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Kinder lernen lassen wollte. Diese Angelegenheit war für den Bürger von lebendigem Interesse. Neben der Domschule bestand nun schon seit 1281 eine Schule an der Nikolaikirche, deren Errichtung Erzbischof Giselbert von Bremen genehmigt hatte. Durch eine vom Kirchspiel bewahrte Bulle des Papstes Martin IV. war ausdrücklich den Bürgern von St. Nikolai erlaubt, eine Grammatikschule für ihre Kinder zu halten. Eine Deputation der Kirchspielgenossen unter Führung des Ratsherrn Johann von Lüneburg hatte sich nach Rom begeben, um die erzbischöfliche Erlaubnis vom Papste bestätigen zu lassen. Troßdem behauptete das Kapitel und der Scholastikus, daß die Nikolaischule unter seiner Aufsicht stände. Nun trat nach acht Jahren der Erzbischof vermittelnd auf. Aber diese Vermittelung war die Quelle fortgesetzten Zwistes. Denn es ist selbstverständlich, daß bei jeder streitigen Frage die Bürger sich auf die Bulle Martins IV. beriefen und das Kapitel auf den erzbischöflichen Vergleich. Leider sehen wir, daß es sich bei lezterem nie um sachliche Dinge, etwa die Verbesserung der Schule handelte, sondern stets um eine Machtfrage und bei dem Scholastikus um eine Geldfrage: denn die Einnahme aus dem Schulgeld der Domschüler wurde für den Scholastikus geringer, sobald die Nikolaischule gut besucht war. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts wurde nun dem Rate auch gestattet, deutsche oder Schreibschulen anzulegen; um 1430 hatten sie schon deren vier. Auch privatim wurde Schule gehalten: alte Priester und Vikare unterrichteten wohl in Bürgerhäusern Kinder aus verschiedenen Familien, so daß der Scholastikus Banskow die Konzession macht, daß er es sich wohl gefallen lassen wolle, wenn zwei oder drei Kinder von einem Priester unterrichtet würden. Zugleich beklagt er sich, daß auch alte Weiber Schule hielten, wohingegen er verklagt wird, daß er viel Schulgeld von etlichen Schulmüttern und frommen Priestern eingezogen habe. Um die vier deutschen Schulen zu unterdrücken, war der Scholastikus Johann Duker 1473 selbst nach Rom gereist. Der Hamburger Rat ließ seine Sache daselbst von Diedrich Arndt aus Hamburg führen, der 1506 Bischof von Lübeck wurde. Aber trog aller Hoffnung desselben, den Prozeß zu gewinnen, der von einer Instanz an die andere ging und zu dessen Untersuchung

Geistliche in Lüneburg, in Paderborn, in Lübeck vom Papste delegiert wurden, wurden der Rat und die vier schulhaltenden Priester exkommuniziert und der Rat zu einer Entschädigungszahlung von 628 Mark verurteilt. Das geschah im Jahre 1477. Außerdem verlor aber der Rat die Selbständigkeit seiner Schulen, statt vier durfte er nur eine Schreibschule für 40 Schüler halten; er hat den Lehrer nur zu präsentieren, und der Scholastikus läßt diesen zu, wenn er tüchtig ist. Der Scholastikus behält die Aufsicht und Oberhoheit. Nun erst wurden der Rat und die vier Schulhalter vom päpstlicheu Banne freigesprochen. Indes in der Folge entbrannte der Streit aufs neue, als bereits Ordo Stemmel seine reformatorischen Predigten gehalten hatte und als Heinrich Bansfow Scholastikus war.

Da derselbe im Jahre 1499 zu dieser einflußreichen Stellung gewählt wurde, so muß er wenigstens das für höhere Benefizien bestimmte Alter von zweiundzwanzig Jahren gehabt haben, also wird er zwischen 1470 und 1480 geboren sein. Vielleicht gehörte er zu der Wismarer Familie gleichen Namens, aus der der Bürgermeister Johannes Banskow stammte, welcher im Jahre 1417 hingerichtet wurde, als der Rat im Kampfe mit den Aemtern unterlag. Aus des Scholastikers Testament geht hervor, daß er einer kleinen, wohlhabenden Familie entstammte. Seinen Geschwistern hat er beim Tode der Eltern Haus und Hof, Acker und Feld überlassen und nur einen silbernen Löffel und ein „geringes Bett" für sich behalten. So uneigennüßig er sich gegen seine Geschwister bewies, so kann man ihn doch nicht von dem Vorwurfe frei sprechen, daß er auf Geld und Geldeswert zu großes Gewicht legte. Er gelangte zu hohen Würden und großen Reichtümern. Boten ihm nun auch seine verschiedenen Aemter die Gelegenheit, sich Schäße zu sammeln, wird er auch von Fürsten mehr als eine der damals üblichen Verehrungen, silberne Pokale und Schüsseln empfangen haben, so ist doch der Verdacht nicht abzuweisen, daß manche seiner Kostbarkeiten und Kleinodien aus dem Ertrage des Ablaßhandels herflossen. Denn als der päpstliche Nuntius Giovanni Angelo Arcimboldi 1514 von Leo X. zum Generalfommissar des Ablasses und päpstlichen Nuntius für den Norden ernannt worden war, kam er 1516 nach Hamburg

und nahm hieselbst Hinrich Banskow zu seinem Gehülfen an, der sich wegen seiner Gewandtheit in Geldgeschäften wohl dazu. eignete. Das Bild, welches der venetianische Geschichtsschreiber Fra Paolo Sarpi von Arcimboldi und seinen Helfershelfern entwirft, ist freilich kein erfreuliches: Arcimboldi, sagte er, habe, obgleich er Prälat geworden, doch nicht die Geschäftsgewandtheit eines genuesischen Kaufmannes abgelegt, sondern sei nur bestrebt gewesen, die Geldgier jenes Weibes [der Donna Maddalena, Schwester Leos X.] zu stillen, weshalb er seine Ablaßfreiheiten möglichst hoch weiter verpachtet habe an habsüchtige Helfershelfer, welche ihrerseits die Ablaßgelder, die das arme Volk zur Lösung seiner Sünden sich vom täglichen Brote absparte, in Kneipen bei Würfelspiel oder noch schlimmeren Dingen vergeudeten.5") Von vornherein darf allerdings nicht behauptet werden, daß stets ein sittlicher Makel auf demjenigen haftete, der sich mit dem Vertrieb des Ablaßhandels befaßte. Es genüge, auf Rostock hinzuweisen, wo der achtbare Doktor Barthold Moller, mit dem wir uns noch öfter zu beschäftigen haben werden, von Arcimboldi für das Ablaßgeschäft als Subkommissarius erwählt wurde.60) Ueberdies hatte Arcimboldi noch andere Vollmachten vom Papste erhalten, 3. B. Doktoren, Notare zu ernennen und andere Würden zu er= teilen. Er ließ Banskow an dem Gewinn des Ablaßverkaufes teil nehmen und ernannte ihn zum päpstlichen Akoluthen und Protonotar. Trugen diese beiden Titel auch keinen Geldgewinn ein, so genoß doch der Inhaber manche Privilegien, ähnlich denen der Pfalzgrafen und konnte bei Gerichtsverhandlungen in Rom leichter seinen Prozeß durchführen.

Banskow war überdies Domherr und Propst des Bistums Schwerin, und im Jahre 1521 wurde ihm sogar die Administration dieses Bistums für den unmündigen Bischof, Herzog Magnus von Mecklenburg, übertragen.61) Bis zur Bestätigung des leßtern regierte Banskow als „bevelhebber" im Bistum; Herzog Albrecht von Mecklenburg ernannte ihn zu seinem Rate. Bei dem Erzbischof von Bremen, zu dessen Wahl er ja beigetragen hatte, stand er in Gunst. Als er im Jahre 1538 sein Testament abfaßte, zählte er seine Einkünfte und seine Kleinodien auf. Von jenen mögen hier außer den genannten Hamburger und Schweriner

Präbenden noch die Vikarieen in Parchim, Bremen, Stralsund, Dithmarschen und Holstein erwähnt sein; unter den Kleinodien nennt er einen großen silbernen Becher mit Deckel, der über hundert Mark gekostet hätte, eine silberne Schale von sechzig Lot, noch verschiedene Becher und Pokale, elf silberne Löffel; einen kleinen goldenen Becher hatte er bereits dem Herzoge Heinrich von Mecklenburg gegeben; diesem und seinem Bruder Albrecht vermacht er noch besonders jedem einen silbernen Becher mit einem Deckel, und, wenn es nötig sein sollte, sollten die Testamentarien sie vorher vergolden lassen. Er spricht sich über den Wert seiner Ringe mit einer gewissen Sachkenntnis aus: der in Gold gefaßte Demant ist ungefehrlich hundert Gulden wert"; ein anderer großer goldener Ring ist mit einem Turkis und sechs kleinen Rubinen geschmückt: „insonderheit der Turkis ist gut.“ Kein Wunder, wenn der Scholastikus außer manchen Kapitalien ein eigenes Haus in Lübeck, ein anderes in Hamburg besaß und als guter Haushalter dem in steter Geldnot befindlichen Erzbischof von Bremen das schöne Stiftsgut Wellingsbüttel an der Alster für Lebenszeit abkaufen konnte, und zwar für den geringen einmaligen Kaufschilling von 70 Mark.

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Banskows Sorge, seine Güter und Einkünfte zu vermehren, erklärt sich auch dadurch, daß seine Dienerin Wobbeke von der Heide aus Soltau ihm drei Kinder, Hinrich, Anneke und Leneke, geboren hatte, denen die Erbschaft zufallen sollte. Jener Hinrich, der 1537 Vikar und Bremischer Kleriker war, wird im geistlichen Schoßbuch desselben Jahres geradezu des Scholastikers Sohn genannt. Es macht einen wehmütigen Eindruck, zu sehen, mit welcher Aengstlichkeit der Vater bemüht ist, die Erbschaft für Wobbeke und deren Kinder zu sichern, wie er im Testament den jungen Hinrich verschiedentlich bald als „minen Blotverwanten", bald als „minen Frund“, auch als „minen Jungen Hinrich Banskow" bezeichnet, 62) durch die Cölibatsgesetze ge= zwungen, ihm die einzig richtige Bezeichnung als Sohn zu versagen. Noch trauriger ist es aber, die Verwirrung und Abstumpfung der Gewissen zu beobachten, die durch jene römischkatholischen Cölibatsgesetze angerichtet wurden, wenn wir finden, daß, während dem Banskow seine außerehelichen Kinder nirgends

zum Vorwurf gemacht wurden, der Hamburger Rat im Jahre 1524 die erstmalige Berufung Bugenhagens den Kirchspielseingesessenen abschlug mit den Worten, sie möchten wählen, welchen sie wollten, nur nicht Bugenhagen, der eine Ehefrau hätte. Erst wenn wir uns die unbestrittene Herrschaft solcher Ansichten vergegenwärtigen, erkennen wir, welch ein kühner Schritt es war, daß Luther sich zur Ehe entschloß, mit aller Tradition völlig brechend, und es ist wohl begreiflich, daß sein Freund Melanchthon, ohnehin ängstlichen Gemüts, befürchten konnte, daß an Luthers Heirat das ganze Reformationswerk scheitern könnte.

Wie viele Würden, Arbeiten und Amtsgeschäfte waren also nicht in Banskows Aemtern vereinigt! Oftmals mußte er von Hamburg abwesend sein. Die Propstei und die Administration von Schwerin führten notwendig zu weltlichen Geschäften, die durch seinen eignen Grundbesitz gewiß nicht verringert wurden. Eine bedeutende Persönlichkeit ist Banskow ohne Zweifel gewesen. In dem ausführlichen Protokoll, das er über seine Verhandlungen wegen der Nikolaischule vom 9. Juli 1522 bis 21. Mai 1523 aufgesetzt hat, zeigt er sich als ein scharfsinniger, klarer Kopf, der gleich einem tüchtigen Sachwalter seine Sache zu verteidigen weiß. Ein guter Administrator seines eigenen Vermögens war er sicherlich. Auch die Pietät gegen seinen mecklenburgischen Landesfürsten muß anerkannt werden, wenngleich er zu verstehen giebt, daß er den Herzog Magnus im Testament bedacht habe, damit dieser den Testamentarien zur Ausführung seines lezten Willens behülflich sein möchte. Als ein wohlgesinnter Domherr macht er auch Legate für die armen Siechen und die Mönche in Schwerin, sezt Gelder aus zum Bau des Hamburger und Schweriner Doms. So anerkennenswert dies ist, so darf doch auch nicht verschwiegen werden, mit welcher Rücksichtslosigkeit und Härte er sich die Zahlung seiner Renten ausbedang. Dem Geistlichen in Eppendorf Johann Moltkast und dem zu Bramstede Valentin Schünemann tritt Banskow zwei seiner Vikarieen gegen eine jährliche Rente von acht Mark lübisch ab; wenn sie dieselben nicht lösen würden, sollten sie erkommuniziert sein. Auf seinen Betrieb wurde in der That der Vikar Andreas Wentland exkommuniziert, weil er nicht, wie er versprochen, seine

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