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liche Einkerkerung der Missetäter. Allen Strafrechtlern ist es allerdings klar, daß viele Rückfällige und Gewohnheitsverbrecher dauernd von der Gesellschaft ausgeschieden werden sollten. Ist es barmherzig oder weise, einen Gewohnheitstrinker oder sonstigen Missetäter in Freiheit zu setzen, wenn seine Unverbesserlichkeit erwiesen ist? Ein Vorzug des Probation-System", des unbestimmten Strafurteils und der bedingten Entlassung ist es, daß sie schließlich eine Scheidung zwischen den verbesserlichen und unverbesserlichen Verbrechern herbeiführen. Erscheint für letztere dauernde Haft angezeigt, so ergibt sich wiederum die Frage, wie die persönliche Freiheit gesichert werden soll.

Die Antwort ist nicht schwer zu geben. Der jetzt durch die obere Grenze der Strafzeit gewährleistete Schutz läßt sich gesetzlich auf besserem Wege erreichen und zwar durch Vertretung des Richterstandes in jedem Entlassungsamt. In dem Frauen-Reformgefängnis in Bedford wird bei jedem Parole-Fall der Richter, der die zu Entlassende überwiesen hat, benachrichtigt und muß seine Stimme abgeben. In der New York City-Besserungsanstalt für Vergehen besteht das Entlassungsamt aus neun Mitgliedern, von denen vier Richter der New-Yorker Gerichtshöfe sein müssen.

Bei Gewohnheitsverbrechern und Rückfälligen läßt sich dasselbe Prinzip anwenden. Es ist fraglos, daß hier längere Haft und nicht kurze Strafen am Platze sind. Doch dürfte in den Gefängnissen und Arbeitskolonien nicht jede Hoffnung auf Freiheit ausgeschlossen sein. Mancher mag sich bei längerer IIaft und unter guter Zucht bessern, der bei kurzen Freiheitsstrafen unverbesserlich erscheint. Daher sollte auch bei den sogenannten Unverbesserlichen die Frage nach bedingter Entlassung etwa alle fünf oder zehn Jahre wiederkehren, und der Gefangene müßte das Recht haben, an einen Vorstand zu appellieren, in dem Juristen, Mediziner und Verwaltungsbeamte vertreten sind.

Der Nachteil des Urteils mit einem festgesetzten Höchstmaß der Strafdauer besteht darin, daß der Betreffende frei gegeben werden muß, ob er dafür reif ist oder nicht. Der große Vorteil des unbestimmten Strafurteils liegt darin, daß es nicht von einer willkürlichen Grenze des Gesetzbuches, noch von der Laune des Richters oder des Gefängnisdirektors abhängig ist, sondern von dem Gefangenen, der einem System unterworfen ist, das darauf hinzielt, seinen Charakter zu entwickeln und klar zu legen.

Das unbestimmte Strafurteil hat die Probe bestanden und wird als Prinzip Dauer haben. Soll es aber von Erfolg begleitet sein, so müssen wir es seinem wahren Wesen nach und nicht eine schwache Nachahmung desselben besitzen.

XIII.

Aus den Erinnerungen eines Polizeibeamten.

Von

Hofrat J. Hölzl.

IV. Ein gelöstes Rätsel.

Vor einigen zwanzig Jahren waren die Bewohner einer kleinen steirischen Dorfgemeinde Monate hindurch in große Aufregung ver setzt. Besagte Gemeinde dehnte sich auf einem langgestreckten Bergrücken aus, dessen nördlicher Abhang mit Wald bedeckt war, während auf der Südseite, zwischen Weingärten, die kleinen Häuser (Keuschen) der einzelnen Besitzer zerstreut lagen. Die Aufregung der Einwohnerschaft wurde dadurch hervorgerufen, daß in kurzen Zwischenräumen an den verschiedensten Stellen des Dorfes, teils auf dem Boden liegend, teils angenagelt, teils an Weinstöcken aufgehängt eine große Zahl mittelst Bleistift geschriebener Zettel sträflichen Inhaltes (Majestätsbeleidigungen, Beschimpfungen der Behörden und ihrer Organe, gefährliche Drohungen etc.) aufgefunden worden waren, von denen man überzeugt sein konnte, daß sie jemand in böswilliger Absicht verbreitet haben mußte; es fiel diesbezüglich der Verdacht der Täterschaft auf Grund des raffiniert ausgedachten Inhaltes der Zettel und der verschiedenen Fundstellen auf sieben in der Gemeinde wohnhafte Personen, die infolgedessen wiederholt arretiert und durch längere Zeit in Haft behalten wurden. Als der Zettelspuk aber auch in der Zeit noch fortdauerte, während welcher die Verdächtigten im Gefängnisse saben, erschien dieses Treiben geradezu rätselhaft.

In diesem Stadium ward nun mir Gelegenheit gegeben, mich mit der Sache zu beschäftigen, und richtete sich hiebei mein Augenmerk in erster Linie auf die als corpora delicti den Akten beigelegten Schmähzettel. Die im Laufe der gerichtlichen Untersuchung erfolgte Prüfung sämtlicher Zettel hatte bereits ergeben, daß darin die gleichen Schreibfehler, Redewendungen und Schimpfworte zu finden waren, was zur Annahme berechtigte, daß alle Zettel von einer und derselben

Hand herrührten, und weiters, daß deren Inhalt sich auch auf solche persönliche Verhältnisse bezog, die nur ein eingeweihter Ortsbewohner wissen konnte; mir aber fiel noch insbesondere etwas anderes auf, nämlich die verschiedenen Zettel zeigten auch verschiedene Papiersorten, wie weißes, licht- und dunkelblaues, geripptes, karriertes und blauliniertes Schreibpapier, sowie gelbes und braunes Packpapier, und drängte sich mir hiebei unwillkürlich der Gedanke auf, daß arme, ungebildete Leute, wie es die Verdächtigten waren, unmöglich im Besitze so mannigfacher Papiergattungen sein konnten, da die Beschaffung derselben, in einem vom Verkehr weit abgeschiedenen Dorfe, für sie wohl kaum denkbar gewesen wäre. Wenn hiernach für mich die Annahme gerechtfertigt erschien, daß der Verfasser und Verbreiter der Schmähzettel nicht unter den Verdächtigten sein könne, wo war er aber dann zu suchen?

Schon beim Studium der Akten lenkte sich diesfalls mein Verdacht auf einen öfters als Zeugen vernommenen 15jährigen Burschen, der sich ebenfalls in der Gemeinde aufhielt und ein naher Verwandter des Gemeindevorstehers war. Es fiel mir nämlich auf, daß meist er allein es war, der bestimmte Personen beim Zettellegen gesehen haben wollte, wenn diese auch von anderen hätten gesehen werden müssen. Ebenso schien es unerklärlich, daß, wenn von der Gendarmerie nächtliche Streifungen vorgenommen wurden, an welchen sich auch der Gemeindevorsteher sammt dem Jungen beteiligte, keine Spur von den Tätern zu entdecken war, wohl aber wieder Schmähzettel ausgestreut gefunden wurden. Mein Verdacht wurde noch verstärkt, als ich mich behufs eingehender Erhebungen selbst an den Tatort begab, wo ich folgendes konstatieren konnte:

Der Gemeindevorsteher war mit Ausnahme seiner Namensfertigung des Schreibens unkundig und bediente sich hiezu oft auch des vorerwähnten, infolge seiner Kränklichkeit wenig beschäftigten jungen Burschen, der dadurch Gelegenheit hatte, die an die Gemeinde aus den verschiedenen Gegenden eingelangten Schriftstücke in die Hand zu bekommen. Schien auf diese Weise die Quelle gefunden zu sein aus welcher das verschiedenartige Papier der Schmähzettel stammen konnte, so wurde mir dies geradezu zur Gewißheit, als ich bald auch in die Lage kam festzustellen, daß von einzelnen gemeindeamtlichen Schriftstücken unbeschriebene Teile fehlten, welche entweder abgeschnitten oder abgerissen worden waren und mit welchen die aufgefundenen Schmähzettel in bezug auf Größe, Format, Papiersorte und Rißstellen vollkommen und haarscharf übereinstimmten. Damit war aber auch fast jeder Zweifel beseitigt, daß es, wie ich schon längst

vermutete, der mehrerwähnte junge Bursche gewesen sein müsse, welcher die Zettel verfertigt und auch verbreitet hatte. Meine Vermutung war nämlich auch noch dadurch bekräftigt worden, daß ich durch den am Tatorte vorgenommenen Augenschein insbesondere zwei Behauptungen des Jungen bestimmt als unwahr konstatieren konnte. Nach einer dieser Behauptungen sollte ein vom ihm aufgefundener Schmähzettel mittels acht zirka 12 Zentimeter langen eisernen Stiften an einer Tennenwand angenagelt gewesen sein; dies erwies sich jedoch als vollkommen unmöglich, weil an der bezeichneten Stelle der aus Holz verfertigten Tennenwand keinerlei Spuren davon zu sehen waren, daß dort je Nägel oder Stiften eingeschlagen gewesen wären. Ebensowenig glaubhaft war auch die zweite Behaup tung, daß einer der Verdächtigten, den er im Walde beim Zettellegen überrascht haben wollte, aus einer Entfernung von zirka 15 Schritten mit einer Pistole auf ihn geschossen habe, wodurch sein Rock und die Stiefel durchlöchert worden, er selbst jedoch unversehrt geblieben sei. Ich ließ mir vom Jungen die Plätze zeigen, wo er und der von ihm Beschuldigte damals gestanden haben sollten, und konnte aus der Situation klar ersehen, daß ein in der bezeichneten Richtung ab gegebener Schuß niemals den Jungen, wohl aber die vor ihm befindlichen Bäume hätte treffen müssen, die ich jedoch gänzlich unver sehrt vorfand.

Mit Rücksicht auf diese mir vorgelegenen schwerwiegenden Verdachtsmomente ließ ich nun den Jungen in Haft nehmen und an das Gericht überstellen, womit meine Aufgabe in dieser Sache erledigt war.

Im weiteren gerichtlichen Verfahren legte der Junge unter der Wucht der seine Schuld außer Frage stellenden Beweismittel bald auch ein umfassendes Geständnis ab, wobei er bemerkte, daß es ihm Spaß und Freude gemacht habe, wenn er andere in den Verdacht des Zettellegens bringen konnte, damit sie eingesperrt wurden, was bei der Jugend des Angeklagten einen wahrhaft erschreckenden Einblick in die sittliche Verkommenheit und Verdorbenheit seines Gemütes gewähren mußte. Erst der Umstand, daß er später von den Gerichtsärzten als geistig abnormal und daher unzurechnungsfähig erklärt wurde, was dann auch die Einstellung des gerichtlichen Verfahrens zur Folge hatte, ließ seine Handlungsweise in einem etwas milderen Lichte erscheinen.

XIV.

Der Fall Andriollo.

Ein Beitrag zur Wertung der Zeugen aussagen.

Von

Untersuchungsrichter Dr. Huber, Bozen.

Jeder Untersuchungsrichter wird sich durch längere Erfahrung mehr und mehr zum Skeptiker entwickeln, was den Wert der Zeugenaussagen anlangt. Selbst der konservativste Richter schwört nicht mehr auf die Geltung des alten Satzes: „Durch zweier Zeugen Mund wird die rechte Wahrheit kund", aber immer noch zu häufig lautet unser Urteil: „Testes locuti sunt res finita est".

Der folgende Fall ist in dieser Hinsicht doppelt lehrreich, weil ein Unschuldiger, durch die Aussage eines Zeugen schwer belastet, vor der Gefahr schwerer Verurteilung stand, und weil einer der wirklich Schuldigen durch die Aussage sehr vertrauenswürdiger Zeugen über sein Alibi bereits die Einstellung des Strafverfahrens und die Enthaftung erreicht hatte.

Am Morgen des Faschingssonntags, 10. Februar 1905, hatte sich der Bauer Johann O. in Begleitung seiner Schwester, mit der er allein auf seinem Einzelhofe hauste, in das eine halbe Stunde entfernte Dorf zur Frühmesse begeben. Auf der Straße hatten sie unweit eines Spitals, dessen Vorplatz zwei elektrische Glühlampen mäßig erleuchteten, zwei Männer getroffen, deren einer sie grüßte. Die Schwester äußerte noch, ob die beiden etwa zu ihnen rauben gingen, ohne sich indes weiter um sie zu kümmern. Doch kehrte Johann O. gleich nach der Messe bei Tagesgrauen zurück. Im Hause hörte er ein Geräusch, dann italienische Worte, bemerkte unter einem Fenster eine Leiter und schlug, nachdem er sich mit einer Heugabel bewaffnet hatte, Lärm. Da erschien am Fenster ein bärtiger Männerkopf, der Bauer sah das Aufblitzen eine Waffe, in der er seinen im Bette versteckten Revolver zu erkennen glaubte, und duckte sich. Da hörte er auf der anderen Seite des Hauses

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