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Wenn in einer Zeit, wo die griechischen Studien in Deutschland eben erst anfingen in Aufschwung zu kommen, griechische Dramen von Schülern aufgeführt wurden, so verdient das Bestreben der Rektoren, die diese Aktionen leiteten, unsere volle Anerkennung. Wir wissen es von Zwickau, wo der Rektor Stephan Roth 1517 seine Schüler ein Stück des Aristophanes in griechischer Sprache aufführen ließ; von Zürich, wo am 1. Januar 1531 in der Großmünsterschule eine Aufführung des Plutos des Aristophanes stattfand, wobei die Musik der Zwischenspiele von Zwingli komponiert war. Diese Aufführung des Plutos leitete Georg Binder, der in der Vorrede zu seinem Akolastus (1535) sagt, er habe vor etlichen Jahren zu Zürich mit seinen Knaben viele lateinische und griechische Komödien des Terenz und Aristophanes gespielt, damit die Jugend fleißig im Reden geübt, auch das Gedächtnis gestärkt und etliche gute Sprüche behalten würden. Am 12. Januar 1531 vollendete Hans Sachs seine Komödie "Der Pluto, ein gott aller reichtumb'; vielleicht gelangte eine für den Gebrauch ungelehrter Zuschauer veranstaltete deutsche Prosaübersehung aus Zürich in seine Hände. Der schon genannte Michael Babst wagte sich an des Euripides Iphigenia in Aulis (1584). Die Widmung seiner Arbeit gilt dem kurfürstlichen Kammer-Sekretär Johann von Tschammer, mit dem er ‘nicht allein in die zwanzig Jahr gute und bis auf diese Stunde beständige Freundschaft gehabt, sondern auch die griechische Sprache auf der berühmten Schule an der Saale (wohl Saalfeld] zu= gleich zu lernen angefangen, dieselbige auch hernachmals auf der Universität Leipzig ererciert' hat. Er erklärt, daß dies Drama öffentlich agiert worden sei. In Abweichung vom Original hat er die Handlung auf sechs Akte verteilt und einem jeden Aktus seine besondere Scene, desgleichen der ganzen Aktion im Prolog und Epilog einige Parerga zugeordnet. Die Uebertragung ruht auf dem Texte des Euripides, nur die Chöre der Frauen aus Chalcis find übergangen, weil sie nach Babsts Meinung fast eitel poetische Erdichtungen seien und dem gemeinen Manne unverständlich bleiben würden. Der Prolog preist die Menschen, weil Gott sie freigemacht habe von Abgötterei und der Finsternis der Heidenwelt. Im Stücke selbst wird abgebildet dieses

Lebens böse Zeit, in welcher mehr Unglück und Herzeleid als Glück und Freude gefunden werde. Dann wird gezeigt, wie Gott alle Unzucht strafe. Die Fürsten sollen lernen nicht allzu schnell zum Kriege und Streit bereit zu sein. Jede Person erscheint als ein Typus: Menelaus ist der Typus der Rachgier, Agamemnon der eitlen Ehrsucht, Klytämnestra der Wollust und Freude, Iphigenia der Vaterlandsliebe; der Rat der Alten zeigt, wie alle Diener ihre Sache anstellen sollen, um Ruhm und Ehre zu erjagen. Im Epilog begegnet der Verfasser denjenigen, welche die Aufführung heidnischer Dramen tadeln. Es ist, sagt er, mit guter Absicht geschehen,

Damit gar fein sehen die leut,

Wie Gottes wort zu aller zeit
Verdunkelt worden, wies jederman

Nach seim gefallen hat wollen verstan.

Es lag nahe, den Opfertod der Iphigenia mit der Opferung Isaaks durch Abraham zu vergleichen, allein mit Rücksicht darauf, daß hier Gott befohlen, dort Agamemnon aus eitler Ehre gehandelt habe, hat Bapst von einem Vergleich Abstand genommen.

Fast zu derselben Zeit begann der Mag. Wolfhart Spangenberg aus Mansfeld 1), nachdem er seinen Wohnsig in Straßburg genommen hatte, griechische Dramen zu überseßen. Er wurde für die Entwickelung des Straßburger Theaters sehr einflußreich, indem er zunächst für die Aufführungen griechischer Dramen deutsche Argumente oder Inhaltsangaben nebst Vorrede und Beschluß behufs der Orientierung der Zuschauer nach Art eines Theaterzettels verfaßte. So geschah es 1598 bei der Aufführung der Euripideischen Medea. Als aber diese deutschen Argumente dem Bedürfnisse nicht mehr genügten, schritt man zur Aufführung griechischer Dramen in deutscher Ueberseßung. Der in Straßburg als Bürger' lebende Spangenberg verdeutschte 1604 des Euripides Alcestis, 'eine artige Tragödie, darin ein Exempel treuherziger Liebe zwischen rechten Eheleuten vorgebildet wird',

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1) Wolfhart Spangenberg, ein Sohn des Chriakus Sp., war zu Neujahr 1590 in Tübingen Magister geworden, wie aus einem Briefe feines Vaters an seinen Vetter Joh. Eckhard in Nordhausen hervorgeht (H. Rembe, Nindarts Jubel-Komödie, Eisl. 1885, Einl. S. 15).

indem er dabei die lateinische Uebersehung des Schotten Georg Buchanan zu Grunde legte. Im folgenden Jahre überseßte er die Hekuba des Euripides nach der lateinischen Ueberseßung des Erasmus von Rotterdam.

Unter den Sophokleischen Dramen stand besonders der Ajax Lorarius in Ansehen. In der lateinischen Ueberseßung des jüngeren Scaliger wurde er im Juli 1587 und in der nach dieser veranstalteten deutschen Ueberseßung Spangenbergs am 7. Juli 1608 in Straßburg aufgeführt.

Des Aristophanes Wolken wurden im August 1613 unter der Leitung des Professors der griechischen Sprache Nikolaus Ferber in griechischer Sprache zu Straßburg aufgeführt; in demselben Jahre erschien daselbst auch eine Uebersetzung des Mag. Isaak Fröreysen.

Viertes Kapitel.

Das humanistische Drama.

Schon sehr früh zeigte sich bei den gelehrten Schulmännern, katholischen und protestantischen, das Streben, in treuer Nachahmung des Terenz eigene lateinische Dramen teils zum Zwecke der Schullektüre teils zur dramatischen Aufführung durch Schüler zu schaffen. So bildet das lateinische Drama des sechzehnten Jahrhunderts eine neue Litteraturgattung, die wegen ihrer Bedeutung nach Form und Inhalt vorteilhaft auf das deutsche Drama des sechzehnten Jahrhunderts wirkte; denn zu sehr vielen dieser lateinischen Dramen wurden von deutschen Schulmännern poetischer Uebersehungen geliefert. Die Hauptvertreter des neulateinischen Dramas finden wir in den Niederlanden: Wilhelm Gnapheus und Georg Macropedius. Sie schrieben beide nur lateinische Dramen, denen teils ein biblischer teils ein antikhistorischer Stoff zu Grunde liegt.

Wilhelm Gnapheus, geboren 1493, vorgebildet im Kreise der 'Brüder vom gemeinsamen Leben', begann seine Lehrthätigkeit in seiner Vaterstadt 3'Gravenhaag, wurde früh von der refor

matorischen Bewegung ergriffen, mußte aber die ausgesprochene Abneigung gegen Ceremonien und Mönchswesen anfangs 1523 mit mehrmonatlicher Kerkerhaft in Delft büßen. Wegen einer Flugschrift, in der er das Mönchswesen heftig angriff, wurde er im Mai 1525 durch eine päpstliche Inquisitionskommission aufs neue eingekerkert und im September jenes Jahres zu einer dreimonatlichen klösterlichen Strafhaft verurteilt, während sein Leidensgenosse Jan de Bakker (Johannes Pistorius) aus Vörden am 15. September 1525 den Feuertod erleiden mußte.') Aus der Haft entlassen, widmete sich Gnapheus wiederum dem Schuldienst im Haag und verfaßte seine erste lateinische Komödie Acolastus sive de filio prodigo, welche 1529 erschien. Die Widmung vom 1. Oktober 1528 gilt dem Johannes Sartorius zu Amsterdam. Er spricht seine Verwunderung über die Vernachlässigung der Komödiendichtung aus, und doch lobe Cicero die Komödie als die Nachahmung des täglichen Lebens (cotidianae vitae imitatio), als einen Spiegel der Gewohnheit (speculum consuetudinis), als ein Abbild der Wahrheit (imago veritatis). Er habe es zuerst gewagt einen biblischen Stoff nach Art der römischen Komödienschreiber zu gestalten und empfiehlt sein Stück zu öffentlichen Aufführungen. Aber obgleich er jeden Angriff vermieden, nirgends die streitige Lehre berührt, so hatte ihm doch die böswillige Mißgunst einiger seine Lieblingsstudien verleidet, ihn aus seiner litterarischen Muße getrieben und noch härteren Leiden aufbewahrt. In der That war seines Bleibens nicht länger in der Heimat. In der Fastenzeit des Jahres 1528, wo Gnapheus auf Reisen gewesen war, hatte man seine Hausgenossen der Uebertretung der Fastengebote beschuldigt, seine alte Mutter in Eisen gelegt, seine Schwester in das Gefängnis geworfen und sein Haus mit bewaffneten Knechten beseßt. So entschloß er sich den heimatlichen Boden zu verlassen. 1531 kam er nach Elbing, wo er zu Michaelis 1535 im Auftrage des Stadtrates ein Gymnasium im Brigittenkloster eröffnete. 1541 wurde er Rat des Herzogs Albrecht von Preußen, dann Rektor des neugestifteten Pädagogiums

1) Gnapheus schrieb 1529 das Martyrium des Johannes Pistorius, des ersten Opfers der Reformation in den nördlichen Niederlanden.

und Docent an der neuen Universität zu Königsberg. 1547 von da vertrieben, ging er nach Ostfriesland, wo ihn die Gräfin Anna zum Erzieher ihrer Söhne und zu ihrem Sekretär machte. Zuleht war er gräflicher Rentmeister in Norden. Hier starb er 1568.

Von seinen vier Dramen ist das einflußreichste das schon genannte Drama vom verlornen Sohn; es wurde ein Volksbuch der gelehrten Kreise; denn es lassen sich aus den Jahren 1529 bis 1581 mindestens 39 Drucke nachweisen, ja, eine Pariser Ausgabe von 1554 erschien sogar mit dem reichhaltigen Kommentar des Gabriel Prateolus Marcossius (Gabriel Dupréau) nebst einem Sach- und Wortverzeichnis. Eine französische Uebersetzung lieferte 1564 Antoine Tyron.

Das Gleichnis vom verlornen Sohn, welches dem Akolast des Gnapheus zu Grunde liegt, war schon im Mittelalter von Rudolf von Ems in seinem Barlaam und Josaphat in einem Gedicht von 92 Zeilen bearbeitet worden und wurde in den ersten Jahren der reformatorischen Bewegung als ein Mittel benußt, um den katholischen Gegnern den Nachweis zu liefern, daß die Rechtfertigung vor Gott nicht durch die Werke, sondern allein durch den Glauben erfolge. Schon vor Gnapheus hatte der Arzt Reiner Snoy zu Gouda denselben Stoff in Prosa behandelt, 1523 hatte Michael Styfel aus Eßlingen, der ein Jahr vorher dem Augustinerorden entsagt hatte und Prediger bei Hartmut von Cronberg geworden war, das Evangelium vom verlornen Sohn ausgelegt, Nikolaus Vogel dichtete ein schönes geistliches Lied und Burkart Waldis ließ 1527 sein berühmtes Fastnachtspiel in Riga aufführen.

Das Gnapheussche Drama bewahrt im allgemeinen die Form der römischen Komödie, aber der Ernst des Inhaltes nötigte den Verfasser doch stellenweise zur Wahl des tragischen Stiles. Sollte aber der Terenzische Charakter des Dramas bewahrt bleiben, so durften die bekannten Figuren des altrömischen Lustspieles nicht fehlen; es finden sich daher viele komische Scenen. Auch findet sich am Schluß, wie in allen biblischen Dramen jener Zeit, eine moralisch-religiöse Nußanwendung; denn es liegt im Charakter der lateinischen Schulkomödie der Reformationszeit, daß sie sich nicht nur auf dem Boden der antiken comoedia

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