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des Staates und verlangt von diesem die Erfüllung der von ihm übernommenen Pflichten, d. h. den rechtlichen Schutz als der Folge jenes garantierenden Verhältnisses. In dem Rahmen des Grundsatzes „suum cuique tribuere" erfüllt auch der Staat die übernommene Pflicht und garantiert jedem Rechtssubjekt bezüglich der ihm zustehenden, von den Bestimmungen des positiven Rechts umschriebenen Rechtssphäre einen gehörigen Schutz, solange es die Grenzen dieser Sphäre nicht überschreitet.

Der Zustand einer vollständig (objektiv und subjektiv) ungestörten und vor jeglicher gesetzwidrigen Ingerenz von Seiten dritter Personen gesicherten Freiheit der Bewegung im Rahmen der Rechtssphäre bildet eben den Begriff des Friedens im gegenwärtigen Sinn. Das Gesamtbild des Begriffes des Rechtsfriedens vom Standpunkt der Abstraktion hat folgende Bestandteile: die objektive Seite desselben als Ausdruck des Verhältnisses äußerlicher Natur und die subjektive Seite als Ausdruck des Verhältnisses innerer, intellektueller Natur. 1) Der Begriff des Rechtsfriedens als genus umfaßt überdies den Begriff sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts friedens als species generis.

Analog zu obigen Formen, unter denen der Begriff des Rechtsfriedens nach außen auftritt, läßt sich auch die prinzipielle Einteilung der Friedensdelikte je nachdem diese den objektiven Rechtsfriedenszustand oder subjektives Rechtsfriedensgefühl der Einzelperson resp. der Gesamtheit zum Verletzungsobjekte haben, vornehmen.

Vom Standpunkte des geltenden Strafgesetzes und der Nebengesetze können somit nur nachstehende Delikte als Friedensdelikte bezeichnet werden:

I. XIII. Fall des Verbrechens der öffentlichen Gewalttättgkeit
durch gefährliche Drohung:

Verletzungsobjekt: das öffentliche (Gemeinden oder
Bezirke) und das Rechtsfriedensgefühl der Einzelperson.
II. Aufreizung zu Feindseligkeiten gegen Nationalitäten, Religions-

1) Goers-Zeitschrift f. d. g. Strafr. wiss. XIX. Bd., S. 479, 480. Desselben: Der Rechtsfrieden als besonderes Rechtsgut u. s. w. 1900. Abweichend: Hälschner Strafr. Bd. II, S. 508, § 151, Abs. 6. (Das Bewußtsein der Rechtssicherheit ist zwar die Folge des für gesichert erachteten Friedenszustandes u. s. w.) v. auch Oppenheim Die Objekte des Verbrechens, § 47, Ötker Die Vergehen gegen den öffentlichen Frieden und die Umsturzvorlage. Beilagen No. 37-40 v. 6-9. Februar 1895 zur allgem. Zeitung: (Es wird in der Regel genügen, wenn der Friedenszustand gegen Verletzungen ausreichend sichergestellt ist, ein besonderer Gefühlsschutz wird daneben nicht notwendig sein. S. 3).

genossenschaften, Körperschaften und dergleichen. (Vergehen nach § 302.) 1)

Verletzungsobjekt: öffentliches Rechtsfriedensgefühl. III. Verbreitung falscher beunruhigender Gerüchte oder Vorhersagungen (Übertr. nach § 308).

Verletzungsobjekt: öffentliches Rechtsfriedensgefühl. IV. Verbrechen nach § 8 des Ges. v. 27. Mai 1885, Z. 134 Rgbl. (Glorifizierung, Rechtfertigung der anarchistischen Attentate).

Verletzungsobjekt: öffentliches Rechtsfriedensgefühl. Somit hätten wir die Kategorie der Friedensdelikte vom Standpunkt des geltenden Strafgesetzes erschöpft.

Es drängt sich nun die Frage auf:

Können die von den Vertretern der Theorie aufgezählten und als gegen das Rechtsgut des Friedens gerichteten Delikte nach $$ 65, 300 und 305 des gelt. StG. als Friedensdelikte in der eigentlichen Bedeutung dieses Wortes angesehen werden? Meiner Ansicht nach nein.

Obwohl man zwar diesen Delikten die Etikette der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung aufgedrückt hatte, taucht doch aus dem Charakter und der Bedeutung der bezüglichen Vorschriften die Tendenz empor, auf eine andere, weit wichtigere Seite Nachdruck zu legen, namentlich auf die Notwendigkeit eines absoluten Schutzes der Staatsinteressen und staatlich-sozialen Einrichtungen vor allzu radikalen nach Umsturz des bestehenden Zustandes strebenden Elementen, die besonders iu der radikalen Presse ihren Ausdruck finden. Deswegen kann man auch obige Vorschriften als eine Art von Ausnahmevorschriften mit politischer Färbung anssehen, als ein privilegium odiosum für radikale Strömungen dessen Bildungsmotiv nur das Bestreben war, die Staatsinteressen und sozialen Einrichtungen mit entsprechendem Schutz zu umgeben. Denn in der Tat haben weder Aufreizung zur Verachtung oder zum Hasse wider die Person des Kaisers, noch die Aufforderung zum Ungehorsam, zur Auflehnung oder zum Widerstande gegen Gesetze, Verordnungen usw., zur Herabwürdigung der Verfügungen der Behörden, der Einrichtungen der Ehe, der Familie, des Eigentums usw. irgend etwas Gemeinschaftliches mit dem Rechtsgute des Friedens. Den eigentlichen politischen Charakter der be

1) Genesis: Die Bestimmungen des französischen Gesetzes vom 9. September 1835, Art. 8 („provocation à la haine entre les diverses classes de la societé“) und des Dekrets der provisorischen Regierung vom 11./12. August 1848, Art. 7 Quiconque... aura cherché a troubler la paix publique en excitant le mépris ou la haine des citoyens les uns contre les autres sera puni . . . .“).

sprochenen Vorschriften konstatiert übrigens am besten die Praxis, die beweist, daß diese Vorschriften zu einer erfolgreichen Waffe in der Hand der Behörden in erster Linie gegen die allzu radikale Presse in der Form privilegierter Paragraphen zur Begründung der Konfiskationen wurden, in zweiter Linie aber gegen die Propagatoren radikaler Anschauungen in der Form eines erfolgreichen Knebels für ihre oratorischen Gelüste auf öffentlichen Versammlungen. Das also, was bei der Konstruktion der eigentlichen zum Schutz des Rechtsfriedens dienenden Bestimmungen das Ziel sein soll, wurde im vorliegenden Falle als Mittel zur Erreichung eines Zweckes politischer Natur verwendet. Eine ähnliche Bedeutung hatte seiner Zeit in Deutschland das sozialistische Ausnahmegesetz vom 21. Oktober 1878, das unter dem Schein des Schutzes des öffentlichen Rechtsfriedens sich als einziges Ziel die vollständige Niederdrückung des immer weitere Kreise schlagenden Sozialismus steckte; ebenso der nicht minder tendenziöse § 130 des Deutschen StG. in der sogenannten Umsturzvorlage vom 5. Dezember 1894.

II.

Das Verbrechen des Kindesmordes nach öster

reichischem Recht.

Von

Alfred Amschl in Graz.

In Rom lag auf dem Vatermord keine Strafe, weil man dieses Verbrechen für undenkbar hielt; in der Tat währte es über ein halbes Jahrtausend, bis der erste Vatermord begangen wurde. (Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, S. 207.)

So möchte man denn auch Kindesmord für undenkbar halten. Die Vorstellung, daß ein Wille, bestimmt der schönsten Blüte menschlichen Empfindens zu dienen, der Mutterliebe, die Frucht des eigenen Leibes vernichtet, erfüllt uns mit Abscheu. Unwillkürlich glauben wir an ein Abweichen von der Norm, an pathologische Vorgänge, die den Egoismus aufstacheln, so daß er alle Hemmungen überwältigt und die ganze Natur des Menschen in unüberwindliche Fesseln schlägt.

Englisches Recht unterscheidet ehenso wenig als französisches den Kindesmord von anderen Fällen des Mordes und straft ihn daher wie Mord, mit dem Tode. Auch das japanische Strafgesetz vom 23. April 1907 läßt eine Bestimmung über Kindesmord vermissen. (§ 199 ff.)

Nach § 217 DRStG. wird eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Jahren ein. Als Kind" gilt die Frucht von den ersten Anfängen der Geburt an, auch wenn noch im Mutterleibe, bei Beginn der Ausstoßung.

Für Österreich hat Hoegel die Quellen des Strafrechtes erschlossen (Geschichte des österr. Strafrechtes, Wien 1904 und 1905). Ihm folgen wir in unserer Skizze über die historische Entwickelung des Verbrechensbegriffes (vergl. Hoegel, II. Teil, S. 72, 81, 101, 104, 11S, 147, 148, 152, 159, 178, 179, 188, 198, 200, 208, 219, 226, 233, 259.)

Den Reigen der strafgesetzlichen Bestimmungen wider Kindesmord eröffnete die Malefizordnung Max I. für Tirol (1499). Sie hält noch an der Hypothese der lebendigen Frucht fest, weshalb die Begriffe des Kindesmordes und der Abtreibung in einander verschwimmen: Welche Frau ein Kind vertut, die soll lebendig ins Erdreich begraben und ein Pfahl durch sie geschlagen werden".

Die Constitutio criminalis Carolina vom 27. April 1532 behandelt Kindesmord als schweren Fall des Mordes. Welches Weib ihr Kind, das Leben und Gliedmaßen empfangen hätte, heimlicher, boshaftiger, williger Weise ertötet, die werden gewöhnlich lebendig begraben und gepfählt. Aber darin Verzweiflung zu verhüten, mögen dieselben Übeltäterinnen, in welchen Gerichten die Bequemlichkeit des Wassers dazu vorhanden ist, ertränkt werden. Wo aber solche Übel oft geschehen, wollen wir die gemeldete Gewohnheit des Vergrabens und Pfählens um mehr Furcht willen solcher boshafter Weiber auch zulassen, oder aber, daß vor dem Ertränken die Übeltäterin mit glühenden Zangen gerissen werde, alles nach Rat der Rechtsverständigen.“

Die Landesordnungen für Tirol von 1532 und 1573 zeigen keinen sonderlichen Fortschritt gegenüber der Maximilianeischen Halsgerichtsordnung. Von einem Einflusse der Carolina, die zwischen Kindesmord und Abtreibung unterscheidet, ist nichts zu merken.

Nach der steirischen Land- und peinlichen Halsgerichtsordnung des Erzherzogs Karl vom 24. Dezember 1574 wird wegen Mordes bestraft Item wer mit Gift oder anderer Gestalt einen Menschen vom Leben zum Tode bringt oder Kinder vertan hätte."

Die Landgerichtsordnungen Ferdinands III. vom 30. Dezember 1656 für Nieder- und Leopolds I. vom 14. August 1675 für OberÖsterreich bringen zum erstenmal mildere Behandlung des Kindervertuens zum Durchbruch. „Obzwar unter nächstvorhergehendem Artikel von dem Vatermord in allerweg auch die Mutter begriffen, welche ihre leiblichen Kinder entweder gleich nach der Geburt des Lebens zu berauben und heimlich zu vertun sich vermessen, weil aber viele unterschiedliche notwendige Punkte in dem ganzen Prozeß dieses Lasters wohl zu merken, so haben wir zur besseren Nachricht solche in einem besonderen Artikel zu verfassen, für notwendig befunden." Es heißt dann gewissermaßen entschuldigend: „obschon sonst sowohl im gemeinen Rechte, als insonderheit der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. dergleichen Kindesmörderinnen lebendig begraben und gepfählt, oder wo die Gelegenheit des Wassers ist, ertränkt werden, so wollen wir doch, Verzweiflung zu verhüten, daß eine solche Täterin mit dem Schwerte vom Leben zum Tode hingerichtet werde".

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