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III.

Die strafprozessuale Bedeutung des Indizienbeweises.

Einleitung.

quellen

Von

Dr. jur. Hans Schneickert, Berlin.

Die Unentbehrlichkeit des Indizienbeweises — FehlerDer Indizienbeweis einst und jetzt - Indizien beweis und wissenschaftliche Versuche Einiges über Schußwunden Schlußwort.

Kaum hat die Lehre des wissenschaftlichen Indizienbeweises in der Kriminalistik etwas festen Fuß gefaßt, schon werden immer mehr Stimmen laut, die den Indizien volle Beweiskraft absprechen wollen; jedenfalls dürfe, so heißt es fort und fort, ein Angeklagter auf Grund eines bloßen Indizienbeweises nicht verurteilt werden. Das sind die selbstverständlichen Wünsche des Angeklagten und seines Verteidigers. Schließlich bliebe allein noch der Grundsatz angefochten, daß der Angeklagte nur im Falle eines Geständnisses verurteilt werden könne. Nun fehlen aber erstens Geständnisse in der Regel gerade da, wo ein Verbrechen dringend der Aufklärung und Sühne bedarf, zweitens dürfen Geständnisse weder durch List noch durch Drohungen erpreßt werden, und drittens sind viele Geständnisse unwahr und irreführend. Daher ist es rein unmöglich, in unserem heutigen Strafverfahren auf den Indizienbeweis zu verzichten. Zugestanden muß allerdings werden, daß heute noch manche Indizienbeweise schwankend sind. Und das kann ja gewiß zu großen Unzuträglichkeiten in der Rechtspflege führen. Aber sehen wir uns doch einmal so einen mit Recht angegriffenen Indizienbeweis näher an. Wohl nirgends hat man mit mehr Vorurteilen zu kämpfen, als gerade im Strafermittelungsverfahren, zumal wenn sich die Öffentlichkeit, die Presse der Sache „annimmt." Wie so oft, verwechseln die Gegner des Indizienbeweises die Person wieder mit der Sache. Es kommt doch sehr darauf an, wer einen Indizienbeweis aufbaut und nach welchen Prinzipien. Ein Mann, der sich im Aufbau von Indizienbeweisen und in seinen logischen Schlußfolgerungen" so sicher fühlt wie der Romanheld Sherlock Holmes, ist für die Praxis allerdings noch nicht geboren worden. Wir haben mit Fehlerquellen allenthalben zu rechnen und gerade hinsichtlich solcher logischen Schlußfolgerungen" kann man sagen, daß sich in der Beschränkung allein der Meister zeige.

Zwei große Fehlerquellen sind es vor allem, vor denen sich jeder Kriminalist zu hüten hat:

1. Das Nichtbeachten vorhandener Indizien.

2. Die falsche Bewertung der vorhandenen Indizien. Als strafprozessuale Beweismittel kennen wir: die Zeugenaussage, den richterlichen Augenschein, das Sachverständigengutachten, Indizien, Urkunden und Geständnis. Die Indizien beherrschen aber, zumal bei Feststellung der Schuldfrage, den modernen Strafprozeß und spielen bei sämtlichen Beweismitteln eine Hauptrolle. Ihrer Feststellung und Prüfung muß daher in der Voruntersuchung wie in der Hauptverhandlung ein ganz besonderes Augenmerk gewidmet werden.

Im früheren gemeinen Recht und namentlich zur Zeit der diesem Recht vorangehenden Carolina - vergl. deren Artikel 22 hatten die Indizien noch sehr geringe Beweiskraft; eine Verurteilung zu peinlicher Strafe konnte jedenfalls auf Grund bloßer Indizien nicht erfolgen. Heute ist das wesentlich anders. Man bedenke aber auch den Fortschritt in den strafrechtlichen Hilfswissenschaften! Der Indizienbeweis unterliegt keinen prozessualen Beweisregeln mehr, sondern wie alle anderen Beweise der freien richterlichen Würdigung. Eine direkte gesetzliche Bestimmung, die den Indizienbeweis zuläßt, enthält unsere St.P.O. zwar nicht, eine Zulässigkeit wird aber aus § 266, Abs. 1 St.P.O. gefolgert: „,... Insoweit der Beweis a us anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden" (nämlich in den Urteilsgründen). Daraus ergibt sich als Begriff des Indiciums eine feststehende Tatsache, von der aus auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer zu beweisenden anderen Tatsache ein Schluß gezogen werden kann, weil beide Tatsachen in einem logischen Zusammenhang stehen. Nichts ist für den Indizienbeweis gefährlicher, als die Verwechselung feststehender und schlüssiger Tatsachen, direkter und indirekter Beweismittel, sowie eine falsche Schlußfolgerung überhaupt, die als falsche Voraussetzung so viele weitere Fehlschlüsse im Gefolge haben kann. Vor der Ansteckungsgefahr dieses kriminalistischen Bazillus kann uns nur äußerste Vorsicht schützen. Die richtige Schlußfolgerung, sowie das richtige Erkennen aller vorhandenen indizierenden Tatsachen setzt eine gewisse kriminalistische Begabung, Übung und Erfahrung voraus, nicht zuletzt aber auch Gewissenhaftigkeit, Voraussetzungen, die oft bei den zu solchen „,logischen Schlußfolgerungen“ berufenen Personen fehlen, so daß wir ständig mit der gefährlichen Wirkung der beiden oben erwähnten Fehlerquellen zu rechnen haben.

Der Indizienbeweis ist, wie schon gesagt, in vielen Kriminalfällen

unumgänglich, insbesondere dann, wenn es an Zeugen der Verbrechenstat fehlt, oder wenn solche Zeugen aus physischen oder moralischen Gründen unglaubwürdig sind. Wir haben durch die täglichen Erfahrungen den zweifelhaften Wert der Zeugenaussagen kennen gelernt; wie wollten wir unter solchen Umständen auf den Indizienbeweis verzichten und die Feststellung des objektiven Tatbestandes“, den Inbegriff aller Indizien des Einzelfalles vernachlässigen! Also die richtige Verwertung von Tatsachen, die (nötigenfalls durch Sachverständige) doch viel sicherer nachgeprüft werden können, als die psychologisch oft so schwer zu ergründenden Zeugenaussagen, ist das Wesen des heutigen Indizienbeweises.

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Wir begegnen dem Indizienbeweis, jedoch unter anderem Namen, auch bei den meisten Identitätsfeststellungen, die zum Teil Aufgabe der Sachverständigen, zum Teil Aufgabe der Kriminalpolizei, speziell des Erkennungsdienstes sind. Was sind z. B. bei einer Handschriftenvergleichung, die von den Sachverständigen zusammengestellten Schrifteigenheiten denn anders als Einzelindizien, aus deren Gesamtheit die Identität oder Nichtidentität zweier Handschriften gefolgert wird? Das gleiche finden wir auch hinsichtlich der Ergebnisse des anthropometrischen Mess- und Personenbeschreibungsverfahrens. Die Gesamtheit der Körpermaße und besonderen Kennzeichen stellen bei einer Personenidentifizierung einen Indizienbeweis für sich dar, der z. B. bei einer intellektuellen Urkundenfälschung eines leugnenden Angeklagten unentbehrlich, aber auch ausschlaggebend wäre. Hier sind es lediglich die sicheren Ergebnisse und dauernden Erfolge, welche die polizeilichen Identifikationsmethoden vor dem Vorwurf der Fehlerhaftigkeit und Gefährlichkeit, Eigenschaften, ohne die sich viele einen Indizienbeweis nicht denken können, bewahren.

und damit

Die Nachprüfung des Indizienbeweises kommen wir auf den wundesten Punkt der Sache selbst zu sprechen. Die Zahl der als Indizien verwertbaren Tatsachen geht ins Ungemessene, solange Subjekt und Objekt der Verbrechenshandlungen, sowie die Verbrechensmethoden verschieden sind, die täglich neu erfunden werden können, ohne sogleich von den verfolgenden Behörden als solche erkannt und entdeckt zu werden. Ist aber einmal eine Verbrechensmethode, ein bestimmtes beweiskräftiges Indicium entdeckt worden, vielleicht nach manchen Irrungen, so haben wir keine Garantie dafür, daß andere Behörden in einem ähnlichen Falle nicht denselben Irrungen ausgesetzt sind. Von diesem Gesichtspunkt aus ergibt sich nicht allein die Zweckmäßigkeit, sondern auch die Notwendigkeit der Bekanntgabe der gemachten Erfahrungen durch geeignete Ver

öffentlichungen was heute z. B. heute schon in gewissem Sinne durch amtliche Warnungen vor Kurpfuschern und anderen Schwindlern geschieht - und andrerseits aber auch die Notwendigkeit des Studiums solcher literarischen Mitteilungen aus der Praxis. Des weiteren werden neue Verbrechenssymptome und -Methoden einen kriminalistischen Praktiker und Sachverständigen zu wissenschaftlichen Versuchen und deren literarische Verarbeitung veranlassen, die eine lückenhafte Berufserfahrung zu ergänzen bestimmt sind.

Nehmen wir einmal einen Fall aus der Praxis: Es wird eine Leiche aufgefunden mit einer Schußwunde, deren Ränder Brandspuren zeigen. Eigene oder fremde Schuld? Einer der wichtigsten Beweismomente wäre z. B. die Feststellung, aus welcher genauen Entfernung der tödliche Schuß abgefeuert worden ist. Augenzeugen fehlen, wir sind also zunächst darauf angewiesen, aus dem objektiven Befund unsere Schlüsse zu ziehen. Nicht jeder Kriminalist und nicht jeder Sachverständige hat aber auf diesem Gebiet hinreichende Erfahrungen gesammelt. In diesem Falle würde man entweder die einschlägige Literatur zu Rate ziehen müssen 1), oder selbst Schießversuche (z. B. an einer Leiche) anstellen lassen, die auf alle Fälle ein besseres Verständnis für Schußwunden erzielen werden.

Gelegentlich eines bestimmten Falles aus der neuesten Kriminalpraxis wurden in der Berliner Morgenpost" vom 11. März 1907 die Beobachtungen eines alten erfahrenen Artillerieoffiziers über Schußwunden und Brandspuren am menschlichen Körper veröffentlicht, die ich ihrer kriminalistischen Wichtigkeit wegen hier auszugsweise folgen lassen will:

Ein abgefeuertes Projektil aus einer Handfeuerwaffe ist an sich, wie immer der Gegenstand, auf den es auftrifft, auch beschaffen sein mag, nicht imstande, die enorme Wärme, die es bei Überwindung des Reibungswiderstandes im Rohre ja in sich angesammelt hat, in Form von Brandspuren beim Eintritt in das Zielobjekt abzulagern. Wundränder, die von einem aus beträchtlicher Entfernung aufschlagenden Geschosse herrühren, weisen nicht das geringste Zeichen von übertragener Wärmeeinwirkung auf, ebenso wenig wie der Schußkanal eines Geschoßdurchschlages in Holz oder Eisen derartige Eindrücke zeigt. Je länger die Flugbahn ist, die das Geschoß auf seinem Wege nach dem Ziele zurücklegt, um so intensiver ist die Abkühlung durch die Einwirkung der atmosphärischen Luft, und es gelangt jedenfalls in einem derartigen Aggregatzustande in das Zielobjekt, daß es direkte Brandwunden oder in unorganischen Stoffen Brandspuren nicht hinterläßt.

Anders bei einem Schusse, der aus unmittelbarer Nähe gegen das Zielobjekt abgefeuert wird. Das Projektil verläßt die Rohrmündung unter

1) Dies namentlich auch bei latenten Finger- und Schriftabdrücken, zerrissenen oder verbrannten Schriftstücken, Schartenspuren, Bißnarben an der Leiche u. dgl.

der fast gleichzeitigen Feuerentwickelung der Pulverladung, und die Feuergarbe, die aus einem Infanterie gewehr nach außen sich entwickelt, hat ungefähr eine Länge von zehn Zentimetern. Der Körper nun, in den das Projektil aus solcher Nähe einschlägt, ist selbstverständlich auch zugleich der Einwirkung der Feuergarbe ausgesetzt, und es entstehen an ihm, beziehungsweise an den Wundrändern deutliche Spuren der erfolgten Verbrennung.

Das gleiche gilt bei Schüssen, die aus einem Revolver oder aus einer Pistole abgegeben werden, nur daß hier die Feuergarbe noch kürzer, kleiner ist und der Schuß aus ganz geringfügigen Distanzen abgegeben sein muß, wenn er noch außer der Projektilwirkung die Einwirkung der Flamme aus dem Rohre sichtbar machen soll.

Der Schuß aus dem Revolver, der außer der tödlichen Wirkung des Projektils noch die Brandspuren an Bekleidung und Körper deutlich hervorbrachte, ist demnach aus einer Distanz abgegeben worden, die sich in einem allerdings nicht ganz genau zu bemessenden Spielraum von wenigen Zentimetern bewegt. Die Revolverpatrone enthält eine erheblich schwächere Pulverladung als eine Gewehrpatrone, und wenn demnach der Revolverschuß Brandspuren hinterließ, so darf man wohl als sicher annehmen, daß die Mündung des Laufes den Körper der ermordeten Person fast unmittelbar berührt haben muß.

Das sind Beobachtungen, die in der Hauptsache auch bei Schießversuchen an der Leiche, denen ich kürzlich beizuwohnen Gelegenheit hatte, zutrafen. Übrigens sind Schießversuche an der Leiche nicht etwa erst in der neuesten Zeit angestellt worden, schon vor 50 Jahren hat z. B. der berühmte Berliner Gerichtsarzt Professor Johann Ludwig Casper (1796-1864) solche Versuche unternommen und in seinem „Handbuch der gerichtlich-medizinischen Leichendiagnostik" (2. Auflage, Berlin 1858, S. 297 ff.) registriert.

Solchen Fällen dürfte eigentlich kein Kriminalist unwissend gegenüberstehen; sie zeigen immer mehr, wie wichtig es für den Juristen und späteren Strafrechtspraktiker ist, gerichtliche Medizin auch wirklich zu studieren, ein Fach, das eigentlich obligatorisch sein sollte.

Nun gibt es immer noch manche andere Gebiete, die nur durch Spezialstudium erobert werden können, die aber dem Kriminalisten trotzdem keine terra incognita sein dürfen, da es andernfalls nicht ausbleiben kann, daß den Sachverständigen entweder zu leicht vertraut, oder aber dem Sachverständigengutachten mangels hinreichenden Verständnisses ein nicht zu rechtfertigendes Mißtrauen entgegengebracht wird. Wie oft mag ein richterliches Non liquet seinen letzten Grund in zu mangelhafter Kenntnis der einschlägigen Sachverständigenmaterie haben!

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Im richtigen Können und Verstehen ruht also allein der Wert des Indizienbeweises, den nur Unwissende oder Unehrliche aus der Reihe strafprozessualer Beweismittel ausgeschaltet wissen wollen.

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