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seit 1517 gänzlich spurlos an diesem Prediger der ältesten Metropolitankirche Norddeutschlands vorübergegangen war. Er hatte nämlich gelehrt: 1. Es ist nicht nüße, daß die Christen-leute das Evangelium wissen, denn sie möchten darüber in Irrtum verfallen. Deshalb habe Hieronymus [† 420] es in Kapitel eingeteilt, damit man da herausnehmen könne, was dem Volke zur Seligkeit nüzlich sei. [Die Kapiteleinteilung rührt aber von dem Dominikaner und Kardinal Hugo a St. Caro † 1260 her.] 2. Ein Bischof darf wohl eine Ehefrau haben, aber derselbe darf kein Bischof sein". Was Paulus 1. Tim. 3. lehre [v. 3: „Es soll aber ein Bischof unsträflich sein, Eines Weibes Mann, nüchtern, mäßig, sittig, gastfrei, lehrhaftig"], sei zu verstehen von einer geistlichen Frau, d. h. „von der Braut und der Frau, welche ist die heilige Kirche, und die Kinder seien geistliche Kinder, aufzuziehen in guten Exempeln". Denn als die Apostel den heiligen Geist in feurigen Zungen empfangen, da hätten sie ihre Frauen und Kinder verlassen und nach der Zeit keine Frau wieder genommen. Und wiewohl Paulus auch schriebe, daß Bischöfe eine Frau haben könnten, so hätten das die anderen Apostel doch nicht geschrieben. „Deshalb solle man bei den Schriften der ersten Apostel bleiben". Denn Paulus sei lange nach der Zeit gekommen, als die [übrigen] Apostel den heiligen Geist in feurigen Zungen empfangen hätten, darum sie ihre Frauen und Kinder verlassen hätten. Man sieht, zu welchen Folgerungen die römische Kirche mit ihrer allegorischen Erklärung der Schrift gelangte. Gänzlich unbekannt scheint es ihm geblieben zu sein, daß Paulus noch im ersten Briefe an die Korinther (cap. 9 v. 5), also immerhin etwa fünfundzwanzig Jahre nach dem Pfingsttage und der Ausgießung des heiligen Geistes noch bezeugt, daß Petrus und die andern Apostel im Ehestande lebten. Eigentümlich und fast als eine Anticipation neuester Kritik erscheint bei Vulgreve auch die Unterscheidung zwischen dem Ansehen des Apostels Paulus und dem der sogenannten Urapostel. Endlich hatte er noch gepredigt, „daß die heiligen Väter um der Keuschheit willen ihr Blut vergossen" hätten, und nach Angabe Joh. Mollers die Drohung hinzugefügt, jezt thäte ein jeder was er wollte; würde die Obrigkeit nicht danach sehen,

so würde ein großes Blutvergießen (ene grote blotstortinge) darauf folgen, denn Hamburg wäre oben nicht gewölbt".

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Hinrich Schröder verwahrte sich heftig gegen den Vorwurf, daß er gelehrt habe, die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit geschähe im Tempel. Dagegen macht der Dombeichtvater Matthäus kein Hehl daraus, die römischen Lehren von dem Sakrament als dem Opfer für die Lebenden und Verstorbenen, von dem Fegfeuer, womit die Gläubigen gepeinigt und woraus sie mit Messen und Vigilien erlöst werden, vom Anrufen der Heiligen als einer schriftgemäßen Lehre und von der einerlei Gestalt des Sakraments gepredigt zu haben.

Also nur die Prediger Matthäus und Vulgreve hatten unweigerlich die Artikel eingestanden. Nach dem bisherigen Verlauf des Verhörs mußte es nun zur Disputation kommen. Das hatte aber gerade Barthold Moller mit Zustimmung seiner Genossen verhindern wollen. Deshalb übermannte ihn der Zorn, als er sich so von ihnen im Stich gelassen sah: „sein Antlig veränderte sich, und er sprach gar zürnend zu ihnen: Wenn ihr so handeln wollt, so sollte kein frommer Mann mit euch zu thun haben. Ich beschwöre euch bei eurem Gewissen, daß ihr mir sagt, ob ihr mir nicht befohlen habt, so zu sprechen, wie ich gethan habe. Warum verändert ihr denn eure Meinung ?"

Dieser Streit der Katholiken unter einander rief das Gelächter vieler Bürger hervor. Unter diesen sind hier wie in der ganzen Verhandlung die vornehmsten gemeint, deren einige vom roten Zollen aus wohl einen Zugang zur Ratsstube hatten. Als nun wieder Stille eingetreten war, legte sich Hohusen ins Mittel und befürwortete den Vorschlag Barthold Mollers, den Katholischen eine Abschrift der Artikel zu geben, worauf sie sich über ihre Antwort bedenken möchten; dann möchte ein ehrbarer Rat und die, „die es verstünden", darüber Richter sein. „Denn wer“, so schloß er, „soll in dieser Sache Richter sein? Ich kann es nicht sein, denn sie geht über meinen Verstand“.

Es war dies ein entscheidender Moment. Da gaben die Bürger mit Ehrerbietung dem Rate zu bedenken, daß sie zwar auch des Bürgermeisters Vorschlag nicht für unbillig hielten, allein der Unfriede würde zunehmen, wenn die auf dem Eim

beckschen Hause versammelten Bürger, ohne zu wissen, woran sie wären, nach Hause geschickt würden; deshalb möge man über die Artikel verhandeln. Sie und der Rat sollten auch nicht Richter sein. „Es ist nicht unsers Thuns“, sprachen sie, „sondern laßt das Wort Gottes Richter sein; das wird wohl sagen, wer bei demselben geblieben ist und wer nicht“.

Man wird nicht umhin können, die Billigkeit dieses Votums und zugleich das richtige Urteil der Laien anzuerkennen, daß in dieser Frage doch nur das Wort Gottes entscheidend sein könne. Hiemit hatten die Bürger in schlichtester und klarster Weise sich für das evangelische Bekenntnis entschieden, daß in Glaubenssachen das Wort Gottes die alleinige Quelle und Richtschnur der Lehre sei.

Jezt zuerst wandte sich Hohusen an die vier evangelischen Prediger, die bisher noch nicht zu Worte gekommen waren, und fragte auch sie, wer denn in diesen Sachen ohne Richter verhandeln könne, wer ihr Richter sein solle.

Die evangelischen Prediger ergriffen nun das Wort und erinnerten zunächst den Rat daran, daß er am Ende des Jahres 1526 allen Prädikanten befohlen habe, das Wort Gottes lauter und rein zu predigen. Hätten sie selbst es nicht gethan, so wollten sie ihre Sache für verloren ansehen. Ob die Gegner es gethan hätten, darüber bedürfe es keiner großen Disputation, auch nicht sonderlicher Richter, die man doch nicht so leicht berufen könne, sondern man schlage die heilige Schrift auf, darin Gottes Wort verfaßt ist. Könnten die Gegner ihre Lehre aus dem Alten oder Neuen Testament beweisen, so möchten sie des genießen. Wenn sie aber die von ihnen eingeräumten Artikel nicht darin fänden, so könnte ja der Rat leicht befinden, daß sie Gottes Wort nicht gepredigt hätten.

Diese Erklärung machte Eindruck. Der Rat zog sich zu einer Besprechung mit den Bürgern zurück, in welcher er der von ihnen und den evangelischen Predigern vorgeschlagenen Entscheidung zustimmte.

Diesen Beschluß verkündigte der Bürgermeister der Versammlung auf dem Ratssaale: man wolle von den streitigen

Artikeln handeln, ob diese mit dem Worte Gottes zu beweisen seien oder nicht". Hiermit begann die eigentliche Disputation.

Barthold Moller, welcher die römische Lehre vom Abendmahl und dem Kanon der Messe gepredigt hatte, berief sich auf die Autorität der Kirche und erklärte, bei der Lehre derselben und den Bestimmungen des Kostnißer Konzils bleiben zu wollen. Die Evangelischen machten ihn darauf aufmerksam, daß es sich nicht darum handle, was die Kirche lehre, sondern was sie lehren solle. Nicht nur der Rat habe befohlen, Gottes Wort zu predigen, sondern Gott fordere das von ihm und seinen Glaubensgenossen. Was die Kirche lehre, habe man im vergangenen Jahre bei der Bustorpschen Disputation erkannt und aufgedeckt.

Als Moller schwieg, wandten sich die Evangelischen an Doktor Went, dem man besonders zum Vorwurf gemacht hatte, daß er einen Laien, der nicht gebeichtet habe, vom Altar verwiesen hätte. Es muß sich hiebei um die Ohrenbeichte gehandelt haben; die Evangelischen behaupteten, daß der Mann reumütig und gläubig gewesen sei. Er hatte dem Doktor Went geantwortet, er wolle nicht ihm beichten, denn er habe Christo gebeichtet. Daß Went demselben das Sakrament nun hätte auch ohne Ohrenbeichte geben sollen, daß die Beichte vor Gott, die Selbstprüfung, über der Ohrenbeichte vor dem Priester stände, wie die Evangelischen Went vorhielten, dafür hatte er kein Verständnis. Wenn nun hiernach die Evangelischen den Empfang des Abendmahls ohne vorhergegangene Beichte zu gestatten schienen, so muß bemerkt werden, daß auch anderwärts, z. B. in Nürnberg, zu Anfang der Reformation das Abendmahl ausgeteilt worden ist ohne eine ausdrücklich erwähnte Beichte. Denn als die Pröpste von St. Sebald und St. Lorenz sich 1524 vor dem Bischof von Bamberg über ihre lutherischen Neuerungen verantworten mußten und er sie fragte, ob sie auch die Abendmahlsgenossen zuvor ermahnten zu der Beichte und Reue aller Sünden, antworteten die Pröpste: Niemand vermahnen wir zu der Ohrenbeichte, sondern lassen eine christliche Vermahnung thun durch unsern Mithelfer vor der Empfahung des Sakraments, unangesehen, ob einer die Ohrenbeichte thue oder nicht“.138)

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Nun wurde Rendsborch aufgefordert, seine Lehren über das Abendmahl und die Anrufung der Heiligen aus dem Evangelium zu beweisen. Rendsborch antwortete in lateinischer Sprache, worauf die Bürger die deutsche Sprache verlangten. Jezt trat der Bürgermeister Doktor Salsborch als Anwalt des Dominikaners auf und sagte zu den Bürgern: „Lieben Bürger, laßt ihn lateinisch reden“. Und als die Bürger nach der Ursache dieses wunderlichen Begehrens fragten, entgegnete Salsborch, es gehöre sich nicht, deutsch vor Laien über Glaubensartikel zu reden, denn die [päpstlichen] Rechte verböten es. Dies reizte aber den Prediger Zegenhagen, sich an den Bürgermeister zu wenden und ihm zuzurufen: „Wir wissen ganz wohl, Herr Bürgermeister, daß ihr es mit unserm Widerpart haltet. Beliebt es euch, so stellt euch auf ihre Seite. Wir haben es mit euch gerade so gut wie mit ihnen zu thun". Salsborch erwiderte nichts darauf. Da aber Rendsborch so gern latein reden wollte, so gaben ihm die Prediger darin nach und bedienten sich auch der Gelehrtensprache; sie hätten auch noch so viel gelernt, um das zu können“, sprachen sie. Rendsborch fuhr demnach auf lateinisch fort, daß man die Kirche hören müsse, und wer diese nicht höre, sei nach Matth. 18, 17: „Höret er die Gemeinde nicht, so halte ihn als einen Zöllner und Sünder" als ein solcher anzusehen. Und nach Römer 13 solle man der Obrigkeit unterthan sein; der Kaiser und der Rat hätten aber geboten, die Ceremonieen nicht abzustellen. Mit Recht konnten ihm die Evangelischen entgegnen, daß nach Matth. 18 die Kirche gar nicht die Macht habe, die Lehre Christi zu verändern. Demnach sei vielmehr er und sein Anhang als Kezer anzusehen. Ferner sei die Obrigkeit im Römerbrief am 13. als Gottes Dienerin bezeichnet, und als solche dürfe sie nichts gegen Gottes Wort befehlen. Da habe der Gehorsam ein Ende, wie das Beispiel Petri Apostelgesch. 5 zeige. Hierauf erwiderte er nichts, und als er aufgefordert wurde, die Anrufung der Heiligen aus der Schrift zu beweisen, bat er sich Bedenkzeit aus. Ihm wurde die Antwort zu teil, daß er das gelehrt und gepredigt habe, und nun wolle er erst die Sache bedenken? Er setzte sich durch diese Ausflucht dem Gelächter der Anwesenden aus.

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