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niemanden giebt, weder Prälaten noch Fürsten, der nicht entweder ganz gegen uns wäre oder, wenn er für uns, oder besser gesagt für sein eigenes Wohl ist, offen hervorzutreten wagte; ein so tödliches Entseßen hat alle gepackt, daß sie sich von einem Hutten bedrohen und bald schon mit Füßen treten lassen, ohne sich zu rühren. Der Kaiser allein ist noch zuverlässig, denn er ist von Natur gut und religiös, vorausgesezt daß sein Gewissensrat ihn aufrecht hält. Aber seine ganze übrige Umgebung verabsäumt aus den verschiedensten Gründen in Sachen Luthers ihre Schuldigkeit zu thun. Und so bleiben die besten Vorsäße des Kaisers unausgeführt, da er für angemessen hält seiner Jugend halber sich dem Rate dessen anzuvertrauen, der ihn bisher geleitet hat;1) und wenn er auch gelegentlich befiehlt und wohl auch mit zorniger Bestimmtheit seinen Willen kundgiebt, daß man nach unserm Wunsche verfahre, so unterbleibt es doch regelmäßig und es läßt sich daran auch nichts ändern, denn auf all' unser Reden, Ermahnen, Bitten, Klagen und Schelten rühren sie sich ganz unbegreiflicher Weise nicht vom Flecke. Und so müssen wir uns leider Gottes denen anvertrauen, die wir auf krummen Pfaden sehen, und es ist daran auch nichts zu bessern, da wir keine andere Hilfe finden und, wenn wir gar unsere jeßigen Bundesgenossen für feindselig oder verdächtig halten müßten, alles verloren wäre; es bleibt uns nichts übrig, als ihnen gute Worte zu geben, goldene Berge und Kardinalshüte und -hütchen zu versprechen, um sie auf die rechte Straße zu führen.

Mit dem Hinweis auf Glauben, Religion und Seelenheil richtet man so wenig aus wie mit Segen oder Fluch, denn alle Welt ist hier lau im Glauben und spöttelt darüber.

Was ich hier schreibe, ist die lautere und gewissermaßen evangelische Wahrheit, die ich eines Tages, so Gott will, noch mündlich darzulegen hoffe; auch sind neue Mittel von nöten, die ich nach meiner geringen Einsicht angeben werde. Möchten nur Se. Heiligkeit und Ew. Herrlichkeit, eingedenk der Worte Christi: Petrus, ich habe für dich gebeten“, standhaft und mutig bleiben, weil wir doch endlich den Sieg behalten. Sollte sich aber unter

1) Herr von Chièvres.

dessen ein größeres Aergernis creignen, dann wehe denen, die es hätten verhüten oder unterdrücken können und haben es nicht gethan, und wehe auch denen, und stünden sie noch so hoch, durch die das Aergernis kommt.

Se. Heiligkeit und Ew. Herrlichkeit wollen meinen armen Rat und Trost mir zu gute halten; bei meiner Rückkehr werde ich noch andere Dinge berichten. Man glaube indessen nicht, daß der Nuntius und ich, so lange wir hier am Reichstage_sind, nicht alle Kräfte aufböten, um auf friedlichem Wege ans Ziel zu kommen. Doch kann es nicht schaden, auch auf den schlimmsten. Fall gerüstet zu sein und in dieser Hinsicht ist vieles zu befürchten, denn wenn sie auch Sr. Heiligkeit durch ihren Gesandten1) die schönsten Dinge sagen lassen, so geht die Sache doch den beschriebenen schlimmen Gang. Sie mögen ja jezt etwas gewissenhafter und behutsamer verfahren als anfangs, doch hat sich, wie ich fürchte, die Wunde, die wir bei Fortsetzung unserer anfänglichen Behandlung längst geheilt hätten, in der übelsten Weise verschlimmert, so daß alle und selbst die, welche früher anders dachten, an ihrer augenblicklichen Heilung verzweifeln: so frech erhebt der sächsische Drache sein Haupt, so furchtbar haben sich die lutherischen Basilisken vervielfältigt, die jest weit und breit nach Herzenslust geifern, während die Kaiserlichen zitternd verstummen.

[Es folgt eine wortreiche Entschuldigung der Weitschweifigkeit des Autors, die in dem Saße gipfelt: „wes das Herz voll ist, u. s. w.“]

Gestern sagten uns die Räte im kaiserlichen Kabinett, daß sie ihrem Gesandten weit günstigere Nachrichten über Martin zum Bericht an Se. Heiligkeit übermittelt hätten, als wir einzusenden pflegten und beschwerten sich gewissermaßen über uns; wir entgegneten, es sei uns nichts erwünschter, als wenn sie uns, freilich nicht mit Briefen oder mit Worten, sondern mit Thaten Lügen strafen möchten.

1) Karl war seit April 1520 bei der Kurie durch den vornehmen Caftilianer Don Juan Manuel vertreten, der seit beinahe zwei Decennien sich einen hervorragenden Ruf als ein ebenso gewandter und verschlagener als energischer Diplomat im Dienste des burgundisch - habsburgischen Hauses erworben hatte und die kaiserliche Politik auf diesem schwierigsten Terrain mit glücklichem Erfolge vertrat. S. Baumgarten, S. 281 ff. 505 ff.

Kalkoff, Die Depeschen.

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Schon vor vier Tagen sagte mir der Beichtvater, daß der Herold an den Kaiser berichtet habe, wie er nun jenes Ungeheuer (mostro) mit sich führe, wie, ohne daß er's hindern könne, alle Welt, Knaben und Mädchen, Alte und Junge ihm entgegenströmten. Nun hatten wir wohl zehnmal den Kaiser gebeten, so weit es irgend thunlich sei, Luther in der größten Heimlichkeit durch die Ortschaften ziehen zu lassen, und hatten die heiligsten Zusagen erhalten, aber da die Diener des Kaisers sich nur von ihrer Selbstfucht und weltlichem Interesse leiten lassen, so kehrte man sich nicht an das Versprechen. Es ist dies derselbe Herold, der im Saale des Kaisers gegen einen Begleiter des Bischofs von Sitten das Schwert zückte, als er den Papst gegen den Mönch [Prior] Johannes Faber von Augsburg1) verteidigte; dieser aber hatte, obwohl vom Papste mit Wohlthaten überhäuft, in seiner deutschen Leichenrede auf den Kardinal [Wilhelm] von Croy 2) den heiligen Stuhl geschmäht.

1) Dieser Faber, zum Unterschied von dem Mitarbeiter an der confutatio und Bischof von Wien Augustanus genannt, war Doktor der Theologie und Philosophie und Generalvikar der deutschen Ordensprovinz der Dominikaner; durch die Gunst des mächtigen Erzbischofs von Salzburg Hofprediger Kaiser Marimilians, bekleidete er jezt dieselbe Stelle bei Karl V. und erwies sich auch litterarisch als einen entschiedenen Gegner der Reformation. Er starb 1531.

2) Der Kardinal, Erzbischof von Toledo und Primas von Spanien, der Neffe Chièvres', der 1517 zum tiefen Verdruß der Spanier als Zwanzigjähriger des großen Jimenez Nachfolger geworden war, war in der Nacht des 6. Januar gestorben; weil die Wahl eines dem König feindlichen Nachfolgers wegen des in Spanien ausgebrochenen Aufstandes der Comuneros verhängnisvoll werden konnte, wurde der Todesfall noch mehrere Tage geheim gehalten. Vgl. Baumgarten, S. 83 und 405. Ueber die Vorgänge bei den am 22. Januar abgehaltenen Erequien giebt ein von Balan (Nr. 15.) veröffentlichter Brief Auskunft. Danach lagen dem Auftreten des Herolds politische Motive zu Grunde; der Redner hatte den Kaiser zum Einschreiten gegen Luther aufgefordert, wenn der Papst seiner Pflicht nicht nachkomme. Dann aber hatte er den Kaiser zur Eroberung Italiens, das ihm von Rechtswegen gebühre, und die deutschen Fürsten zur Unterstüßung des durch den Papst, Venedig und Frankreich bedrohten Kaisers aufgefordert. Diese wesentlich gegen Frankreich gerichtete Predigt sollte von dem Kardinal von Sitten inspiriert sein; dem Tadler derselben hatte der Herold am andern Vormittag bei Hofe gedroht ihn in den Rhein werfen zu wollen. Der Herold

Dieser Herold nun ist ein übermütiger Narr und Tölpel, ein grimmiger Feind des Klerus und gerade der rechte Mann, um dem Martin ein auf der Reise geschehenes Wunder oder eine Erscheinung des heiligen Geistes über seinem Haupte, wie er ja schon abgebildet wird, anzudichten. Und obwohl er als weltbekannter Lügner gar keinen Glauben verdiente, so ist das Volk doch von einer so tollen Leidenschaft für Luther besessen, daß sie dem Teufel selbst, der sie übrigens schon alle reitet, glaubten, wenn er nur von diesem nichtswürdigen Luther Gutes spräche. Da uns die Kaiserlichen Namen und Aufbruch des Heroldes hartnäckig vorenthielten, fonnten wir die Wahl dieses Mannes nicht verhindern; sie fürchteten wohl, wir möchten den Herold mit Geld bestechen, damit er Luther von der Herkunft abschrecke, die sie damals lebhaft wünschten (vgl. Nr. 14. S. 93 f.], die sie jezt bereuen, oder wir möchten ihm unterwegs auflauern lassen; beides war jedoch grundfalsch. Thatsache aber ist, daß wir eine geraume Zeit hindurch weder vorher noch nachher auf irgend einem Wege über die beiden Punkte etwas in Erfahrung bringen konnten.

Nun, da die Kaiserlichen sichere Nachricht von Luthers Kommen haben, das sie früher so heiß ersehnten, stehen sie anscheinend wie vom Donner gerührt. Wir haben nach dem gnädigen Schreiben des Kaisers an ihn keinen Augenblick daran gezweifelt, daß er sich zur Reise entschließen würde; nun schickten sie am Samstag den Beichtvater, damit er mit dem Nuntius und mit mir die zu ergreifenden Maßregeln bespreche; wie wir immer erklärt hatten, daß Vernunft und Billigkeit, Ehre und Vorteil die Herkunft dieses Menschen verbieten, die der Welt nur zum Aergernis und ihnen zur Schande gereiche, so bestanden wir jest, da sie es einmal so gewollt haben, darauf, daß wenigstens die Pflicht gegen Gott und seinen Statthalter und die Ehre des Kaisers gewahrt werde.

Als nun Glapio im Namen des Kaisers unseren Vorschlag hören wollte, erklärten wir es erstens für notwendig, daß der Kaiser ihn möglichst unbemerkt die Stadt betreten lasse, daß er

interessierte sich also wohl in erster Linie für die vom Papste bekämpfte Eroberung Mailands.

ihm ferner eine Wohnung in seinem Palaste anweise, wo kein Verdächtiger mit ihm verkehren könne, und endlich, daß ihm, wie in dem Reichsdekret vorgesehen ist, schlechthin die Frage gestellt werde, ob er widerrufe; beobachte man aber diesen lezten Punkt nicht, so werde das Uebel nur verschlimmert. Der Rat gefiel dem Beichtvater, wir trugen ihn auch sofort dem Kaiser persönlich vor und empfingen darauf hin seine Zusage; am folgenden Tage aber hörten wir, daß er im Augustinerkloster wohnen und eine Wache haben werde, so daß keiner, der dem Kaiser nicht genehm sei, mit ihm verkehren könne; ich glaube aber, daß man, wie bisher immer geschah, auch hierin das gerade Gegenteil thun wird.

Am Sonntage hörte Caracciolo, daß die kaiserlichen Räte beabsichtigten zwischen den Irrlehren Luthers einen gewissen Unterschied zu machen: er sollte nur einige dogmatische Säße widerrufen, seine Angriffe auf die päpstliche Gewalt aber wollten sie ihm durchgehen lassen. Gleich eilten wir zum Kaiser und erhielten das Versprechen, daß er noch mehr als verabredet leisten oder doch im schlimmsten Falle nach dem Reichstagsbeschlusse handeln werde. Wenn es nur so geschieht! (Schlußformel.)

Worms, in Eile, den 13. April 1521 um zehn Uhr nachts.

An die am Ende dieses Briefes erwähnten Verhandlungen Aleanders mit Glapio, als dem Vertreter des Kaisers, schließt sich auch das lateinische Billet an, in welchem am 16. April auf das Gerücht von Luthers Ankunft in Worms Aleander den Beichtvater ersucht, falls der Kurfürst von Sachsen an demselben Tage noch eine Reichstagssißung ansage, in der Luther sprechen solle, ein so gefährliches Vorhaben zu hintertreiben, da das Heil der Kirche, die Autorität des Papstes und die Ehre des Kaisers auf dem Spiele stehe. (Bal. Nr. 66. Br. Nr. 21.)

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