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kammer, wobei ihr Anton L. den Kinderwagen aus der Wohnstube hinüberschob. Julie L. kam mit der Kerze hinten nach. Als er mit dem Kinderwagen zur Schlafkammertüre hineinfuhr, bemerkte er, daß das bei der Hintertüre im Vorhause an die Wand angelehnte Beil mit der Schärfe vorstand, worauf er seine Gattin aufmerksam machte, daß das Beil zu weit vorstehe und daß jemand, der die Bodenstiege heruntergeht, leicht in das Beil treten und sich verletzen könnte; er werde, wenn er schlafen gehe, das Beil zurückstellen. Anton L. legte sich in der Bodenkammer zur Ruhe, welchen Umstand die Schwiegermutter Marianne und die Tochter Anna bestätigt haben. Gegen 1/2 2 Uhr früh wurde Anton L. aus dem Schlafe geweckt, er will ein Geräusch gehört haben, ähnlich dem, als wenn der Wind eine nicht gut schließende Tür rütteln würde. Er rief deshalb seine Schwiegermutter und machte ihr Mitteilung davon, doch hat weder diese noch Anna L. das Geräusch gehört. Als L. nun die hölzerne Treppe hinabschritt, so nahm er wahr, daß die rückwärtige Türe offen steht. In der Meinung, daß seine Gattin auf den außerhalb des Gebäudes nächst der Türe befindlichen Abort gegangen sei, rief er sie beim Namen, erhielt jedoch keine Antwort. Er lief in die Wohnstube, deren Türe jener der Schlafstube gleich nur angelehnt worden war, zündete die Hängelampe an, wobei er gewahrte, daß die Tischschublade halb offen und alles durcheinandergewühlt war. Da Julie L. noch immer nicht kam, begab sich Anton L. mit seiner Schwiegermutter in die Schlafstube, erfaßte seine Frau mit beiden Händen an dem Oberkörper und rüttelte sie, wobei er gefühlt habe, daß sie steif und kalt sei. (Erklärung der Blutspur am Hemde.) Auf dieses hin zündete er die Kerze an und sah, daß die Frau und Kinder tot seien, worauf er Nachbarsleute angerufen hat, welche alsbald zur Stelle waren.

Anton L. wurde am Tage der ersten kommissionellen Amtshandlungen in P. dem Untersuchungsrichter, als ein außerordentlich braver, arbeitsamer und religiös gesinnter Mensch geschildert, welcher anläßlich der periodischen Besuche am Sonntage nur mit der Frau spazieren geht und sehr gut beleumundet ist. Der Ortsgeistliche äußert sich, daß ihm (dem L.) ein jeder das schönste Zeugnis geben muß und hob insbesonders gleich den Nachbarsleuten das schöne Eheleben des Anton und der Julie L. hervor, ebenso ihre gegenseitige Liebe, sowie die gute Erziehung der Kinder.

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Es hatte sonach alles den Anschein, daß es sich um einen Raubmord handelt; die bedenklichen Tatsachen, daß sich der sonst wachsame Hund nicht gerührt hat und daß die Türen keine Spuren eines gewaltsamen Öffnens oder wenigstens künstlichen Öffnens zeigten, endlich

das auffällig ruhige besonnene Benehmen des Anton L. und der merkwürdige Umstand, daß der Mord gerade an einem Besuchstage geschah, waren wohl geeignet einen Verdacht gegen ihn wach zu rufen, eine Verhaftung hielt ich mit Rücksicht auf die Erhebungen für völlig ausgeschlossen und glaube, daß mir ein besonnener Leser beipflichten wird.

Nach dem auf Grund des Sektionsbefundes abgegebenen Gutachten der Gerichtsärzte hat Julie L. während des Lebens auf der rechten Seite des Vorderkopfes drei Wunden, Splitterbrüche an der Stirne und in der Schläfengegend mit Impression, ausgedehnte Sprünge am Schädeldache und der Schädelbasis, welche mit Blutungen nach außen, unter der Haut und in das Schädelinnere vergesellschaftet waren, und eine Quetschung des Gehirnes erlitten. Durch die Spalten am Schädelgrunde ergoß sich auch Blut in die Nase, in Rachen und Kehlkopf und diese Blutung hat alsbald den Tod bei der durch die kollosale Schädelverletzung betäubten Person durch Erstickung herbeigeführt. Die Zeichen des Erstickungstodes sind das Eingeklemmt sein der Zunge zwischen den Kiefern, Blutpunkte in der Bindebaut des Augapfels, die zahlreichen dunklen Punkte beim Durchschnitte des Hirnmarkes und die flüssige Beschaffenheit in den nicht verletzten Gefäßen. Ganz ähnlich lautete das Gutachten bezüglich der beiden getöteten Kinder.

Nach dem Inhalte des gemeinsamen Gutachtens kann es sich in allen drei Fällen nur um Mord handeln. Nach der Situation, nach der Lage der Körper und bei dem Fehlen der Zeichen der Gegenwehr hat der Täter die Opfer im Schlafe überfallen und konnte daher nur diejenigen Stellen des Kopfes treffen, die frei zugänglich und nicht von Bettpolstern bedeckt waren, das war eben die rechte Vorderkopfpartie, nachdem alle 3 Personen auf der linken Körperseite lagen. Wären die Personen erwacht und hätten sie sich aufgerichtet, so wäre wahrscheinlich eine andere Stelle des Schädels getroffen worden. Von den Personen in der Bettstelle der Frau ist jedenfalls diese zuerst erschlagen worden, weil der Kopf mit Kalktünche bestreut war und diese nicht mit Blut besudelt, sondern nur lose aufliegend gefunden. wurde. Gegen den Kopf der Frau mußten drei Schläge, gegen den des dreijährigen Mädchens mindestens 2 Schläge geführt worden sein, der Scharten an der Wand, die bei dem Zuschlagen auf das Kind allem Anscheine nach gesetzt wurden, sind aber vier. Bei dem 11 jährigen Knaben dürfte ein einziger Schlag auf den Kopf erfolgt sein, doch hat der Täter nach dem Tode des Knaben auch den Hals traktiert. Nach der endlichen gutachtlichen Äußerung der Gerichtsärzte konnte.

recht wohl ein Täter allein den 3 fachen Mord verrichten, es deuten auch darauf hin der Umstand, daß der Tod bei allen 3 Personen ziemlich gleichzeitig erfolgt ist, wie aus der Totenstarre und den übrigen Leichenerscheinungen geschlossen werden kann. Die Wunde an der Stirne bei der Frau ist jedenfalls mit der eckigen Kante der oberen Breitseite der Hacke gesetzt worden; die anderen zwei Wunden mit der Schärfe. Ebenso ist beim Mädchen die Wunde hinterm Ohr mit der Schärfe, das Einschlagen des Schädels mit dem Rücken der Hacke geschehen. Beim Knaben wurde nur der stumpfe Teil der Hacke benutzt. Der Tod bei der Frau und bei dem Knaben muß sehr rasch erfolgt sein; es genügten nur Sekunden, nach dem das Blut die Luftwege ausfüllte, zur Erstickung und die Blutung war jedenfalls sofort eine massenhafte, nachdem an der Basis des Gehirnes die Blutleiter geöffnet wurden. Es läßt sich sagen daß das Mädchen ein Weilchen länger lebte, als die Mutter und der Sohn.

Es liegt auf der Hand, daß die Nachforschung nach allen Windrichtungen sofort aufgenommen wurden, daß aber auch das Leben des Anton L. in G. einer unverzüglichen Prüfung unterzogen wurde. Das Resultat dieser Erhebungen war ein solch' überraschendes, daß Anton L. am 30. Oktober 1907 durch die k. k. Gendarmerie als des dreifachen Mordes verdächtig verhaftet wurde. Das gute eheliche Einvernehmen, welches dem Anton L. so überzeugend in seinem Heimatsorte nachgerühmt wurde, wurde durch die in seinem Arbeitsorte vorgenommenen Erhebungen in ein sehr bedenkliches Licht gerückt: es wurde festgestellt, daß er ein außerordentlich aufmerksamer Verehrer junger Mädchen war, denen gegenüber er sich bald für einen ledigen Mann, bald für einen kinderlosen Witwer ausgab, ja es wurden bei den Mädchen Liebesbriefe vorgefunden, welche die glühendsten Liebesbeteuerungen enthielten und worin sogar Heiratsversprechen vorkommen (Brief dt. 12/3 06. inkl. Fehler: „Nur auf daß hinn, da sie zu mir sagten das sie keinen Verehrer hätten so dachte ich Nach dem Fasching einmal bei Gelegenheit um Ihre Werthe hand zu bitten, weil ich Ihre Umstände erfahren hab und sie Werthes Fräulein ganz genau für mich Passen"); um den Mädchen den Ernst seiner Absichten klarzumachen, wies L. daraufhin, daß seine Mutter darauf dränge, daß er sich endlich einmal vereheliche, er habe ein Haus mit einer Tabaktrafik, das er nun zu übernehmen gewillt sei, daß er jedoch vor allem ein braves und ordentliches Mädchen haben müsse u. dgl. mehr. Die Hausdurchsuchung in seiner Hausmeisterloge in G. förderte eine Menge von Ansichtskarten, rosafarbenen und unbeschriebenen Briefbogen, ferner ein Suspensorium zutage, die gerichtsärztliche Untersuchung Ls. ergab

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wiederholt bestandene Geschlechtskrankheiten und syphilitische Durchseuchung seines Körpers, die in G. anläßlich der Hausdurchsuchung gehörten weiblichen Auskunftspersonen, schilderten den Anton L. als einen Menschen, welcher von Früh bis Abend schweinische" Reden führte, nur vom Coitus zu erzählen wußte und mit seiner Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiete mit Vorliebe prahlte. Bezeichnend ist, daß Anton L. noch am 27. Oktober 1906, also auf der Heimreise, in einer Tabaktrafik nächst dem Bahnhofe in Reichenberg eine Ansichtskarte an den Gegenstand seiner Verehrung und Liebe abgesendet hat.

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Beilage I

Photographische Vergrößerung der an dem Wandstücke sich vorfindenden blutigen Fingerabdrucksspur.

Allerdings gab diese Frauenperson an, daß sie den Anton L. nicht mochte, er sei für sie zu alt gewesen, habe ihr nicht gefallen und außerdem sei sie schon vergeben. Man mußte diese Angaben mit Vorsicht nehmen, weil sich im Besitze des Anton L. Ansichtskarten dieses Mädchens mit Blumen und Wünschen geschmückt, fanden (April und Juni 1906). Zugegeben muß werden, daß Anton L. ein Mensch, von süßlichem, widerlichen Gesichte ist, körperlich ist er ungemein rüstig. Nun verdichteten sich zusehends die Verdachtsgründe gegen Anton L.; am 2. November 1906 wurden bei einem neuerlichen

gerichtlichen Augenscheine und Hausdurchsuchung im Hause des L. in B. anf Grund der eigenen Angaben L.s ein Paar Winterhandschuhe vorgefunden, von denen einer 2 im gelben Papier eingewickelte goldene 10 Kronenstücke in sich barg. Anton L. gestand, die Goldstücke in dem Handschuhfinger verwahrt zu haben, gab aber an, er habe die zwei Goldstücke von dem Vater seines Dienstherrn im Sommer 1906 als Geschenk erhalten und selbes in ein Packpapier, welches er in seiner Portierloge fand, eingewickelt. Bei der Hausuntersuchung aber wurde in der ganzen Fabrik kein solches Papier

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Photographische Vergrößerung des Originalabdruckes von der linken Daumenspitze des Anton Liebie.

vorgefunden. Der bereits erwähnte Blutflecken mit Papillarlinien wurde genau abgezeichnet, photographiert und mit außerordentlich zielbewußter Hilfe zweier Reichenberger Polizeiorgane aus der Wand herausgemeißelt.

Der Befund des Erkennungsamtes hat folgenden Wortlaut: Der an dem Mauerstücke sich vorfindende blutige Fingerabdruck, umfaßt kein sogenanntes Papillarlinien-Muster, sondern nur den oberhalb der Fingerbeere gegen das Nagelende verlaufenden Teil der Fingerspitze.

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