich nit auf'than, mein Kind is in Not und Unehr dag'standen und a so verstorb'n, und der Meineidbauer is heuttags noch a reicher Mann. Seither war's fertig in mir. Die Welt taugt mir nit, wo so was drin g'schehn kann. Seit damals heißen's mich gottlos". Hier ist also die Liesl dadurch in ihrem Gottvertrauen

1) Strackerjan, Bd. 1, S. 39.

2) Strackerjan, a. a. O., Bd. 1, S. 172.

3) Derselbe, Bd. 1, S. 41.

4) Derselbe, Bd. 1, S. 197f., 172.

5) Mündliche Mitteilung des Zigarrensortierers Viehstaedt (Berlin). 6) Vgl. das treffliche Buch von Bérenger-Feraud ,,Superstitions et survivances étudiées au point de vue de leur origine et de leurs transformations", Bd. 2 (Paris 1896), S. 313, 314, 316. Auch anderen ruchlosen Verbrechern, so Tempelschändern, Leuten, die einen Priester schlagen oder zu töten versuchen, wird übrigens nach dem Volksglauben der Arm kataleptisch: Vgl. S. 290, 292, 298. 7) Der ausgezeichnete Ethnologe Richard Lasch hat ein zusammenfassendes Werk über Eid und Meineid in Angriff genommen, das vermutlich auch hierfür neue Materialien beibringen wird.

8) Anzengruber, ,,Der Meineidbauer", 6. Aufl., Stuttgart und Berlin 1902, S. 34.

schwankend geworden, daß der Meineidbauer nicht sogleich vom Blitz erschlagen worden ist.

Man könnte nun meinen, daß durch gleiche Erfahrungen der Glaube an die göttliche Gerechtigkeit schon längst beseitigt sein müßte. Da ist aber daran zu erinnern, daß das Volk wenigstens an eine Vergeltung im Jenseits glaubt und daß andrerseits sich auch Fälle ereignen, die jenem Volksglauben anscheinend recht geben, worauf ich gleichfalls unter Anführung von Belegen schon in obigen Abhandlungen hingewiesen hatte. Nach einem bekannten psychologischen Gesetz bleibt eine anscheinende Bestätigung einer vorgefaßten Meinung besser im Gedächtnis haften als hunderte von Fällen, welche diesem Glauben entgegentreten').

Ein derartiges, in mehr als einer Hinsicht höchst interessantes Vorkommuis soll sich nach Zeitungsberichten Anfang 1905 in Smyrna zugetragen haben. Nach den mir vorliegenden Berichten erschien in dem Scheidungsprozeß, den eine griechische Ehefrau gegen ihren Gatten wegen böswilligen Verlassens vor dem geistlichen Gericht in Smyrna angestrengt hatte, plötzlich eine ihrer Töchter aus erster Ehe und sagte aus freien Stücken unter Eid zugunsten des beklagten Stiefvaters aus. Die darüber empörte Klägerin beschuldigte ihre Tochter daraufhin der Lüge und eines verbrecherischen Verhältnisses mit ihrem Stiefvater. Zuerst sprachlos über diese ungeheuerliche Anschuldigung, ergriff das unglückliche Mädchen plötzlich das Kruzifix und rief feierlich Gott und den Heiland an, diese böswillige Lüge auf der Stelle zu bestrafen. Wahrscheinlich aus Schreck über diese Beschwörung sank die Mutter, von einem Schlaganfall niedergeworfen, tot dahin 2). Eine möglichst authentische Nachricht über diesen psychologisch und volkskundlich gleich interessanten Vorfall zu erhalten, wandte ich mich seiner Zeit an das deutsche Generalkonsulat in Smyrna, erhielt aber leider keine Antwort. Trotzdem glaube ich die Zeitungsberichte 3) als sichere Quelle ansehen zu können, weil, wie ich früher schon nachgewiesen habe, der Glaube an ein tatkräftiges Eingreifens Gottes auf feierliche Anrufung hin allgemein verbreitet und äußerst lebenskräftig ist und weil Todesfälle infolge psychischer Erregung, infolge des

1) Vgl. Lehmann „Aberglaube und Zauberei", deutsch von Petersen, 2. Aufl. (Stuttgart 1908) S. 437 f.

2),,Berliner Lokalanzeiger" vom 12. März 1905. Einen identischen Bericht brachte die,,Zeitschrift für Spiritismus" 1905, S. 108, unter Berufung auf das „Frankfürter Tageblatt".

3) Meine Abhandlung über „Zeitungsnotizen als Quelle für kriminalistische und volkskundliche Forschungen" ist bereits fertiggestellt.

Glaubens, sterben zu müssen, bei Naturvölkern und Kulturvölkern reichlich bekannt sind'), sodaß der ganze Vorgang durchaus innere Wahrscheinlichkeit hat. Auf den ersten Blick scheint aber der Tod der lügnerischen Frau für den Glauben an die Bestrafung des Meineidigen nichts zu ergeben, da wenigstens nirgends vermerkt ist, daß die Klägerin ihre Aussage und auch ihre ungerechte böswillige Beschuldigung der Tochter unter Eid ablegte. Aber trotzdem können wir diesen Fall auch als Beispiel für jenen Glauben anziehen. Denn die Frau erschrak tödlich, weil sie glaubte, daß Gott sie auf feierliches Anrufen ihren Tochter hin auf der Stelle für eine vor Gericht ausgesprochene Lüge bestrafen würde. Der Eidschwur ist aber nun nichts anderes als eine feierliche Selbstverfluchung für den Fall der Unwahrheit. Wie leicht ersichtlich, macht es aber nichts Wesentliches aus, ob das Unheil, das den Lügner treffen soll, von dem Aussagenden selber heraufbeschworen wird, oder ob ein Dritter Gott zum Zeugen der Wahrheit anruft, was auch durch Schwurzeremonien vieler Naturvölker bestätigt wird. Vielleicht werde ich über kurz oder lang in der Lage sein, auch aus dem modernen Europa einen parallelen Fall beizubringen und damit wieder an einem eklatanten Beispiel nachweisen, wie tief der Glaube an die religiöse Natur des Eides und Meineides auch im zwanzigsten Jahrhunderts noch ist 2)

12. Ist Mißhandlung eines Gespenstes strafbar?

Ein neuer Beleg für die bekannte Tatsache, daß der kriminelle Aberglaube auch für die westeuropäischen Kulturnationen, speziell auch für Deutschland, noch bei weitem keine abgetane Sache ist. war eine Verhandlung, die Mitte Juli 1907 vor dem Meininger Landgericht stattfand und der nach übereinstimmenden Zeitungsnotizen folgender Sachverhalt zugrunde lag.

Mehrere Jahre hintereinander hatte der Turmwächter König in Wasungen die unheimliche Beobachtung gemacht, daß in der Silvesternacht um 12 Uhr ein Licht über den Wasunger Friedhof wandelte. Am letzten Tage des vorigen Jahres teilte er nun seine Wahrnehmung dem Karusselgehilfen Bach mit und wettete mit diesem um

1) Meine hierüber gesammelten zahlreichen Materialien verarbeite ich in zwei größeren Abhandlungen über „Die sozial ethische Bedeutung von Fluch und Segen in primitiven Entwickelungsstadien" sowie ,,Die Zauberin von Marly“.

2) So schrieb ich vor etwa einem Jahre. Mittlerweile hat sich nach Zeitungsberichten kürzlich vor dem Schöffengericht in Mainz ein ähnlicher Fall abgespielt. Ich werde ihm nachforschen und über ihn später berichten.

20 Liter Bier, daß er ihm in der Silvesternacht Gespenster zeigen wolle. Als vorsichtiger Mann nahm Bach, als er bei Einbruch der Nacht mit König zum Friedhof zog, Revolver und Säbel und außerdem seine zwei Schwestern und einen befreundeten Kellner mit. Die beiden Schwestern rissen nun, als punkt 12 Uhr wirklich ein Licht auftauchte, sofort aus. Bach jedoch, entschieden mutiger, feuerte auf das vielleicht 100 Meter entfernte Gespenst" unter dem Rufe: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn!" einen Revolverschuß ab. Dann stürzte er auf das Gespenst los und versetzte ihm, als es auf seinen Ruf: „Bist Du ein Geist oder eine Person; wenn Du ein Mensch bist, so gebe Antwort!" keinen Laut erhielt, mehrere Säbelhiebe. Dieses wurde dem Gespenst" nun aber entschieden ungemütlich, denn es lüftete sein Inkognito und entpuppte sich als ein gewisser Bernhard Günkel in Wasungen, der sich seit Jahren in der Neujahrsnacht vom Friedhof einen Kreuzdornzweig zu holen pflegte, da dieser stillschweigend gebrochen und nach Hause getragen, ein sicheres Mittel gegen Krankheit bei Menschen und Vieh sein sollte. Die Folge war nun, daß Bach wegen seiner Säbelhiebe von dem Gespenst" wegen Körperverletzung verklagt und vom Wasunger Schöffengericht zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Diese Strafe hat jetzt die Meininger Strafkammer bestätigt, obwohl der Angeklagte die Erklärung abgab, er habe die feste Überzeugung gehabt, nicht auf einen Menschen, sondern auf ein Gespenst losgeschlagen zu haben. 1)

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Nach einer andern, etwas ausführlicheren Darstellung 2) ist die Berufung mit Rücksicht auf die dem Günkel beigebrachten Verletzungen" verworfen worden.

Interessant ist an diesem Fall, daß hier das Verbrechen durch ein Zusammentreffen zweier abergläubischer Vorstellungen ermöglicht ist: Hätte Günkel nicht dem in Deutschland auch sonst befolgten Aberglauben3) angehangen, daß ein Kreuzdorn (Rhamnus cathartica) als Türstecken, wegen der kreuzförmigen Stellung seiner Dornen, gegen Behexung, Krankheit und Ungeziefer schütze, so wäre er nicht in der Silvesternacht auf den Friedhof gegangen und hätte sich so der Gefahr ausgesetzt, für ein Gespenst gehalten zu werden. Und hätten andrerseits Bach, König und die andern nicht an Gespenster

1),,Tägliche Rundschau" (Berlin) vom 16. Juli 1907, ebenso ,,Der Reichsbote" (Berlin) vom selben Datum, ebenso andere Zeitungen.

2) ,,Dorfzeitung" (Hildburghausen, 13. Juli 1907.

3) Vgl. Adolf Wuttke,,Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart", 3. Aufl. von Elard Hugo Meyer (Berlin 1900) p. 142.

erscheinungen geglaubt, so hätten sie die Gestalt in der Silvesternacht nicht irrigerweise für den Geist eines Abgeschiedenen gehalten.

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Aus dem Zeitungsbericht geht nicht hervor, ob Bach wegen vorsätzlicher oder wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden ist. Man darf aber wohl annehmen, daß ihm nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt wurde. Man kann zweifelhaft sein, ob ihm überhaupt eine Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann. Bevor er auf das Gespenst schoß, rief er es nämlich mit den Worten an: „Alle guten Geister loben Gott, den Herrn!" Nach deutschem Volksglauben antwortet nur ein guter, d. h. noch erlösungsfähiger Geist hierauf: „ich auch"; ist es aber ein böser Geist, so bekundet er dies durch Schweigen oder gar ein paar Backenstreiche.') Da Günkel aber um seine Zauberhandlung, die unbedingtes Stillschweigen erfordert nicht zu stören nicht antwortete, mußte Bach von seinem Vorurteil aus annehmen, er habe es mit einem ganz gefährlichen bösen Geist zu tun. So ist es nur allzu verständlich, daß er sich mit dem Säbel auf das vermeinte Gespenst stürzte. Hätte Günkel nach dem ersten Schlag wenigstens das verderbliche Stillschweigen gebrochen und sich nicht noch zwei bis drei weitere derbe Säbelhiebe versetzen lassen, bevor er einen Ton sagte, so hätte Bach ziemlich sicher von ihm abgelassen. Berücksichtigt man das Gesagte, daß die Handlung Bachs durch seinen Gespensterglauben hinreichend motiviert war2) und daß er, von dieser Voraussetzung aus, nicht fahrlässig gehandelt hat, sondern so, wie ihm nach Lage der Sache geboten erscheinen müßte, daß ferner Günkel durch sein Stillschweigen den Angriff Bachs selbst verschuldet hat, so wird man zu der Überzeugung gelangen müssen, daß falls hier überhaupt eine strafbare Fahrlässigkeit gegeben ist

was mir sehr zweifelhaft erscheint so doch die

1) Wuttke a. a. O., p. 172. So gibt sich z. B. in Oldenburg ein erlösungsfähiger Geist dadurch zu erkennen, daß er, mit den Worten:,,Alle guten Geister loben Gott den Herrn" angeredet, entweder den Anredenden unterbricht und den Spruch selber fortsetzt oder auch antwortet:,,Ich auch". Vgl. L. Strackerjan. ,,Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg", Bd. 1, Oldenburg 1867, S. 191.

2) Man könnte vielleicht bemerken, es sei doch unwahrscheinlich, daß jemand glauben könne, ein Gespenst, also ein Wesen nicht von Fleisch und Blut durch Säbelhiebe vertreiben zu können. Dies trifft aber nicht zu. Dr. Friedrich S. Krauß (,,Slawische Volksforschungen", Bd. 1, Leipzig 1908, S. 117) berichtet bezüglich der Südslawen, daß mitunter freilich ein Geist nicht faßbar und der von ihm angegriffene Mensch seinen Mißhandlungen schutzlos preisgegeben ist Vielfach ist das Gespenst aber auch so körperlich, daß man mit ihm ringen und es ordentlich durchbläuen kann. Ebenso der deutsche Volksglaube.

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