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Die Attentate und die socialistischen Vorlagen.

dürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen.

In diesem Sinne wird zunächst der Entwurf eines Ge= seges über die Versicherung der Arbeiter gegen Betriebsunfälle einer Umarbeitung unterzogen. Ergänzend wird ihm eine Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichmäßige Organisation des gewerblichen Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben der Gesammtheit gegenüber einen begründeten Anspruch auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zu Theil werden können.

Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, welches auf den sittlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht. Der engere Anschluß an die realen Kräfte dieses Volkslebens und das Zusammenfassen der letteren in der Form corporativer Genossenschaften unter staatlichem Schuß und staatlicher Förderung werden, wie Wir hoffen, die Lösung von Aufgaben möglich machen, denen die Staatsgewalt allein in solchem Umfange nicht gewachsen sein würde. Immerhin wird auch auf diesem Wege das Ziel nicht ohne die Aufwendung erheblicher Mittel zu erreichen sein.“

Dieses entschiedene Bekenntniß Kaiser Wilhelms zu dem socialen Beruf des Königthums machte einen so lebhaften Eindruck, daß selbst im Reichstage die laute Opposition verstummte; aber man suchte die Pläne der Regierung durch Verzögerung zu Falle zu bringen. Gegen ein solches Beginnen richtete der Kaiser unterm 14 April 1883 wiederum einen Erlaß, der mit den Worten schließt:

„Unsere Kaiserlichen Pflichten gebieten Uns, kein in Unserer Macht stehendes Mittel zu versäumen, um die Besserung der Lage der Arbeiter und den Frieden der Berufsklassen unter einander zu fördern, so lange Gott Uns Frist giebt, zu wirken."

Ferner noch einmal bei dem Beginn der Reichstagssession von 1884 sagte der Kaiser:

„Die Erfüllung der Pflicht gegen die arbeitende Bevölkerung soll in dieser die Segnungen der friedlichen Entwickelung des geeinten Vaterlandes zum vollen Bewußtsein bringen, damit den auf den Umsturz göttlicher und menschlicher Ordnung gerichteten Bestrebungen revolutionärer Elemente der Boden entzogen, und die Beseitigung der erlassenen Ausnahmemaßregeln angebahnt werde."

In Bezug auf die Maßregeln directer Fürsorge für das Wohl der Arbeiter mußte sich die Regierung zunächst auf das Allerdringendste beschränken, weil der Reichstag die Mittel zu weiterer Hülfe durch das Ab

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lehnen der verschiedenen auf Besserung der Finanzlage des Reichs gerichteten Vorschläge versagt hatte. Sie gab aber alsbald die Versicherung, daß in Kurzem weitere Schritte staatlicher Fürsorge für eine bessere und würdigere Behandlung der Erwerblosen und der Invaliden geschehen sollte. Durch die Gesetze wegen Kranken- und Unfallversicherung sollten vor Allem der Grundsaß der Staatshülfe und die Mittel der Ausführung in den Hauptzügen festgestellt werden. Im Jahre 1883 erfolgte die Annahme des Gesetzes wegen der Krankenpflege, durch welches die Nothwendigkeit des Zutritts zur Krankenversicherung und zugleich die Gewähr derselben Seitens des Staates festgestellt wurde.

Bald darauf kam auch die Versicherung gegen die Folgen gewerb= licher Unfälle auf der Grundlage der Berufsgenossenschaften zu Stande. Es war nunmehr in das Staatsrecht und in das öffentliche Bewußtsein der Grundsag aufgenommen, daß die bürgerliche Gesellschaft Pflichten gegen die schwachen Mitglieder zu erfüllen hat, ohne daß die Hülfsbedürftigen es als Almosen aus der Staatskaffe oder der Gemeindekasse empfinden.

Die Unfall- und Krankenversicherung umfaßte zunächst etwa 4 Millionen industrielle, sowie im Baugewerbe und in Transportbetrieben beschäftigte Arbeiter, später im Jahre 1886 wurde sie weiter auf die in landund forstwirthschaftlichen Betrieben beschäftigten Arbeiter ausgedehnt und hiermit anderweit noch etwa 7 Millionen ländlichen Arbeitern die Wohlthat der Versicherung gegen die Folgen von Unfällen und Krankheit zu Theil.

Der in der Allerhöchsten Botschaft vom 17. November 1881 ausgesprochene Wunsch des Kaisers, den Arbeitern, welche durch Alter und Invalidität erwerbsunfähig werden, das berechtigte Maß staatlicher Fürsorge durch die Gesetzgebung zu sichern und damit eine weitere Gewähr für die Befestigung des socialen Friedens, und für die Stärkung der nationalen Arbeitskraft zu gewinnen, wurde noch zur Zeit der Regierung Kaiser Wilhelms I. durch umfangreiche Vorarbeiten der Erfüllung nahe gebracht, die hierauf gerichteten Arbeiten konnten aber erst unter Kaiser Wilhelm II. den gesetzgeberischen Abschluß finden.

Ein neues großartiges System staatlicher Socialwirthschaft ist einge= führt und die Bahn für weitere Maßnahmen zum Wohle der arbeitenden Klassen freigelegt. So ist denn in der That der letzte Abschnitt der gewaltigen und glorreichen Geschichte Kaiser Wilhelms wohl der bedeutsamste von allen: es ist neu, daß irgend eine staatliche Regierung als solche mit Offenheit und Entschiedenheit und alsbald mit offenbarem Erfolge die sociale Frage, die Geschicke der Volksgemeinschaft, speciell des Proletariats in die Hand genommen hat. Man kann es unzweifelhaft als ein großes und dauerndes Verdienst Kaiser Wilhelms festhalten, daß er den Beruf des Königthums auch in dieser schwierigsten Richtung erkannt und bewährt hat; nur bei dem Ansehen und der Verehrung, welche er genoß, konnte es gelingen, die Verpflichtung des Staates in dieser Beziehung im öffentlichen Bewußtsein zur Geltung zu bringen, seinen Nachfolgern fiel die erhabene und schöne Aufgabe zu, die begonnene Socialreform nach allen Seiten in

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Das monarchische Recht in Preußen.

dem Geiste, den er bezeichnet hat, im Geiste des praktischen Christen, thums durchzuführen.

Das monarchische Recht in Preußen.

Wie schon in den Wirren des Jahres 1848 der gesammte Liberalismus darauf ausgegangen war, die Regierung Preußens zu einem parlamentarischen Regiment, zu einer Herrschaft der Parteien zu gestalten, in Nachahmung von Einrichtungen anderer Länder, so bemühte er sich auch weiterhin, besonders der von der deutschfreisinnigen Partei vertretene Liberalismus, die Auffassung zur Geltung zu bringen, daß die Regierung ohne persönliches Bestimmungsrecht des Königs über die Regierungsmaßregeln im Wesentlichen von den dem Lande verantwortlichen Ministern zu führen, und daß der König bei der Wahl der Minister an deren Uebereinstimmung mit den Ansichten der herrschenden Parlamentsmehrheit gebunden sei, auch dem Barlament das Recht beiwohnen müsse, durch alljährliche Bewilligung der Steuern seine Macht dahin zur Geltung zu bringen, daß die Regierungsgeschäfte nach dem Willen der Parlamentsmehrheit geführt werden. Die Preußische Verfassungs Urkunde enthält solche Bestimmungen nicht, es geht aus ihr vielmehr das Gegentheil klar hervor und es versteht sich von selbst, daß das bis zum Erlaß der Verfassungs-Urkunde in Preußen geltende monarchische Recht durch die Einführung der Verfassung nur insoweit eine Einschränkung erfahren hat, als dies in der Verfassungs-Urkunde ausdrüß lich ausgesprochen ist.

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Die hiermit im Widerspruch stehende, auf fremdem Boden erwachsene Anschauung, daß der König nur herrsche (im Sinne des französischen régner), aber nicht regiere" (im Sinne des französischen gouverner) und die aus dieser Lehre sich ableitenden Irrthümer wurden aber im Landtage, wie im Reichstage von Seiten der liberalen Parteien immer und immer wieder einzubürgern versucht. Diese Versuche gingen wie Fürst Bismarck in einer im Reichstage am 24. Januar 1882 gehaltenen Rede ausführte dahin, „das bestehende Recht zu verdunkeln, konstitutionelle Legen den zu bilden, welche sich wie wucherische Schlingpflanzen an den ganz klaren Wortlaut der preußischen Verfassungs Urkunde legen, als ob es noch andere Rechtsquellen für uns gäbe außer dem preußischen geschriebenen Rechte, als ob die zufällig in anderen Ländern bestehenden Traditionen oder Verfassungen auf irgend welche Gültigkeit bei uns in Preußen Anspruch hätten." Dies war die Veranlassung für Kaiser Wilhelm, über die Stellung der Krone in dem preußischen Verfassungsstaat zu seinem Volke zu sprechen. Er that dies am 4. Januar 1882 mit folgendem Erlaß an das Staatsministerium: „Das Recht des Königs, die Regierung und die Politik Preußens nach Eigenem Ermessen zu leiten, ist durch die Verfassung eingeschränkt, aber nicht aufgehoben. Die Regierungsakte des Königs bedürfen der Gegenzeichnung eines Ministers und sind, wie dies auch vor Erlaß der Verfassung geschah, von den Ministern des Königs zu vertreten, aber sie bleiben Regierungsakte des Königs, aus dessen Entschließungen sie hervor

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gehen und der Seine Willensmeinung durch sie verfassungsmäßig ausdrückt. Es ist deshalb nicht zulässig und führt zur Verdunkelung der verfassungsmäßigen Königsrechte, wenn deren Ausübung so dargestellt wird, als ob sie von den dafür verantwortlichen jedesmaligen Ministern, und nicht von dem Könige Selbst ausginge. Die Verfassung Preußens ist der Ausdruck der monarchischen Tradition dieses Landes, dessen Entwickelung auf den lebendigen Beziehungen seiner Könige zum Volke beruht. Diese Beziehungen lassen sich auf die vom Könige ernannten Minister nicht übertragen, denn sie knüpfen sich an die Person des Königs. Ihre Erhaltung ist eine staatliche Nothwendigkeit für Preußen. Es ist deshalb Mein Wille, daß sowohl in Preußen wie in gesetzgebenden Körpern des Reichs über Mein und Meiner Nachfolger verfassungsmäßiges Recht zur persönlichen Leitung der Politik Meiner Regierung kein Zweifel gelassen und der Meinung stets widersprochen werde, als ob die in Preußen jederzeit bestandene und durch Artikel 43 der Verfassung ausgesprochene Unverleglichkeit der Person des Königs oder die Nothwendigkeit verantwortlicher Gegenzeichnung Meinen Regierungsakten die Natur selbstständiger Königlicher Entschließungen benommen hätte. Es ist die Aufgabe Meiner Minister, Meine verfassungsmäßigen Rechte durch Verwahrungen gegen Zweifel und Verdunkelung zu vertreten; das Gleiche erwarte Ich von allen Beamten, welche Mir den Amtseid geleistet haben. Mir liegt es fern, die Freiheit der Wahlen zu beeinträchtigen, aber für diejenigen Beamten, welche mit der Ausführung Meiner Regierungsakte betraut sind und deshalb ihres Dienstes nach dem Disziplinargesetze enthoben werden können, erstreckt sich die durch den Diensteid beschworene Pflicht auf Vertretung der Politik Meiner Regierung auch bei den Wahlen. Die treue Erfüllung dieser Pflicht werde ich mit Danke erkennen und von allen Beamten erwarten, daß sie sich im Hinblick auf ihren Eid der Treue von jeder Agitation gegen Meine Regierung auch bei den Wahlen fernhalten. Berlin, den 4. Januar 1882.

Wilhelm.
von Bismarck.

Dieser Erlaß des Kaisers übte die erwartete Wirkung. Auch in liberalen Kreisen wurde anerkannt, daß demselben das Recht zur Seite steht und keine Aussicht vorhanden ist, eine Veränderung dieses bestehenden Rechts herbeizuführen. In einem Rückblick auf das Jahr 1882 sagt, anknüpfend an den vorstehenden Erlaß, der liberale Hannoversche Kurier: „Die Folge dieses Erlasses, welcher sehr lebhafte Debatten hervorrief, war die Befürchtung reaktionärer Maßregeln, die indeß nicht gerechtfertigt ward. Bedeut samer war es, daß die Diskussion über ihn die Ueberzeugung befestigte, daß nach dem historischen Werden unseres Staates das politische System des Parlamentarismus im Bereich der deutschen Grenzen keinen Boden habe."

Was Kaiser Wilhelm in der ersten Zeit seiner Regierung, in dem vorher erwähnten Erlaß an das Staatsministerium vom 19. März 1862 (oben Seite 503) als „seine Pflicht und seinen ernsten Willen“ zum Aus

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Kaiser Wilhelms legte Lebenszeit und sein Heimgang.

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druck gebracht hat, der von ihm beschwornen Verfassung und den Rechten der Landesvertretung ihre volle Geltung zu sichern, in gleichem Maße aber auch die Rechte der Krone zu wahren und sie in der ungeschmälerten Kraft zu erhalten, welche für Preußen zur Erfüllung seines Berufs nothwendig ist und deren Schwächung dem Vaterlande zum Verderben gereichen würde", diese Pflicht und diesen seinen ernsten Willen hat Kaiser Wilhelm durch seine gesammte Regierungszeit bis zu seinem Lebensende bethätigt und bewährt.

Kaiser Wilhelms lehte Lebenszeit und sein Heimgang.

In der treuen Pflichterfüllung, die den Kaiser bis zu seinen letzten Lebenstagen in regelmäßiger Zeiteintheilung den Aufgaben seines kaiserlichen Berufs Tag für Tag gerecht werden ließ, konnte Kaiser Wilhelm seine Freude haben an der Liebe des preußischen und deutschen Volkes zu ihm, die aus allseitigen Kundgebungen an ihn herantrat und die auch äußerlich ihm sowohl auf den bis in das höchste Alter zum Zwecke der Truppenbesichtigungen und aus anderen Veranlassungen vorgenommenen Reisen in die Provinzen unter jubelnden Begrüßungen immer und immer wieder des Herzlichsten bezeugt wurde, wie auch in seiner Residenzstadt Berlin, wo täglich Tausende unter dem Fenster seines Arbeitszimmers des Augenblicks harrten, daß der Kaiser um die Mittagszeit während des Vorbeimarsches der Wachttruppen in gewohnter Weise am Fenster sich zeigen würde. Es war jedesmal ein ergreifender Anblick, aus den tausenden von freudestrahlenden Gesichtern das Glück herauszulesen darüber, daß sie ihren großen allgeliebten Kaiser sehen konnten und aus dem freundlichen, herzgewinnenden Antlig des Kaisers die Ueberzeugung zu nehmen, wie wohlthuend es ihm war, der Liebe seines Volkes gewiß zu sein und daß es ihm eine Freude war, durch sein Erscheinen Anderen eine Freude zu machen.

Zu einem besonders denkwürdigen Festtage gestaltete sich die Feier des 90. Geburtstages des Kaisers, nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa und darüber hinaus. Der Festtag, zu welchem etwa 100 Witglieder fürstlicher Häuser nach Berlin gekommen waren, um unsrem Kaiser die wärmsten Glück- und Segenswünsche darzubringen, hatte für das Königliche Haus noch eine hohe festliche Bedeutung dadurch erlangt, daß der Kaiser hierbei die Verlobung seines Enkels, des Prinzen Heinrich von Preußen mit dessen Cousine, der Prinzessin Irene, Tochter des Großherzogs von Hessen-Darmstadt, verkünden konnte. Der Kaiser sprach für die ihm zu Theil gewordenen Kundgebungen seinen Dank aus mit einem Erlasse vom 23. März 1887, welcher dauernd ein Dokument dafür bleiben wird, mit welcher Jnnigkeit der Hingebung Kaiser Wilhelm mit seinem ganzen Sein und Denken dem deutschen Volke gehörte. Der Kaiser sagt darin u. A.: „Es ist eine wunderbare Fügung des Himmels, daß Mir nach so vielen unvergeßlichen Erinnerungstagen auch noch vergönnt gewesen ist, am 22. März Mein neunzigstes Lebensjahr zu vollenden. In demüthigem Ernste erkenne Ich die Gnade Gottes, welche Mich diesen Tag hat erleben

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