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468 Die Olmüßer Convention; die Verfassung vom 31. Januar 1850. verkennen, daß in der allgemeinen Gährung auch die demokratische Partei sich wieder zu kühnen Hoffnungen erhob, und daß in Süddeutschland zumal die Revolution gegen die mit Oesterreich verbündeten Fürsten eifrig vorbereitet wurde. Während Preußen von allen Großmächten verlassen war, hätte es sich in Deutschland bei dem Ausbruche des Kampfes nothgedrungen mit der Demokratie in einen Bund einlassen müssen, und schon hoffte die demokratische Partei, daß der in Deutschland entstehende Brand den revolutionären Stoff, der ringsum in Ungarn, in Italien, in der Schweiz, in Frankreich aufgehäuft war, neu entzünden würde. Solche Betrachtungen waren es, die den König Friedrich Wilhelm und seinen Minister von Manteuffel immer wieder bedenklich machten, die Verantwortung für den verhängnißvollen Krieg zu übernehmen, und noch einmal wollte daher der Minister einen Versuch zur friedlichen Beilegung des Streites machen. Er begab sich am Ende No vember nach Olmüß zu einer Conferenz mit dem Fürsten von Schwarzenberg; bort kam in der That eine Convention zu Stande, nach welcher zur Regelung der deutschen Verhältnisse gemeinschaftliche Conferenzen in Dresden gehalten werden, zur Herstellung der Ordnung in Hessen und des Friedenszustandes in Holstein aber Desterreich und Preußen zusammenwirken sollten.

Die Dresdener Conferenzen freilich, welche schon am 23. December 1850 eröffnet wurden, führten zu keiner ersprießlichen Einigung, weshalb Preußen sich entschloß, auch seinerseits den Bundestag wieder zu beschicken, und die Erfüllung besserer Hoffnungen für Deutschlands einheitliche Wiedergeburt künftigen günstigeren Tagen vorzubehalten (April 1851).

Die Verfassung vom 31. Januar 1850. Die inneren Angelegenheiten nahmen vom Jahre 1849 ab zunächst einen friedlichen Verlauf. In Folge der Auflösung der zweiten Kammer im April 1849 hatte die Regierung ein verändertes Wahlgeset (vom 30. Mai 1849) erlassen. In dem selben war zwar das im vorhergehenden Jahre bewilligte allgemeine Stimm recht aufrecht erhalten; um jedoch den gebildeteren und wohlhabenderen Klassen, welche an der geordneten Entwickelung des Staatswesens ein grōBeres Interesse haben, wieder einen höheren Einfluß bei den Wahlen zu sichern, waren die Wähler je nach den Steuern, die sie zu zahlen haben, in brei Klassen getheilt, während bis dahin alle Wähler gemeinschaftlich wählten, wobei natürlich die große Masse den Ausschlag gegeben hatte. Aus den neuen Wahlen ging, wie man gehofft hatte, eine Kammer hervor, in welcher wieder ein Geist größerer Besonnenheit und das Bestreben vorwaltete, die neuen Staatseinrichtungen wieder mehr mit den alten Grundlagen des preußischen Staatswesens in Einklang zu bringen. Im August 1849 traten beide Kammern wieder in Berathung und ließen sich alsbald die Revision der Berfassung (vom 5. December 1848) angelegen sein: das gemeinschaftliche Bestreben der Regierung und der Landesvertretung war besonders darauf gerichtet, neben der festen Begründung der öffentlichen Freiheiten und der Mitwirkung der Volksvertretung bei der Gesetzgebung und den wichtigsten Landesangelegenheiten, andererseits dem Landesherrn die gebührende Macht und das volle Gewicht zu sichern, welches den Fürsten in Preußen nach der ganzen Entwickelung unserer Geschichte und nach den eigenthümlichen Verhält

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nissen des Staates ohne Gefährdung des öffentlichen Wohles nicht geschmälert werden darf.

So kam denn in Folge jener Revisionsarbeiten die VerfassungsUrkunde vom 31. Januar 1850 zu Stande.

II von den

Die Verfassung handelt im Titel I vom Staatsgebiete, Rechten der Preußen, -III vom Könige, IV von den Ministern, V von den Kammern, VI von der richterlichen Gewalt, VII von den nicht zum Richterstande gehörigen Beamten, VIII von den Finanzen, IX von den Gemeinden, Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Verbänden. Wir stellen ihre wesentlichsten Bestimmungen kurz zusammen:

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In dem Abschnitte von den Rechten der Preußen" wird zu= nächst die Gleichheit vor dem bürgerlichen Geseze verbürgt. Artikel 4: „Alle Preußen sind vor dem Geseze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Aemter sind unter Einhaltung der von den Geseßen festgestellten Bedingungen für alle dazu Befähigten gleich zugänglich.

„Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung ist gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen." (Art. 12.)

Der christliche Charakter des preußischen Staates. Artikel 14: „Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen, welche mit der Religionsübung im Zusammenhange stehen, unbeschadet der im Artikel 12 gewährleisteten Religionsfreiheit zum Grunde gelegt."

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Die Selbstständigkeit der Kirche. Art. 15: Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig und bleibt im Besize und Genusse der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds." (Dieser Artikel 15 ist später aus Veranlassung des sogenannten Kulturkampfs auf

gehoben worden.)

Die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Fürforge des Staates für die allgemeine Volksbildung. Artikel 20: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei." - Art. 21: „Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen genügend gesorgt werden. Aeltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder und Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die öffentliche Volksschule vorgeschrieben ist." Art. 24: Bei der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen sind die confessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen. Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesell= schaften.“

Die Preßfreiheit. Art. 27: „Jeder Preuße hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Censur darf nicht eingeführt werden, jede andere Beschränkung der Breßfreiheit nur im Wege der Gesetzgebung."

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Hauptbestimmungen der Berfaffung vom 31. Januar 1850.

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Das Vereinsrecht. Art. 29: Alle Preußen sind berechtigt, fich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln.“ Art. 30:,,Alle Preußen haben das Recht, sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen."

Das Petitionsrecht steht allen Preußen zu. (Art. 32.)

Bom Könige. Die Person des Königs wird (Art. 43) für unver lezlich erklärt, die Verantwortlichkeit für alle Regierungshandlungen dem Lande gegenüber den Ministern zugewiesen. Art. 44:,,Die Minister des Königs sind verantwortlich. Alle Regierungsacte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt."

Die vollziehende (Executiv-) Gewalt steht allein dem Könige zu. Die einzelnen Theile derselben sind in Art. 45-52 aufgeführt: Ernennung und Berufung der Minister, Verkündigung der Geseze und der Ber ordnungen zu deren Ausführung, - der Oberbefehl über das Heer, — die Besetzung der Stellen im Heere und in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes, - das Recht, Krieg zu erklären, Frieden und andere Verträge mit fremben Regierungen zu schließen, - das Recht der Begnadigung und Strafmilderung, die Verleihung von Orden und Auszeichnungen, — das Münzrecht, die Berufung und Schließung der Landesvertretung.

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„Der König wird nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres volljährig. Er leistet in Gegenwart der vereinigten Kammern das eidliche Ges Löbniß, die Verfassung des Königreiches treu und unverbrüchlich zu halten, und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesezen zu regieren.“ (Art. 54.)

Bon der Landesvertretung (den Kammern).

,,Die geseggebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und zwei Kammern ausgeübt. Die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Geseße erforderlich. Finanzgesetz-Entwürfe und Staatshaushalts-Etats werden zuerst der zweiten Kammer vorgelegt; lettere werden von der ersten Kammer im Ganzen angenommen oder verworfen." (Art. 62.),,Nur in dem Falle wenn die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicher heit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, insofern die Kammern nicht versammelt sind, unter Verant wortlichkeit des gesammten Staats-Ministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen (octrohirt) werden. Dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritte zur Genehmigung sofort vorzulegen.“ (Art. 63.) „Dem Könige, sowie jeder Kammer steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen.“ (Art. 64.)

Die erste Kammer, deren Zusammenseßung in Art. 65—68 bestimmt war, hat später, wie noch zu erwähnen sein wird, als Herrenhaus eine veränderte Einrichtung erhalten.

Die zweite Kammer, jezt Haus der Abgeordneten genannt, besteht aus (350, seit der Erwerbung der neuen Landestheile) 433 Mitgliedern.

Wahl der Abgeordneten und Wahlrecht. Art. 69-75: „Jeder

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Preuße, welcher das 25. Lebensjahr vollendet hat und in der Gemeinde, in welcher er seinen Wohnsitz hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen besigt, ist stimmberechtigter Urwähler. Auf jede Vollzahl von 250 Seelen der Bevölkerung ist ein Wahlmann zu wählen. — Die Urwähler werden nach Maßgabe der von ihnen zu entrichtenden directen Staatssteuern in drei Abtheilungen getheilt. Jede Abtheilung wählt besonders und zwar ein Dritttheil der zu wählenden Wahlmänner. Die Abgeordneten werden durch die Wahlmänner gewählt. Zum Abgeordneten ist jeder Preuße wählbar, der das 30. Lebensjahr vollendet, den Vollbesit der bürgerlichen Rechte nicht ver= loren und bereits drei Jahre dem preußischen Staatsverbande angehört hat.“

Berufung und Befugnisse der Landesvertretung. Artikel 76: „Die Kammern werden durch den König regelmäßig in jedem Jahre in dem Zeitraume von Anfang November bis Mitte Januar und außerdem, so oft es die Umstände erheischen, berufen." In Betreff der Befugnisse der Kammern außer ihrer erwähnten Mitwirkung bei der Gesetzgebung bestimmen Art. 81 und 82:,,Jede Kammer hat für sich das Recht, Adressen an den König zu richten. Jede Kammer kann die an sie gerichteten Schriften an die Minister überweisen und von denselben Auskunft über eingehende Beschwerden verlangen. — Eine jede Kammer hat die Befugniß, behufs ihrer Information Commissionen zur Untersuchung von Thatsachen zu ernennen."

Von der richterlichen Gewalt. Art. 86. Dieselbe,,wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesezes unterworfene Gerichte ausgeübt. - Die Richter werden vom Könige oder in dessen Namen auf ihre Lebenszeit ernannt. Sie können nur durch Richterspruch aus Gründen, welche die Gesetze vorgesehen haben, ihres Amtes entseßt oder zeitweise enthoben werden."

Deffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen. Art. 93: „Die Verhandlungen vor dem erkennenden Gerichte in Civil- und Straffachen sollen öffentlich sein."

Schwurgerichte. Art. 94:,,Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen erfolgt die Entscheidung über die Schuld des Angeklagten durch Geschworene."

Die Finanzverwaltung. Art. 99-104:,,Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat (das Budget) gebracht werden. Letterer wird jährlich durch ein Gesez festgestellt. Zu Etatsüberschreitungen ist die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich. Die Aufnahme von Anleihen für die Staatskasse findet nur auf Grund eines Gesetzes statt."

Verfassungsänderungen. Art. 107: „Die Verfassung kann auf dem ordentlichen Wege der Gefeßgebung abgeändert werden, wobei in jeder Kammer die gewöhnliche absolute Stimmenmehrheit bei zwei Abstimmungen, zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens 21 Tagen liegen muß, genügt."

Der Eid auf die Verfassung. Art. 108: „Die Mitglieder der beiden Kammern und alle Staatsbeamten leisten dem Könige den Eid der Treue und des Gehorsams und beschwören die gewissenhafte Beobachtung der Verfassung. Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung findet nicht statt."

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Beschwörung der Verlassung; Wiederherstellung der Stände.

Die Beschwörung der revidirten Verfassung seitens des Königs und der damaligen Kammern fand am 6. Februar 1850 in feierlicher Sigung im königlichen Schlosse statt. Der König hielt dabei eine denkwürdige Anrede an die Landesvertretung.

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„Das Werk,“ sagte er, dem Ich heute Meine Bestätigung aufdrücken will, ist entstanden in einem Jahre, welches die Treue werdender Geschlechter wohl mit Thränen, aber vergebens wünschen wird, aus unserer Geschichte hinauszuringen. Es war das Werk des Augenblickes und es trug den breiten Stempel seines Ursprunges. Sie haben die bessernde Hand daran gelegt, Sie haben Bedenkliches daraus entfernt, Gutes hineingetragen und Mir durch Ihre treffliche Arbeit ein Pfand gegeben, daß Sie die begonnene Arbeit der Vervollkommnung auch nachher nicht lassen wollen, und daß es unserem vereinten redlichen Streben auf verfassungsmäßigem Wege gelingen wird, es den Lebensbedingungen Preußens immer entsprechender zu machen. Ich darf Dies Werk bestätigen, weil Ich es in Hoffnung kann. Und so erklär Ich, Gott ist deß Zeuge, daß Mein Gelöbniß auf die Verfassung treu, wahrhaftig und ohne Rückhalt ist. Allein Leben und Segen der Verfassung, das fühlen Ihre und alle edlen Herzen im Lande, hängen von der Erfüllung unabweislicher Bedingungen ab. Alle guten Kräfte im Lande müssen sich vereinigen in Unterthanentreue, in Ehrfurcht gegen das Königthum und diesen Thron, der auf den Siegen unserer Heere ruht, in Beobachtung der Geseze, in wahrhafter Erfüllung des Huldigungseides. Seine Lebensbedingung ist die, daß mir das Regieren mit diesem Gesetze möglich gemacht werde; denn in Preußen muß der König regieren, und ich regiere nicht, weil es also Mein Wohlgefallen ist, Gott weiß es! sondern weil es Gottes Ordnung ist; darum aber will 3ch auch regieren. Ein freies Volk unter einem freien Könige, das war Meine Losung seit zehn Jahren, das ist sie heute und soll es bleiben, so lange ich athme."

Der König wiederholte hierauf die Gelöbnisse der ersten Huldigung, sodann das Gelöbniß mit seinem Hause dem Herrn zu dienen“ und nach dem feierlichen Eide, die Verfassung des Landes fest und unverbrüchlich zu halten, schloß er: „Und nun befehle ich das bestätigte Gesetz in die Hände des Allmächtigen Gottes, dessen Walten in der Geschichte Preußens handgreiflich zu erkennen ist, auf daß er aus diesem Menschenwerke ein Werkzeug des Heiles machen wolle für unser theueres Vaterland, nämlich der Geltendmachung Seiner heiligen Rechte und Ordnungen! Also sei es!“

Wiederherstellung der Stände und Gründung des Herrenhauses. Die Erwartung des Königs, daß die Landesvertretung auch weiterhin die Hand dazu bieten würde, die neue Verfassung mehr und mehr den Lebensbedingungen Preußens entsprechend zu machen, wurde bald in mehrfacher Beziehung erfüllt. Es ist früher erwähnt, welchen Werth Friedrich Wil helm schon als Kronprinz, sodann als König auf die Belebung und Ausbildung der alten ständischen Einrichtungen gelegt hatte; jezt richtete sich sein Streben darauf, diese älteren preußischen Institutionen soviel als möglich auch in die neue Staatsverfassung als Glieder einzufügen. In dieser Richtung war besonders der Minister von Westphalen, welcher seit December 1850 das Ministerium des Inneren leitete, sehr thätig. Als es sich heraus

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