Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Bei Fabians Erklärung, daß der Apostel Paulus schwer zu verstehen sei, ließen es die Evangelischen bewenden, und wiewohl sie auch seine römische Lehre von der Buße widerlegten, so scheinen sie bei diesem Dominikaner kein so großes Gewicht auf die Abweichung von der Schriftlehre gelegt zu haben.

Dagegen ließen sie Friedrich Vulgreve mit seiner mystischen Erklärung von der geistlichen Frau eines Bischofes und da „er viel loses [ungereimtes] Ding“ vorbrachte, fahren. Auch er konnte sich gleich dem Dombeichtvater Matthäus nur durch die Berufung auf die Kirche verteidigen.

Hinrich Schröder endlich war der lezte, mit dem die Evangelischen sich befragten. Er leugnete, die ihm vorgehaltenen Lehren vorgetragen zu haben, doch beriefen sich die Evangelischen auf Ohrenzeugen, die solche Worte aus seinem Munde gehört hätten.

Hiemit schloß diese denkwürdige Disputation, die freilich nicht an die Bedeutung der bekannten Vorgänge ähnlicher Art zwischen Eck und Luther und zwischen diesem und Cajetan heranreicht, die aber doch in ihrem übersichtlichen Verlaufe bewies, daß den Katholischen immer noch die heilige Schrift ein verschlossenes Buch war. Auch den Laien mußte die krasse Unwissenheit einzelner Priester und die unerhörte Auslegung der heiligen Schrift aufgefallen sein. Auf die Sentenzen der Scholastiker beriefen sie sich und gaben diese für die Lehre der Kirche aus. Dagegen trat es deutlich hervor, daß den Evangelischen das Wort Gottes eine lebensvolle Quelle der Erkenntnis und die Richtschnur zur Neugestaltung des kirchlichen Lebens war.

Weil der Rat und die Bürger entschieden hatten, daß die Predigten der Verklagten nach dem Wort Gottes beurteilt werden sollten, so konnte das Urteil nicht mehr zweifelhaft sein. Es fragte sich nur, welche Strafe die Gegner treffen würde und wie weit die Evangelischen ihren Sieg verfolgen würden. Darüber beriet der Rat für sich und die Bürger auf dem roten Zollen für sich.138) Alsdann begehrten diese, der Rat sollte, nachdem er nun gehört, daß die Domgeistlichen und Dominikaner Gottes Wort nicht gepredigt hätten, jezt dem Mandat gemäß dieselben strafen. Es sei aber den Bürgern genehm, wenn es dem Rate ge= fiele, allein Rendsborch und Vathouver aus der Stadt zu verweisen,

་་

weil diese das Aergernis angerichtet hätten. Wenn der Rat die übrigen in der Stadt dulden wollte, so könnten die Bürger es auch geschehen lassen, vorausgesezt, daß sie dasjenige widerriefen, ,,dessen sie keinen Grund in Gottes Wort hätten", und ferner nicht predigten; das sollte für Went, Vulgreve, Schröder und den Priester Matthäus gelten. Fabian und Doktor Moller sollten zwar auch widerrufen, aber wenn es ihnen geliebte, dürften sie fortan predigen. 139) Auffallend kann es sein, daß dem bedeutendsten und entschiedensten Anhänger der alten Kirche gestattet wurde, nach geleistetem Widerruf auch fernerhin zu predigen. Es scheint uns hierin eine Anerkennung des persönlichen Ansehens, in dem er stand, zu liegen. Man traute ihm zu, wenn er widerrufen hätte, so würde er auch hinfort nichts vorbringen, was gegen die heilige Schrift verstieße.

Das war also die mäßige und besonnene Entscheidung der Bürger auf dem roten Zollen. Sie enthielt keine Härte und keine Unbilligkeit und war nicht einmal so streng ausgefallen, wie sie es nach den Ratsartikeln von 1526 hätte sein können, deren sechster mit den Worten schloß: „Würde sich ein Prediger freventlich gebrauchen, Haß und Widerwillen zu erwecken, der soll zu keinem Predigtamt gestattet, sondern der Stadt verwiesen werden".140) Ferner war es keineswegs ausgeschlossen, daß auch nach dieser zweiten Disputation die Bürger in ihrer Gutmütigkeit sich vorläufig damit beruhigt hätten, wenn die katholischen Prediger nur ihren Willen zu widerrufen erklärt hätten. Als Bustorp nach der ersten Disputation sich dazu bereit erklärt hatte, waren ja die Bürger zufrieden gestellt.

Der Rat kündigte nun diesen Beschluß der vornehmen Bürger den katholischen Predigern an. Beide Parteien verhandelten lange mit einander. Dies dauerte der großen Masse der Bürger, die auf dem Eimbeckschen Hause versammelt waren, zu lange. Unter ihnen waren sicherlich auch die Handwerker, die schon hatten verlauten lassen, daß sie nicht alle Tage sich versammeln könnten; sie erklärten, wollte der Rat kein Ende mit den überwundenen Pfaffen machen, so wollten sie aufs Rathaus kommen und ein Ende machen; sie gedächten nicht, sich alle Tage deshalb zu versammeln, sie wollten, daß alle Schuldigen be

straft werden sollten; anders würde es nicht besser werden. Der= gleichen Forderungen zu bewilligen, waren der Rat und die vornehmen Bürger auf dem roten Zollen nicht geneigt. Deshalb schickte der Rat aus seiner Mitte die Ratsherren Otto Bremer, Albert Westede, der gleich Salsborch eine Nichte des katholischen Bischofs von Lübeck zur Frau hatte 141), und die beiden schon mehrfach genannten Joh. Wetken und Joh. Rodenborch nach dem Eimbeckschen Hause. Sie nahmen noch acht angesehene Bürger und vor allem Stephan Kempe mit sich. Es ist bezeichnend genug für das Ansehen, das dieser Prediger genoß, daß er dazu ausersehen wurde, die hochgehenden Wogen des Volksunwillens zu beschwichtigen. Ihm gelang auch, was die Mitglieder des Rates bei den Männern des Eimbeckschen Hauses nicht zu er reichen vermochten.

Als nämlich Albert Westede als der älteste der Ratsherren den Bürgern vorstellte, daß sie wohl mit dem Beschluß des Rats zufrieden sein könnten, erwiderte der Wortführer der Bürger, daß sie zwar dem Rat mit Leib und Gut verpflichtet seien, aber sie wollten auch bei der Wahrheit bleiben. Darum müßten alle die gestraft werden, die die armen Leute mit ihrem Ablaß und heiligen Fegfeuer" verführt hätten. Wenn die Evangelischen besiegt worden wären, so hätten diese in den Sack oder ins Feuer" gemußt. Würden jene nicht gestraft werden, so würde noch mehr danach folgen.

Die Beschwichtigung durch die Abgeordneten des Rats führte zu nichts. Erst als die Ratsherren abgetreten waren, wußten Kempe und die Bürger das Volk dazu zu bewegen, daß es sich, wie es in den Sizungen der Bürgerschaft Sitte war, nach den Kirchspielen verteilte, um gesondert sich zu besprechen. Auch hier bewährte sich das divide et impera, d. h. „teile und herrsche“. Infolge der Besprechung erklärten sich die Bürger mit allem einverstanden, was der Rat thun würde, aber unter der Bedingung, daß fünf katholische Prediger der Stadt verwiesen würden, nämlich Bathouver, der die Johannisleute zusammenberufen hätte, Rendsborch wegen seiner Predigten, Bustorp, welcher noch nicht den versprochenen Widerruf geleistet hätte, Vischbeck, welcher dieselben Lehren, die er mit großem Nachdruck einstmals verurteilt

hätte, jezt aufs neue predige, und endlich Matthäus, der auch zum Aufruhr in seinen Predigten gereizt hätte. Neben dieser Strafe der Verbannung für die genannten fünf blieb für alle übrigen die Forderung des Widerrufs bestehen. Augenscheinlich hatten diese fünf durch ihr agitatorisches Treiben die Bürger am meisten verlegt.

Mit diesem Beschluß sind die Herren des Rats samt allen Bürgern auf das Rathaus gegangen, und diese Entscheidung wurde auch von den daselbst versammelten Ratsherren und Bürgern angenommen. „Bei scheinender Sonne" sollten am nächsten Tage die mit Stadtverweisung bestraften katholischen Prediger Hamburg verlassen. Mittlerweile war es bereits sechs Uhr abends geworden. Die Erbitterung gegen die katholischen Prediger war so sehr im Zunehmen begriffen, daß die vornehmen Bürger es für geraten hielten, damit keinem Teil ein Leid geschähe, dieselben in ihre Wohnung zu geleiten. Je zwei angesehene Bürger nahmen einen der Geistlichen in ihre Mitte und führten ihn nach seiner Wohnung.

Wenn diese entscheidende Disputation am 28. April 1528 so friedlich endigte, ohne Tumult, ohne einen Exceß, so dürfen wir wohl Stephan Kempe, der die erbitterten Gemüter auf dem Eimbeckschen Hause schon zu beruhigen gewußt hatte, einen Teil des Verdienstes zuschreiben. Es mag auch wohl gestattet sein, bei der Frage zu verweilen, was mit den Evangelischen geschehen wäre, wenn die Johannisleute und ihre geistlichen Führer den Sieg davongetragen hätten. Der Wortführer der Bürger hatte wohl nicht Unrecht, wenn er meinte, daß sie zum Tode durch Wasser oder Feuer verurteilt wären. Dagegen war die Strafe der Verbannung doch recht milde, und wir werden sehen, daß auch diese keineswegs für ewige Tage galt. Die Bürger wollten Ruhe haben vor den polemischen Predigten, und als sie das erlangt hatten, war der Rat gar nicht abgeneigt, Milde und Versöhnlichkeit gegen die Vertriebenen walten zu lassen.

Am Mittwoch Idem 29. April mußten Rendsborch, Bustorp und Matthäus vor Sonnenuntergang die Stadt verlassen. Vischbeck und Vathouver waren überhaupt gar nicht in Hamburg während der Verhandlungen anwesend, ein Umstand, den der

katholische Doktor Joh. Moller als eine besondere Ungerechtigkeit hervorhebt, indem sie ungehört verurteilt worden seien, was gegen alle kaiserlichen Rechte verstieße. Der einzige Jodokus Siffriedi leistete am ersten Mai den verlangten Widerruf. Alle übrigen, welche zum Widerruf verurteilt waren, verließen binnen kurzem die Stadt. Fabian von Lübeck sezte seine Predigten noch bis Pfingsten fort; als er aber nicht widerrufen wollte, wurde er ausgewiesen. Barthold Moller konnte sich nicht zum Widerrufe entschließen, wie man es auch kaum von ihm erwarten durfte. Am 19. Mai reiste er, nachdem ihm sein Bruder geraten hatte, seine Domherrnstelle in Rostock wieder einzunehmen, von seiner Vaterstadt dahin ab, wo er, der katholischen Kirche treu geblieben, im Jahre 1530 sein Leben beschloß. Das Ansehen, dessen er sich mit Recht unter seinen Glaubensgenossen erfreute, hatte er noch benußt, um einigen der Ausgewiesenen in Lübeck eine Stellung zu verschaffen. Lübeck, wo der Scholastikus Banskow bereits verweilte, hatte die evangelische Predigt bis jezt unterdrückt: die katholische Kirche herrschte noch unbeschränkt. Es bot mehreren Vertriebenen eine gastliche Zuflucht. Gegen Ende des Jahres verweilt daselbst auch der Dekan des Hamburger Domkapitels, Klemens Grothe, welcher die Kleinodien und die Dokumente des Kapitels dorthin gebracht hatte. An den Hauptpastor zu St. Marien in Lübeck, Joh. Rode, hatte Moller den Prediger unter der Kluft Matthäus und den Dominikaner Hinrich Went em= pfohlen. Friedrich Vulgreve fand in Pinneberg bei dem katholischen Grafen von Schaumburg eine Anstellung als Prädikant. Hinrich Schröder ist vielleicht derselbe, welcher später als Scholastikus in Schwerin genannt wird.142) Nach Kempes Bericht wurden beide nicht verwiesen, sondern zogen freiwillig den andern nach, als sie nicht widerrufen wollten; hingegen berichtet Joh. Moller, daß auch sie ausgewiesen wurden. Barthold Vathouver erhielt eine Anstellung im Stifte Bremen; wenigstens nennt er sich in einem Schreiben vom 1. Januar 1529 Kaplan des Erzbischofs von Bremen. Er, der gerade beschuldigt wurde, die Johannisleute versammelt zu haben, ist es, der schon wiederholt in dem Jahre 1528 sich an den Bremer Erzbischof gewandt hatte, um für ihn beim Rate von Hamburg als Fürsprecher und

« ZurückWeiter »