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18.

(B. 64. Br. 22.)

Worms, den 16. April 1521.

Schon hatte ich meinen lezten Brief geschlossen, als ich soeben aus verschiedenen Meldungen sowie aus dem hastigen Rennen des Volkes entnahm, daß der große Keßermeister seinen Einzug hielt. Ich schickte einen meiner Leute aus, der mir hinterbrachte, daß ihm gegen hundert Reisige, vermutlich die Sickingens, bis an das Stadtthor das Geleit gaben; mit drei Genossen in einem Wagen sigend, zog er in die Stadt ein, umgeben von etwa acht Berittenen und nahm seine Herberge in der Nähe seines sächsischen Fürsten [in einem Hause der Johanniterritter]; beim Verlassen des Wagens schloß ihn ein Priester in seine Arme, rührte dreimal sein Gewand an und berühmte sich im Weggehen, als hätte er eine Reliquie des größten Heiligen in Händen gehabt: ich vermute, es wird bald von ihm heißen, er thue Wunder. Dieser Luther, als er vom Wagen stieg, blickte mit seinen dämonischen Augen im Kreise umher und sagte: „Gott wird mit mir sein". Dann trat er in eine Stube, wo ihn viele Herren aufsuchten, mit deren zehn oder zwölf er auch speiste, und nach der Mahlzeit lief alle Welt hin, ihn zu sehen.

Was wird nun Se. Heiligkeit, ja was wird die Welt von dem Ansehen und der Pflichttreue, von den Befehlen und Versprechungen des Kaisers sagen? Gott verzeihe denen, die ihn so schlecht beraten oder vielmehr verderben und verführen. Nicht erstaunt, nein, bestürzt würden Ew. Herrlichkeit sein über diese Vorgänge; es ist auch an dem schlechten Ausgang unserer Sache nichts Verwunderliches, denn während sie Wunderwerke ver

sprechen, ergreifen die kaiserlichen Räte gerade die ärgsten Maßregeln, so daß, wenn sie nicht in böser Absicht handeln, man sie nicht nur für feige, sondern geradezu für blödsinnig halten muß. Schon triumphiert der Kurfürst von Sachsen, gebärdet sich wie ein Kaiser und König, handelt, wie ihn gelüftet, gegen Gott und Vernunft und thut es um so mehr, seit der Kurfürst von Brandenburg dem Kaiser seine Absicht angezeigt hat, seinen Erstgeborenen mit Madame Renée, der Schwester der Königin Claude von Frankreich zu vermählen); deshalb nimmt man nun auf den Sachsen noch mehr Rücksicht als zuvor. Sie sollten doch wissen, was ich Herrn von Chièvres schon längst gesagt habe, daß sie sich eines schönen Tages von diesem Kurfürsten und den andern Fürsten Deutschlands betrogen sehen werden; und so ist es gekommen und es wird täglich schlimmer, einmal weil es überhaupt auf deutschen Reichstagen so zu gehen pflegt 2) und dann, weil sie mehr mit den Menschen als mit Gott gerechnet haben: drum wird der Herr des Himmels sie zum Gespötte werden lassen. (Schlußformel.) Worms, den 16. April 1521.

1) Beide waren Töchter König Ludwig XII.

2) Es ist interessant, mit diesem Urteil Aleanders über den deutschen Reichstag das des französischen Kanzlers Duprat, der lange bei Maximilian Gesandter war, zu vergleichen. Dieser äußerte gegen den venetianischen Gesandten, er wisse, wie es auf dem Reichstage zugehe. Da kämen viele große Fürsten zusammen, aber je mehr ihrer kämen, um so ärger sei die Verwirrung. Alle wollten reden, nichts komme zustande. Werde selbst ein Beschluß gefaßt, so widerseyten sich diejenigen, welche ihm widersprachen, feiner Ausführung. Nach Baumgarten, S. 409.

(B. 67. Br. 23.)

19.

Worms, [den 17. April] 1521.

Heute in aller Frühe habe ich mit dem Beichtvater fonferiert, um die unserem Vorhaben entsprechenden Weijungen zu geben. Dann ordnete ich im Palaste, wo man noch in feiner Frage zu einem Entschlusse gekommen war, an, daß die Kurfürsten auf zwei Uhr nachmittags, die übrigen Fürsten und Stände auf vier Uhr zum Kaiser geladen würden, und daß dann auch Luther erscheinen solle, um allein auf die vorgelegten Fragen zu antworten, ohne weiter gehört zu werden. Ich selbst habe die bezüglichen Bestimmungen aufgesezt, die jedoch nicht in unserm Namen vorgelegt wurden, denn wir haben uns in unserm schriftlichen Antrage nach dem Wortlaute der Bulle gerichtet, da es uns eben nicht zukommt einen andern Weg einzuschlagen und schließlich derjenige der beste ist, der zum Ziele führt.')

1) Das Resultat dieser „langen zwischen den päpstlichen Nuntien, dem Kanzler Gattinara und dem Beichtvater stattgehabten Erörterungen" liegt uns in einem kurzen Schriftstück (Balan Nr. 42.) vor, in welchem zunächst bemerkt wird, daß der Kanzler und der Beichtvater in Sachen Luthers den folgenden Beschluß über das vom Kaiser einzuschlagende Verfahren gefaßt haben, den vorzugsweise der Beichtvater formulierte und diktierte; die Nuntien geben zu Protokoll, daß von ihnen ein derartiger Antrag nicht ausgegangen sei, wenn jedoch der Kaiser diesen Weg einschlagen wolle, so möge er es aus eigener Initiative thun. Folgendermaßen soll also vorgegangen werden: gutgesinnte und wohlunterrichtete Männer sollen Luther im Auftrage des Kaisers fragen, ob er die unter seinem Namen umgehenden Bücher als die seinigen anerkenne; wo nicht, solle er das urkundlich erklären; wenn er sie als seine Werke in Anspruch nehme und die vom Papste verdammten, wie die gegen den Glauben, die Konzilien, Dekretalien u. s. w. gerichteten Säße

Unter allgemeinem Zulauf erschien nun der Erzkeßer 1) und wurde vor Kaiser, Fürsten und Ständen im Namen von Kaiser und Reich, wie folgt, befragt, und das Glück wollte, daß mit dieser Aufgabe der Offizial von Trier, Doktor Eck2), betraut war, ein gelehrter, rechtgläubiger und in Ausführung der apostolischen und kaiserlichen Mandate höchst gewissenhafter Mann, der in Trier die kezerischen Bücher so gründlich verbrannte, daß auch nicht eine übrig blieb. Dieser wahrhaft ausgezeichnete Mann, für den Gott gepriesen sei, wohnt mit mir in demselben Quartier, und sein Zimmer stößt an das meinige.

Der redete nun Luther folgendermaßen an: „Martin Luther, Kaiser und Reich haben Dich hierher beschieden, damit Du ihnen sagest und erklärest fürs erste, ob Du diese Bücher da verfaßt habest", denn ich hatte auf kaiserlichen Befehl fünfundzwanzig oder mehr lutherische Bücher hingeschickt —, „und die andern, die Deinen Namen tragen; daß Du sie zweitens wissen lassest, ob Du diese Bücher verteidigen und aufrecht erhalten wollest". Und nun wurden die Titel der Schriften, einer nach dem andern, verlesen.3)

sowie seine Schmähschriften nicht widerrufen wolle troß geschehener Ermahnung, solle der Kaiser ohne Verzug und Ausflüchte gegen ihn einschreiten. Wenn Luther widerrufe oder seinen Säßen einen gut katholischen Sinn gebe, auch die bei Klerus und Volk verbreitete Auffassung seiner Lehre abschwöre, solle er das in einem Buche öffentlich erklären und zu Gnaden aufgenommen werden. Wenn er einen Teil der Schriften nicht verfaßt haben wolle, sollten diese protokollarisch festgestellt, im übrigen wie oben verfahren werden. Die Bücher sollten unterdessen sequestriert und später verbrannt oder der rechtlichen Entscheidung gemäß behandelt werden.

1) „In der Pfalz oder des Bischofs Hof, darin Kais. Maj. und Jhr Bruder Erzherzog Ferdinand zu Herberg liegen". S. Spalatins Bericht, Förstemann, S. 69.

2) Johann von Eck (1524 †) war Jurist und besaß die Pfarre zu St. Gangolf in Trier wohl nur als Kommende.

3) Wie die unten ausführlicher erörterten Acta Aleanders (Bal. Nr. 68.) bemerken, sprach der Offizial zuerst lateinisch, dann wiederholte er auf Befehl des Kaisers die Frage deutsch. Unter den am Ende der Acta zum Teil sehr ungenau, ja unkenntlich aufgeführten Schriften Luthers, die Wiederholungen abgerechnet 19 Nummern, so daß, wenn nur diese Aleander augenblicklich bekannt waren, er sich Medici gegenüber in der Zahl etwas geirrt

Darauf antwortete Luther erstens, er bekenne, daß alle diese Bücher von ihm seien, — das war aber eine Lüge, da man sehr wohl weiß, daß einige der Bücher andere Verfasser haben, obwohl sie unter Martins Namen gehen, und er werde sie immer als sein Eigentum anerkennen. Auf die zweite Frage hieß es, weil es eine der schwierigsten Sachen von der Welt wäre, als die den Glauben betreffe, so müsse er sich Bedenkzeit erbitten. Darauf zog sich der Kaiser mit seinem geheimen Rate zurück, desgleichen die Kurfürsten besonders wie auch die übrigen Fürsten und die Städteboten.

Nachdem man den Fall in Erwägung gezogen, redete wieder der erwähnte Offizial im Namen von Kaiser und Reich: da er doch zuvor vom Kaiser geladen sei und die Ursache solcher Ladung ihm eröffnet sei, so müsse man sich billig verwundern, daß er bei seiner Herkunft die Antwort nicht bereit gehalten habe; auch wolle man in der Glaubensfrage grundsäglich keinen Aufschub gewähren, da es nur mit Gefahr und Aergernis der Gläubigen geschehen könne, wollte Gott, sie hätten so, wie es pflichtgemäß war, schon vor fünf Monaten gehandelt —, dessen unbeschadet sei ihm aus reiner kaiserlicher Gnade auf morgen Nachmittag um 4 Uhr) ein zweiter Termin gesezt; alsdann ließ ihm der Kaiser durch den Offizial sagen 2), er solle wohl bedenken,

hat, figurieren mit Recht die in den Depeschen schon erwähnten leßten Schriften: An den deutschen Adel, Von der babylonischen Gefängnis (lat.), Grund und Ursach (lat. und deutsch), Wider die Bulle (lat.), Von der Freiheit eines Christenmenschen und die kleineren Stücke, die Appellation an ein Konzil sowie die Rechtfertigung der Verbrennung der Bulle; ferner aus der Zeit von 1519 auf 20 der Sermon von guten Werken (auch in lat. Uebersehung) und der von der Messe; der Psalmenkommentar wird aufgeführt neben der ganz unverfänglichen Auslegung des Vaterunsers und dem Sermon von Bereitung zum Sterben; die gröberen Streitschriften sind vertreten durch Luthers deutsche Erwiderung auf das vom Offizial zu Stolpe, d. h. dem Bischof von Meißen, gegen Luthers Sermon vom Abendmahl erlassene Dekret, sowie durch die Schrift „an den Bock zu Leipzig“ (Emser). 1) In den Acta Aleanders wird die fünfte Stunde nach Mittag genannt. Bal. p. 177.

2) In seinen für die Oeffentlichkeit bestimmten Acta stellte Aleander diese Ermahnungen wohlweislich in breitester Ausführung an die Spiße des Bescheides; danach will der Kaiser Luthern ernstlich in aller Güte und

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