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„In diesen Gesinnungen bleibe Ich Ihr Ihnen auch in Zukunft treuverbundener, dankbarer Kaiser und König.

Berlin, den 20. März 1890.

An den Fürsten von Bismarck.“

Wilhelm II. R.

Durch eine anderweite Cabinetsordre von demselben Tage wurde der Fürst von Bismarck in besonderer Anerkennung der Verdienste, die er sich um die Organisation der Armee und um die Bewahrung der Wehrhaftigkeit des Volkes erworben, zum General-Obersten der Cavallerie mit dem Range eines General-Feldmarschalls ernannt.

Kundgebungen der Dankbarkeit für das, was Fürst von Bismarck für König und Vaterland vollbracht, kamen aus Anlaß seines Rücktritts aus allen Theilen Deutschlands und weit darüber hinaus zu lebhaftem Ausdruck, insonderheit auch von den Monarchen und Fürsten des In- und Auslandes. Unter Genehmigung des Kaisers bildete sich unter dem Vorsitz des Reichstagspräsidenten von Leveßow ein Comité zu dem Zweck, für den Fürsten in der Reichshauptstadt ein Denkmal zu errichten. Der von dem Comité hierzu erlassene „Aufruf an das Deutsche Volk!" beginnt mit den Worten: „Der weltgeschichtliche Augenblick ist gekommen: Fürst Bismarck, der mit Kaiser Wilhelm dem Siegreichen als dessen Kanzler heldenkräftig das Deutsche Reich zusammenschmiedete, er, auf den die Völker des Erdkreises hinblicken als auf den größten Staatsmann seiner Zeit, er ist aus dem Amt geschieden, welches er ein Vierteljahrhundert hindurch mit der Erleuchtung des Genies, mit der unwiderstehlichen Macht eines gewaltigen Charakters geführt hat. Lebhafter denn je durchglüht die deutschen Herzen in diesem Wendepunkte der Geschichte unsres Volkes das Gefühl dessen, was der Gewaltige uns gewesen, dessen, was er für uns geleistet, und die Begeisterung und Dankbarkeit, die Liebe und Verehrung von ganz Deutschland, sie ringen nach einem Ausdruck, um unsern großen Kanzler bei seinem Abschied würdig zu feiern."

Handelsverträge. Zum Nachfolger des Fürsten Bismarck wurde der commandirende General des zehnten Armeecorps, Leo von Caprivi, ernannt. Während seiner Amtsführung wurden die hauptsächlichsten Handelsverträge abgeschlossen, welche berufen waren, in dem Handelsverkehr mit den andern Staaten eine einschneidende Aenderung herbeizuführen, und unter deren Geltung ein lebhafter Aufschwung der deutschen Industrie auf fast allen Gebieten sich vollzog. Eine besondere, auch politische Bedeutung hatte der zu Beginn des Jahres 1894 geschlossene Vertrag mit Rußland, welcher erst nach langem Zollkampfe und beträchtlichen finanziellen Schädigungen auf beiden Seiten zu Stande kam; er konnte als ein Anzeichen des Nachlaffens der allmälig gestiegenen Spannung in dem politischen Verhältniß zu dem mächtigen Nachbarreich betrachtet werden. General von Caprivi, für seine Verdienste um das Zustandekommen der Handelsverträge in den Grafenstand erhoben, verblieb auf seinem Posten bis zum Oktober 1894. Sein Nachfolger als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident wurde der Statthalter von ElsaßLothringen, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst.

Heeresverstärkung, Seehandel, Kolonieen und Marine.

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Heeresverstärkung. Gleichzeitig mit dem Wachsen der Spannung zwischen Deutschland und Rußland hatte sich zwischen letterem und Frankreich eine immer enger werdende Annäherung vollzogen, welche auch nach außen hin durch den Besuch eines französischen Geschwaders in Kronstadt und durch dessen Erwiderung in Toulon in die Erscheinung getreten war.

Angesichts dieser Annäherung, welche bei der geographischen Lage Deutschlands die Möglichkeit eines Krieges mit zwei Fronten näher treten ließ, war eine Verstärkung der deutschen Heeresmacht dringend geboten erschienen. Die dahin zielende Gesetzesvorlage an den Reichstag in der Seffion 1892/93 ist von besonderer Bedeutung für das deutsche Heerwesen, weil durch sie die zweijährige Dienstzeit für die Fußtruppen, zunächst versuchsweise auf die Dauer von fünf Jahren, eingeführt werden sollte, gegen welche früher von gewichtiger Seite ernste Bedenken erhoben worden waren. Aber diese Vorlage, welche für die Aufrechterhaltung der Machtstellung des Reiches dringend erforderlich war und zugleich für den weitaus größten Theil der Dienstpflichtigen eine große Erleichterung bedeutete, wurde abgelehnt. Erst der nach erbittertem Wahlkampf gewählte neue Reichstag gab seine Zustimmung, so daß am 1. Oktober 1893 die Heeresverstärkung und die zweijährige Dienstzeit der Fußtruppen ins Leben traten.

Einen weiteren, bedeutsamen Kraftzuwachs erhielt die Armee sodann im Jahre 1899 durch die Vermehrung und Organisationsänderung der Feldartillerie, eine nothwendige Folge der Vervollkommnung der Geschütze und Munition.

Seehandel, Kolonieen und Marine. Hand in Hand mit dem Aufschwung der vaterländischen Industrie vollzog sich eine gewaltige Steigerung des Seehandels. Deutsche Waaren, früher im Ausland als minderwerthig betrachtet, wurden bald in allen Erdtheilen hoch geschätzt. Selbst dem auf dem Weltmarkt übermächtigen England machten deutsche Kaufleute immer empfindlicher Concurrenz. Die deutsche Dampferflotte errang die Stelle zunächst hinter England als zweite der Erde, eine deutsche Rhederei verfügte über die größte Zahl von Schiffen unter den Rhedereien aller Länder.

Auch in der Entwicklung der überseeischen Schutzgebiete des Reiches machte sich ein erfreulicher Aufschwung bemerkbar. Nachdem es gelungen war, in den afrikanischen Gebieten im Allgemeinen geordnete und friedliche Zustände herzustellen, konnte an ihre wirthschaftliche Erschließung durch den Bau von Eisenbahnen, Einrichtung von Dampferverkehr und andere die Entwicklung fördernde Maßnahmen herangetreten werden.

Eine für die Zukunft aussichtsvolle Vermehrung erhielt die Zahl der deutschen Schutzgebiete durch die 1897 erfolgte Pachtung der Bucht und des Gebietes von Kiautschou in China auf 99 Jahre. Hierdurch wurde ein sicherer Ausgangspunkt für den deutschen Handel in dem gewaltigen Ländergebiet des Reiches der Mitte gewonnen.

1899 wurden durch Vertrag mit England und Amerika die deutschen Ansprüche auf die wichtigsten und größten Inseln der Samoa-Gruppe nach langen Verhandlungen und Schwierigkeiten anerkannt.

Die Ausdehnung des Handels und der überseeischen Machtstellung führte häufiger zu Differenzen mit anderen Staaten, bei welchen oft die

Hahn, preuß. Geschichte.

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Schwäche der deutschen Kriegsmarine auf das Peinlichste empfunden werden mußte. Diese hatte mit der mächtig sich entwickelnden Handelsflotte nicht gleichen Schritt gehalten und war daher häufig außer Stande, rechtzeitig und kräftig einzugreifen, um den deutschen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Unter reger Betheiligung Kaiser Wilhelms an den Vorarbeiten wurde daher dem Reichstag ein Flottengesetz vorgelegt und von diesem angenommen, welches bestimmt war, dem Deutschen Reiche eine zwar nicht große, aber doch so starke Flotte zu geben, daß sie in fernen Meeren würdig die deutschen Interessen zu vertreten und zu schüßen vermöchte.

Einen erheblichen Fortschritt für die maritime Vertheidigung des Reiches, wie für die Friedensschiffahrt bildete die 1895 erfolgte Fertigstellung des Nordostsee-Kanals, welcher die oft gefährliche Fahrt um Kap Skagen unnöthig macht und die Fahrzeit von der Nordsee bis in die Ostsee beträcht lich abkürzt. Entsprechend der Bedeutung des großen Werkes wurde die Eröffnung mit feierlichem Gepränge durch den Kaiser vollzogen; Kriegsschiffe fast sämmtlicher seefahrenden Nationen nahmen an ihr Theil. Der Kanal erhielt zur Erinnerung an Kaiser Wilhelm den Großen den Namen „Kaiser Wilhelm-Kanal".

Tod des Fürsten Bismarc. Von einem schweren Schlage wurde Preußen und Deutschland am 30. Juli 1898 durch das Ableben des Fürsten Bismarck getroffen, welchem Generalfeldmarschall Graf Moltke bereits am 24. April 1891 im Tode vorangegangen war. Obwohl der greise Kanzler schon längere Zeit gekränkelt hatte, trat doch sein Hinscheiden für Alle plötlich und unerwartet ein.

Mit dem gesammten Volke trauerte der Kaiser um den gigantischen Helden, der als letzter der sturmerprobten Mitkämpfer Kaiser Wilhelm's des Großen ins Grab sank, der uns als herrliches Vermächtniß das Werl hinterlassen hat, an dessen Vollendung er während eines gesegneten Lebens voll Mühe und Kampf, voll Sieg und Ruhm in erster Stelle geschafft hat: ,,den Nibelungenhort der deutschen Einheit".

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Am Schluffe dieser Geschichte von Preußens Entstehen, Wachsthum und herrlicher Entwickelung dürfen wir ebenso freudig und zuversichtlich in die Zukunft schauen, wie der Blick mit inniger Befriedigung auf der durchlaufenen Bahn verweilt. Wohl ist es eine Geschichte ohne Gleichen“, diese Geschichte des brandenburgisch-preußischen Staates, der als ein spät geborener unter den deutschen Staaten erst unscheinbar in die Reihe der alt angesehenen Reichsfürstenthümer tritt, der sich an der äußersten Grenze des alten Deutschlands auf rauhem Boden und unter slavischer heidnischer Bevölkerung mühsam ein leidliches Dasein erstreiten muß, durch die Kraft und Weisheit seiner Fürsten aber, wie durch die gute Entwickelung des ausgestreuten Samens christlicher Bildung bald zu ehrenvoller Geltung im Deutschen Reiche gelangt, - der sodann das Banner des evangelischen Glaubens entfaltend sich als Schutzherr desselben über das sinkende Sachsen erhebt, der das Erbe des alten deutschen Ritterordens in sich aufnimmt und nun

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seit dem großen Kurfürsten durch die Entwickelung des kräftigsten militärischen Geistes, gepaart mit weiser Anspannung und Hebung aller inneren Kräfte des Landes, allmälig an Stelle der ermattenden Staaten des Nordens als selbstständige europäische Macht in den Welthändeln auftritt, bis Friedrich der Große, gestüßt auf die Mittel, die sein Vater gesammelt, seinem Volke einen Rang unter den ersten Völkern erlämpft. Diesen Rang wußte Preußen, nach einer kurzen Prüfung und Läuterung, durch seine ruhmvolle Erhebung und durch seinen hervorragenden Antheil an den deutschen Freiheitskriegen mit erneuertem Glanze zu wahren und stand seitdem geachtet unter den Großmächten Europas da, freilich an Ausdehnung und festem Zusammenhange seiner Länder denselben nicht gleich, wohl aber durch die straffe Entwickelung seiner Wehrkraft und durch innere geistige Tüchtigkeit.

Dem König Wilhelm I. war es vorbehalten, Preußen auf die Stufe der Macht zu erheben, auf welche die ganze Entwickelung der Geschichte es hingewiesen hatte: durch die Siege und Erfolge des Krieges von 1866 war Preußen die erste, die einzige deutsche Großmacht geworden. Das erweiterte und nunmehr fest zusammenhängende Preußen war bereits durch seine eigene Kraft den ersten Mächten ebenbürtig; Preußens selbst= ständige Kraft aber bildete zugleich den festen Kern des mächtigen Norddeutschen Bundes und des ganzen zu Schuß und Truß und zur Pflege der öffentlichen Wohlfahrt geeinigten Deutschlands.

So hatte sich Preußen durch die innige Gemeinschaft zwischen Fürsten und Volk in ununterbrochenem Wachsthum erhoben, bis seine glorreiche Bestimmung für das deutsche Vaterland sich in dem letzten gewaltigen Kriege in ganzer Herrlichkeit erfüllte und in dem preußischen Königthum zugleich das deutsche Kaiserthum in erneuter und erhöheter Macht wieder erstand.

Möchte der Segen Gottes auch fernerhin auf dem preußischen und deutschen Vaterlande ruhen!

Beittafel der vaterländischen Geschichte.

Vor 500 n. Chr. | Sueven (Semnonen und Longobarden) in der Mark Um 500 Einwanderung slavischer Stämme, beson ders Wenden (Sorben, Laufizer, Wilzen, Obo

triten).

Um 800 Kriege Karl's des Großen gegen die Wilzen; Einsetzung von Markgrafen; die Grenzvesten Magde burg, Zelle, Erfurt, Halle.

925 Heinrich I. im Kampfe gegen die Wenben; Groberung Brannibors (Brandenburgs).

928 Gründung der Nordmark.

Bis 1100 Vergebliche Kämpfe und Bekehrungsversuche. 1134-1320 Markgrafen aus dem Hause Ballenstädt (Ascas

nien).

1134-1170 Albrecht (der Bår) wird Markgraf der Nordmar! (1134), — sodann Kämmerer des deutschen Reiches; bringt einen großen Theil des wendischen Gebietes an sich und nennt sich Markgraf von Brandenburg (1143).

1170-1184 Otto I.; erhält die Oberhoheit über Pommern (um welches aber jahrhundertlange Kämpfe geführt werden).

1184-1205 Otto II.; Streit mit Magdeburg.

1205-1220 Albrecht II.

1220-1267 Johann I. und Otto III.; Erwerbung der Uder mark und des Landes Lebus, Eroberung der Neumart.

1267-1308 Otto (IV.) mit dem Pfeile; Streit mit Magde
burg; Erwerbung der Niederlausit und der Marl
Landsberg.

1308-1319 Waldemar; Schlacht bei Gransee (1316).
1320 Heinrich III., der lezte Ascanier, stirbt.

1320-1324 Zwischenreich.

1324-1373 Die Markgrafen aus dem Hause Baiern. 1324-1351 Ludwig von Baiern; Einfall der Polen. Heirath mit Margaretha Maultasch.

1348 Der falsche Waldemar.

1351 Ludwig's Abdankung.

1352-1373 Ludwig der Römer und Otto der Faule.

1356 Durch die goldene Bulle wird Brandenburg ein Russ fürstenthum

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