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Provinzialstände; Friedrich Wilhelm's spätere Regierungsjahre.

Es sollte sofort eine Commission niedergesetzt werden, um die Ausfüh rung dieser Maßregel vorzubereiten.

Diese Verordnung ist ein Beweis des ehrenden Vertrauens, welches der König in seine Unterthanen sette, und des aufrichtigen Willens, dieselben bei der Berathung ihrer wichtigen Interessen selbst zu betheiligen. Es geht aus dem mitgetheilten Texte hervor, daß der König zuerst die Provinzialstände neu befestigen und dann aus ihnen heraus allgemeine Reichsstände bilden wollte. Nicht mit einem Male sollte das schwere Werk ausgeführt, sondern mit reiflicher Ueberlegung wollte man erst die Erfahrungen, die man mit den Provinzialständen machen würde, für die höhere Stufe der Landesverfassung benußen. Der damalige Kronprinz, der verstorbene König Friedrich Wilhelm IV., war es besonders, der sich mit der Ausbildung der ständischen Verfassung in Preußen lebhaft beschäftigte und sich darüber in Briefwechsel mit Stein sette. Er erbat sich von demselben unter Anderem auch Rath darüber, ob es angemessen sei, die Reichsstände zugleich mit den Provinzialständen oder erst später ins Leben treten zu lassen, worauf der berühmte Staatsmann in einem ausführlichen, trefflichea Schreiben sich schließ.¡ch dahin entschied: Er halte die Provinzialstände für eine Vorübung zu dem schwierigen Berufe der allgemeinen Stände, und in diesen werde man theils den Geist erkennen, der sich ausspricht, theils manche Erfahrungen sammeln, die man bei der Bildung der Reichsstände benutzen könne."

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In der That wurde auch fürerst die Errichtung von Provinzialständen allein ins Auge gefaßt. Am 3. August 1823 (am Geburtstage des Königs) erschien das Gesetz wegen allgemeiner Anordnung von Provinzialständen. Die Stände jeder Provinz, sowohl die Kreis- wie die Provinzialstände, werden nach diesem Geseze lediglich aus den Grundbesißern in Stadt und Land gewählt: die Besizer der ehemaligen Standesherrschaften und die Rittergutsbesizer bilden den ersten Stand, welcher die Hälfte aller Mitglieder des Provinziallandtages wählt, die andere Hälfte wird von dem Stande der Städte und dem der Bauern bestellt. Die Provinzialstände, welche gewöhnlich alle drei Jahre zusammentreten, haben über die Gesetentwürfe, welche ihre Provinz angehen, zu berathen und ihr Gutachten darüber abzugeben, ferner sollten sie, so lange keine allgemeine Ständeversammlung Statt fände, auch die allgemeinen Geseze über Personen, Eigenthum und Steuerveränderungen u. s. w. berathen.

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Die weitere Ausbildung der ständischen Gesetzgebung wurde der Zukunft vorbehalten.

51. Friedrich Wilhelm's spätere Regierungsjahre.

Nach und nach sanken die bedeutendsten der Männer, welche des Königs Sorgen in den Jahren des Druckes und der darauf folgenden Erhebung getheilt hatten, ins Grab. Der Feldmarschall Blücher, vom Könige wie vom Volke bis in seine letzten Tage durch die mannichfachsten Zeichen vaterlän discher Dankbarkeit geehrt, war am 12. September 1819 auf seinem Gute Krieblowitz in Schlesien gestorben; ihm folgte am 27. November 1822 der Fürst Hardenberg.

Zollverein Sorge für die Bolfsbildung; die Schuleinrichtungen.

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Die Finanzverwaltung und der Zollverein. Friedrich Wilhelm selbst fuhr unablässig fort, nach bestem Wissen und Gewissen das leibliche und gei ftige Gedeihen des Volkes zu fördern. Der Staatshaushalt war schon in den Jahren 1820 und 1821 fest geregelt worden, und einer sparsamen und strengen Verwaltung gelang es, die Finanzen des Staates bald in eine musterhafte, bei anderen Völkern bewunderte Ordnung zu bringen. Die Ausgaben waren verhältnißmäßig nicht drückend, und doch wurde es ermöglicht, außer den großen Kosten, welche der Unterhalt des für Preußens Machtstellung nöthigen Kriegsheeres und die Landesverwaltung verursachten, jährlich noch bedeutende Summen auf die Verbesserung des Landbaues, auf die allseitige Anlegung von vortrefflichen Chauffeen und anderen Straßen zur Belebung des Verkehres, auf die Hebung des Gewerbfleißes, sowie auf die Unterstützung von Kunst und Wissenschaft zu verwenden.

Die wohlthätige Fürsorge des Königs für Handel und Gewerbe befundete sich in dem letzten Jahrzehnte seiner Regierung besonders durch eine wichtige Schöpfung, welche zugleich dem Streben des deutschen Volkes nach einer engeren Einigung in hohem Grade entsprach: es war dies der Zollverein. welchen Preußen mit dem größten Theile der deutschen Staaten (außer Desterreich, Hannover, Braunschweig und den Hansestädten) abschloß (1833) und wodurch die ärgerlichen Schranken, welche bis dahin den Handel und Verkehr der einzelnen Staaten trennten, aufgehoben worden sind. Während hierdurch einerseits die Industrie in dem Zollvereinsgebiete einen immer lebhafteren Aufschwung gewann, gelang es Preußen ferner, einen Theil der Meineren Staaten durch die gemeinschaftlichen Interessen immer fester an sich zu letten.

Sorge für die Volksbildung. Aber nicht nur die äußeren Bedürfnisse, sondern vor Allem auch die geistige Hebung seines Volkes wollte Friedrich Wilhelm als ein wahrhaft christlicher Regent gefördert wissen: deshalb wurde die Sorge für das Schulwesen eine der glänzendsten Seiten seiner landesväterlichen Thätigkeit. Durch reichliche Unterstützung der bestehenden Hochschulen, durch die Verbindung der Universitäten Halle und Wittenberg zu einer der bedeutendsten Hochschulen unter dem Namen der vereinigten Universität Halle-Wittenberg (1817), durch die Stiftung eines Seminars für Candidaten des Predigtamtes in Wittenberg (1817), sowie durch die Gründung einer neuen Universität zu Bonn für die Rheinprovinzen (1818) bewährte der König von Neuem den Eifer für die höhere Wissenschaft, welchen schon in früheren Jahren die Gründung der Universitäten Berlin und Breslau befundet hatte. Nicht minderes Verdienst erwarb sich seine Regierung um die Leitung, Ausstattung und allseitige Ausbildung der Gymnasien und der eigentlichen Volksschulen. Seit 1817 ist die höhere Schulverwaltung, welche damals von dem Ministerium des Inneren getrennt und einem besonderen Minifterium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenbeiten übertragen wurde, rastlos thätig gewesen, um durch angemessene Bestimmungen und Reglements, durch strenge Prüfungsvorschriften, wie durch geistige Anregung die preußischen Lehranstalten nach und nach zu Musteranstalten zu machen. Dem Bedürfnisse der neueren Zeit kam die Regierung durch die Gründung und Förderung der sogenannten Realschulen ent

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Kirchliche Verhältnisse; die kirchliche Union.

gegen, welche sich, wie die Gymnasien, zu rascher Blüthe entwickelten. Zur besseren Ausbildung der Lehrer für das höhere Schulamt wurden bei den Universitäten philologische Seminarien errichtet. Mit gleicher Liebe und Sorgfalt wurde endlich der Unterricht der großen Masse des Volkes in Elementar- und Bürgerschulen behandelt: die vielfachen Bestrebun gen berühmter deutscher Pädagogen für Verbesserung und Vereinfachung der Unterrichtsmethoden fanden bei der preußischen Schulverwaltung die einsichtigste Beachtung, und durch die in allen Provinzen vermehrten SchullehrerSeminarien, in welchen sich das regste Leben entfaltete, wurde die Methode des Unterrichtes in den Elementargegenständen mit überraschend glänzenden Erfolgen ausgebildet. Um den Unterricht in der Volksschule allen Kindern und gerade auch den ärmsten wirklich angedeihen zu lassen, wurde der heilsame Grundsaß der allgemeinen Schulpflichtigkeit neu eingefchärft; jedes Kind auf dem Lande, wie in der Stadt muß vom sechsten Jahre an bis zur Confirmation von seinen Aeltern oder Pflegern in die Schule geschickt werden und keines darf confirmirt werden. wenn es nicht die nothdürftigsten Schulkenntnisse erworben hat. Ein Lokalschulinspector, meist der Ortsgeistliche, führt als Revisor in Gemeinschaft mit einem von der Gemeinde gewählten Schulvorstande die Aufsicht über die Schule; die Kreisschulinspectoren, vielfach die Superintendenten und die katholischen Erzpriester, haben in ihren Sprengeln alle Schulen sorgfältig zu überwachen.

Durch die fortgesette einsichtige Pflege ist es dahin gekommen, daß schon unter Friedrich Wilhelm III. die Einrichtungen unseres Schulwesens einen solchen Ruf in Europa erlangten, daß fast alle fremden Regierungen hohe Beamte nach Preußen schickten, um diese Einrichtungen genauer kennen zu lernen. Doch hat sich die preußische Regierung durch die erlangten Erfolge nicht etwa blenden lassen, sondern ist fortdauernd bemüht gewesen, die selbst erkannten Mängel und etwa eingeschlichene falsche Richtungen zu beseitigen, vor Allem aber die Pflege ächter Gottesfurcht mehr und mehr zur Grundlage der gesammten Volksbildung zu machen.

Kirchliche Verhältnisse; die Union. So sehr Friedrich Wilhelm's wahrhaft frommer und milder Sinn sich auch in der Behandlung kirchlicher Dinge bewährte, so wurden doch seine späteren Regierungsjahre gerade durch manche ärgerliche Streitigkeiten mit den kirchlichen Behörden, besonders mit der katholischen Geistlichkeit getrübt. Wiewohl der König, ganz im Sinne und Geiste seiner Vorfahren, den Katholiken eine Rücksichtnahme zu Theil werden ließ, wie dieselben sie in keinem anderen Staate genießen, so wurde doch der Frieden unter den beiden christlichen Bekenntnissen zur tiefen Be trübniß des edeln Regenten durch einen Streit über die sogenannten gemischten Ehen zwischen Protestanten und Katholiken getrübt. Es kam so weit, daß sich die Regierung gegen einige hohe katholische Geistliche zu ernsten Maßregeln veranlaßt sah.

In der protestantischen Kirche erregten die eigenen, sehr wohl, gemeinten Absichten Friedrich Wilhelm's eine Zeit lang eine gewisse Bewe gung. Dem von ächt christlicher Liebe erfüllten Herzen des Königs war es von jeher ein Aergerniß gewesen, daß die Lutheraner und die Reformirten troß ihrer Einigkeit in den wichtigsten Glaubenslehren wegen einiger dogma

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tischer Unterschiede kirchlich getrennt blieben. Schon bei der Confirmation des Kronprinzen (20. Januar 1813) sagte der König zu den anwesenden Geistlichen: „Da stehen Sie nun als Brüder zusammen, verkündigen ein Evangelium des Friedens und find doch von einander getrennt durch die Confession ; die Einen nennen sich lutherisch, die Anderen reformirt. Bilden zwei verschiedene Kirchen, sind von einander getrennt. Sollten mit einander verbunden sein.“ Diesen Gedanken trug er fortan mit sich herum, und allmälig reifte derselbe in ihm zu einem Lieblingsplane. Als im Jahre 1817 die dritte Jubelfeier der Reformation begangen wurde, glaubte der König das Andenken des großen Ereignisses nicht besser begehen zu können, als durch eine Vereinigung oder Union der beiden protestantischen Kirchen, jedoch mit rücksichtsvoller Wahrung des Eigenthümlichen im beiderseitigen Lehrbegriffe. Am 27. September 1817 erließ der fromme Fürst eine Cabinetsordre des Inhaltes:

„Schon meine in Gott ruhenden erleuchteten Vorfahren, der Kurfürst Johann Sigismund, der Kurfürst Georg Wilhelm, der große Kurfürst, König Friedrich I. und König Friedrich Wilhelm I., haben mit frommem Ernste sich angelegen sein lassen, die beiden protestantischen Kirchen zu einer evangelischchristlichen in ihrem Lande zu vereinigen. Ihr Andenken und ihre heilsame Absicht ehrend, schließe Ich Mich gern an sie an und wünsche ein Gott wohlgefälliges Werk, welches in dem damaligen unglücklichen Sectengeiste unüberwindliche Schwierigkeiten fand, unter dem Einflusse eines besseren Geistes, welcher das Außerwesentliche beseitigt und die Hauptsache im Christenthume, worin beide Confessionen Eins sind, festhält, zur Ehre Gottes und zum Heile der christlichen Kirche in meinem Staate zu Stande gebracht und bei der bevorstehenden Säcularfeier der Reformation damit den Anfang gemacht zu sehen. Eine solche wahrhaft religiöse Vereinigung der beiden, nur durch äußere Unterschiede getrennten Kirchen ist den großen Zwecken des Christenthumes gemäß, sie entspricht den ersten Absichten der Reformation, sie liegt im Geiste des Protestantismus, sie befördert den kirchlichen Sinn.... Dieser heilsamen Vereinigung, in welcher die reformirte Kirche nicht zur lutherischen und diese nicht zu jener übergeht, sondern beide eine neue, belebte, evange lische, christliche Kirche im Geiste ihres heiligen Stifters werden, steht kein in der Natur der Sache liegendes Hinderniß mehr entgegen, sobald beide Theile mar ernstlich und redlich in wahrhaft christlichem Sinne sie wollen, und von diesem erzeugt, würde sie würdig den Dank aussprechen, den wir der göttlichen Vorsehung für den unschätzbaren Segen der Reformation schuldig find, und das Andenken ihrer großen Stifter in der Fortsetzung ihres unsterblichen Werkes durch die That ehren. — Aber so sehr ich wünschen muß, daß die reformirte und evangelische Kirche in Meinem Staate diese Meine wohlgeprüfte Ueberzeugung mit Mir theilen möge, so weit bin Ich, ihre Rechte und Freiheiten achtend, davon entfernt, sie aufbringen und in dieser Angele genheit Etwas verfügen zu wollen. Auch hat diese Union nur dann einen wahren Werth, wenn weder Ueberredung, noch Indifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigener Ueberzeugung rein hervorgeht und nicht nur eine Vereinigung in der äußeren Form ist, sondern in der Einigkeit der Herzen ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat. Sowie Ich Selbst in diesem Geiste

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Alt-lutherische Gemeinden; die Zillerthaler.

das bevorstehende Säcularfest der Reformation in der Vereinigung der bishe rigen reformirten und lutherischen Hof- und Garnison-Gemeinde zu Potsdam zu Einer evangelisch-christlichen Gemeinde feiere und mit derselben das heilige Abendmahl genießen werde, so hoffe Ich, daß dies Mein eigenes Beispiel wohlthuend auf alle protestantischen Gemeinden in Meinem Lande wirken und eine allgemeine Nachfolge im Geiste und in der Wahrheit finden möge. Der weisen Leitung der Consistorien, dem frommen Eifer der Geistlichen und ihrer Synoden überlasse 3ch die äußere Form der Vereinigung, überzeugt, daß die Gemeinden in ächt christlichem Sinne dem gern folgen werden, und daß überall, wo der Blick nur ernst und aufrichtig, ohne alle unlauteren Nebenansichten, auf das Wesentliche und die große heilige Sache selbst gerichtet ist, auch leicht die Form sich finden, und so das Aeußere aus dem Inneren einfach, würdevoll und wahr von selbst hervorgehen wird. Möchte der verheißene Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo unter einem gemeinschaftlichen Hirten Alles in Einem Glauben, in Einer Liebe und in Einer Hoffnung sich zu Einer Heerde bilden wird."

Die königliche Absicht fand in einem großen Theile der protestantischen Kirche sehr freudige Aufnahme, obwohl sich von vorn herein auch viele Stimmen gegen die Ausführbarkeit des edel gedachten Planes vernehmen ließen. Als jedoch später auf Befehl des Königs eine gemeinsame Agende (Formu lare für die gottesdienstliche Ordnung) im Sinne und Geiste der Union zur Einführung in allen protestantischen Kirchen, auch wo die Union von den Gemeinden nicht angenommen war, ausgearbeitet worden, widersette sich eine Anzahl lutherischer Gemeinden (besonders in Schlesien) diesem Bor haben, indem sie das Wesentliche des lutherischen Bekenntnisses in der unirten Agende vernachlässigt fanden und deshalb ihre alte lutherische Liturgie beis behalten wollten. Vergeblich erklärte der König durch eine Cabinetsordre vom Jahre 1834, daß die Union kein Aufgeben des bisherigen Glaubensbekenntnisses bedeute und die Autorität der besonderen lutherischen oder reformirten Bekenntnißschriften dadurch nicht aufgehoben werden solle; vielmehr werde durch den Beitritt zur Union nur der Geist der Milde ausgedrückt, welcher ungeachtet der Verschiedenheit einzelner Lehrpunkte doch die äußerliche kirchliche Gemeinschaft mit der anderen Confession annehmen wolle; mit der Einführung der gemeinsamen Agende solle endlich kein Zwang zur Union stattfinden. Die vorhandene Aufregung in jenen Gemeinden wurde durch die unvorsichtige Anwendung einzelner Gewaltmaßregeln nur erhöht, und es bildeten sich neben der unirten Landeskirche eine nicht unerhebliche Anzahl von sogenannten alt-lutherischen Gemeinden, welche durch die Verfolgung gerade zu einem um so regeren inneren Leben angereizt wurden und später (1845) die Anerkennung des Staates als eine erlaubte Religionsgesellschaft mit einem besonderen Kirchenregimente erlangten.

Wie Friedrich Wilhelm in seinen Bestrebungen für eine Union dem Beispiele seiner Ahnen folgte, so auch darin, daß er sich als der Schirm- und Schußherr der evangelischen Kirche, selbst in fremden Ländern, erwies. Als die evangelischen Christen im Zillerthale in Tyrol Bedrückungen in der Ausübung ihres Glaubens erfuhren, bot ihnen der König von Preußen ein neues Vaterland in Schlesiens lieblichen Fluren an. Gegen 500 an der Zahl,

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