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Elsaß-Lothringen. Deutschlands Friedenspolitik.

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bald eine geachtete Stellung. Immerhin aber blieb in den Reichslanden eine weithin ausgebreitete französische Strömung bestehen. Die Partei, welche mehr oder minder offen kundgab, daß sie den durch den Frankfurter Frieden besiegelten Zustand der Abtrennung Elsaß-Lothringens von Frankreich und dessen Einverleibung in das Deutsche Reich nicht anerkennen wolle, sondern den Augenblick herbeisehne, in welchem dieser thatsächliche Zustand rückgängig gemacht würde, gewann, wie sich dies bei den Wahlen zum Reichstage ergab, besonders auch in Folge von Einflüssen, die von Frankreich aus auf die Bevölkerung der Reichslande geübt wurden, sehr erhebliche Bedeutung.

An Stelle des am 17. Juni 1885 verstorbenen General-Feldmarschalls Freiherrn von Manteuffel trat als Statthalter der Fürst HohenloheSchillingsfürst (vorher deutscher Botschafter in Paris). Dieser nahm in gleich rücksichtsvoller Weise, wie sein Vorgänger, die Regierung der ReichsLande in die Hand.

Gleichwohl sah Fürst Hohenlohe zur Abwehr der immer umfangreicher hervortretenden französischen Bestrebungen sich genöthigt, die Zügel der Regierung schärfer anzuziehen und auch Abänderungen der Gesetzgebung in Antrag zu bringen, welche eine wirksamere Führung der Regierung ermöglichen sollten. Insbesondere war, da die deutschfeindlichen Bestrebungen zum Theil auch bei den Gemeindevorstehern (Bürgermeistern und Beigeordneten) Unterstüßung gefunden hatten, die Nothwendigkeit hervorgetreten, bei der Ernennung dieser Beamten, welchen in wesentlicher Beziehung auch die Wahrnehmung der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung obliegt, der Regierung freiere Hand zu gewähren. Diese, sowie andere zur sichereren Leitung der Regierungsgeschäfte erforderlich erschienenen Maßregeln haben ebenso die Billigung des Kaisers und der verbündeten Regierungen, wie des Reichstages gefunden.

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Kaiser Wilhelm hatte die Mission des neu errichteten Deutschen Reiches von vorn herein als eine Mission des Friedens unter den Völkern aufgefaßt und er suchte seinen Einfluß in jeder Beziehung für Erhaltung des Friedens in Europa geltend zu machen. In diesem Sinne suchte er auch die Zuneigung des Kaisers Alexander von Rußland, der ihn ,,seinen besten Freund" nannte, zu verwerthen. Besonders lies er sich auch angelegen sein, zwischen Rußland und Desterreich wieder ein freundlicheres Verhältniß zu vermitteln. Es gelang ihm, die Beiden im September 1872 bei der Drei-Kaiser-Zusammenkunft in Berlin als seine Gäste zusammen zu sehen.

Die Vereinigung der drei Kaiser in der Hauptstadt des neuen Deutschen Reiches war die gewaltigste und wirksamste Kundgebung einer ernsten und entschiedenen Friedenspolitik, ohne jeden politischen Hintergedanken. Deßhalb fand die Zusammenkunft aufrichtige Theilnahme und Zustimmung auch bei den nicht unmittelbar vertretenen Regierungen und Völkern, welche

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ihrerseits den Werth des Friedens für sich und für die europäische Entwickelung zu schäßen wissen. Was der Deutsche Kaiser vom ersten Tage nach der glorreichen Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches als die höchste Aufgabe desselben verkündigte, nämlich: „ein zuverlässiger Bürge des europäischen Friedens zu sein“, — das haben die drei Kaiser der großen Reiche des europäischen Festlandes seitdem als ihre gemeinsame Aufgabe erfaßt und erkennen lassen, und dadurch dem segenverheißenden Streben eine unerschütterliche Sicherheit der Erfüllung gegeben. - Das Vertrauen, welches die beiden alten Kaiserreiche dem neuen Deutschen Reiche entgegentrugen, bewährte seine Kraft und Bedeutung auch darin, daß es dazu beitrug, die alten freundlichen Beziehungen zwischen Oesterreich und Rußland sichtlich zu beleben und zu befestigen.

Die Drei-Kaiser-Politik hat Europa während der nächsten Jahre beherrscht und namentlich auch in Frankreich die Revanchepläne, von welchen viele Kreise dort erfüllt waren, zurückgedrängt.

Der deutschen Politik ist es auch gelungen, Europa während des Orientfrieges (1877) den Frieden zu wahren, ohne doch dabei in die Rolle eines bloßen Zuschauers zu verfallen. Als in Folge der siegreichen Kriegführung Rußlands die Türkei ohnmächtig darniederlag und im Frieden von San Stefano Zugeständnisse an Rußland gemacht hatte, welche die Intereffen der anderen Großmächte zu verletzen schienen, wäre es beinahe zum Kriege zunächst zwischen England und Rußland gekommen, wenn nicht nach beiden Seiten ein mäßigender und vermittelnder Einfluß namentlich von Seiten der deutschen Politik geübt worden wäre. Auf den Vorschlag Oesterreichs trat schließlich ein Congreß in Berlin zusammen, um den Frieden zwischen Rußland und der Türkei mit früheren Vestimmungen und den Interessen aller Großmächte in Uebereinstimmung zu bringen. Der Congreß erledigte seine schwierige Arbeit in einem Monat unter dem fortwährenden vermittelnden und versöhnlichen Einfluß des Fürsten Bismarck, welcher die von ihm selbst so bezeichnete Rolle des ehrlichen Maklers" zwischen den Mächten erfolgreich und zu großer Ehre Deutschlands durchführte. Am 15. Juli wurde denn der Friede von Berlin geschlossen, nach dessen Eingang sämmtliche Mächte von dem Wunsche beseelt waren, die im Orient hervorgerufenen Fragen in dem Geiste einer festen europäischen Ordnung in Gemäßheit der Bestimmungen des Pariser Vertrages vom 30. März 1856 zu regeln.

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Das Ansehen der deutschen Politik wurde durch den Berliner Vertrag, welcher seitdem eine der Grundlagen des Völkerrechts bildet, noch erhöht.

Die Befestigung des Drei-Kaiserbundes sollte allerdings nicht derart vorhalten, wie dies bei Abschluß des Berliner Vertrages deutscherseits erwartet wurde. Es währte nicht lange, bis in Rußland vielseitig, auch aus Kreisen, bezüglich deren man hierfür die Billigung der russischen Regierung voraussetzen konnte, besonders in der von diesen Kreisen inspirirten Presse zine Verdächtigung der deutschen Politik betrieben und Zumuthungen an Deutschland gestellt wurden, auf Desterreich zu Gunsten unberechtigter russischer Forderungen einen Druck zu üben. Hätte Deutschland auf diese Weise Desterreich sich entfremdet, so würde es, wie der Fürst von Bismarc

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in seiner denkwürdigen Rede im Reichstage am 6. Februar 1888 auseinandersetzte, nothwendig, wenn es nicht ganz isolirt in Europa sein wollte, in Abhängigkeit von Rußland gerathen sein. Der Streit über Jnstructionen, die Deutschland an seine Bevollmächtigten in den Verhandlungen im Süden gegeben oder nicht gegeben hatte, steigerte sich bis zu Drohungen, bis zu vollständigen Kriegsdrohungen von der kompetentesten Seite. Durch diese Drohungen sah die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten Deutschlands sich gezwungen, zu der von ihr seit Jahrzehnten vermiedenen Option zwischen den beiden bisherigen Freunden Deutschlands zu schreiten durch den am 7. October 1879 erfolgten Abschluß eines Bündnißvertrages mit Desterreich-Ungarn. Der Inhalt dieses Vertrages ist im Wesentlichen folgender:

"

Artikel I. Sollte wider Verhoffen und gegen den aufrichtigen Wunsch der beiden Hohen Contrahenten Eines der beiden Reiche von Seiten Rußlands angegriffen werden, so sind die Hohen Contrahenten verpflichtet, Einander mit der gesammten Kriegsmacht Ihrer Reiche beizustehen und demgemäß den Frieden nur gemeinsam und übereinstimmend zu schließen.

"

Artikel II. Würde Eines der Hohen contrahirenden Theile von einer anderen Macht angegriffen werden, so verpflichtet sich hiermit der andere Hohe Contrahent, dem Angreifer gegen Seinen Hohen Verbündeten nicht nur nicht beizustehen, sondern mindestens eine wohlwollende neutrale Haltung gegen den Hohen Mitcontrahenten zu beobachten. Wenn jedoch in solchem Falle die angreifende Macht von Seite Rußlands, sei es in Form einer aktiven Cooperation, sei es durch militärische Maßnahmen, welche den Angegriffenen bedrohen, unterstügt werden sollte, so tritt die im Artikel I dieses Vertrages stipulirte Verpflichtung des gegenseitigen Beistandes mit voller Heeresmacht auch in diesem Falle sofort in Kraft und die Kriegführung der beiden Hohen Contrahenten wird auch dann eine gemeinsame bis zum gemeinsamen Friedensschluß.“

Der Vertrag ist zu Anfang Februar 1888, als durch die Rüstungen Rußlands und Frankreichs Deutschland sich an seinen Ost- und Westgrenzen bedroht und zu einer bedeutenden Erhöhung seiner Wehrkraft genöthigt sah, veröffentlicht worden mit dem Bemerken, daß die Regierungen Deutschlands und Desterreich-Ungarns sich zu dieser Veröffentlichung entschlossen haben, um den Zweifeln ein Ende zu machen, welche an den rein defensiven Intentionen desselben auf verschiedenen Seiten gehegt und zu verschiedenen Zwecken verwerthet werden. Beide verbündeten Regierungen seien in ihrer Politik von dem Bestreben geleitet, den Frieden zu erhalten und Störungen desselben nach Möglichkeit abzuwehren.“

Die Friedensliebe Kaiser Wilhelms bekundete sich auch in der gütlichen Beilegung der (1885) mit Spanien entstandenen Differenz wegen der Befitzergreifung der Carolinen-Inseln. Auf diesen (nördlich von Neu Guinea belegenen) Inseln war die deutsche Flagge aufgezogen worden. Die spanische Regierung war der Meinung, daß hierdurch die zufolge angeblich früherer Besizergreifung erworbenen Rechte Spaniens beeinträchtigt würden. Die spanische Bevölkerung gerieth in große Erregung, und es kam in Madrid sogar zu Excessen des Straßenpöbels gegen die dortige deutsche Gesandtschaft.

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Nachdem dieserhalb Seitens der spanischen Regierung entsprechende Genugthuung durch Entlassung derjenigen Beamten gegeben war, welche zufolge mangelnder Energie in dem Schuße der deutschen Gesandtschaft für die Excesse verantwortlich gemacht wurden, fand die deutsche Regierung, obwohl es Spanien nicht gelungen war, bessere Rechte auf den Besitz der Carolinen-Inseln nachzuweisen, dennoch im Interesse der Bethätigung ihrer Friedensliebe sich bewogen, einen Vermittler zur Beilegung des Streites in der Person des Papstes zu suchen und seinen Vermittelungsvorschlag, dem auch Spanien beitrat, anzunehmen, wonach Deutschland die Oberhoheit Spaniens über die Inseln anerkannte, aber daselbst volle Handels- und Schifffahrtsfreiheit, sowie eine Schiffs- und eine Kohlenstation zugestanden erhielt.

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Nach Errichtung des Deutschen Reiches war es ein Gegenstand beson= derer Fürsorge Kaiser Wilhelms und seiner Regierung, entsprechend der Bestimmung in Art. 4 Nr. 7 der Reichsverfassung „die Organisation eines gemeinsamen Schußes des deutschen Handels im Auslande, der deutschen Schifffahrt und ihrer Flagge zur See und die Anordnung gemeinsamer consularischer Vertretung, welche vom Reiche ausgestattet wird", in die Hand zu nehmen und überhaupt die Stellung der im Auslande lebenden Deutschen, welche bis dahin vielfach unberechtigte Beeinträchtigungen von anderen Seiten zu erleiden hatten, zu befestigen und zu schützen. Der deutsche Handel, welcher in Ermangelung eigener deutscher Kolonien auf die unter fremder Oberhoheit stehenden Gebiete angewiesen war, erfuhr zus nächst insoweit die Fürsorge der deutschen Reichsregierung, daß sie dafür eintrat, ihm die dortigen Märkte zu sichern, ihn vor der Bedrohung mit Ausschließung von denselben oder mit Auferlegung unbilliger oder unerträglicher Bedingungen zu schüßen. Die sorgfältige Organisation des deutschen Consulatswesens, insbesondere auch die mit zutreffendem Blick erfolgte Auswahl der Personen für dasselbe bewährte sich in gedachter Beziehung vortrefflich und fand bei den im Auslande wohnenden Deutschen große Anerkennung. Andererseits wurden auch durch vielseitigen Abschluß von Handels- und Consularverträgen große Vortheile für den deutschen Handel erreicht.

Die Reichsregierung, welche zunächst nicht den Zweck der Erwerbung von Kolonien verfolgte, hierzu auch durch das Verhalten des Reichstages sich um so weniger ermuthigt fühlte, als derselbe eine im Jahre 1880 von ihr vorgeschlagene Uebernahme von Garantien durch das Reich für die vom Hamburger Hause Godefroy auf den Samoa-Inseln erfolgte, inzwischen zefährdete Erwerbung bedeutender Plantagen abgelehnt hatte, beschränkte sich vielmehr darauf, die unbedingte Durchführung voller Handelsfreiheit mit gleichmäßiger Behandlung der Angehörigen aller Nationen zu erstreben. Diese wurde zwar auch im Princip von den andern Mächten anerkannt, thatsächlich aber den deutschen Handelsunternehmungen, namentlich auch von

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England, welches sich bei zahlreichen Angelegenheiten in hohem Maße unzuverlässig erwies, empfindliche Schwierigkeiten bereitet. Wohl in Folge hiervon wurde in der deutschen Bevölkerung die Frage der Gründung von Kolonien vielseitig sympathisch besprochen, an vielen Orten wurden Vereine gebildet, welche sich zur Aufgabe stellten, die Frage auf der Tagesordnung zu erhalten, das Verständniß dafür mehr und mehr zu erwecken und, wenn es sein könnte, die Gründung von Kolonien in das Leben zu rufen. Inzwischen war auch die Reichsregierung der Frage näher getreten. Im April 1883 errichtete die Bremer Firma F. A. C. Lüderit in Angra Bequena an der westafrikanischen Küste (nördlich vom Orange-Fluß und südlich von der Walfischbai) eine Handelsniederlassung. Sie kaufte dort von den Hottentoten in Bethanien eine umfangreiche Strecke Landes und richtete sich darauf ein. Während im englischen Oberhause der Staatssekretär Lord Derby die Meinung zur Geltung bringen wollte, daß „England vor anderen Mächten einen moralischen Anspruch auf jenes Gebiet wegen der Nähe der englischen Besißungen“ habe, hatte der Reichskanzler, wie in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung bekannt gegeben wurde, bereits am 24. April 1883 an den Kaiserlichen Consul in Kapstadt folgendes Telegramm gerichtet:

„Herrn W. A. Lippert
Deutschem Consul

Kapstadt (Capetown).

Nach Mittheilungen des Herrn Lüderig zweifeln die Kolonialbehörden, ob seine Erwerbungen nördlich vom Orange-Fluß auf deutschen Schutz Anspruch haben. Sie wollen amtlich erklären, daß er und seine Niederlassungen unter dem Schuße des Reiches stehen.

gez. von Bismarc.“

Zu derselben Zeit hatte der Reichskanzler in einem Schreiben an die Handelskammer in Frankfurt a./M. sich bereit erklärt, die Interessen des deutschen Handels im Kongogebiet wahrnehmen zu wollen und hatte weiterhin durch die an den Reichstag erfolgte Vorlage wegen Subventionirung von Postdampfern nach Ostasien, Australien, der Südsee und nach Afrika die Fürsorge der Regierung für die Entwickelung des überseeischen Handels bethätigt. Hierbei hat der Reichskanzler die Stellung der Reichsregierung zu der Kolonialpolitik eingehend gekennzeichnet. Der Inhalt seiner Erklärungen war folgender: das Reich soll nicht wie Frankreich fremde Landstriche in Besit nehmen, die Auswanderung dorthin lenken, Beamte zur Verwaltung solcher Gebiete entsenden und dort Garnisonen errichten, mit anderen Worten also: es soll nicht Kolonien künstlich gründen. Wohl aber soll das Reich die aus der deutschen Nation herausgewachsenen freien Ansiedelungen von Reichsangehörigen in Gegenden, welche nicht unter der anerkannten Herrschaft einer anderen Nation stehen, unter seinen Schutz nehmen. Die Deutschen sollen wissen, daß sie ein Vaterland haben und daß sie und die von ihnen erworbenen Gebiete an dem Reiche einen Rückhalt haben. In dieser Weise sei Angra Pequena, wo die Bremer Firma Lüderitz ein größeres Gebiet von den Eingeborenen erworben und Nieder

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