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veranlaßt habe. Er traf am 20. Mai wieder in Hamburg ein, und nach vier Wochen, am 21. Juni, erschienen die brandenburgischen Abgesandten und der Hamburger Dompropst Joachim von Klizing und als Mecklenburgische Vermittler der Dompropst von Razeburg Johann Mueß, der Dekan von Schwerin Johann Kunzen und als einziger Weltlicher Barthold Sule, Vogt von Boizenburg. Joachim Wegedorn war es wieder, der in Gegenwart des Rats, des Kapitels und dieser Gesandten die Rechte der Juraten verteidigte. Als die Juraten alle Vermittelungen abwiesen und gefragt wurden, wie sie denn das Recht fördern wollten, antworteten sie: „Bei dem Kapitel ", worauf die fürstlichen Abgesandten nicht weiter zu raten wußten und die Sache Gott und dem Rechte befahlen. Dadurch aber, daß die Juraten sich auf das Kapitel beriefen, hatten sie sich an ihr Recht und Geseß gehalten, da ja kirchliche Dinge unter der Aufsicht des Kapitels standen. Damit war die fürstliche und die erzbischöfliche Einmischung bei seite geschoben. Das Kapitel aber hatte schon früher, am 22. Januar 1523, auf Andrängen der Bürger Banskow's Amtsenthebung ausgesprochen.

Banskow machte sich jetzt seine Eigenschaft als päpstlicher Akoluth, die ihn von der gewöhnlichen Jurisdiktion befreite, zu nuze und wandte sich nach Rom. Von hier stellte der päpstliche Auditor, Bischof Mercurius de Vipera, am Weihnachtsabende 1523 zwei fulminante Schreiben aus, ganz in dem autokratischen, selbstbewußten, infallibeln Kurialstil gehalten. Alle Beklagten sollten sich 60 Tage nach dem Bekanntwerden des Schreibens in Rom vor dem Tribunal des Papstes stellen, alle Neuerungen aufheben bei Strafe der Exkommunikation, des Interdikts und einer Geldbuße von 10,000 Dukaten. Die Verklagten sind die Kirchgeschworenen aller vier Kirchspiele, die Leichnamsgeschworenen, jene sechs Priester und dann noch etliche angesehene Bürger, u. a. Hermann Soltau, weil er den Scholastikus gehindert habe an der Nußnießung eines Hofes oder Gartenhäuschens in Eppendorf. Dies lateinische Schreiben ist in acht Oktavseiten abgedruckt; auf dem Umschlage desselben, der kurz die Inhaltsangabe enthält, werden aber noch, in der Art eines Postskriptum, drei Bürger und der Propst des Harvestehuder Nonnenklosters namhaft gemacht,

die gleichfalls unter demselben Banne stehen wie die im Schreiben Genannten. Was sie verbrochen haben, findet sich nicht angegeben, und wir können darüber nur Vermutungen aussprechen.1) Man sieht aber, mit welcher Leichtfertigkeit man in Rom mit dem Banne drohte, wenn es galt, einen Anhänger des Papstes zu schüßen. Wenn etwas Gravierendes gegen diese vier vorgelegen hätte, so würde es gewiß eben so genannt worden sein wie Soltaus Vergehen.

Diese beiden römischen Schreiben hatten aber ganz und gar nicht den gewünschten Erfolg für Banskow. Es kam vielmehr am 10. September 1524 eine Einigung zu stande, nach deren wesentlichem Inhalte der Scholastiker seine Ansprüche auf die Nikolaischnle aufgiebt und die Juraten allein dieselbe zu beaufsichtigen haben. Alle Zwiste, Prozesse, auch bei der Kurie in Rom, sollen niedergeschlagen sein, kein Schadensersaß von irgend einer Seite beansprucht werden. Unterschrieben wurde der Vergleich vom Rate, vom Kapitel und von 59 Bürgern aus allen vier Kirchspielen, die damals oder schon früher Juraten waren.

Banskow hatte aber am Tage zuvor gegen jede Einigung, die vorgenommen werden würde, Protest erhoben, und leider finden wir als Zeugen nicht blos die Domherren, sondern sieben Ratsherren, darunter die drei Bürgermeister vom Holte, Hohusen und Salsborch nebst dem Propst vom Kloster Reinbeck, Doktor Detlev Reventlow, unterzeichnet. Schon hieraus ist zu ersehen, daß die Sympathieen von einem Teile des Rates bei aller Gefügigkeit gegen die Juraten auf seiten des Kapitels standen.

Banskow verließ am selben Tage Hamburg. Denn am nächsten Tage läßt er vor Notar und Zeugen in Lübeck einen Protest gegen die geschehene Einigung auffeßen.

Er läßt nichts unversucht, sein Recht und seine Ansprüche durchzusehen; da die benachbarten Fürsten und der Erzbischof von Bremen ihm nicht hatten helfen können, da der römische Auditor nichts hatte ausrichten können, so begiebt er sich noch in demselben Jahre selbst nach Rom.72) Allein dies war jezt von keinem Erfolge mehr. Jetzt waren bereits andere Männer auf den Plan getreten, und es handelte sich nicht mehr um Privilegien und Jura, die zu verteidigen oder zu beseitigen waren.

Die Einigkeit und Einmütigkeit, die die Bürgerschaft unter ihren besten Führern bewiesen hatte, führte nach jahrelangem Ringen auch zur Freigebung der evangelischen Predigt.

Wer Banskom die Anerkennung nicht versagen will, daß er sich Schritt um Schritt in seiner angegriffenen Position mit seinem wohlerworbenen Rechte verteidigt hat; wer gegen die Juraten geltend machen will, daß durch sie das bestehende Recht verlegt worden sei, dem räumen wir dies ein. Wenn aber irgendwo das Sprichwort gilt, summum jus summa injuria, so gilt es auch hier. Das formelle Recht hatte Banskom auf seiner Seite, wenn er die Gründung einer dritten Schule hindern wollte. Daß die Bürger dies forderten, um 1522 noch eine dritte höhere Schule zu haben, zu den seit 1281 bestehenden, war wohl gerechtfertigt. Die Versagung dieser Bitte war eine harte, nicht zu ertragende Unbill, die nur von dem hierarchischen Starrsinn ausgehen konnte. Für den römisch-katholischen Standpunkt bestehen freilich alle Rechtsnormen vermöge göttlichen Rechtes. Wer sich dagegen auflehnt, ist ein Empörer und Revolutionär. Alle Einwendungen und alle Vorstellungen hatten bei dem Scholastikus nichts vermocht, bis er dann endlich selbst weichen mußte.

Bei den Fortschritten der Reformation mußte das Kapitel die Schulangelegenheiten auf sich beruhen lassen. Als der Dompropst und der Dekan 1528 Hamburg verließen und ihre Beschwerden beim Reichskammergericht vorbrachten, kamen auch die Schulangelegenheiten zur Sprache; der lange Prozeß endigte erst 1560 mit dem sogenannten Bremischen Vergleich, durch welchen dem Kapitel die geistliche Gerichtsbarkeit über die Stadt und die Aufsicht über das Schulwesen entzogen wurde.

Drittes Kapitel.

Die Predigt des Evangeliums und der Widerstand des Domkapitels.

In den bisherigen Ereignissen hat sich gezeigt, wie die langjährige Spannung zwischen dem Scholastikus und der Bürger

schaft zum Bruch geführt hatte; leztere hatte unter der Führung der Juraten sämtlicher Kirchspiele gesiegt; nicht mehr ein einzelnes Kirchspiel hatte für sich allein den Kampf geführt, sondern gemeinsame Interessen hatten sie vereinigt. Es war augenscheinlich, daß weder die benachbarten Fürsten noch der Erzbischof von Bremen geneigt waren, sich in die inneren Angelegenheiten der Stadt zu mischen. Der Rat war unschlüssig und hatte nur mit halbem Herzen zugestimmt. Aber von einer evangelischen Reformation ist noch keine Spur warzunehmen; lutherische Bestrebungen hatten sich kaum bemerkbar gemacht. Eine positive Erneuerung des sittlich religiösen Lebens konnte ja auch aus allen den erwähnten Vorgängen noch nicht entstehen: diese konnte nur aus dem unvergänglichen Samen des göttlichen Wortes heraus geboren werden. Nun waren zwar die geläuterten Predigten des greisen Ordo Stemmel unterdrückt worden. Eine positiv evangelische Bewegung bemächtigte sich erst der Gemüter durch die Wirksamkeit des Stephan Kempe, der als der eigentliche Reformator Hamburgs anzusehen ist.

Am Palmsonntage des Jahres 1523 hatten die Bürgermeister, wie oben berichtet worden, dem Scholastikus die Versicherung gegeben, es werde sich noch alles zum Guten kehren. In derselben Woche, gegen Ostern, das auf den 5. April fiel, war Stephan Kempe in Hamburg eingetroffen.

Er ist derjenige, welcher fast vier Jahre hindurch als der einzige Geistliche das Evangelium hier gepredigt hat. Durch seine unverdrossene evangelische Verkündigung streute er den Samen, aus dem ein neues kirchliches und bürgerliches Leben erwachsen ist. Es beruht auf einer Vermutung, daß Stephan Kempe von Geburt ein Hamburger war. Gegen diese Annahme scheint der Umstand zu sprechen, daß er in seinem Berichte über die hiesige Reformation nie seine Herkunft aus Hamburg erwähnt. Sein Name kommt zuerst in der Matrikel der Universität Rostock vor. Da= selbst ist er in die philosophische Fakultät am 18. April 1521 als Stephanus de Kempis eingetragen worden,73) was auch als Stephan von Kempen, Kampen erklärt werden kann. Und wenn er in ungedruckten Urkunden 74) der Minoriten vom Jahre 1525 Febr. 24. und 1526 Jan. 10. Stephanus Campianus genannt

wird, so möchte dies uns in der Annahme, daß seine Geburtsstadt Kampen war, bestärken. In seinen unmündigen Jahren ist er einem Franziskanerkloster übergeben worden. Zu Rostock studierte er unter Doktor Barthold Moller Theologie und erlangte den Grad eines Baccalaureus der heiligen Schrift. Die Rostocker Fakultät hing noch ganz und gar der römischen Kirche an. Moller, der in den Jahren 1526-1529 für die Sazungen derselben in Hamburg eintrat, stand mit dem Friesen Cornelius von Sneek, dem von Amtswegen berufenen Inquisitor der Keßerei, an der Spize der theologischen Fakultät. Allein es hatten sich doch auch andere Richtungen bereits in Rostock geltend gemacht. Wiklefitische Lehre hatte sich bald nach der Gründung der Universität (1419) eingeschlichen; von waldensischen und hussitischen Einflüssen scheint der Magister Nikolaus Ruze, bisher bekannter unter dem Namen Nikolaus Ruß, welcher gegen die Unverschämtheiten des Ablaßhändlers Arcimboldi geeifert hat, nicht frei gewesen zu sein. Vor allem aber traten im Anfange der zwanziger Jahre Franziskaner aus dem Katharinenkloster, dem Stephan Kempe angehörte, als Anhänger der reformatorischen Lehre auf. Im Jahre 1524 wird als Lektor provincialis des Klosters Valentin Korte genannt. Als solcher hatte er den Mönchen theologische Vorlesungen zu halten. Er gehörte zu denen, die zuerst in Rostock evangelisch gepredigt haben, und ist als D. Valentin Curtius einer der ersten evangelischen Prediger in Lübeck, seiner Vaterstadt, geworden. Heinrich Never, der Reformator Wismars, war gleichfalls Franziskaner in Rostock. Von 1520-22 hatte Sylvester Tegtmeyer in der Jakobikirche zu Rostock gepredigt, der sich um die Einführung der Reformation in Livland verdient gemacht hat, und Joachim Slüter, der Verfasser des ältesten niederdeutschen Gesangbuches, war während der zwei Jahre, ehe Kempe nach Hamburg kam, Lehrer an der Petrischule in Rostock gewesen.75)

Ein halbes Jahr nachdem die schon genannte Versammlung der Franziskaner in Hamburg stattgefunden hatte, welche die Gegner des Mönchswesens zu kecken Spöttereien herausgefordert hatte, wurde Stephan Kempe von seinen Vorgesezten aus Rostock in Geschäften seines Ordens nach Hamburg gesandt.

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