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Die Verhandlungen in Versailles begannen am 21. Februar; schon die ersten Unterredungen ließen erkennen, daß die nothwendige Grundlage der deutschen Friedensbedingungen, die Gebietsabtretung, nicht mehr jenem grundsätzlichen Widerspruche begegnete, an welchem die früheren Verhandlungen gescheitert waren.

Freilich war das Streben von Thiers darauf gerichtet, die Gebietsabtretungen auf das geringste Maß zu beschränken, und es konnten in dieser Beziehung die berechtigten deutschen Ansprüche nur Schritt vor Schritt durchgesezt werden. Während die Abtretung des wesentlich deutschen Elsaß mit Straßburg, wenn auch mit Widerstreben, sofort zugestanden werden mußte, stieß dagegen die Abtretung eines größeren Theils von Lothringen und namentlich der Festung Meß auf den heftigsten und hartnäckigsten Widerstand. Auch die Forderung, daß deutsche Truppen noch in Paris einmarschiren sollten, begegnete dem lebhaftesten Widerstreben der französischen Unterhändler, welche darin eine neue, tiefe Demüthigung für die Hauptstadt erkannten. Einen Augenblick schien es, als sollten die unter den besten Anzeichen begonnenen Verhandlungen schließlich dennoch scheitern, indem Thiers namentlich die Verantwortung für die Abtretung von Met nicht übernehmen zu können meinte. Er machte den Versuch, einen Bers zicht Deutschlands auf Meß unter der Bedingung zu erreichen, daß Frant reich sich verpflichte, die Festungswerke zu schleifen; Graf von Bis. marc aber bestand unbedingt auf der Erwerbung von Meß, welches für Deutschland in militärischer Beziehung noch bei Weitem wichtiger sei, als Straßburg, und in diesem Betracht durch kein anderes Zugeständniß aufgewogen werden könne. Um den Franzosen dagegen den Beweis zu liefern, daß die deutsche Politik in der That nur auf dem bestehe, was sie aus überwiegenden Gründen des nationalen Interesses festhalten mußte, willigte Graf Bismarck schließlich darein, daß Belfort an Frankreich zurückgegeben werde. Der Verzicht Deutschlands auf Belfort belebte in der That die stockenden Verhandlungen wieder und ermöglichte den Entschluß der französischen Unterhändler, sich in die Abtretung von Met zu fügen, indem sie der französischen Eitelkeit wenigstens ein Zugeständniß, das sie erreicht, darzubieten vermochten. Auch der Widerspruch gegen den Einmarsch deutscher Truppen in Paris konnte nicht aufrecht erhalten werden. In Betreff der Kriegsentschädigung fanden die deutschen Ansprüche zunächst gleichfalls lebhaften Widerspruch; es erfolgte schließlich eine Verständigung über eine Zahlung von 5 Milliarden Francs (1333 Millionen Thalern).

Nachdem die Verhandlungen noch in der Nacht vom 25. zum 26. Februar mit großer Lebhaftigkeit geführt worden waren, gelangten sie am 26, dem letzten Tage des (nochmals verlängerten) Waffenstillstands, zum Abschlusse.

Kaiser Wilhelm richtete noch am 26. folgendes Telegramm an seine Gemahlin:

Mit tiefbewegtem Herzen, mit Dankbarkeit gegen Gottes Gnade zeige ich Dir an, daß so eben die Friedens, präliminarien unterzeichnet sind. Nun ist noch die Einwilligung der Nationalversammlung in Bordeaux abzuwarten.

Wilhelm.

Die Friedens-Präliminarien.

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Der Friedens - Präliminar - Vertrag von Versailles, welcher am 26. Februar zwischen dem Kanzler des deutschen Reiches Grafen von Bismarck und den vom Kaiser zugezogenen Ministern Baierns, Württembergs und Badens einerseits und dem Chef der französischen Republik Thiers und 3. Favre andererseits abgeschlossen wurde, enthielt folgende wesentliche Bestimmungen :

Frankreich verzichtet zu Gunsten des deutschen Reichs auf alle seine Rechte und Ansprüche auf diejenigen Gebiete, welche östlich von einer verzeichneten Demarcationslinie belegen sind, d. h. Elsaß (außer der Stadt und Festung Belfort mit einem bestimmten Rayon) und Deutsch-Lothringen mit Met. Eine internationale Kommission soll die Grenzlinien und die damit zusammenhängenden Auseinandersetzungen regeln.

Frankreich muß dem deutschen Kaiser die Summe von fünf Milliarden Francs zahlen. Mindestens eine Milliarde Francs wird im Laufe des Jahres 1871 gezahlt und der ganze Rest im Laufe dreier Jahre von der Ratification des Vertrages ab.

Die Räumung der französischen, durch die deutschen Truppen besetten Gebiete soll nach der Ratification des Vertrages seitens der in Bordeaux tagenden Nationalversammlung beginnen. Unmittelbar nach der Ratification werden die deutschen Truppen das Innere der Stadt Paris, so wie die am linken Ufer der Seine belegenen Forts verlassen. Die französischen Truppen werden sich gleichzeitig hinter die Loire zurückziehen, die sie vor Unterzeichnung des definitiven FriedensVertrages nicht werden überschreiten dürfen. Ausgenommen von dieser Bestimmung ist die Garnison von Paris, deren Stärke die Zahl von 40,000 Mann nicht überschreiten darf, sowie die zur Sicherheit der festen Plätze unerläßlich erforderlichen Garnisonen.

Die Räumung der zwischen dem rechten Ufer der Seine und der Ostgrenze gelegenen Departements soll seitens der deutschen Truppen schrittweise nach der Ratification des definitiven Friedensvertrages und der Zahlung der ersten halben Milliarde der Contribution erfolgen. Die Räumung wird bei den Paris am nächsten gelegenen Departements beginnen und in dem Maße wie die Zahlungen der Contributionen bewirkt sein werden, fortgesetzt. Nach der ersten Zahlung einer halben Milliarde wird die Räumung folgender Departements stattfinden: Somme, Dise und der Theile der Departements Seine inférieure, Seine et Dise, Seine et Marne, die auf dem rechten Seine-Ufer gelegen sind, so wie des Theiles des Departements Seine und der Forts auf dem rechten Seine-Ufer. Nach der Zahlung von zwei Milliarden wird die deutsche Occupation nur noch die Departements Marne, Ardennes, Haute Marne, Meuse, Vosges, Meurthe, so wie die Festung Belfort mit ihrem Gebiete umfassen, die als Pfand für die rückständigen drei Milliarden dienen sollen.

Die Zahl der in denselben befindlichen deutschen Truppen wird 50,000 Mann nicht überschreiten. Es wird Sr. Majestät dem Kaiser überlassen, an die Stelle der Territorial-Garantie, welche in der theilweisen Besetzung des französischen Gebietes besteht, eine finanzielle

Hahn, preuß. Geschichte.

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Die Friedens-Präliminarien.

Garantie treten zu lassen, wenn dieselbe durch die französische Regierung unter Bedingungen offerirt wird, welche von Sr. Majestät dem Kaiser und König als für die Interessen Deutschlands ausreichend anerkannt werden. Für die drei Milliarden, deren Zahlung verschoben werden soll, werden 5 pCt. Zinsen vom Tage der Ratification des PräliminarVertrages ab gezahlt.

Der Vertrag sollte dem deutschen Kaiser und der französischen Nationalversammlung in Bordeaux zur Ratification vorgelegt werden.

Zu diesem Zwecke wurde durch eine Zusat-Convention der Waffenstillstand bis zum 12. März verlängert, jedoch mit Ausnahme der Bestimmung, nach welcher die Stadt Paris nicht besezt werden sollte. In dieser Beziehung wurde vielmehr festgeseßt, daß der Theil der Stadt Paris zwischen der Seine, der Straße der Vorstadt St. Honoré und der Avenue des Ternes von deutschen Truppen besetzt werde, deren Zahl jedoch 30,000 nicht überschreiten dürfe.

Die Bestätigung der Friedens-Präliminarien durch die Nationalversammlung zu Bordeaux erfolgte mit großer Beschleunigung, um die Zeit der Besetzung von Paris möglichst abzukürzen. Thiers drang in die Versammlung, die Berathung so bald als möglich zum Abschluß zu bringen: „Wir bitten Sie, nicht zu säumen; wir bitten Sie mit energischer Dringlichkeit, keinen Moment zu verlieren. Wenn Sie unserer Bitte entsprechen, können Sie vielleicht der Hauptstadt einen großen Schmerz ersparen.“

Als Thiers der Versammlung den Wortlaut des Friedensvertrages eben mittheilen wollte, verließen ihn die Kräfte, und er mußte von der Tribüne herabsteigen. Die entscheidende Situng fand schon am 1. März statt. Der Berichterstatter der zur Prüfung des Vertrags gewählten Kom mission empfahl mit dringenden Worten die Bestätigung.

„Die Unterschrift, die Sie geben sollen," sagte er, „ist schmerzlich. Aber erwägen Sie, ob Sie dieselbe vermeiden können, und um welchea Preis. Soll man in der jeßigen Lage den Kampf wieder aufnehmen nach erfolgter Niederlage, und um die Ehre derer zu decken, die uns ins Ver derben gestürzt? Würde es nicht ein Spiel mit der Ehre Frankreichs sein, das durch eine solche That äußerster Verzweiflung vollends preisgegeben würde? Sie können den Vertrag ablehnen, Sie können den Kampf wieder aufnehmen, aber wenn Sie dies thun, so wird Paris besezt und ganz Frankreich überfluthet, Gott weiß, mit welchen weiteren Schicksalsschlägen! Wir rathen Ihnen daher an, sich nicht der Auffassung der Verzweiflung hinzugeben."

Mit 546 gegen 107 Stimmen genehmigte die Versammlung (am 1. März) den Geseßentwurf mit folgendem Wortlaut: „Die National, versammlung, der Nothwendigkeit weichend und die Ver antwortlichkeit zurückweisend, nimmt die in Versailles am 26. Februar unterzeichneten Friedenspräliminarien an."

In der leidenschaftlichen Erregung der Verhandlungen über den schmerz lichen Frieden faßte die Versammlung noch folgenden Beschluß:

„Die Nationalversammlung bestätigt unter den schmerzlichen Verhält

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nissen, in welchen sich das Vaterland befindet, die Absetzung Napoleons III. und seiner Dynastie, und erklärt ihn verantwortlich für den Ruin, die Invasion, die Zerstückelung Frankreichs.“

Die französische Regierung beeilte sich, dem deutschen Hauptquartier von der erfolgten Bestätigung der Präliminarien Kenntniß zu geben, um der inzwischen vollzogenen Besetzung von Paris so rasch als möglich wieder ein Ziel zu setzen.

Die Besetzung von Paris war beim Abschluß der Capitulation und des Waffenstillstands am 28. Januar für die Dauer desselben aus den erwähnten rein politischen Gründen ausgeschlossen worden. Auch bei der ersten Verlängerung des Waffenstillstands war dieser Vorbehalt aufrecht erhalten worden. Als dagegen Behufs Bestätigung des Friedensvertrages Seitens der Nationalversammlung eine nochmalige Frist erforderlich wurde, wurde, wie erwähnt, festgeseßt, daß vom Mittwoch, 1. März, ab der westlichste Theil der Stadt Paris vom Triumphbogen durch die elyseeischen Felder und den Concordienplatz bis zum Tuileriengarten von deutschen Truppen bis zu 30,000 Mann besetzt werden sollte. Die Kunde von dieser Vereinbarung rief in Paris eine bei Weitem größere Erregung hervor, als die Bedingungen des Friedensvertrages selbst. Der Verlust von Elsaß und Lothringen und die Auflegung von 5 Milliarden schienen den Parisern minder drückend als der Gedanke, daß ihre vermeintlich „heilige“ und „unbesiegliche" Stadt von dem Feinde betreten werden solle. So lange dies nicht geschehen durfte, wiegten sie ihre Eitelkeit weiter in dem Wahne, daß Paris von den Deutschen nicht bezwungen sei. Die große Erregung, welche sich darüber in der Bevölkerung kundgab, veranlaßte die Regierung zum Erlaß eines dringenden Aufrufs, in welchem es hieß: Die Regierung wendet sich an Euern Patriotismus und an Euere Klugheit; Ihr habt das Schicksal von Paris, von ganz Frankreich in Eurer Hand, von Euch hängt es ab, Hauptstadt und Vaterland zu retten oder zu verderben! Wenn die abgeschlossene Convention nicht respectirt und der Waffenstillstand gebrochen wird, so würde der Feind, der schon Herr der Forts ist, mit Gewalt die ganze Hauptstadt besezen. Das Unglück würde ganz Frankreich erreichen; die schrecklichen Drangsale des Krieges, welche bisher die Loire nicht überschritten haben, würden sich bis zu den Pyrenäen ausbreiten. Diese schreckliche Situation wird ein Ende finden durch den Frieden und durch die Rückkehr des öffentlichen Wohlergehens." Dieser Aufruf fand bei dem größten Theile der Bevölkerung die gebührende Beachtung; doch dauerte eine große Erregung fort. Bei dieser Stimmung der Bevölkerung von Paris lag der französischen Regierung dringend daran, daß die Bestätigung des Friedensvertrages in Bordeaux rasch genug erfolge, um dem Einzug der deutschen Truppen wo möglich noch zuvorzukommen. Der große Schmerz" sollte jedoch Paris nicht erspart werden. Die Nationalversammlung faßte erst spät am 1. März ihren Beschluß, und am Morgen des 1. hatte bereits der Einzug der deutschen Truppen stattgefunden.

Die deutsche Regierung hätte möglicherweise auf die Besezung von Baris überhaupt keinen Werth mehr gelegt, wenn nicht die Kundgebungen

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Parade vor Paris und Einmarsch.

aus der Hauptstadt den Einzug fast zu einer Nothwendigkeit gemacht hätten. Thatsächlich konnte die Besetzung von Paris den Erfolgen und dem Waffenruhm Deutschlands Nichts mehr hinzufügen; nachdem die Forts von den deutschen Truppen besezt und dadurch die Stadt vollständig in ihre Gewalt gegeben war, konnte es in militärischer Beziehung völlig gleichgültig sein, ob sie auch die Stadt selbst besezt hatten oder nicht. Im Interesse des Heeres selber war ferner eine längere Besetzung von Paris keineswegs wünschenswerth. Wäre sie als wünschenswerth erkannt worden, so würde sie auch begehrt und gewiß ebensowenig verweigert worden sein, wie Straßburg und Met verweigert werden konnten. Nachdem jedoch die fortgesezt übermüthigen und herausfordernden Kundgebungen Seitens der Pariser den Beweis geliefert hatten, daß sie die Beweggründe jener Zurückhaltung nicht zu würdigen verstanden, daß sie sich für die Zukunft den Wahn von der Unverleglichkeit ihrer Stadt von Neuem zurecht machten, da kam es darauf an, wenigstens durch einen vorübergehenden Eintritt der deutschen Truppen in die Hauptstadt festzustellen, daß die Macht hierzu den Deutschen nimmer bestritten werden konnte, und daß es nur der freie Wille der Deutschen war, wenn sie davon so mäßigen und kurzen Gebrauch machten.

Parade vor Paris. Vor dem Einzuge der ersten für die Besetzung von Paris bestimmten Truppen fand eine Revue derselben vor dem Kaiser und König bei Longchamps vor Paris statt. Am Mittwoch (1.) Vormittags verließ der Kaiser zu Wagen Versailles, um sich über St. Cloud nach Longchamps zu begeben, wohin ihm der Kronprinz, der das Commando über die Parade führte, vorausgecilt war, und wo ein großer Theil der deutschen Fürsten sich versammelt hatte, darunter der König von Württemberg, die Prinzen Carl, Albrecht, Adalbert von Preußen, die Großherzöge von Baden, Weimar, Oldenburg und Mecklenburg-Schwerin, der Herzog von Coburg, die Prinzen Luitpold und Otto von Baiern, die Her zöge von Altenburg, Meiningen. Die Truppen gehörten dem 6. und 11. Armee-Corps und dem 2. baierischen Corps an. Da nicht mehr als 30,000 Mann auf einmal in Paris einrücken sollten, so war von jedem Regiment der drei genannten Armee-Corps ein Bataillon zugezogen worden. Der Kaiser wurde von den Truppen mit dem höchsten Enthusiasmus empfangen und ritt unter den Klängen des Heil Dir im Siegerkranz" die Fronte ab, worauf der Vorbeimarsch der Truppen unter Führung des Kronprinzen folgte. Die letzten von den 30,000 Mann waren kurz vor 1 Uhr vorbeimarschirt und auf dem Wege nach Paris, während sich der Kaiser nach Versailles zurückbegab.

Der Einmarsch in Paris war durch einen Vortrab von einem Bataillon Infanterie, einer Schwadron Husaren und 16 Geschützen am Morgen eingeleitet worden. Die Truppen, die bei der Revue gewesen, rückten Mittags von Longchamps auf drei Wegen durch das Boulogner Gehölz auf Paris zu. Vor dem Siegesthor (Arc de triomphe), dessen pomphafte Reliefs die Siege der Revolutionszeit und des Kaiserreiches ver herrlichen, trafen die anrückenden deutschen Truppen zusammen und machten einige Augenblicke Halt, um sich zum Einmarsch zu ordnen. Als die Spizen der Truppen sich dem Triumphbogen näherten, versuchte ein Haufen von

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